Editorial

Alles Nazis?
(Aus telegraph 3/4 1998)

Hoyerswerda, Lichtenhagen, Dolgenbrodt sind ostdeutsche Ortsnamen, die das politische Alltagsbewußtsein tief geprägt haben. Osten und Rassismus scheinen dabei zusammenzugehören – das ist zumindest der Tenor der öffentlichen Meinung. Zwischen Realität und Deutung ist dabei kaum noch zu unterscheiden und erklärende Analysen sind absolute Mangelware.

Ist der Osten wirklich braun? Was und wer macht ihn dazu? Und wie könnten linke Gegenstrategien aussehen? In diesem Heft setzen wir uns mit den Besonderheiten des, nach unserer Meinung, schon immer existenten Faschismus
zwischen Elbe und Oder auseinander.

Wie kaum anders zu erwarten, fanden unsere Autoren gleich eine ganze Latte von Antworten auf die hier formulierten Fragen. Das Thema „faschistische Bewegungen in Ostdeutschland“ erwies sich bei der Bearbeitung als immer komplexer und umfangreicher und so ist aus dem vorliegenden Heft eine Doppelnummer geworden.

Dabei fangen wir mit einer eher allgemeinen Reflexion zum Thema an und beleuchten anschließend Einzelaspekte der Geschichte, der Gegenwart und der Wahrnehmung ostdeutscher Nazi-Bewegungen.

Neben der ungebrochenen Kontinuität von nationalsozialistischen Wertemustern in der DDR beleuchten wir vor allem die aktuellen Ent-stehungsbedingungen. Insbesondere gehen wir dabei auf die speziellen Ausgangsbedingungen seit dem Anschluß ein, die wesentlicher Bestandteil einer Auseinandersetzung mit dem Bewegungscharakters ostdeutscher Nazistrukturen sind.

Mit dem Abdruck eines Gesprächs mit antifaschistischen Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen ostdeutschen Städten wollen wir eine Anregung zur Strategiediskussion geben.

Außerdem im Heft: ein Beitrag über den Guerillakrieg im Kosovo, ein Interview mit deutschen Kommunisten aus Montevideo und eine Analyse des legislativen Weges zum freiheitlichdemokratischen Überwachungsstaat.

Bis zum nächsten Heft
Eure – Redaktion telegraph

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