Sicherheitspolitik und Osteuropa: Es gibt (immer noch) kein richtiges Leben im falschen.

von Kamil Majchrzak
aus telegraph 120 | 121

Im Jahr 1989 bekamen Osteuropäer die seltene Gelegenheit den Beginn und die Ursprungsquelle einer neuen Gesellschaftsordnung direkt beobachten zu können. Vor allem aus einer kapitalismus-kritischen Perspektive bietet sich ein solcher Moment an, die gegenwärtig als naturgegeben kanonisierten Konzepte von Staat, freier Marktwirtschaft und Demokratie an der Materialität der sozialen Wirklichkeit zu überprüfen. Denn, das was sich zwanzig Jahre lang vor unseren Augen abspielte war die Restauration des Kapitalismus auf den Ruinen der nominal-sozialistischen Gesellschaften. Jegliche Augenwischerei von sozialem Kontrakt, oder wilden Naturzuständen aus denen heraus sich Menschen zu einem modernen Staat zusammenschließen, der ihnen Sicherheit und Freiheit garantiert, kann historisch überprüft und zugleich entmystifiziert werden.

Um zu verstehen wie die Ruhe in den Konsumtempeln der Heimatfront mit Ausbeutung, Kriegen und Ausgrenzung im Außen erkauft wird, ist es von einigem Nutzten den Zusammenhang zwischen der Zerschlagung der Zivilgesellschaft oder der Verneinung der gestalterischen Kraft und der Widerbemächtigung durch die Strasse mit der Renaissance der Sicherheitspolitik der NATO und der Europäischen Gemeinschaften (später Europäischer Union) zu analysieren. Die wirtschaftspolitische Kontextualisierung bei der Neubestimmung der Sicherheitspolitik Osteuropas durch die neue Eigentumsordnung ist dabei von entscheidender Bedeutung.

Neoliberale Rechtsetzung
Der britische Ökonom Karl Polanyi hat bei der Analyse des epochalen Wandels der Gesellschaftsordnung im Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus darauf hingewiesen, dass die Hervorbringung des Marktes und die Beherrschung des Wirtschaftsystems von „ungeheurer Bedeutung für die Gesamtstruktur der Gesellschaft ist: sie bedeutet nicht weniger als die Behandlung der Gesellschaft als Anhängsel des Marktes.“1 Durch die Einbettung der sozialen Beziehungen in das Wirtschaftssystem kann Marktwirtschaft, so Polanyi, nur in einer Marktgesellschaft funktionieren.

Gewiss, der Übergang von einer staatlich gesteuerten Wirtschaft zu einer Marktwirtschaft erfolgte in Osteuropa unter umgekehrten Vorzeichen. Die neue Epoche wurde zum Kennzeichen einer Infragestellung des modernen Nationalstaates und der Abwendung von der Industrialisierung. Und dennoch fördert es einige Parallelen zu Tage. Die neue Great Transformation der Wirtschaftsform in Osteuropa war demnach nichts Geringeres als „die Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren“.2 Ihre Einführung bedurfte dabei mehr als nur „einiger Puritaner“ um die gesamte Gesellschaft „zur primären Akkumulation einzuschiffen“3. In einer Auseinandersetzung mit einer damals noch vorläufigen Skizze Zygmunt Baumans verwies der polnische Ökonom Tadeusz Kowalik darauf, dass es „relativ einfach [sei] Gesetzte zu verändern, ideologische Deklarationen, oder den institutionellen Status, aber die Gesellschaft kann nur als verändert angesehen werden, wenn jedes seiner Mitglieder seine Werte geändert hat“.4

Es ist dabei auch ein Spezifikum kapitalistischen Rechts oder des Gesetzes als Kohäsions- und Konsenstechnik innerhalb einer bestimmte Gesellschaft überhaupt, dass „es ein axiomatisiertes System bildet, das aus einem Ensemble abstrakter, allgemeiner, formaler und streng reglementierter Normen besteht.“5 Recht bildet somit einen formalen Rahmen um die Macht der herrschenden Klassen zu immunisieren und zugleich die beherrschten Klassen zu spalten und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als Werte zu materialisieren.
Während die nachholende Reinstallation der Marktwirtschaft in Osteuropa, für die westliche Konsumgesellschaft, nun auch allegorisch die Suche nach einem neuen Telos der Geschichte für beendet erklärte, traten die ausgebrochenen Widersprüche zwischen juridischer Freiheit und faktischer individueller Ohnmacht in der osteuropäischen Peripherie umso unversöhnlicher an die Oberfläche. Denn hier war die Entstehung der neuen kapitalistischen Ordnung für alle Beteiligten und Beobachter von jedem Okkultismus befreit, der die kapitalistische Postmoderne seit ihrem Anbeginn die gesellschaftliche Kraft des Kollektiven verleugnen lässt.6 Die Kausalkette und der Ursprung des gesellschaftlichen Gestaltungswillens, an dessen Beginn die volontè gènèrale stand, kann so zum Beispiel in Polen bis zu den Arbeiterstreiks vom August 1980, und somit zu der zentralen Forderung der NSZZ Solidarność nach Selbstverwaltung im Produktionsprozess und einer Arbeiterräte-Kammer im Parlament als echter Demokratie zurückverfolgt werden.7 Es war somit nicht jene typische formale Beschwörungsformell der demokratischen Partizipation ohne gleichzeitige Gewährleistung der Rechte von Aneignung, die in westlichen Gesellschaften immer ex post factum die „fehlende Legitimität ausnutzt“8 und das entstandene politische Vakuum füllt. Die Great Transformation in Osteuropa als Mechanismus der Dezentrierung der Arbeit, also einer Verleugnung der gesellschaftlichen Bedeutung der Erwerbsarbeit und der Subjektivierung, also der Produktion von Subjekten als Konsumenten, machte zugleich die Legitimität staatlicher Institutionen zu einer redundanten Größe.9 Mit Nicos Poulantzas kann hinzugefügt werden, dass eben hierin sich die herrschende juridisch-politische Ideologie materialisiert welche mit einer Verschiebung der Legitimität auf die Legalität einhergeht.10

