Politik

Autonome zu Zeiten der Wende

Wo sind sie geblieben, die Schrecken der Straße und der BILD? Wo kamen sie her und was taten sie in einer Zeit, als bürgerliche Medien noch kein „Links“ davor schrieben. Einer der seit Beginn dabei war, schildert seine subjektiven Erlebnisse.

Von Hauke Benner

(Aus telegraph #129/130)

Eine kleine Vorbemerkung

Hier schreibt ein älterer Autonomer, der über die Debatten unter den Jüngeren in den letzten Jahren nicht mehr viel mitbekommen hat. Es ist ein kurz gehaltener geschichtlicher Rückblick in Siebenmeilenstiefeln, sehr subjektiv und sehr selektiv.

Autonome in den 80er Jahren

Wenn ich einleitend versuche, die Politik und Bedeutung der Autonomen in Westdeutschland in ihrer Hochphase in den Achtzigern kurz zu skizzieren, dann ist das ein Ritt auf des Messers Schneide. Denn erstens gab es nie die Autonomen und zweitens waren Autonome immer regional sehr unterschiedlich. Die Hochburgen waren zugleich die Bewegungszentren der linksradikalen, außerparlamentarischen Szene von Antiimps über Anarchos bis zu den Autonomen. Anfang der 80er Jahre war ein Fokus die Westberliner Hausbesetzerbewegung, ein anderer das Rheinmaingebiet rund um die Startbahn-West des Frankfurter Flughafens, später kam dann die Auseinandersetzung um die Hafenstraße in Hamburg dazu. Dazwischen gab es immer wieder größere überregionale Demos und Kampagnen, in denen die Autonomen zum Teil eine wichtige Rolle spielten, wie die Demonstrationen in Wackersdorf gegen die WAA oder in Brokdorf gegen die Inbetriebnahme des über ein Jahrzehnt umkämpften AKW’s.
Den Höhepunkt autonomer Kampagnenpolitik stellt sicherlich die Kampagne gegen den Kongress des IWF und der Weltbank in Westberlin 1988 dar. Hier gelang es Autonomen aus allen Teilen der Bundesrepublik zusammen mit kirchlichen und entwicklungspolitischen Aktionsgruppen wie dem Buko, die bis dahin größte Mobilisierung zu organisieren, gegen die Herrschaft des Bankenkapitals und der Multis. 70.000 Menschen auf der Auftaktkundgebung mit der zentralen Parole „IWF-Mördertreff“ – das war schon beeindruckend. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass es zeitgleich in Ostberlin auch zu Aktionen gegen den IWF-Kongress aus dem Umfeld der AG Weltwirtschaft, der Umwelt-Bibliothek, der KvU, u. a. vor dem Pergamonmuseum kam.
Was uns damals nicht bewusst war, die IWF-Kampagne war Höhepunkt aber auch Abschluss eines Bewegungszyklus‘ linksradikaler, militanter Politik. Dann kam der Mauerfall und damit eine neue Zeitrechnung. Der Begriff Autonome leitete sich aus der revoltierenden italienischen ArbeiterInnenbewegung der 70er Jahre her mit ihren Kämpfen gegen die verkrusteten Gewerkschafts- und Parteistrukturen der KPI und wurde zuerst von Hamburger Linksradikalen übernommen. Sie grenzten sich damit von der Bevormundung durch die dortige K-Gruppe, den KB-Nord, ab. Was machte nun die Stärke und Anziehungskraft der Autonomen in den 80er Jahren aus? Da war zum einen das äußerliche Erscheinungsbild: der sogenannte Schwarze Block, der zuerst in Frankfurt am Main 1981 von den Bullen gesichtet und kurz danach als kriminelle Vereinigung eingestuft wurde, was eher seine Verbreitung in der ganzen BRD beschleunigte.
Der mediale Aufstieg der Autonomen hatte ein Jahr zuvor begonnen. Am 6. Mai 1980 sollte ein öffentliches Rekrutengelöbnis im Bremer Weserstadion stattfinden. Mehr als 10.000 Demonstranten versuchten die Zugänge zu den Stadiontoren zu blockieren. Die Schlagzeilen des folgenden Tages beherrschten allerdings die Hamburger Autonomen, die drei Bundeswehrfahrzeuge angezündet und mit Steinen und Knüppeln die Bullen attackiert hatten. Beim Bush-Besuch 1983 in Krefeld, anlässlich der Raketenstationierung, kam es zu heftigen Scharmützeln zwischen dem Schwarzen Block und den Grünuniformierten. Mit dem Schwarzen Block verbunden war eine Straßenmilitanz. Und das hatte auch was. In Westberlin gelang es den Bullen über Jahre nicht den Lautsprecherwagen der Autonomen anzugreifen, weil der ‚Lauti‘ bei größeren Demos immer von mehreren hundert, teils vermummten, anfangs