Innenminister Diestel will jetzt auch die Stasiauflösung übernehmen

Staatliches Komitee und Bürgerkomitees sollen abgelöst werden
aus telegraph 9/1990

Als „Ritter ohne Furcht und Tadel“ gibt sich in letzter Zeit Innenminister Diestel. Er rüstet die Polizei mit westdeutschen Helmen und Schilden aus und will ihr endlich wieder konservatives Selbstbewusstsein geben. Mit großen Sprüchen und völliger Unkenntnis der Sachlage geht es gegen den Extremismus. Soweit der Minister bis dato gegen Rechtsextreme aktiv wurde, geschah es in denkbar ungeschicktester Weise, sodass entweder Stimmungen erst geschürt wurden, wie beim Verbot eines Skin-Konzerts in Nordhausen kurz vor Beginn und bei schon gefülltem Saal – die Skins rächten sich durch einen Pogrom gegen Linke in Halle. Oder er versucht mit Polizeiaktionen wie der Erstürmung der Berliner NA-Häuser Furcht und Schrecken zu sähen, schafft aber nur Märtyrer und profiliert die Nazis. Man darf gespannt auf die erste spektakuläre Aktion des Ministers gegen „Linksextreme“ sein.

Als „Ritter ohne Furcht und Tadel“ gibt sich in letzter Zeit Innenminister Diestel. Er rüstet die Polizei mit westdeutschen Helmen und Schilden aus und will ihr endlich wieder konservatives Selbstbewusstsein geben. Mit großen Sprüchen und völliger Unkenntnis der Sachlage geht es gegen den Extremismus. Soweit der Minister bis dato gegen Rechtsextreme aktiv wurde, geschah es in denkbar ungeschicktester Weise, sodass entweder Stimmungen erst geschürt wurden, wie beim Verbot eines Skin-Konzerts in Nordhausen kurz vor Beginn und bei schon gefülltem Saal – die Skins rächten sich durch einen Pogrom gegen Linke in Halle. Oder er versucht mit Polizeiaktionen wie der Erstürmung der Berliner NA-Häuser Furcht und Schrecken zu sähen, schafft aber nur Märtyrer und profiliert die Nazis. Man darf gespannt auf die erste spektakuläre Aktion des Ministers gegen „Linksextreme“ sein.

Neuerdings will Innenminister Diestel auch die Auflösung der Stasi in die Hand nehmen und macht zu diesem Zweck alle Anstrengungen, die bisher dafür zuständigen Instanzen, die Bürgerkomitees und das staatliche Komitee zur Auflösung der Staatssicherheit, aus dem Weg zu räumen. Gesellschaftliche Kontrolle hält er nicht mehr für notwendig. Von Protesten „von einigen Zehntausend“, ließe er sich „als ein vom Volk legitimierter Minister nicht beeindrucken”. Natürlich wäre es ihm am liebsten, wenn alle, voran der ungeliebte Regierungsbevollmächtigte Werner Fischer, einfach gehen würden. Da das schlecht öffentlich zu vertreten ist, zieht er es vor, unannehmbare Bedingungen zu stellen.