Die 1989 feierlich verkündete „Rückkehr nach Europa“ verschob auch die Schwerpunkte im Verständnis des Begriffes Demokratie. Historisch bedingt wurde Demokratie in der polnischen Sprache zumeist als Unabhängigkeit bzw. Freiheit der Nation und des Nationalstaates vor Einflüssen anderer Mächte verstanden und weniger als Implementierung eines „social contract“. Bei der Analyse des Nationalstaates als eines Garanten der gesellschaftlichen Freiheit, wird jedoch oft eine Verschiebung der Bedeutung, hin zur Gewährleistung von demokratischen Regeln im Produktionsprozess und sozialer Gerechtigkeit verkannt, die sich nach 1945 faktisch formierte. Eines der unmittelbaren Ursprünge des gesellschafts-politischen Kompromisses von 1989, zum Beispiel vom Runden Tisch in Polen, liegt aber gerade in der Kultur von Verhandlungen und gesellschaftlichen Übereinkommen, die 1980/81 erprobt wurden. Und dennoch hat der schockartige durchgeführte Übergang von einer Gesellschaft der Produzenten zu einer Gesellschaft der Konsumenten nicht den ursprünglichen geschlossenen social contract eingelöst, sondern vielmehr durch Privatisierung und Deregulierung zugleich die gesellschaftlichen Verhältnisse und Herrschaftsbeziehungen, die zu ihnen führten, invisibilisiert. Über deren soziale Verwerfungen berichtete bereits Tadeusz Kowalik im letzten telegraph.

Markt: privat nicht öffentlich
Mit dem Scheidejahr 1989 verschoben sich die Rahmenbedingungen und Orte an denen gesellschafts-politische Verantwortung heute übernommen werden kann. Der Ort der Intervention, der zuvor vom Staat besetzt war, wurde durch den Marktmechanismus ersetzt.11 Der Staat hörte zwar nicht auf das Letztentscheidungsrecht auszuüben, überließ es jedoch dem Warenmarkt seine Kriterien zu definieren. Dies wird sichtbar in der Deregulierung staatlicher Aufgaben durch private Gefängnisse, Söldnerarmeen und private Sicherheitsdienste die Entführungen von vermeintlichen „Terroristen“ organisieren, bis hin zur Anwendung von Folter oder der Durchführung von Staatsstreichen. Mit dieser Verschiebung wurden nicht nur Teile wichtiger Staatsfunktionen von der öffentlichen Aufsicht und somit der demokratischen Kontrolle „emanzipiert“. Der bisherige staatliche Kernbereich, die Sicherheitspolitik und die Gewaltanwendung wurden so zunehmend professionalisiert und privatisiert.

Der Markt – so Zygmunt Bauman – bleibt zwar ein Tauschforum für Waren, die zeitgenössische griechische Agora verliert jedoch ihre ursprüngliche Funktion einer Öffentlichkeitsherstellung. Wo einst Privatinteressen in Belange des Öffentlichen übersetzt wurden, werden heute sozial produzierte Probleme privatisiert und die Erwartungen der Bürger durch selbstreferenzielle Lebensstrategien neu­tralisiert. Paradoxerweise betreiben gerade Linke mit der Schwerpunktsetzung auf -derzeit noch mehrheitlich von AkademikerInnen stammende Entdeckungen – neuer Normierungsformen, einen regelrechten Wettkampf um die Schaffung neuer Objekte des warenförmigen Tausches. Während Menschen bereits selbst zu Waren reduziert worden sind feilschen Linke um immer ausgefeiltere Formen – insbesondere- der sexuellen Identität. Überhaupt der life style Formen, die als politische ausgegeben werden, damit jedoch nur neues Material für marktaugliche Life-Politics produzieren. Dabei verkennen sie, dass ihr Entstehen vermutlich mehr die Folge der neuen Regeln des konsumbegründeten Wettbewerbs ist als ein Widerspruch oder gar Widerstand gegen ihn. So wird die einstige Forderung nach welcher das Private auch Politisch ist in das genaue Gegenteil verkehrt und der Einzug des Marktes ins Private der Menschen als Emanzipation gefeiert.

Eine Zeitdiagnose die auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene – nicht nur in Osteuropa – durchaus mit empirischen Befunden in Einklang steht12. Der Zusammenbruch des Ostens und seiner Definition von Arbeit steht symbolisch für die Unhinterfragbarkeit des gegenwärtigen status quo. Die Konturen der neuen Demokratie werden somit von Bürgern gezeichnet, die ökonomisch handeln, jedoch nicht mehr politisch sind, privat aber nicht mehr öffentlich. Die gesellschaftliche Realität der „aufgezwungenen Bedingungen der Emigration“ gestalten die Menschen heute in eine „lebenskluge Norm“ um. Es ist eine Emigration in die private Selbstoptimierung. Insofern gewinnt Adornos Diagnose in Minima Moralia auch in der Postmoderne eine Aktualisierung und bestätigt die Unmöglichkeit eines richtigen Lebens im falschen.

Werte und Normen
Die Soziologen Mirosława Grabowska und Tadeusz Szawiel haben dabei auf Grundalge umfassender empirischer Studien über den Aufbau demokratischer Strukturen in Polen nach 1989 drei Haupt-Kategorien politischer Codierung hergeleitet: das Verhältnis zur kommunistischen Vergangenheit und seiner Institutionen (hier auch zur PVAP); die Einschätzung bezüglich der demokratischen Transformation und der Demokratie, sowie die Religiosität und das Verhältnis zur katholischen Kirche. Die Autoren der Studie sprechen von einer für die Periode von 1989-1997, also dem Aufbau neuer Institutionen bis zur Schaffung einer neuen Polnischen Verfassung charakteristischen „postkommunistischen Teilung“ (podział postkomunistyczny). Danach spielen für die politischen Aushandlungsprozesse weder das Geschlecht, das Alter, noch der Bildungsstand, die soziale Herkunft oder Wohnverhältnisse eine signifikante Rolle bei der politischen Identifikation der Polen. Im Gegensatz dazu konzentriert sich der Bedeutungskontext einer politischen Identität auf der Werteebene in einer Einordnung im Verhältnis zur Vergangenheit und Gegenwart und somit einer zentralen Unterscheidung zwischen der Welt vor und nach 1989. Folgt man dieser Einschätzung gelangt man zu dem Schluss, dass die politische Identität, welche den öffentlichen Diskurs in Polen strukturiert –scheinbar- nicht in den sozialen Verhältnissen verwurzelt ist, sondern in der Erinnerung und Wahrnehmung der Vergangenheit, der Beziehung zur Demokratie nach 1989 und der Religiosität. Hierin liegt auch ein wichtiger Grund für die Bedeutungsverschiebungen im Verständnis demokratischer Institutionen, Normen und der Legitimität der polnischen Sicherheitspolitik nach 1989.

