NowOSTi

aus telegraph #2-98

Erfolgsstory 1
Nach drei Jahren Arbeit hat der Bundestags-Untersuchungsausschuß „DDR-Vermögen“ seinen 500 Seiten starken Abschlußbericht veröffentlicht. Mit einem Kostenaufwand von fast fünf (!) Millionen Mark wurde herausgefunden, daß die Privatisierung der Unternehmen der DDR insgesamt „eine Erfolgsgeschichte“ war. Durch Betrug, Veruntreuung und vielfältige andere Formen von Wirtschaftskriminalität seien laut Bericht im Verlauf der „Wiedervereinigung“ mindestens drei bis zehn Milliarden Mark abhanden gekommen. Allein bei der Privatisierung der ostdeutschen Werften an die Bremer Vulkan Verbund AG verschwanden 854 Millionen Mark in dunklen Kanälen. Außerdem laufen laut Abschlußbericht derzeit noch fast 200 Ermittlungsverfahren gegen aktive oder ehemalige Treuhand-Mitarbeiter wegen Untreue, Betrug oder Bestechlichkeit.

Erfolgsstory 2
Arbeitnehmer verdienen immer weniger: Im vergangenen Jahr sanken die realen Nettolöhne in Deutschland nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) um knapp zwei Prozent. Die DurchschnittsarbeitnehmerIn habe 1997 nach Abzug von Sozialabgaben und Steuern monatlich rund 2.700 Mark nach Hause gebracht, zehn Mark oder 0,4 Prozent weniger als 1996, errechnete das Institut. Berücksichtige man zudem die Preissteigerungen, blieben fast zwei Prozent weniger im Portemonnaie. In Westdeutschland mußten die Beschäftigten seit Anfang der 90er Jahre Einkommenseinbußen von real über vier Prozent hinnehmen. In Ostdeutschland stiegen die realen Nettolöhne zwar seit 1991 um 25 Prozent, dennoch hatten die Beschäftigten 1997 real weniger in der Tasche als im Jahr zuvor. Im Durchschnitt erzielten die Ostarbeitnehmer inzwischen rund 90 Prozent des realen Nettolohns ihrer Westkollegen.

Erfolgsstory 3
In Deutschland lebten 1995 knapp 2,8 Millionen Menschen oder 3,4 Prozent der Bevölkerung unerkannt unter dem Existenzminimum. Rund 900.000 von ihnen gingen sogar einer bezahlten Beschäftigung nach. Ihr Einkommen lag jedoch unterhalb des Sozialhilfesatzes. Betroffen von „verdeckter Armut“ waren neben Alleinlebenden vor allem kinderreiche Familien und Ausländer. Dies sind die Kernaussagen einer Studie des Frankfurter Instituts für Sozialberichterstattung und Lebenslagenforschung (ISL). 1995 gab es in Westdeutschland demnach mehr als zwei Millionen Menschen in verdeckter Armut, im Osten waren es rund 650000. Kinder sind im Osten ein besonderes Armutsrisiko, die Autoren sprechen von einer „Infantilisierung der Armut“ in der ehemaligen DDR.

Ursachenforschung
Auch letztes Jahr hat die Zahl der Pleiten weiter zugenommen. Rund 19.300 Betriebe in West- und rund 8100 Betriebe in Ostdeutschland sind 1997 insolvent geworden, heißt es in einem Bericht der Auskunftei Creditreform. 99 Prozent dieser Firmenpleiten hätten den Mittelstand betroffen. Im Westen werde es 1998 wohl nicht wesentlich mehr Konkurse geben, in den neuen Ländern sei aber mit einem weiteren Anstieg um 25 Prozent zu rechnen.

Den Grund für die Pleitewelle hat der Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) herausgefunden: wenigstens für die ostdeutschen Unternehmen gelte, daß sie zu wenig werben, sagte ZAW-Geschäftsführer Volker Nickel. Nach Angaben des ZAW machen lediglich jene ostdeutschen Unternehmen mit großen Reklameaktionen eine Ausnahme, die mit finanzieller Rückendeckung aus den alten Ländern ausgestattet sind. Wegen dieser Abhängigkeit seien auch Aussehen und Inhalte der Werbeaktionen in Ostdeutschland „immer noch aus dem Westen geprägt“.

