Kolumne

BRAUNZONE! – BRAUNZONE?
von Wolfram Kempe
(Aus telegraph 3/4 1998)

Eigentlich ist es ja so, daß acht Jahre nach dem Anschluß der DDR nur deren ehemaligen Bewohnern ein hoher Bedarf an Memorabilien zugesprochen wird – in Form ihrer sogenannten „Ostalgie“. Das dies nicht stimmt, zeigt die Erfindung des Begriffes „Braunzone“ durch westdeutsche Medien und seinen massiven Gebrauch seither. Der Begriff meint die ehemalige DDR in ihrer Gesamtheit und ein paar Regionen in Brandenburg und Mecklenburg/Vorpommern im Besonderen. Durch diesen Kunstgriff kann die westdeutsche Journaille wieder getrost von einer „Zone“ schreiben und reden, wenn sie die Gegend jenseits der alten, innerdeutschen Grenze meint. Jahrzehntelang eingeübte Stereotypien gehen eben doch leichter von Feder und Zunge. Obendrein enthebt häufiger Gebrauch von der Pflicht, den Inhalt eines Begriffes genau zu fassen und zu prüfen, ob er denn für eine gewünschte Aussage wohl der richtige sei. So entsteht aus einer journalistischen Metapher ein Totschlagsargument: Alle, die aus der ehemaligen DDR kommen oder dort leben, werden unter Generalverdacht genommen, Nazis zu sein – mindestens im Grunde ihres Herzens. Da sollen sie sich dann erstmal rauswinden.

Auch die Geschichte des Begriffes und seiner Verwendung ist interessant. Öffentlich-bewußt wird er seit 1995/96 verwendet, als über zunehmende Überfälle dumpf-rechter Dorfjugend oder organisierter Jungnazis auf (deutsche) Schulklassen oder (deutsche) Reisegruppen berichtet werden mußte. Solange neofaschistische Übergriffe „nur“ Auslände oder Linke trafen, waren es lediglich „neofaschistische Übergriffe“ – wenn überhaupt: gerade konservative Kommentatoren und Beobachter sahen häufig genug nur „normale“ Rangeleien der Dorfjugend. Seitdem das Wort von der „Braunzone im Osten“ sich jedoch in allen Zeitungsspalten findet, dient jede noch so kleine Hakenkreuzschmiererei und jeder noch so lächerliche Aufmarsch von Reichskriegsflaggen seiner Bestätigung. Gerade so, als handele es sich mittlerweile um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Damit aber wird von dieser „Braunzone“ zu sprechen zu einem politischen modus operandi, sogar zu einem Kampfbegriff. Berechtigtes Erschrecken und berechtigte Abscheu werden auf die fünf neuen Bundesländer fokussiert und damit abgelenkt vom alltäglichen Neofaschismus, der überall in der Bundesrepublik gleichermaßen auftritt. In dem man über das Wahlergebnis der DVU in Sachsen-Anhalt erschrickt, erschrickt man nicht über die DVU – die eine westdeutsche Partei war und ist -, sondern man erschrickt über Sachsen-Anhalt. Oder kann sich jemand daran erinnern, daß von der „Braunzone Bremen“ die Rede gewesen wäre, als die DVU dort mit einem ähnlichen Wahlergebnis in die Bürgerschaft eingezogen war?

Und schließlich wird das Wort von der „Braunzone im Osten“ zu einem Symbol für Amnesie und Denkfaulheit.

Seit dem Winter 1990 (damals existierte die DDR noch!) weisen ostdeutsche Antifaschistinnen und Antifaschisten darauf hin, daß Neofaschismus ein ernsthaftes gesellschaftliches Problem in der DDR war und ist. Schon sehr früh wurde dezidiert nachgewiesen, worauf er sich gründete, wie er organisatorisch durch Kader aus dem Westen strukturiert wurde und wie er sich durch die Aufnahme von Versatzstücken aus der SED-Demagogie ideologisch erneuerte. Die Untätigkeit der Sicherheitsbehörden, ja ihre teilweise familiäre Verquickung auf dem platten brandenburgischen Land wurde öffentlich gemacht. (Die erste explizit neonazistische Zusammenrottung ereignete sich am 20.4.1990 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin; sein zögerliches Verhalten erklärte der polizeiliche Einsatzleiter damit, daß er sich erst von seinem Innenminister erklären lassen wolle, „wie rechts und links definiert“ seien.) In den frühen neunziger Jahren mit all ihrer Vereinigungshuberei und Deutschtümelei wollte das niemand hören. Im bis ins Nationalistische verzerrten Überschwang nationaler Gefühle sah man einerseits großzügig über die neofaschistischen Schmuddelkinder hinweg, diffamierte die Warner und Mahner, die genau in diesem gesellschaftlichen Klima eine Gefahr für einen allgemeinen Rutsch nach rechts sahen, aber gleichzeitig als „schlechte Deutsche“, weil sie ja die sogenannte „Wiedervereinigung“ madig machten. Teilweise geben sich die gleichen Leute heute dem Geschwätz von der „Braunzone“ hin. Auch, damit die alten Einschätzungen heute möglichst vergessen gemacht werden. Genauso wie das Geschwätz vom „staatlich sanktionierten Antifaschismus“, das sich erhob, als nach den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen das Problem nicht mehr zu übersehen war. Zu dieser Zeit beginnt die Denkfaulheit westdeutscher Analytiker.

Einerseits konnten sie aus mangelnder persönlicher Erfahrung nicht sehen, daß durch die Politik Honeckers und seiner Adlati seit 1976 breiteste Teile der Bevölkerung zu Kleinbürgern wurden, und die Kinder dieser Generation nur die „gewalttätige Fratze“ dieses Kleinbürgertums präsentierten. Andererseits hätten sich die Analytiker – wenn sie diese Einschätzung denn ernst genommen hätten – von der Vorstellung verabschieden müssen, Neofaschismus entstünde an den Rändern der Gesellschaft. Das nämlich war das Grundtheorem, um zu erklären, wie eine so „vorbildliche“ Demokratie wie die Bundesrepublik zu einer neofaschistischen Szene kommt. Erkenntnisse, Beobachtungen und Analysen aus dem Osten des wiedervereinigten Deutschlands legten nun statt dessen nahe, daß Neofaschismus gerade im Zentrum einer Gesellschaft entsteht – immer und überall! Denn das Kleinbürgertum macht in den entwickelten westlichen Ländern eben dieses Zentrum aus, um nicht ganz aktuell von der „neuen Mitte“ zu reden. Und eben dieses zentrale Kleinbürgertum ist vom ökonomischen Neoliberalismus am stärksten bedroht. Glaubte irgend jemand ernsthaft, die Leute würden das nicht merken? Bevor man sich in Westdeutschland jedoch zu dieser Erkenntnis durchringt, spricht man eben lieber von einer „Braunzone“.

Zum guten Schluß wäre eigentlich noch ein Wort dazu zu sagen, warum sich der Begriff von der „Braunzone“ ausgerechnet auch in Kreisen sogenannter „Autonomer AntifaschistInnen“ einer gewissen Beliebtheit erfreut. Wenn man jedoch bedenkt, daß „Autonome“ sich heutzutage ebenso nur aus kleinbürgerlichen Strukturen reproduzieren, erübrigt sich das (oder wäre – wahlweise – ein weites, aber anderes Feld). Es ist ein Trauerspiel, daß eine wirksame Bekämpfung des Neofaschismus in Deutschland am Ende diese Jahrhunderts durch Blindheit, Arroganz und politische Opportunitäten gelähmt ist. Insbesondere gilt dies für seine zukünftigen Opfer.

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