2000 DOLLAR ORANGENSAFT

von Alexander Krohn
aus telegraph #111

Als ich Herrmann vom Flughafen abholte, zog er ein Gesicht zum r e i n s c h l a g e n. Genau genommen wirkte er im Gebäude noch unbeholfen, übermüdet und irritiert, auch die nach dreimonatigem Wiedersehen angebrachte Umarmung wurde, wenn auch mürrisch, nicht unwillig vollzogen, erst als wir hinaustraten, setzte er diese Miene auf, die er die nächsten Tage nicht mehr ablegen sollte; eine Mischung aus Verschlossenheit und Überdruß. Die anderen zwei waren guter Dinge und Dosen; Achmed fuhr in einem Affenzahn nach Amman. Drei Tage drauf fuhren wir in das kleinste palästinensische Flüchtlingscamp der Welt. Ich hatte im Frühjahr eine Anzeige geschaltet, die aufrief, im Nahen Osten gegen Besatzungspolitik zu spielen. Parallel versuchte ich Musiker zum Mitkommen zu bewegen, niemand wollte, die meisten hatten kein Geld oder wichtige Termine; außer Monique Schramm. Es fanden sich drei: Harry Coltello, Jakob Enderlein, Herrmann Pest. Mit Herrmann gab es vorab ein Gespräch über die Herangehensweise, er meinte, man solle hinfahren, spielen, und mehr nicht, später sah er das anders; ich dagegen war dafür, die Tour zu p o l i t i s i e r e n, denn erstens schien mir etwas zu p o l i t i s i e r e n out, zweitens a n g e b r a c h t, drittens ödeten mich Mottos wie M u s i k k e n n t k e i n e G r e n z e n an, viertens interessierte mich die Reaktion der Inländer und fünftens fuhren wir aus purem Egoismus: es mußte doch eine Möglichkeit geben, uns nicht mehr taufrischen Musiker-Existenzen neues Leben einzublasen. Der Bau der Mauer war weit fortgeschritten, ganze Stadtteile waren zerschnitten, Häuser abgerissen und mit Bulldozern weggeschoben, an den Checkpoints wimmelte es von Stacheldraht, Sandsäcken und Wachtürmen. Herrmann zog ein Gesicht zum h e u l e n. Jakob war begeistert. Während die meisten mich unterbrachen, um Einwände oder Ausflüchte anzuführen, unterbrach mich Jakob, um bitterfreudig auszurufen: „Bin dabei!“ Harry ist ein unpolitischer Mensch, er meinte, da M e t a l l i c a nicht hinfährt, muß wohl wer anders den Job machen; also wir. Am Abend zeigte uns der Leiter des Kulturzentrums Karten, die einen Überblick gaben über Mauerbau, Errichtung von Übergängen, Wällen und Einzäunungen. Städte werden voneinander isoliert, Übergänge willkürlich geschlossen, Anwohner kommen nur mit Genehmigung raus. Am Übergang nach Ramallah zeigte sich das selbe Bild. Jakob mußte erstmal ein Bier knacken. Am nächsten Morgen stellte er in einem muslimischen Restaurant zum Frühstück eine Flasche Arrak auf den Tisch. „Mußt Du bereits am frühen Morgen den Assi geben?“ fragte meine Freundin. Es gab Spannungen. Wir verstanden uns gut. Auf der Bühne hervorragend. Harry und Herrmann schauten betreten beiseite: M u s i k e r – für Probleme schon, für Problemlösungen nicht gemacht. Nach dem letzten Konzert (Damaskus) sagte Herrmann, er wartet noch einen Monat ob etwas passiert, wenn nicht, hängt er sein Akkordeon an den Nagel. Das war am 12. Oktober 2004. Die folgenden Tage witzelten wir: Noch 29. Noch 28. Noch 27. Wir beschlossen, Aufnahmen zu machen. Harry besitzt einen Bauwagen, ich habe in Delhi einen Kassettenrecorder gekauft, geiler Sound, am 12. November kam niemand. An dem Abend in Damaskus hatte Herrmann eine Art Gemütsausbruch, er, der meistens schweigt, begann zu r e d e n. Er meinte, daß der Abend im Flüchtlingscamp über den Karten der b e s t e war, es sprudelte aus ihm heraus, er redete über eine Stunde, die ganze Sache gab ihm zu denken. Jakob nickte. Harry war ganz verwundert. Er hatte ein Gesicht zum a b k n u t s c h e n, er meinte, er wäre nun pleite, die Tournee hätte ihn 2000 Dollar gekostet, aber wenn es sein muß, fährt er her und trinkt für 2000 Dollar einen Orangensaft. Ich habe nicht ganz verstanden, was er damit meint. Noch Tage später in Berlin, als ich schon lange wieder mit meiner M i e n e, mit meiner f l e i s c h g e w o r d e n e n M i t e r k r a n k u n g, mit meinem B e r l i n e r G e s i c h t herumrannte, hielt bei Herrmann der innere Trubel an. Selbst Jakob fühlte sich mies. Er wollte mit Keffiya auf die Kastanienallee gehen. Ich denke, der Abend in Damaskus war der beste. 

Alexander Krohn ist Musiker, Verleger und Reisender.

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