Historische Narrative haben dabei in jüngster Zeit eine sichtbare Tendenz entwickelt Ereignisse aus ihren Gesamtkontexten herauszulösen und die Interpretation als bindend anstelle des eigentlichen Ereignisses zu setzen13. Eine gesellschaftliche Analyse tritt zugunsten symbolischer Figuren in den Hintergrund. Es scheint, dass Begriffe wie: „Erste freie Wahlen“, „Der Fall der Berliner Mauer“; „Verhandlungen des Runden Tisches“ oder „Rückkehr nach Europa“ eine selbsterklärende Sinnstiftung anbieten. Eine solche Sinngebung, welche die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse verklärt, legt sich wie ein dunkler Schleier über die Wurzeln, Entwicklungstendenzen und Kontexte der neuen Gesellschaftsordnung.

Für eine historisch orientierte Rekonstruktion der neuen gesellschaftlichen Werte und ihres Zusammenhangs mit der Sicherheitspolitik in Osteuropa nach 1989, die hierbei unumgänglich ist, stellt das eine Herausforderung dar. Insbesondere unterliegt die jüngere Geschichte der Transformation Osteuropas einer Art Sakralisierung von Erinnerung, die eine kritische Würdigung zu verhindern sucht. Eine Infragestellung dieser Sakralisierung scheint zugleich mit einer Delegitimierung, dessen einherzugehen, was als hegemoniale Strategie beschrieben werden kann. Spätestens seit Anfang der 1980er Jahre fand in der Volksrepublik Polen ein für die vorliegende Analyse wichtiger gesellschafts-politischer Diskurs zwischen den Staatsapparaten und der Zivilgesellschaft statt, dessen Kern unterschiedliche Artikulationen zur Erreichung eines Auswegs aus der damaligen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise bildeten.

Während die Systemtransformation durch eine schier unübersichtliche Fülle politikwissenschaftlicher, ökonomischer und soziologischer Studien und Analysen untersucht wurde, erstaunt die Spärlichkeit explizit juristischer Anstrengungen die der Restauration des Kapitalismus in Polen gewidmet sind und die Transformation als ein auch rechtlich begreifbaren Prozess erforschen. Während die Soziologie schon immer auf die Veränderbarkeit und die Dynamik beobachtbarer sozialer Phänomene angewiesen war, scheint eine fühlbare Modifikation der Geltungsbegründung von Normen die „Hüter der Ordnung“ ins Unbehagen zu stürzen.14 Denn wie soll die Unrechtmäßigkeit rechtfertigt werden, die gestern noch ein sozialer Standard war?

Das Unbehagen, insbesondere der Rechtswissenschaft scheint dabei nicht so sehr Folge einer gebotenen Zurückhaltung gegenüber einer Emotionalität der Interpretationen oder der Zurückweisung des Ideologischen zu sein. Immerhin wurde der stattgefundene Wandel in wissenschaftlichen Diskursen uneingeschränkt enthusiastisch begrüßt. Im Gegenteil, das Unbehangen verweist vielmehr auf die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die Rolle der Rechtswissenschaft als gleichrangig an der Transformation beteiligten Akteur. Es scheint, dass diese Rolle einen Reflexionsstopp über den Charakter der Transformation anmahnt und Ausdruck der methodologischen Ohnmächtigkeit gegenüber marxistischen Theorieansätzen ist. Gerade aufgrund der semantischen Qualität der Veränderungen wird die Zurückweisung bestimmter Theorieangebote als démodé nahegelegt.

Transnationale Öffnung und die neoliberale Ideologie
Bereits ein flüchtiger Blick auf die Erosionsprozesse der Legitimität von Machtstrukturen in der Volksrepublik Polen seit Ende der 1970er Jahre verweist darauf, dass es eine Stunde Null im Recht des abdankenden nominalsozialistischen Staates nie gegeben hat. Alle nachfolgenden Veränderungen in den Staatsapparaten wurden bereits vor 1989 genauso wie heute lediglich als Reformen betitelt. Weder ging das symbolträchtige Jahr 1989 mit einem abrupten Bruch bisher gültiger Rechtsnormen, noch erfüllte diese Funktion die vorangegangene Ausrufung des Kriegszustandes 1981. Die Verhängung des Kriegsrechts und damit die Aufkündigung der Danziger Abkommen durch einen Militäreinsatz vom Vorjahr strukturierte jedoch den gesellschaftlichen Rahmen der 1980er Jahre und machte durch eine schockartige Transformation der Eigentumsverhältnisse auch eine Transformation der Institutionen und der Rechtsordnung möglich.

Womöglich liegen gerade deshalb, auch in Osteuropa die Bedingungen der Möglichkeit Antworten darauf zu finden, wie der allgemeinen Hinwendung zur Gewalt in der Außenpolitik seit Anfang der 1990er Jahre begegnet werden könnte. Erst in diesem Zusammenhang können die sicherheitspolitischen Entscheidungen der nachfolgenden Jahre von der militärisch eher unbedeutenden Teilnahme polnischer Marine an dem Zweiten Golfkrieg 1991, dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 bis hin zur Unterstützung der USA bei ihrem Krieg in Afghanistan 2001 und der Errichtung eines eigenen polnischen Besatzungssektors nach dem Überfall auf den Irak 2003 erschlossen werden. Dabei darf auch die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen dem polnischen Militärischen Geheimdienst WSI und der US-amerikanischen CIA noch vor der Auflösung des Warschauer Paktes sowie der polnische Beitrag im Zusammenhang mit dem Ballistic Missile Defence Programme nicht unerwähnt bleiben.