Nichts ist unmöglich 1
Die Automobilindustrie ist weiterhin die werbestärkste Branche in Deutschland. Der starke Wettbewerb der Autohersteller ließ deren Bruttowerbeausgaben 1997, so der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft, um 6,9 Prozent auf 2,7 Milliarden Mark steigen.

Nichts ist unmöglich 2
Ein 51jähriger starb in Monheim (Rheinland-Pfalz) beim Anblick seines verwüsteten Trabis an einem Herzinfarkt. Vier Jugendliche hatten das DDR-Auto vorher restlos ramponiert.

Nichts ist unmöglich 3
Eine 84jährige aus Providence in Rhode Island (USA) ließ sich in ihrem Auto bestatten. Die dreifache Mutter und Witwe hatte den Corvair fast 36 Jahre lang gefahren. Auf ihrer Beerdigung ließen sechs Polizisten den Holzsarg vorsichtig in eine eigens präparierte Öffnung am hinteren Teil des Oldtimers gleiten; anschließend wurde der Corvair von einem Kran in die Gruft hinabgelassen. Der örtliche Polizeichef George Arruda konnte an der Bestattung nichts Ungewöhnliches finden. „Für uns ist das ganz normal, denn in unserer Erinnerung ist sie sowieso in ihn (den Wagen) eingebettet“, sagte er.

Verklemmte Wessis
Die Vorstellung, von anderen Menschen nackt gesehen zu werden, bereitet nach Ergebnissen einer neuen Studie Westdeutschen mehr Unbehagen, als Ostdeutschen. Auch für die Körperpflege nimmt sich der Bürger in der Ex-DDR mehr Zeit, als sein westdeutsches Pendant, da Ostdeutsche „den Akt der Körperreinigung auch stärker mit Aspekten des Genusses verbänden.“, heißt es in der Studie.

Dafür schauen Wessis öfter in den Spiegel.

Mission taz
Wieder mal zu spät kam die taz. Entgegen der bekannten Tatsache, daß Wessis heute nirgendwo mehr hinziehen müssen, um Kolonialherren zu sein, widmet die taz seit einigen Wochen ganze Seiten einer Missionierungskampagne für den Osten. Eröffnet wurde diese von der taz-Redakteurin Gaserow: Da man in Brandenburg gegen die „Menschenrechtsverletzungen an Berlinern“ leider nicht mit Handelsembargo oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen (oder SFOR-Truppen? d.Redaktion) vorgehen könne, sei jetzt Zivilcourage und massenhafte Zuwanderung nötig, um die dortige Bevölkerung zu „zivilisieren“. „Brandenburg und auch anderen ostdeutschen Landstrichen hilft vielleicht nur die eine Methode…: Kolonisierung durch Völker(unter)wanderung.“, heißt es in ihrem Kommentar.

Dann folgen über Wochen ganze Seiten Klagen über Urlaubsprobleme von Westberlinern im brandenburger Umland.

Zum Beispiel schrieb der taz Leser Christian Wiesner-Stippel: „Vor Fahrten ins Umland beginne ich erst mal mit der Aktualisierung meiner Brandenburg-Landkarte. Ich nehme die gesammelten Erkenntnisse der letzten Tage und Wochen und trage sie ein. Markiert sind schon sämtliche mir bekannten ´national befreiten Zonen.“ Im Ausschlußverfahren könne man dann feststellen, wo sich noch hin zu fahren lohnt.

Stärkere Konsequenzen aus der Lage in Brandenburg zieht die Leserin Gabriele Manzke. Wo überall in Brandenburg sengende Nazis die Laune verderben, helfe nur noch Boykott: „Boykottiert – aber öffentlich: Solange diese Übergriffe auf andere Menschen, woher auch immer, nicht aufhören, sollen sie Spargel aus Beelitz, Äpfel aus Werder, Gurken aus dem Spreewald an ihre eigene Brut verfüttern.“

Von Kanacke zu Kanacke
Ganz neue Gemeinsamkeiten zwischen Türken und Ossis in Deutschland fand der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir auf einer Reise durch die Kolonien heraus: „Sehr bemerkenswert fand ich, daß wir auch einiges gemeinsam haben: das Gefühl des Ausgegrenztseins, das Nicht- Deutsche haben. Das geht ja den Menschen im Osten auch so. Auch im Osten hat man das Gefühl, nicht so angenommen zu werden, wie man ist. Ich glaube, daß es Ostdeutschen und Nicht-Deutschen nur guttun kann, sich besser kennenzulernen, erklärte er gegenüber der taz.