noch mit Helmen und Knüppeln bewaffneten, Militanten geschützt wurde. Und es kam sehr oft zu Randale, Bullenwannen wurden umgekippt, angezündet, Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, Barrikaden wurden gebaut, Supermärkte geplündert. Und bei den Demos in Brokdorf, an der Startbahn-West oder in Wackersdorf war es keine Frage, dass die Bauzäune mit allem, was mensch mitschleppen konnte, außer Knarren und Sprengstoff, angegriffen wurden. Als ein ziemlich wirrer Militanter 1987 an der Startbahn dann tatsächlich eine Knarre zog und auf große Entfernung zwei Polizisten erschoss, war dies dann auch das endgültige Aus der Startbahnbewegung.
Zumeist gelang es nicht den Bauzaun zu knacken oder die Besuche von Bush, Haig oder Reagan wirklich zu stören. Aber es gab am nächsten Tag wieder dicke Schlagzeilen über die Randale und die „Gewaltexzesse der Chaoten“, wie uns die Springerpresse gerne abkanzelte. Gut, Militanz und Gewalt, das waren unsere Markenzeichen: Gegen die Gewalt des Staates und des Kapitals setzen wir unsere: Steine und Mollis. Die inhaltlichen Ziele, warum wir auf die Straße gingen, fielen in der bürgerlichen Berichterstattung immer hinten runter. Das war uns mit der Zeit auch egal, weil von ‚taz‘ bis ‚FAZ‘ uns alle sowieso nur verfälschten.
Wir wollten keinen Sozialismus a la DDR und wir lehnten grundsätzlich die Herrschaft des Geldes und der Parteien ab. Wir wollten keine Stellvertreterpolitik machen, wir waren gegen die K-Gruppen und die Partei der Avantgarde, die die proletarische Klasse angeblich vereint; die allermeisten von uns hatten mit marxistischer Klassenanalyse wenig am Hut. Wir waren gegen Staat, Kapital und Patriarchat – und zwar grundsätzlich und ohne Kompromisse. Viele von uns fühlten sich als Revolutionäre. Doch wie genau ein revolutionärer Prozess ablaufen sollte blieb diffus und mit vielen romantischen Vorstellungen und Verklärungen behaftet. Einige hingen dem alten leninistischen Revolutionsmodell mit einer Avantgarde an der Spitze an, viele begeisterten sich für die sandinistische Revolution in Nicaragua von 1979 oder für den kurzen ‚Sommer der Anarchie‘ in Spanien 1936.
Für die Reformpolitik von Grünen und SPD hatten wir alle wenig übrig. Obwohl wir manchmal in zugespitzten Situationen, wie in der Hamburger Hafenstraße, doch ganz gerne auf Vermittler aus den beiden Parteien zurückgriffen.
In unserem autonomen Alltag sah die Welt häufig deutlich anders aus. Die ‚Politik der ersten Person‘ und ‚das Private ist Politisch‘ waren hohe Ansprüche und Anforderungen. Längst nicht jede/r traute sich auf den Vollversammlungen was zu sagen, sich gegen die zumeist männlichen Meinungsführer zu behaupten. Das Private war gerade in Beziehungskonflikten dann eben doch nicht politisch. Da mussten sich erst autonome Frauenzusammenhänge bilden, bis das männliche Mackertum auf den Demos und zu Hause in der WG thematisiert wurde. Der Zwang zur Lohnarbeit war in dem Jahrzehnt vor dem Mauerfall auch längst nicht so stark wie er heute ist. Beim ‚Sozi‘ (Sozialamt) konnte mensch noch relativ leicht seine Kohle abziehen, Studis durften 20 Semester eingeschrieben sein ohne einen Schein machen zu müssen und etliche gingen einfach proletarisch einkaufen, sprich klauen. Mit der in Westberlin großen Szene von Alternativbetrieben und Kollektiven hatten viele Autonome Probleme, weil sie darin die Vorläufer der prekarisierten Arbeit sahen, womit sie ja nicht ganz Unrecht hatten. Andere wiederum fanden die selbstbestimmte Arbeit in kollektiven Zusammenhängen ohne Chefs und bei gleichem Lohn trotz zunehmender Marktkonkurrenz als einen wichtigen Schritt weg von der entfremdeten Fabrik- oder Büroarbeit.
Das widerständige Leben, subversiv und listig sein, war auf Dauer für viele zu anstrengend. Wenn dazu noch die nächtlichen Aktionen mit teils sehr gelungenem Sachschäden bei Banken und Baukonzernen mit ihren vielen rumstehenden Baggern und Lastwagen kamen – erwies sich der autonome Alltag doch ganz schön kräftezehrend. Kein Wunder, das nur ganz wenige über ein Jahrzehnt dabei blieben.