Der Politologe Karl Loewenstein betrachtete es als einen Grundirrtum politischer Analyse, den Focus auf die Funktionsweise der politischen Einrichtungen zu legen anstatt auf die ideologische Kausalität, welcher die betreffenden Einrichtungen ihre Entstehung verdanken.15 Denn es sind die politischen Ideologien welche die Motiv- und Antriebskräfte für den Dynamismus der politischen Macht darstellen. Ideologien sind nach Loewenstein ein integriertes Schema von Gedanken und Überzeugungen zur Sinngebung des Lebens und der Gesellschaft. Diese sind zugleich handlungsbezogen und auf Integration durch die Machtadressaten ausgelegt was sie etwa vom philosophisch-kontemplativen Verstehen-Wollen unterscheidet. Damit hat Loewenstein bereits einen wichtigen Hinweis auf die Gesellschaft bzw. das Soziale als Austragungsort der durch die Ideologie bestimmten sozialen Konflikte gegeben, bei welchen es um die Frage der wirtschafts-politischen Definitionsmacht geht. Denn die politischen Ideologien, reflektieren soziopolitische Werte, die sich an spezifischen Bedürfnissen bestimmter Gruppen und Klassen orientieren. Insofern ist von einer Konkordanz politsicher Ideologien und politsicher Einrichtungen als Ausdruck materieller Kräfteverhältnisse zu sprechen. Obwohl Loewenstein zutreffend von politischen Systemen als Institutionalisierung der Klasseninteressen und Klassenherrschaft ausgeht, bleibt seine in den 50er Jahren entwickelte Typologie von sechs Klassen der politischen Ideologien heute wenig überzeugend. Insbesondere der von ihm nicht mehr miterlebte Zusammenbruch der Bretton-Woods-Institutionen sowie die Weiterentwicklung des Kapitalismus nach dem Zusammenbruch des Ostblocks scheint diese Klassifizierung desavouiert zu haben. Bemerkenswert ist dagegen seine Einsicht, dass aufgrund der Transnationalisierung der sozialen Schichtung auch die die Ideologie verbreitenden Einrichtungen transnational werden mussten.

In Polen fand die symbolische und vorbehaltslose Öffnung für transnationale Einflüsse Ende der 80er Jahre vor dem Hintergrund einer nicht mehr zu bewältigenden Schulden- und Zinsrückzahlungslast im Zusammenhang mit einer seit den 70er Jahren zunehmend stattfindenden Integration der polnischen Ökonomie in den Weltmarkt.16 Die Erosion der Isolationsschicht vor diesem Zugriff begann somit mindestens eine Dekade vor dem symbolträchtigen Jahr 1989 mit der Krise des Fordismus.17

Nach der Beendigung des Kriegszustandes im Juli 1983 und der Entlassung zahlreicher politsicher Gefangener wurden die Beitrittsverhandlungen mit dem IWF, deren Gründerstaat Polen 1944 war, wiederaufgenommen.18 Noch ein Jahr zuvor wurden im Januar 1982 auf einer Dringlichkeitssitzung der NATO-Außenminister in Brüssel Sanktionen gegen Polen in Form der Aufhebung von Kreditzusagen und einer Vertagung der Schuldenreduzierungs-Verhandlungen beschlossen. Nahezu zeitgleich haben die USA aufgrund der Verabschiedung eines neuen Gesetztes über Gewerkschaften in Polen die Zollbegünstigungsklauseln gegenüber Waren aus Polen abgeschafft und ihre Kreditzusagen aufgehoben. Weitere, insbesondere politische Sanktionen, wie der Abzug diplomatischer Vertretungen schien in Europa jedoch nicht durchsetzbar, da fünf NATO-Mitglieder an dem damals größten finanz-wirtschaftlichen Projekt zwischen Ost und West, dem Baubeginn eines vierten Abschnittes der Yamal Pipeline beteiligt gewesen sind. Die Pipeline sollte West-Europa zusätzlich mit sowjetischem Gas beliefern.19
Die sich weiterhin verschlechternde wirtschaftspolitische Situation und der Druck transnationaler Organisationen und die sozialen Proteste veranlasste die Regierung unter General Jaruzelski im Herbst 1988 Gespräche mit der Opposition über eine neue Regierungsbildung, Bekämpfung der Inflation, Schuldenreduzierung und andere wichtige Themen einzuleiten.

Rechtliche Formen nahm zuvor der Abschluss von sog. stand by agreements zwischen der Volksrepublik Polen und den reorganisierten Bretton-Woods-Institutionen20, insbesondere dem Internationalen Währungs-Fonds (IWF). Diese waren das Signal zur weitaus stärkeren Übernahme eines unter neoliberalen Grundsätzen stehenden Rule of Law statt.
Dieses sollte nicht nur die Wirtschaft neuordnen, sondern im weiteren Verlauf, neben der Übernahme auch des europäischen acquis communautaire insbesondere in Zusammenhang mit einem NATO-Beitritt, auch die staatlichen Apparate der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik reorientieren und eine Reorganisation der Streitkräfte durchsetzten.

Neoliberaler Schockt ohne Therapie
Im Hinblick auf den Systemwechsel in Polen muss die neoliberale Ideologie ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Der Vater der neoliberalen Schocktherapie in Polen Jeffrey Sachs stellte diese zum ersten Mal im Januar 1990 der Öffentlichkeit vor: „The first, basic steps to the transformation of Eastern Europe‘s centrally planned economies are two. One, the eastern countries must reject any lingering ideas about a „third way“, such as a chimerical „market socialism“ based on public ownership or worker self-management, and go straight for a western-style market economy. Two, Western Europe, for its part, must be ready and eager to work with them, providing debt relief and finances for restructuring, to bring their reformed economies in as part of a unified European market.“21

Der Harvard-Ökonom gab damit treffend die Austausch-Beziehung zwischen dem Zentrum der kapitalistischen Entwicklung und den an seiner Tür klopfenden kredithungrigen Anrainerstaaten realitätsnah wieder. Polens Militär-Geheimdienst erreichte nahezu zeitgleich, durch maßgebliche Beteiligung an einem Krieg der USA gegen den Irak (Zweiter Golfkrieg) Schuldenerlassungszusagen. Polen war zu diesem Zeitpunkt formal noch Mitglied im Warschauer Pakt gewesen.22