Sachsendiskriminierung
Mit „ausgeprägtem sächsischem Akzent“ kann man nicht im Westen arbeiten. Diese Meinung vertrat eine Ratinger Firma und feuerte einen Mitarbeiter aus Zwickau.

„Es ist keine landsmannschaftliche Diskriminierung. Wenn ein Kunde in Westdeutschland den sächsischen Dialekt hört, akzeptiert er den Verkäufer nicht. Auch ein Kölner wäre zum Scheitern verurteilt, wenn er in Bayern Melkmaschinen verkaufen müßte.“ erklärte der Arbeitgeber.

Der tapfere Sachse klagte gegen die Entlassung und die 6. Kammer des Arbeitsgerichts gab ihm recht. Richter Schmitz-Scholemann berief sich sogar auf Artikel 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf aufgrund seiner Sprache oder seines Dialekts benachteiligt werden.“

Zuviel „Bier von hier“
Da es die Pfingsttreffen der FDJ nicht mehr gibt, lassen sich die Puhdys ihre Rockerrente von Gerhard Schröder zahlen. Nachdem sie schon 1994 und 1996 für den SPD-Wahlkampf gespielt hatten, griffen sie diesen 1.Mai in Potsdam für den Kanzlerkandidaten in die Saiten. Von der CDU wurden die Puhdys zwar noch nicht geordert. Aber eins ist klar: „Für die Republikaner würden wir auf keinen Fall spielen“, so Meyer.

Gerecht
Der Anteil der Nichtwähler hat im Osten einen neuen Höchststand erreicht. Bei einer von einem Wahlforschungsinstitut durchgeführten Befragung gaben 38 Prozent der Befragten an, nicht mehr zur Wahl zu gehen. Die einzige Partei, die im Osten überhaupt noch einen Zuwachs an Sympathisanten verzeichnen konnte, ist die PDS – von acht Prozent im Jahr 1990 auf 24 Prozent Ende 1997. Insgesamt konstatiert der Report einen Abfall des Stellenwertes von Demokratie, des pluralistischen Parteiensystems und politischen Interessen der Bevölkerung. Demgegenüber steht die Zunahme von Werten wie soziale und öffentliche Sicherheit sowie des Stellenwertes der Arbeit.

Ungerecht
Als eine Ursache für die geringeren Lebenserwartung und den schlechteren Gesundheitszustand der Ost- gegenüber den Westdeutschen wird neben einer schlechteren Luft in der DDR und einer ungesunderen Ernährung vor allem der „Wendestreß“ vermutet.

In Ostdeutschland sterben mehr Menschen an Herz- Kreislauf-Krankheiten als in den alten Bundesländern. Die Sterblichkeit bei Schlaganfall oder Herzinfarkt liege im Osten um 25 Prozent höher als in den alten Bundesländern, sagte Bertram Häussler, Geschäftsführer des Berliner Instituts für Gesellschafts- und Sozialforschung (IGES) in Berlin.

Freie Wahlen
Die Dresdner CDU-Bundestagsabgeordnete Christa Reichard in ihrem öffentlichen „Aufruf an alle Entscheidungsträger der Wirtschaft“: „Unsere Regierungskoalition kann die Bundestagswahl nur gewinnen, wenn die Zahl der Erwerbslosen bis Ende August erheblich zurückgeht.“ Um das zu erreichen und „so die Chancen der Koalition zu verbessern“, fordert Reichard die Unternehmer auf, „vorfristig und zusätzlich u.U. per Zeitvertrag bis Anfang August einen oder mehrere Arbeitnehmer einzustellen“.

Der anvisierte Einstellungstermin ist so gut gewählt, daß die Unternehmer die eingestellten Wahlhelfer nach der gelaufenen Wahl noch innerhalb der Probezeit gleich wieder feuern können.

Onkel Tom
In bester „Onkel Tom“-Tradition präsentierten sich wiedermal die zur CDU übergelaufenen (Klein-) Bürgerrechtler auf dem Wahl-Parteitag der Kanzlerpartei.

Den Vogel schoß dabei die ehemalige ostdeutsche Sozialdemokratin Angelika Barbe ab. Sie beschwor die linksradikale Gefahr durch die PDS und rief den Delegierten zu „Ich bin glücklich, daß vier Fünftel der Deutschen im Westen leben“.

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