Autonome in den 90er Jahren

An den 9.11.89 kann ich mich noch gut erinnern. Wir saßen zu Hause in unserer Kreuzberger-WG vor der Glotze und verfolgten gerade die Öffnung des Grenzübergangs an der Bornholmer Straße, als kurz danach das Telefon klingelte und Hans-Jürgen, der ‚Koch‘ aus der Szenekneipe ‚Kuckucksei‘ in der Wrangelstraße anrief (heute betreibt er das Restaurant ‚Seeblick‘ in Prenzlauer Berg): „Hallo Hauke hier sitzt für dich Besuch aus Ostberlin“. Mit meinen MitbewohnerInnen sind wir sofort auf den Rädern dahin und fielen dem Ostberliner Pärchen um den Hals. Mein Mitbewohner und ich hatten die beiden seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen, weil ein Stasispitzel uns verpfiffen hatte und die regelmäßigen Besuche in Ostberlin bei den späteren MitgliederInnen des ‚Neuen Forums‘ mit einem Einreiseverbot gekappt wurden. Die zwei Ostberliner FreundInnen waren einfach ganz frech mit ihrem Trabi in die Wrangelstraße auf ein Bier zu ihrem alten Freund, dem ‚Koch‘ gefahren.
Worüber wir bis morgens gegen halb eins gequatscht haben, dann sind die beiden wieder ganz cool nach Prenzlauer Berg zurückgefahren, weiß ich nicht mehr genau. Ich kann mich aber noch gut an mein Gefühl erinnern. Ich konnte ihre Euphorie nur wenig nachempfinden, bei mir überwog ziemlich schnell die Skepsis. Ich teilte nicht ihre Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung des DDR-Systems in Richtung der Entwicklung eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Dafür war für mich der ökonomische und politische Druck des westdeutschen Kapitalismus einfach zu groß, als dass er so ein Experiment zulassen würde.
In den nächsten Wochen sind wir uns dann noch ein paar Mal begegnet. Aber es ließ sich nie mehr die alte Vertrautheit und Nähe aus der Zeit der Besuche im geteilten Berlin von 1982 bis ’87 herstellen. Mit dem ‚Neuen Forum‘ und den ‚Runden Tischen‘ konnten wir nicht viel anfangen. Das war und blieb uns fremd. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass wir doch in ziemlich getrennten Welten lebten, auch jetzt – oder vielleicht gerade jetzt. So verständlich die Auseinandersetzung mit der Stasi und den alten SED-Seilschaften für unsere Ostberliner FreundInnen war – wir hatten andere Gegner und blieben zunächst bei unseren alten Themen. In Westberlin machten wir erst mal unsere Kampagnenpolitik weiter, als wenn nichts Besonderes geschehen sei. Das beste Beispiel dafür war 1990 die Shell-Kampagne. Zum ersten Mal fand hier eine westeuropaweite militante Kampagne gegen einen Multi statt, der ganz wesentlich zur Unterstützung des südafrikanischen Apartheidregimes beitrug. In Berlin fand dann leider der schöne nächtliche Sport mit Schläuche-Durchschneiden und Zucker in die Benzintanks auf den Shell-Tankstellen werfen, ein abruptes Ende, als die Bullen begannen die Tankstellen mit Kameras und Bewegungsmeldern zu überwachen.
Doch die neue Zeitrechnung kündigte sich auch bei den Westberliner Autonomen an. Mit dem Zerfall alter Gewissheiten (wie dem Ende der bipolaren Weltordnung und der vorgeblich antiimperialistischen Politik der Sowjetunion) und neuen Themenfeldern wie Nationalismus und Rassismus.
Irgendwann im November ’89 ging es zum Schöneberger Rathaus, wo viele Linke aus Ost und West und Antinationalistinnen Kohl, Genscher, Brandt und Momper beim Absingen der Deutschlandhymne mit einem gellenden Pfeifkonzert deutlich übertönten. Deutschland befand sich im Wiedervereinigungstaumel und wir konnten uns nur mit Grausen abwenden. „Deutschland halt’s Maul“ war der spätere gemeinsame aber hilflose Ruf der paar Tausend Linken aus Ost und West auf den Demos gegen die neue Deutschtümelei von Schwarz-Rot-Gold mit einem fett grinsenden Kohl an der Spitze.