Der Prozess der Transformation wurde von der Vorstellung einer Integration in einen gemeinsamen europäischen Markt dominiert und der Umgestaltung der realsozialistischen Institutionen. Bisherige Erfahrungen der polnischen Gesellschaft auf politsicher, wirtschaftlicher, sozialer oder zivilgesellschaftlicher Ebene durften keine Rolle spielen. Vielmehr sollte schockartig innerhalb nur eines Jahres eine ideologische tabula rasa geschaffen warden: „The economic and political complexities of the transition to a market economy argue strongly for a decisive and comprehensive approach, such as the new Polish economic programme, introduced on January 1st. Poland’s goal is to establish the economic, legal and institutional basis for a private-sector market economy in just one year.”23

Da der Prozess des Systemwechsels vollends unter dem Paradigma einer wirtschaftspolitischen Umgestaltung stand ist entscheidend, welchen Einfluss dieser Systemwechsel dann auf staatliche Apparate, insbesondere solche der Sicherheitspolitik hatte.

Konvergenz mit Sicherheitspolitik
In Bezug auf die Transnationalisierung der Sicherheitspolitik hat Samuel Huntington bereits Anfang der 70er Jahre auf die neue Qualität transnationaler Beziehungen zwischen bestimmten Organisationen wie der Weltbank, dem Strategic Air Command (SAC)24 der Katholischen Kirche oder Transnationalen Unternehmen und den Nationalstaaten hingewiesen. In seinem Beitrag „Transnational Organizations in World Politics“, der noch vor der Ölkrise vom Herbst 1973 entstanden ist beschreibt er die Schwierigkeiten der nicht-transnationalen Organisationen bei der Identifizierung und Herstellung eines gemeinsamen Interesses innerhalb national definierter Gruppen. Eines der Schwächen internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen liegt seiner Meinung nach darin begründet, dass diese ein Forum nationalstaatlich agierender Akteure sind. Im Gegensatz dazu entstanden transnationale Organisationen „to facilitate the pursuite of a single interest within many national units“.25 Während die internationalen Organisationen also für ihre Tätigkeit einer Zustimmung (accord) unter den Nationalstaaten bedürfen, benötigen die transnationalen Organisationen lediglich den Zugang (access) zu den Nationen.

Huntington verwies darauf, dass in Bezug auf Militärorganisationen: „a transnational military organization threats the problems of defense of different national territories as if they were part of a single whole. For its specialized purpose, its arena assumes continental or global proportions and it thinks in continental or global terms”.

Die Entstehungsbedingungen und den Bedeutungszuwachs des Transnationalen in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten führte Huntington dabei auf den Mechanismus der US-amerikanischen Sicherheitspolitik zurück, die im Kampf gegen die Sowjetunion, China und den Kommunismus ein System der Bündnisse und Allianzen geschaffen hat, um so ihre nationalen Interessen über nationalstaatliche Grenzen hinweg durchzusetzen. Diese Expansion wird dabei nicht durch acquisition neuer Territorien, sondern vielmehr durch ihre Penetration charakterisiert.

„Western Europe, Latin America, East Asia, and much of South Asia, the Middle East, and Africa fell within what was euphemistically referred to as „the Free World,“ and what was in fact a security zone. The governments of countries within this zone found it in their interest: (a) to accept an explicit or implicit guarantee by Washington of the independence of their country and, in some cases, of the authority of the government; and (b) to permit access to their territory by a variety of U.S. governmental and non-governmental organizations pursuing goals which those organizations considered important.“26

Moderne Prozesse der Globalisierung gehen nicht unbedingt mit einer Auflösung der Staatlichkeit einher. Erst die Differenz der nationalen Formationen ermöglicht die Dynamik der Konkurrenz27 als Voraussetzung der globalen Akkumulation.28
Die globale Macht die Strukturen der politischen Wirtschaft in anderen Staaten zu definieren bezeichnete Susan Strange in Abgrenzung zur gängigen Differenzierung zwischen politischer und ökonomischer Macht als structural power29 und charakterisierte damit den Nexus zwischen Marktautorität und politsicher Autorität. In diesem Zusammenhang konnte der Zusammenbruch des Ostblocks aus Sicht der angeschlagenen US-Hegemonie als Chance gedeutet werden, um durch ein neues Angebot im Bereich der Sicherheitspolitik sich zugleich neues Gewicht zu verleihen. Es schien, dass damit auch die hohen Kosten der bisherigen Mutual Assured Destruction (MAD) Abschreckungsstrategie durch Wettrüsten und „Star-Wars-Programm“ eingegrenzt werden. Hohe Kosten für das bestehende bipolare Sicherheitssystem hatten dabei im anderen Lager in Form eines Autonomieverzichts auch Polen, Ungarn und die Tschechoslowakei zu zahlen.

America’s New Model Ally
Peter Gowan hat den Beitrag Huntingtons in den Zusammenhang der Systemtransformation Osteuropas Anfang der 90er Jahre gestellt und damit den Begriff des Imperialismus und die Rolle peripherer Staaten in der Sicherheitspolitik zu reformulieren versucht. Denn das was bei Huntington noch als ein pragmatischer Verhandlungsprozess (bargaining) eines geben und nehmen um die Gewährleistung von Sicherheit erscheint ist für Gowan ein klassisch imperiales Unterordnungsverhältnis. Im Hinblick auf die sicherheitspolitische Rolle Polens stand dieses in einem geostrategischen Plan der Bush-Administration.30 Während also die neoliberale Systemtransformation für die beiden europäischen key socialist countries31 Ungarn und Polen primär die Implementierung des neuen Rule of Law, institutioneller Strukturen und einer Domestizierung der Ideologie32 zur neoliberalen Umgestaltung der staatlichen Apparate gewährleisten sollte, bekam Polen auch eine sicherheitspolitische Rolle zugewiesen. Diese war auch maßgeblich für die Ausrichtung und Funktionsweise der staatlichen Apparate in der Außenpolitik. Gowan erklärt u.a. damit, das nur Polen eine Halbierung seiner Auslandschulden zugestanden bekommen hat und nicht Ungarn, dessen wirtschaftliche Implikationen aufgrund der Zinslast weitaus gravierender waren.