Vor vierzehn Tagen erschien Diestel im staatlichen Komitee und erklärte, das Komitee sei nunmehr abgelöst. Er brauche nur eine Beratergruppe ohne Kompetenz. Gegenüber Werner Fischer wurde Distel deutlicher: „Das Regime des Runden Tisches ist jetzt beendet. Ihre oppositionelle Vergangenheit, Herr Fischer, ist ja gut und schön, aber das Volk hat jetzt entschieden und das Volk steht hinter der Regierung.“ „Das Volk ist eben dumm“, versuchte Diestel Fischer zu trösten.“ Fischer mit feiner Ironie: „Da mögen Sie recht haben, wenn man das Wahlergebnis betrachtet.“ Diestel betonte dann, dass in Zukunft das staatliche Komitee keine öffentlichen Äußerungen mehr zu machen habe. Das’ werde einzig und allein er besorgen. „Wir können gar nichts tun“, meint Werner Fischer, „wenn die Volkskammer morgen beschließen sollte, einen Verfassungsschutz einzurichten. Die Bürgerkomitees sortieren und archivieren im besten Fall die Akten. Was mit dem Material geschieht, entscheidet das Innenministerium. Selbst wenn Herr Diestel sein Versprechen ernst meint, dass die Akten niemals in die Hände des BND fallen werden, wird er das gar nicht beeinflussen können. Nach der Vereinigung fallen die Akten automatisch westlichen Geheimdiensten in die Hände.“ Fieberhaft wird im Bürgerkomitee und im Regierungskomitee nach Lösungen gesucht. Gefährlich sind eigentlich nur die Personendosiers, die intimsten Informationen enthalten, mit denen später die 6 Millionen erfassten DDR-Bürger von jedem dahergelaufenen Geheimdienstler erpresst werden können. Die einleuchtende Lösung, die Vernichtung dieser Personalakten, ist unpopulär. Andere Wege wären die Einlagerung des geistigen Sondermülls in einen Salzstock oder die Übergabe an eine internationale Kontrollkommission.

Da formal immer noch der Ministerratsbeschluss gilt, warten die Leute vom staatlichen Komitee seit 14 Tagen auf weitere Beschlüsse des Innenministers. Der verkehrt mit dem staatlichen Komitee nur noch über Anweisungen an den Regierungsbeauftragten Eichhorn. In einer Abteilung von Stasi-Angestellten gab es bereits eine Freudenfeier mit knallenden Sektkorken über den sozialen Abstieg des vielgehassten Regierungsbevollmächtigten Fischers. „Fischers Unterschrift gilt nichts mehr!“, jubelten die Stasis und wittern Morgenluft.

Nun mögen die Sperenzien von Herrn Diestel vielleicht auch nicht so wichtig sein. Laut de Maizieres Regierungserklärung soll eine Auflösungskommission gebildet werden, die zusammen mit einem parlamentarischen Ausschuss die Auflösung zu Ende bringen soll. Das staatliche Komitee berief sich in einem Brief an de Maiziere auf seine Sachkompetenz und forderte den Regierungschef auf, das staatliche Komitee zur Auflösungskommission zu machen. Die Antwort der neuen Götter steht bis zur Stunde noch aus. Diestel übrigens hat sich mittlerweile eine Anzeige zugezogen. Das Rostocker Bürgerkomitee hatte nämlich im Auftrag aller Rostocker Parteien an die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt, die Personendosiers der Kandidaten für die Kommunalwahlen zu überprüfen. Daraufhin ließ Diestel dem Rostocker Bürgerkomitee den Zugang zu allen Akten sperren. Er übersah völlig, dass er dabei gegen geltendes Recht, nämlich den entsprechenden Ministerratsbeschluss und die Vollmachtserklärung des staatlichen Komitees verstieß.

Mit noch flotteren Sprüchen hatte sich im staatlichen Komitee der Regierungsbeauftragte Eichhorn profiliert, der mittlerweile als Diestels Kreatur gilt. „Ich bin morgen beim Herrn Minister“, so Eichhorn. „Ich werde darum bitten, die Rostocker Polizei mit Waffen auszurüsten. Denn einmal muss Schluss sein!“ In der Tat war das zunächst einmal das Aus für Eichhorn. Am Ostberliner Runden Tisch wurde er mit seiner Äußerung konfrontiert und bestätigte: „Ja, notfalls bin ich auch für das Einsetzen von Gewalt!“ Da Eichhorn zudem noch vorgeworfen wurde, durch interne Anweisungen die Tätigkeit der Arbeitsgruppe Sicherheit behindert zu haben und die Auslieferung von Unterlagen bewusst zu verzögern, forderte der Runde Tisch die Ablösung Eichhorns.

Man darf gespannt sein, ob Diestel seinen Matador rettet.