1993 zogen mehrere tausend Autonome zusammen mit 100.000 Bürgerinnen gegen die faktische Abschaffung des (Asylrecht-) Artikels 16 des Grundgesetzes durch Berlin und bewarfen Weizsäcker vor der Alten Nationalgalerie mit Eiern. Vorher wurde ihm noch das Stromkabel gekappt, so dass seine heuchlerische Ansprache nur seine Personenschützer mit ihren schnell aufgespannten Regenschirmen verstanden haben.
Das war schon absurd: Plötzlich sahen sich Autonome genötigt, die Grundrechte gegen Angriffe der Herrschenden zu verteidigen. Ein eindeutiges Zeichen, dass sich das Kräfteparallelogramm zugunsten der Deutschnationalen verschoben hatte und die Linke sich auf die Verteidigung des Status-quo beschränken musste. Auch in der Hauptstadtfrage waren die Linksradikalen ziemlich auf sich allein gestellt, zumal ja die PDS mit ihren Stimmen dafür sorgte, dass der Bonner Bundestag für den Umzug nach Berlin votierte.
In den ersten Monaten der Zusammenarbeit zwischen Ost- und Westlinken nach dem Mauerfall gab es viele Unterschiede, Missverständnisse, an manchen Stellen auch eine Bevormundung und Besserwisserei durch die Westlinken und Autonomen. Aber immer wieder in den konkreten Kämpfen um die besetzen Häuser und Freiräume gegen die Nazis in Ostberlin, Greifswald, Frankfurt/ O., Rostock, Potsdam wurden die Unterschiede schnell zweitrangig und mit der Zeit wuchs die gegenseitige Achtung. Das verlief aber nicht überall und in gleichem Tempo. 1990 bis 1994/95 war auch die Zeit von erkämpften Freiräumen und kleinen Inseln anarchistischer Experimente in einigen Städten der ehemaligen DDR. In Potsdam, Rostock, Halle, Leipzig oder Greifswald wurden Häuser besetzt, anarchistische, autonome Zentren mit Buchläden und Cafés eröffnet. Es kam zu ersten wechselseitigen Besuchen und Kooperationen (nicht nur bei Faschoalarm) von Westberliner oder Hamburger Autonomen und den linken Aktivistinnen aus der ehemaligen DDR. Jedoch: Obwohl wir dieselbe Sprache sprachen stellten wir verdutzt fest, dass wir häufig aneinander vorbeiredeten und wohl aus verschiedenen Welten kamen.
Ein anderes Beispiel dafür war die Besetzung der Mainzer Straße 1990 in Berlin-Friedrichshain. In großen Mehrzahl wurden die Häuser durch Leute aus dem Westen besetzt, aber es gab auch paar von DDR ‚lern besetzte Häuser. Im Nachhinein betrachtet haben dort die Wessis mit ihren aus Westberlin mitgebrachten Gepflogenheiten, Umgangsweisen und ihren Sprachcodes die Ostberliner Szene reichlich dominiert. Erst in den tagelangen Kämpfen gegen die drohenden Räumungen zunächst durch die Ostberliner Polizisten, dann aber schnell verstärkt durch ihre wesentlich besser ausgerüsteten Westberliner Kollegen, wurden diese Unterschiede zweitrangig. Im Frühsommer 1990 luden Linke aus Ost und West zu einem Seminar über Stalinismus und Alltag in der DDR in den Mehringhof in Westberlin ein. Wir wollten die Aufarbeitung, „Was war die DDR“ nicht allein der bürgerlichen Journaille oder den orthodoxen Kommunisten in der PDS überlassen. Und wir wollten über gemeinsame Perspektiven jenseits des bürgerlichen Parlamentarismus und Kapitalismus diskutieren. Die Treffen fanden über mehrere Wochen statt. Für viele Westberliner Linksradikale war bis dahin die DDR ein weißer Fleck, die Unkenntnis über den stalinistischen Alltag riesengroß. Umgekehrt hatten viele aus Ostberlin nur sehr vage Kenntnisse über die autonome Kritik am Patriarchat und dem bürgerlichen Rechtsstaat. Die Debatten verliefen zumeist hochtheoretisch und grundsätzlich wie z.B. bei der Kritik des Leninismus als Wegbereiter des späteren stalinistischen Herrschaftssystems. Manche aus Ostberlin staunten über den revolutionären Visionen bei etlichen Westberliner Linksradikalen. In den Gesprächen und mit zunehmender Vertrautheit vollzog sich eine langsame Annährung. Die unterschiedlichen Erfahrungen und politischen Praxen wurden miteinander verglichen und das Gemeinsame gesucht. Die kulturelle Mauer blieb jedoch höher als gedacht, viele politische Auseinandersetzungen und militante Demoerfahrungen auf autonomer Seite und der Alltag mit Überwachung und Austricksen der Stasi im politischen Alltag der Ostberliner ließen sich nicht so einfach gegenseitig vermitteln.