Die Wende bestand einerseits darin, dem mit dem Zusammenbruch des Ostblocks prinzipiell zur Disposition stehenden Fortbestand der NATO eine neue Geschäftsgrundlage zuzuweisen. Dabei wurde, dass was bislang als vielbeklagter geopolitischer Nachteil Polens galt, zwischen zwei mächtigen Nachbarn zu liegen zu einem Vorteil umdefiniert. Mit der Perspektive einer NATO-Erweiterung in Osteuropa wurde Polen als Dreh- und Angelpunkt regionaler Sicherheit das Potential zugeschrieben „to dramatically change the regional equation and ultimatly, to do away with a fundamental historical tenet of European geopolitics: German-Russian competition for regional domination“.33

So bildete die 1990 zwischen Deutschland und Polen erreichte Verständigung34 zugleich ein wesentliches Element um die NATO vor bewahren. Darüber hinaus verschaffte die gleichzeitige Befriedung französischer und britischer sicherheitspolitischer Bedenken im Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung, welche für die gesamten Nachkriegsbeziehungen in Europa prägend waren, auch eine einmalige Chance zur außenpolitischen Neubestimmung der Europäischen Gemeinschaften. Letztere bekamen damit einen nicht zu unterschätzenden Impuls zur Intensivierung ihrer Gemeinschaftspolitik.

Bis zum Zusammenbruch des Ostblocks kam den Europäischen Gemeinschaften eher eine Statistenrolle zu. Hervorhebenswert ist dabei auch der Brief von Michail Sergejewitsch Gorbatschow vom 14. Juli 1989 an Präsident François Mitterrand während des Treffens der G7-Staaten in Paris. Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion schrieb darin: „Tout comme d‘autres pays, l‘Union Soviétique cherche à résoudre les tâches consistant à adapter son économie nationale à une nouvelle structure de la division internationale du travail en gestation. Notre perestroïka est inséparable de la politique tendant à la participation pleine et entière à l‘économie mondiale.“ Der Brief kann sowohl als Nostrifizierung des unaufhaltsamen Zusammenbruchs des Ostblocks gewertet werden als auch Versuch einer Schadensbegrenzung Angesicht der dynamischen Situation in Osteuropa. Die Sowjetunion bemühte sich in sicherheitspolitischen Fragen ein gleichberechtigter Partner auf einer Ebene mit den G7-Staaten und der EG zu werden. Das Abschluss-Communiqué des Economic Summit machte jedoch durch eine Festlegung auf bilaterale Verhandlungen mit osteuropäischen Staaten deutlich, das nicht nur die Position des RWG als Gesprächpartner abgelehnt wird, sondern zum ersten mal die Europäische Kommission der EG als Koordinator in außenpolitischen Fragen tätig werden sollte.

Aus US-amerikanischer Sicht war dabei jedoch entscheidend, dass eine pazifisierte Sowjetunion nicht zu einem Partner der EG im Bereich der Sicherheitspolitik wurde, wie dies dem französischen Staatspräsidenten in seiner Neujahresansprache am 31. Dezember 1989 vorschwebte, sondern die sicherheitspolitischen Interessen Europas nach wie vor von der NATO wahrgenommen werden konnten.

Eine Studie der RAND Corporation für die U.S. Air Force beschrieb, trotz Kritik an den Folgekosten, die Neuerfindung der NATO durch den Prozess der Osterweiterung unverblümt wie folgt: „NATO’s current strategy resembles the proverbial carrot and stick. NATO’s enlargement offers the inducement of membership (the carrot) as a way to encourage peaceful transformation and integration into a larger European security community. NATO’s transformation, into a conflict prevention and management organization, provides the coercive component (the stick) that can be used to enforce peace and deter aggression in and around Europe.“35

Gowan hat dabei gezeigt, dass die geostrategischen Pläne der Bush-Administration nahtlos an das wirtschaftspolitische Schock-Therapie-Konzept von Jeffrey Sachs passten. Dies beinhaltete die radikale Trennung der sog. Visegrád-Staaten von Moskau, die Zerschlagung der regionalen Zusammenarbeit im Rahmen des RWG und die Absorption Osteuropas aus der Einflusssphäre Moskaus.36 In den folgenden Jahren sollte dies zum konsolidierenden Kit eines „liberal narrative“ werden, der trotz im Jahresrhythmus wechselnder Regierungen die Garantie der Unumkehrbarkeit der Transformation begründete. Die sicherheitspolitischen Elemente einer „Rückkehr nach Europa“ fügten sich somit in den Prozess der europäischen Erweiterung. In der sicherheitspolitische Fixierung auf die NATO liegt Polens ambivalentes Verhältnis zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) begründet und bildet zugleich einen wichtigen Faktor für die weitere US-Präsenz in Europa.

Polen konnte so mit seinem ‚added value’ als „America’s New Model Ally“ seine Außen- und Sicherheitspolitik neubestimmen.37 Aus russischer Perspektive wurde der Prozess einer Osterweiterung der NATO -mit offenem Ende bezüglich der Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten- als Einschränkung seiner Einflusssphäre nicht nur in Osteuropa, sondern mit der Aufnahme der baltischen Staaten auch innerhalb der ehemaligen Grenzen der Sowjetunion betrachtet. Die aktive Rolle Polens bei der sog. Orangenen Revolution 2004 in der Ukraine und in Georgien 2008 scheint zu belegen, dass die von US-amerikanischer Seite immer wieder hervorgehobene Schlüsselrolle Polens auch dem langfristigen Ziel dienen soll über die NATO eine Expansion der USA nach Osten, zur Erschließung und Kontrolle der im Kontext der Energie-Sicherheit strategischen Rohstoffe in Zentralasien zu gewährleisten.38

Runder Tisch und der Aufbau neuer Institutionen
Der kurz skizzierte Zusammenhang zwischen Weltökonomie und einer Umorientierung der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik steht unter dem Paradigma eines neoliberalen Zugriffs.

