Des Wahnsinns kesse Beute!

aus telegraph #3 _ 1999
Mediales  von Knobi

Wer soll das alles lesen? 90.000 Neuerscheinungen wurden auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert. Es wird produziert was das Zeug hält, obwohl einige Medien das Ende des Buches prophezeien. Nun gut, das quantitative Ansteigen der Bücherproduktion steht in keinem Verhältnis zum technologischen Wahnsinn. Abgesehen von der Sinnlichkeit bedruckten Papiers. Fazit: Fortschritt ist, wenn man nicht alles verwirklicht, was man(n) technisch realisieren könnte.

Mit der Buchmesse beschäftigt sich auch die Graswurzelrevolution Nr. 242 / Oktober 99 ( Einzelheft 4,—DM / Abos bzw. ein kostenlose Probeexemplar gibt es bei: GWR, Breul 43 in 48143 Münster). Für diese Ausgabe hat sie 7 Extraseiten, mit libertären Büchern. Die Graswurzelrevolution ist die älteste libertäre Zeitschrift Deutschlands, und sicher auch immer noch in vielen Dingen sehr interessant und informativ – zumindest was den Diskussionsstand für eine „gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft“ angeht. Weitere Themen sind der Krieg in Ex-Jugoslawien, Expo 2000, über Anarchafeminismus u.v.m.

Superlative bietet auch das Werk: hoch die…kampf dem… – 20 Jahre Plakate autonomer Bewegungen (Verlag libertäre Assoziation, Hamburg / Verlag der Buchläden Schwarze Risse, Berlin – Rote Straße, Göttingen / 239 Seiten / 39,80 DM). Hier werden 610 Plakate in Farbe abgebildet und in 18 redaktionellen Beiträgen werden nicht nur thematisch (Frauen, Anti-AKW, Internationalismus, Antiimp, Antifa usw.) die Plakate vorgestellt, sondern gleichzeitig auch ein kurzer Abriss der undogmatischen (West-)Linke“ abgehandelt. Einen Bonus gibt es für PC-BesitzerInnen mit CD-Rom-Laufwerk: auf beigefügter CD-Rom kann mensch sich noch weitere ca. 2400 Plakate (!) ansehen.

Die Avantgarde war nicht nur im Politbüro zu Hause, sondern auch unter KünstlerInnen soll es so was geben. Der Dadaismus war jedenfalls mal eine. Hierzu gibt es jetzt ein Buch von Hubert van den Berg; Avantgarde und Anarchismus – Dada in Zürich und Berlin (Universitätsverlag C. Winter Heidelberg / 509 S. / 98,—DM). Eine sehr umfangreich Dissertation über die Anfänge der Moderne und der Blütezeit des politischen Anarchismus. Sehr detailliert und mit zahlreichen Quellenmaterial.

Es gibt Angelpunkte in der Geschichte, aus denen wir lernen könnten, aber anscheinend werden immer wieder die selben Fehler gemacht. Einer dieser schwerwiegenden Fehler war die Niederschlagung der Kronstadt-Rebellion von 1921, die dem Sozialismus vielleicht eine bessere Chance gegeben hätte, als der bürokratische Staatssozialismus glauben machen wollte. Volin; Der Aufstand von Kronstadt (Unrast Verlag Münster / 159 S. / 19,80 DM) Wir sollten nicht nur immer auf Jahrestage warten, um auf menschliche Katastrophen in der Geschichte hingewiesen zu werden. Jedes Scheitern sollte uns mahnen die gleichen Fehler nicht immer wieder zu begehen. Keine Kompromisse.

„Seit Bakunin hat es in Europa keinen radikalen Begriff von Freiheit mehr gegeben“, schrieb Walter Benjamin. Bakunin ist gleich in zwei Neuerscheinungen präsent, und wird damit auch hoffentlich wieder mehr gelesen und diskutiert. Zum einen erschien der Band 4 der Gesammelten Werke Bakunins „Staatlichkeit und Anarchie“ (Kramer Verlag Berlin / 543 S. / 55,—DM). Mit einem Ausführlichen Vorwort des Herausgebers Wolfgang Eckhardt über die Situation der russischen Exilanten in der Schweiz während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, sowie 324 Textanmerkungen, die für ein tieferes Verständnis des Bakuninschen Textes in der heutigen Zeit beitragen. Ein Standardwerk des freiheitlichen Sozialismus.

Zum zweiten, erstmals in deutsch erschienen, eine umfangreiche Biographie Bakunins aus dem Französischen: Madeleine Grawitz; Bakunin – Ein Leben für die Freiheit. (Nautilus Verlag Hamburg / 556 S. / 68,—DM). Das Buch sollte in keiner Bibliothek fehlen.

Zum Schluss noch ein Tipp für eine preiswerte Broschüre die durchaus eine kleine Überraschung ist. Die Sozialdemokratie will uns weiß machen, dass Arbeit alles ist und die PDS auch. Für die Kommunisten war die Arbeit die heilige Kuh. Die Gruppe KRISIS, die sich durchaus als marxistisch betrachtet, hat jetzt ein Manifest gegen die Arbeit herausgegeben (Eigenverlag / 54 S. / 5,—DM, zu bestellen bei: Krisis-Kreis Köln, Düsseldorfer Str. 74 in 51063 Köln, plus 1,60 DM Porto). Hierzu gäbe es sicher noch einige Kritik und einiges zu ergänzen, aber sie scheinen auf den richtigen Weg zu sein. Die Diskussion sollte neu geführt werden. Nicht die Eroberung der Fabriken wird uns befreien, sondern die Zerstörung der Maschinen! Die Sklaverei der Arbeit war es immer, welche die Menschen nicht zum Nachdenken kommen ließen. An dieser Stelle sei durchaus mal ein Gruß an DIE GLÜCKLICHEN ARBEITSLOSEN aus Prenzlauer Berg gestattet. Phantasie an die Macht!

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