Von diesen Treffen blieb bei mir der Eindruck, dass es leichter ist durch konkrete Aktionen zusammen zu kommen als durch Theoriedebatten. Wir agierten weiterhin in getrennten Szenen, aber es kam auch zu punktueller Zusammenarbeit bei Demos (so z. B. nach der Ermordung von Silvio Meier, oder gegen die Faschos in der Lichtenberger Weitlingstraße oder später bei der Antiolympia-Kampagne).
Eine richtige Zäsur wurde für uns Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda. Diese Ohnmachtserfahrungen gegen den rassistischen Mob wirkten lange Zeit nach. Der Druck sich gegen Nazis zu organisieren ging bei den Autonomen vor allem von den Antifagruppen aus. Diese waren einerseits ganz erfolgreich, ziemlich große bundesweite Gruppenzusammenhänge wie die AA/BO entstanden daraus. Aber es gab auch die Kehrseite mit dem sattsam bekannten männlichen Mackertum und Vorwürfen des Sexismus in der Antifaszene. Überhaupt war vielen Autonomen die Orientierung besonders in der Göttinger Antifa (M) auf den alten Roten Frontkämpferbund der Weimarer KPD ziemlich fremd und rückwärtsgewandt, ja geradezu anti-emanzipatorisch im autonomen Sinne.
Ganz anders verlief eine der wenigen erfolgreich geführte Kampagnen, die gegen die Olympiabewerbung Berlins für das Jahr 2000. Der große Vorteil der NOlympia-Kampagne war, dass dies kein spezifisches Ost-West-Thema war, keine politischen Altlasten aus der BRD oder DDR mitgeschleppt wurden. Sondern gerade mit dem Instrumentarium ‚Volxsport statt Olympia‘ wurde eine fast spielerische Aktionsebene vom Flugblattverteilen über Parolen-Malen bis hin zu nächtlichen Brandanschlägen propagiert, in der ganze viele in der Stadt mitmachen konnten. Und die ‚Arbeitsteilung‘ zwischen dem autonomen ‚Anti Olympia Komitee‘ (AOK) und den wenigen aktiven Parlamentariern aus der PDS und den Grünen klappte ziemlich gut. Es gab keine nervenden Abgrenzereien, keine großen Distanzierungen. Gemessen an der geringen Zahl der gut zwei Dutzend Aktivistinnen über die zwei Jahre von 1991 bis 1993, haben wir zusammen einen ziemlich großen politischen Erfolg erzielen können.
An dieser Stelle endet die kleine Erzählung. Autonome waren dann ein politischer Faktor, wenn es ihnen gelang bei einer bestehenden Bewegung mit zu mischen, ohne sie mit ihren Aktionsformen und Inhalten zu majorisieren. Dies war über einige Jahre in der Anti-AKW-Bewegung der Fall, das war an der Startbahn-West so und das war sicherlich auch in der Westberliner und zehn Jahre später zeitweise in der Ostberliner Hausbesetzerzeit der Fall.
Um die Jahrtausendwende, zur Hochzeit der Antiglobalisierungsbewegung in Prag und Genua traf dies auch wieder zu. Aber das ist leider nicht der Normalfall. Wir Linksradikale sind einfach wie in vielen anderen Ländern Europas eine (hoffnungslose) Minderheit. Wir sollten immer dabei Acht geben, dass unsere Radikalität uns nicht allzu sehr politisch isoliert.
Wir brauchen mehr Phantasie und Kreativität in unseren Aktionen und wir sollten nicht dort gegen unseren Gegner anrennen, wo er gerade am stärksten ist. Wir sollten nicht vergessen, nur mit einer Mischung aus Wut, Witz und Widerstand können wir die Herrschenden in die Defensive treiben. Einige Anarchos haben schon Recht mit ihrer Kritik an dem häufig bierernsten und arroganten Auftreten der Autonomen. Der alte Spruch „ein Lachen wird es sein, dass euch besiegt“ hat immer noch Gültigkeit.

Hauke Benner lebt bei Berlin, in den 80er/ 90er Jahren in der autonomen Bewegung aktiv, Aktivist in der NOlympia-Bewegung und Anti-AKW-Bewegung.