Erst in der Folge der transnationalen Öffnung fanden im Juni die ersten sog. freien Wahlen um die 35% der zur Wahl stehenden Sitze zum Sejm sowie den freien Wahlen zur neugeschaffenen zweiten Senats-Kammer des Parlaments. Bereits Anfang April 1989 wurde die bisherige realsozialistische Verfassung von 1952 wesentlich verändert. Ende Dezember 1989 wurde aus der Verfassung die Bezeichnung „Volksrepublik“ gestrichen sowie Bestimmungen über die führende Rolle der Vereinigten Arbeiterpartei und der „unzertrennlichen Freundschaft“ mit der Sowjetunion.39 Eingeführt wurden das Prinzip eines demokratischen Rechtsstaates, der gesellschaftlichen Gerechtigkeit des politischen Pluralismus, der Wirtschaftsfreiheit und des Eigentumsschutzes. Nach der erfolgreichen Schocktherapie, der vorläufigen Zerschlagung der Arbeiterproteste war dies auch der Beginn einer neuen polnischen Sicherheitspolitik, die an US-amerikanische Sicherheitsinteressen angelehnt ist und im übrigen auch auf ganz Osteuropa universalisiert wurde.

Doch erst die Transnationalisierung der staatlichen Apparate, auf den Trümmern einer atomisierten Gesellschaft, die mehr ums Private als ums Öffentliche Überleben kämpfte, schuf eine neue Art der verlässlichen Bürokratie, die nicht auf die Einhaltung der nationalen Verfassung abgerichtet war, sondern die Erfüllung der sicherheitspolitischen Interessen des transnationalen Kapitals.

Die gesamte Transformationsperiode wurde von der Auseinandersetzung um konkurrierende Modelle der Regierungsform zwischen einem präsidialen und parlamentarischen Demokratiemodell geführt der am effektivsten die neuen Interessen durchsetzen könnte und Diskussionen über die Gewaltenteilung bestimmt. Staatspräsident Lech Wałęsa war sich dabei nicht einamal für einen kontrollierten Coup d‘État zu Schade als er während Militärmanöver in Drawsko im Herbst 1994, Offiziere des Generalstabs zur Loyalitätsverweigerung gegenüber einer zivilen Aufsicht zwang. Seit Juni 1989 bis Ende 1997 wurden neun Regierungen gebildet, darunter befanden sich zwei Ministerpräsidenten die nicht in der Lage waren eine Regierung zu bilden. Diese Zeit des Umbruchs muss als ein widersprüchlicher Verallgemeinerungsprozess begriffen werden bei dem die Rolle der Zivilgesellschaft bislang eher unzureichend berücksichtigt wurde.

Um zu dem Eingangs erläuterten zurückzukehren. Es gibt (immer noch) kein richtiges Leben im falschen. Der Preis für den anhaltenden Opportunismus ist die selbstgefällige Einsicht, dass es ja noch schlimmer sein könnte. Solange die Opfer der militärischen Disziplinierung im Außen unsichtbar im Innen gemacht werden, scheint ein weiter so „unserer“ rechtsschafenden und sozialen Demokratie garantiert zu werden, selbst wenn diese im permanenten Ausnahmezustand widerlegt wird. Unser einziges Ziel kann sein diese Hegemonie zu durchbrechen. Auf einer ethischen Ebene liegt womöglich gerade hier die Möglichkeit eine, in der nunmehr in Ost wie in West universalisierten Gesellschaftsformation, längst vergessene Kategorie, die der Verbindlichkeit und der Verantwortung gegenüber den Menschen, und der Solidarität zu aktualisieren.

