Flüchtlingsfahndung an der ostdeutschen Grenze von Dominique John/FFM

(Aus telegraph #100)

Wie kommen sie zu einer Entscheidung, wen sie [im Grenzgebiet] kontrollieren?
Das ist so ein bestimmter Instinkt. Er sieht so ein bisschen ausländisch aus, er hat im Prinzip keine weiße Hautfarbe in dem Sinne, und darauf haben wir ihn kontrolliert. Das heißt also alle, die so aussehen werden kontrolliert?

(kurzes Zögern) Ja, bei uns ja.
(Antworten einer Grenzschützerin im sächsischen Grenzgebiet nach der Kontrolle eines schwarzen Deutschen.)

Durch die Einführung der „Sicheren Drittstaatenregelung“ ist für viele Flüchtlinge der illegale Grenzübertritt an der deutschen Ostgrenze die einzige Möglichkeit nach Westeuropa zu gelangen. Nach Angaben des Bundesgrenzschutz (BGS) wurden 1998, auf der deutschen Seite der polnischen und tschechischen Grenze 24.050 Menschen wegen unerlaubtem Grenzübertritt festgenommen. Ca. 25% der Festgenommenen stammen aus Rumänien, weitere 25% aus Bulgarien und Ex-Jugoslavien, 50% bilden Flüchtlinge aus der Türkei/Kurdistan, Afghanistan, sowie mit steigender Tendenz Flüchtlinge aus dem Irak und verschiedenen asiatischen Fluchtländern (Sri Lanka, Bangladesch, Pakistan, Indien).

Die Rückübernahmeverträge, die die BRD inzwischen mit allen wichtigen ost- und mitteleuropäischen Ländern abgeschlossen hat, sorgen dafür, daß diese Menschen meist innerhalb von 48 Stunden zurückgeschoben werden. In diesen Schnellverfahren bleibt den „Schüblingen“, so werden die Abzuschiebenden in der deutschen Amtssprache genannt, ein Zugang zu AnwältInnen, ÄrztInnen oder FreundInnen verwehrt. Fernab jeder Öffentlichkeit werden sie verhört, erkennungsdienstlich behandelt und finden sich dann in einem der angrenzenden Länder wieder.

Die Konzepte zur Überwachung der ostdeutschen Grenzgebiete, die darauf abzielen illegale GrenzgängerInnen abzufangen, haben sich seit 1989 stetig verändert. Die Experten der Inneren Sicherheit setzten in den ersten Jahren nach 1989 vor allem auf eine verbesserte technische Ausrüstung und einen verstärkten Personaleinsatz. Das dominierende Konzept bestand aus der direkten Überwachung der unmittelbaren Grenzlinie mit Hilfe von Nachtsicht- und Wärmebildgeräten, Hubschraubern und Booten. Diese ersten Jahre wurden begleitet von einem, über die Medien verbreiteten, Bedrohungsszenario, welches neben den „Scheinasylanten“ die Gefahr einer Massenemigration aus den Staaten, der sich auflösenden UdSSR heraufbeschwor.

Nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 und dem offensichtlichen Ausbleiben des Ansturms von BürgerInnen der ehemaligen UdSSR, wurde das Be­droh­ungsswzenario verändert. Der Begriff der Organisierten Kriminalität (inzwischen kurz: „OK“) wurde von verschiedenen Politiker­Innen und Sicherheitsstrategen in die Diskussion gebracht und mit ähnlich diffusen Begriffen wie „Ausländerkriminalität“ und „Grenzsicherung“ verknüpft. Der Zusammenhang zwischen der Abschottungspolitik und der Tatsache, dass ein Teil der Flüchtlinge das Know-how zur Überwindung der Grenzen bei kommerziellen Fluchthilfeunternehmen kaufen müssen, wurde in dieser Diskussion zu einem von „internationalen Schlepperbanden“ verursachten Kriminalitätsanstieg verkehrt. Dabei verschwand der Begriff des Flüchtlings, selbst der negativ besetzte Begriff des „Asylanten“, vollkommen aus der öffentlichen Diskussion. Der organisierte illegale Grenzübertritt, für viele Flüchtlinge die einzige Möglichkeit ihr Ziel zu erreichen, wurde zum hoch kriminellen Akt, vergleichbar mit Drogen- und Waffenschmuggel und damit unter den Oberbegriff der Grenzkriminalität subsumiert.

Von der Grenzlinien- zur Grenzraumüberwachung
Dieses veränderte Bedrohungsszenario diente gleichzeitig als Begründung zur Entwicklung neuer Formen der Fahndung nach illegalen GrenzgängerInnen. Die bis dahin dominierende linerare Grenzüberwachung wurde durch differenziertere Raumkonzepte abgelöst. Die Änderung des BGS-Gesetzes vom November 1994 bildete einen deutlichen Wendepunkt. Damit wurde die Bundespolizei ermächtigt innerhalb eines Streifens von 30 Kilometern entlang der Grenzen Erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen und Häuser und Wohnungen zu betreten, die nach ihrer Ansicht, als Treffpunkt von „Schleusern“ oder Personen ohne Aufenthaltserlaubnis dienen. Auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und verdeckter Ermittler wurde offiziell erlaubt. Neben dieser Kompetenzerweiterung für den BGS und der Ausweitung seiner Fahndungstätigkeit ins Hinterland der Grenze, bemühte sich das Innenministerium um eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Länderpolizeien und der Bundespolizei. Ausgehend von einem Musterentwurf wurde die Einführung sogenannter „Sicherheitsschleier“ in den Grenzgebieten vorgeschlagen. Hinter diesem Begriff versteckt sich die Einführung von „verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen“ in Grenznähe und auf den wichtigsten Durchfahrtsstraßen durch die Polizeien der Länder. Dies meint nichts anderes wie die systematische Kontrolle von Menschen anhand von äußeren Merkmalen wie Sprache, Hautfarbe und Kleidung. Ein unsichtbares Netz von Kontrollaktivitäten soll so das Herausfiltern von Flüchtlingen ermöglichen, die es geschafft haben die unmittelbare Grenzlinie zu überwinden. Inzwischen wurden die Polizeigesetze in Bayern, Baden Württemberg und Sachsen entsprechend verändert; in Mecklenburg-Vorpommern steht die Polizeigesetzänderung im Landtag zur Diskussion.