1 Polanyi, K. The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftsystemen, Frankfurt (Main) 1978, S. 88.
2 ebenda S. 70.
3 So damals Bauman, Z., A Revolution in the Theory of Revolutions?, IPSR 1994, S.15-24 ( 21).
4 Kowalik, T., On the Transformation of post-communist Societies: the Inefficiency of Primitive Capital Accumulation, IPSR, S. 289-296 (291).
5 Poulantzas, N: Staatstheorie, Hamburg 2002, S. 115. Hervorhebung im Original.
6 Siehe dazu Bauman, Z., Living without an alternative, The Political Quarterly, 1/1991, S. 35-44 (40).
7 Von einem “new social contract” sprach Andrew Arato direkt im Anschluss an die Verhandlungen des Zwischenbetrieblichen Streikkomitees (MKS) und dem Vizepremierminister Mieczysław Jagielski die am Nachmittag des 31. August 1980 in der Danziger Lenin-Werft abgeschlossen wurden, siehe: Arato, A, Civil society against the state: Poland 1980-1981, 23-47.
8 Vgl. Bauman, Z., Den Vorhang wegreißen. Jürgen Habermas zum 80. Geburtstag, in: Frankfurter Rundschau vom 17.06.2009.
9 Vgl. Bauman, Z., Gewalt – modern und postmodern, in: Miller, M./Soeffner, H.-G. (Hg.): Modernität und Barbarei. Soziologische Zeitdiagnose am Ende des 20. Jahrhunderts. Frankfurt (Main) 1996, S. 36-67 (56).
10 Poulantzas, N: Staatstheorie, S. 117.
11 Vgl. Bauman, Z., Gewalt – modern und postmodern, S. 2.
12 Grabowska,M./Szawiel, T.: Budowanie demokracji. Podziały społeczne, partie polityczne i społeczeństwo obywatelskie w postkomunistycznej Polsce, Warszawa 2001, S. 122.
13 Traverso, E.: Im Bann der Gewalt, Der europäische Bürgerkrieg 1914–1945, 2008.
14 Vgl. die Ergebnisse einer lesenswerten Milieustudie: Kaupen, W.: Die Hüter von Recht und Ordnung: die soziale Herkunft, Erziehung und Ausbildung der deutschen Juristen; eine soziologische Analyse, 1971. Diese Arbeit hatte die westdeutsche Justiz zum Gegenstand, der Mangel an sozialer Mobilität, Affirmativität gegenüber hierarchischen Ordnungen und ein mangelndes Verständnisses für die wirtschaftliche oder soziale Realität scheinen für diese Statusgruppe universalisierbar zu sein.
15 Loewenstein, K.: Über das Verhältnis von politischen Ideologien und politischen Institutionen, in Loewenstein, K.: Beiträge zur Staatssoziologie, Tübingen 1961, S. 261.
16 Bohle, D. Europas neue Peripherie. Polens Transformation und transnationale Integration, Münster 2002, S. 118 ff.
17 Loewenstein geht davon aus, dass die Liberalisierungsprozesse in der Welt hinter dem Eisernen Vorhang nach Stalins Tod einsetzte als der Zustrom westlicher Einflüsse toleriert wenn auch nicht gefördert wurde. Der folgenden Untersuchung liegt jedoch ein anderes inhaltliches Verständnis der Ideologischen Einflüsse zugrunde, die nicht durch ein liberales Model des Fordismus geprägt ist, der Loewenstein vorschwebte. Siehe: Loewenstein, K.: Beiträge zur Staatssoziologie, S. 286.
18 Der IWF wertete die Entlassung der politischen Gefangenen als freundlichen Akt. De facto wurde der Beitrittsprozess nicht gestoppt, sondern nur die Entsendung einer IWF-Mission nach Warschau aufgeschoben. Zuvor wurden im Januar 1982, auf einer Dringlichkeitssitzung der NATO Außenministern in Brüssel Sanktionen beschlossen. Siehe: Boughton, J. M.: Silent Revolution. The International Monetary Fund 1979–1989, Washington 2001, S. 988 f. Polen
19 Eine gute Übersicht über das steigende Attraktivität des sowjetischen Energieversorgung und der zunehmenden Abhängigkeit des Westen von sowjetischer Energie gibt: Wilson, D.: The demand for energy in the Soviet Union, Croom Helm 1983, S. 234 ff.
20 Nachdem Anfang der 1970er Jahre das Bretton-Woods-Abkommen faktisch zusammengebrochen ist, wurde 1978 auch das IWF-Abkommen abgeändert. Die Institutionen von Bretton-Woods bestanden dennoch mit teils veränderten Zuständigkeiten fort. Die Änderung zum IWF-Abkommen trat am 1.04.1978 in Kraft.
21 Sachs, J.: What is to be done?, in: The Economist (UK) 13.01.1990, S. 21.
22 Siehe: John Pomfret, Polish Agents Rescued 6 U.S. Spies From Iraq, in: Washington Post vom 17.01.1995. Nach Angaben der New York Times vom 18.01.1995 versprach die US-Regierung im Zusammenhang mit der polnischen Operation Samum (Simoom) im Irak 1990, sich für eine Halbierung der polnischen Auslandsschulden einzusetzen.
23 Ebenda.
24 Das Strategic Air Command (SAC) war während des Kalten Krieges die zentrale Luftstreitmacht innerhalb der US-Luftwaffe und zuständig für die für die strategischen Luftstreitkräfte, landgestützte Interkontinentalraketen (ICBM) und das Strategischen Kernwaffenarsenal von 1946 bis 1992. Dies bildete zugleich den Grundpfeiler der Atomaren Abschreckungsstrategie der NATO im Kampf gegen den Warschauer Pakt. Die Nukleareinheiten des SAC wurden nach Zusammenbruch des Ostblocks gemeinsam mit denen der U.S. Navy vom United States Strategic Command (STRATCOM) übernommen.
25 Huntington, S. P.: Transnational Organizations in World Politics, in: World Politics, 1973/3, S. 338.
26 Ebenda, S. 343.
27 Dorothee Bohle spricht hierbei sogar von einer Internalisierung des Wettlauf um die Mitgliedschaft, vgl. Bohle, D. Erweiterung und Vertiefung der EU: Neoliberale Restrukturierung und transnationales Kapital, Prokla 128 (2002), S. 372. Etwas ähnliches wurde für die NATO-Beitrittskandidaten beobachtet, vgl: Burant, S. R.: Poland and the Czech Republic on the Road to NATO: Competition and Collaboration, European Security 1997/1, S.82-99.
28 Hirsch, J.: Internationale Regulation. Bedingungen von Dominanz, Abhängigkeit und Entwicklung im globalen Kapitalismus, in: Das Argument 35 (1993), S. 199.
29 Strange, S.: States and Markets, London 1988, S. 25.
30 Gowan, P.: Neo-Liberal Theory and Practice for Eastern Europe, in: New Left Review I/213 (September/Oktober 1995), S. 58 f.
31 So Boughton, J. M.: Silent Revolution. The International Monetary Fund 1979–1989, Washington 2001, S. 967.
32 Gowan, P.: Eastern Europe, Western Power and Neo-Liberalism, in: New Left Review I/216, (März/April 1996), S. 137.
33 Michta, A. S.: Poland. A Linchpin of Regional Security, in: America’s new allies: Poland, Hungary, and the Czech Republic in NATO, Washington 1999, S. 62.
34 Siehe: Vertrag vom 14. November 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze sowie den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991. Polen konnte mit Unterstützung der USA gegenüber der BRD durchsetzten an der dritten Runde der Zwei-plus-Vier-Gespräche am 17. Juli 1990 in Paris teilzunehmen, was mit dem Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland den Weg frei machte für die deutsche Wiedervereinigung.
35 Die NATO-Erweiterung darf dabei nicht als beachtliche Stärkung des Bündnisses im militärischen Sinne betrachtet werden. Im Gegenteil ist der Beitrag dieser Staaten marginal. So auch die RAND Studie: Szayna, T. S.: NATO Enlargement, 2000-2015. Determinants and Implications for Defense Planning and Shaping, Santa Monica 2001, S. 144 f.
36 Gowan, P.: Neo-Liberal Theory and Practice for Eastern Europe, S. 58 f.
37 So: Dunn, D. H.: Poland: America’s New Model Ally, in: Zaborowski, M./Dunn, D. H., Poland – A New power in Transatlantic Security, S. 63-86.
38 Zu den Befürchtungen der US-Administration im Zusammenhang mit dem Bau der Yamal-Pipeline siehe: John Hardt, J./ Gold D. L., Soviet Gas Pipeline: U.S. Options, Washington 1981, abrufbar unter: http://digital.library.unt.edu/govdocs/crs/permalink/meta-crs-8790:1
39 Es ist bemerkenswert, dass die verfassungsrechtliche Absicherung einer „unzertrennlichen Freundschaft“ mit der UdSSR sowie die Änderung der Bezeichnung von „Volksdemokratie“ in „sozialistsicher Staat“ am 10. Februar 1976 als Novelle der Verfassung eingeführt wurde, einer Periode der Öffnung zum Westen und nicht in Zeiten der vollständigen monolithischen Macht während der Periode des Stalinismus.

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