Einbindung der Bevölkerung
Doch nicht nur die Verzahnung von BGS und Länderpolizeien haben die Gefahr für Flüchtlinge erhöht in den Grenzgebieten verhaftet zu werden, auch die ortsansässige Bevölkerung wurde in jüngster Zeit verstärkt in die neuen Fahndungskonzepte einbezogen. Im Sommer 1996 begann der Bundesgrenzschutz damit in den grenznahen Gemeinden Ostdeutschlands „Bürgertelefone“ einzurichten. Mit BGS-Infobussen und in Zeitungsanzeigen wurden die BürgerInnen über Grenz­kriminalität informiert und aufgefordert „verdächtige Bewegungen zu melden“. Ob gestohlene Fahrräder und Autos oder eben fünf schwarze Menschen an einer Bushaltestelle, die „Bürgertelefone“ nehmen jeden Hinweis entgegen. Diese Aufrufe zur Denunziation scheinen durchaus erfolgreich zu sein. Nach Angaben des BGS sind inzwischen 60% bis 70% der Verhaftungen von illegal Eingereisten Hinweisen aus der Bevölkerung geschuldet (vgl. Sächsische Zeitung vom 19.7.97).

Erfolgt die Einbeziehung der Bevölkerung in die Fahndungskonzepte auf freiwilliger Basis, so wurden bei den TaxifahrerInnen in den brandenburgischen und sächsischen Grenzgebieten regelrechte Zwangsmaßnahmen eingeführt, um sie zur Mitwirkung beim Aufspüren von illegalen GrenzgängerInnen zu bewegen.

Großes Aufsehen erregten zwei Urteile des Amtsgerichts in Zittau vom Frühjahr 1997, in dem zwei Taxifahrer wegen „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“ zu 14 bzw. 16 Monaten ohne Bewährung verurteilt wurden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Taxifahrer vorsätzlich versucht hätten, illegal Eingereiste zu befördern. Dabei ist zu beachten, dass es sich nicht um grenzüberschreitende Fahrten handelte. Die Taxifahrer wurden verurteilt, weil sie bestimmte Personen von einem in der BRD gelegenen Ort, der Stadt Zittau, in einen anderen Ort der BRD, in die Stadt Bautzen, befördert haben. Im Landkreis Löbau-Zittau in Sachsen wird zur Zeit gegen 22 der 73 registrierten TaxifahrerInnen wegen des gleichen Delikts ermittelt. Auch im Land Brandenburg waren im vergangenen Jahr 53 Ermittlungsverfahren gegen TaxifahrerInnen anhängig, die verdächtigt wurden im Grenzgebiet Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung befördert zu haben.

Um einem Ermittlungsverfahren zu entgehen empfiehlt der Bundesgrenzschutz den Taxifahrern bei „verdächtigen Personen“ über ein Code Wort die Zentrale zu informieren. Erfolgt daraufhin eine Kontrolle der Taxiinsassen, habe der Taxifahrer nichts zu befürchten. TaxifahrerInnen, die Personen befördern, die keinen legalen Aufenthaltsstatus haben und die dies nicht einer Polizeistelle oder dem BGS melden, drohen Ermittlungsverfahren und Entzug der Taxilizenz.

Als Konsequenz lehnen inzwischen viele TaxifahrerInnen in den Grenzgebieten eine Beförderung von Ausländern generell ab.

Die polizeiliche Fahndungstätigkeit nach illegalen GrenzgängerInnen wurde in den letzten Jahren immer mehr von der unmittelbaren Grenzlinie ins Hinterland ausgedehnt. Dies ging einher mit der Entwicklung von Kontroll- und Fahndungskriterien nach äußeren Merkmalen (Kleidung, Sprache, Hautfarbe). Die Einrichtung der „Bürgertelefone“ und die zwangsweise Einbeziehung von Taxi­fah­rerInnen in die Fahndung fördern eine rassistische Stigmatisierung von AusländerInnen und damit einhergehend das Denunziantentum.
Eine der Voraussetzungen für dieses Vorgehen ist das Fehlen einer kritischen Öffentlichkeit. Hier gibt es Interventionsmöglichkeiten, denn auch im Grenzgebiet gibt es verschiedene Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen, die sich nicht ohne weiteres in die entstehenden Denunziationsbündnisse integrieren lassen und die Zusammenarbeit mit dem BGS ablehnen.

1. Co2-Meßgerät/Bildunterschrift: Ein BGS-Beamter prüft mit einem Co2-Meßgerät, ob sich illegale GrenzgängerInnen in einem LKW versteckt haben.
2. Wärmebildaufzeichnung/Bildunterschrift: Mit Wärmebildgeräten verfolgen BGS-Beamte einen heimlichen Grenzübertritt an der Oder.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph