Kultur

Büchnerpreis 2015

Von Jürgen Schneider

Rainald Goetz, »schon immer ein Wanderer zwischen Suhrkamp-Kultur, Techno-Sause und Mode-Quark«  (Gerrit Bartels), der »sich vergeblich bemühte,  matinal unter Bayernbier-Einfluß Immanuel Kants Philosophie zu begreifen und immer nur  ›cunt‹   verstand«,  »Bier, Bier, Bier, Bier, Wodka, Bier, Bier. Puhchen. Daheim um kurz nach drei«, den Carl Hegemann zum Brinkmann-Nachfahren erklärte und fragte: »Fällt Popliteratur hinter Brinkmann zurück?«, der »im Parlament saß, in der Bundespressekonferenz, der bei einem Merkel-Auftritt im Deutschen Historischen Museum, bei Contemporary Fine Arts war, in der U-Bahn, bei Dussmann, im Justizgebäude am Lenbachplatz in München, der rückblickend irgendwie überall war, ein irrwitziges Pensum absolvierte, den ›politisch-journalistischen Komplex‹ an den unterschiedlichsten Orten aufsuchte und das dazugehörige Personal rezensierte, unerbittlich, oft böse« (Julia Encke), der schrieb:  »Jedes neue Neo Rauch Bild schreit ja richtig: hör halt auf zu malen! Es tut so weh, die hohlen Gestalten, der blöde phantastische Traumbildquatsch, die handwerklich so primitive Malerei, die Dumpfheit des Willens zur Nichtreflexion. Nieder mit all dem narrativen Gefasel«, der »einen ›richtigen Roman‹ geschrieben hat, mit einem richtigen Protagonisten und weiteren Figuren, der ist wahrscheinlich sogar sehr gut, man wird sehen, aber musste das sein?« (Jochen Schimmang), der »seinen  seinen energetischen Überdruck in ebenso hilflosen wie überflüssigen Kommentaren entlädt« (Martin Halter), der »dann die Bühne betritt und abwechselnd Passagen liest  aus dem ziemlich guten, filmreifen ersten Teil des Romans und erklärt, wie er auf den Namen seiner Titelfigur kam, dass ihm der Bürgermeister der ostfriesischen Ortschaft Holtrop geschrieben hätte; das Personal interpretiert (›die Figuren erleiden ein Schicksal, das sie nicht verstehen können‹), der sich generell gegen ›den Stumpfsinn einer Weltanalogiebildung‹ im Roman ausspricht, erklärt, dass er sich einen europäischen Leser vorgestellt habe, dem die Realnamen, wie bei Houellebecq, erst mal nichts bedeuteten, der den ursprünglich gedachten Titel nennt: ›Polizist  erschossen – Roman‹ «(Detlef Kuhlbrodt), der konstatiert: »Das war die Arbeit an diesem Buch. Situationen, die ganz einfach sind – also das Geschehnis, das der Roman schildert, ist simpel, das ist einerseits die Geschichte von diesem Typen, Absturz eines Wirtschaftsführers, und dann sind es diese Bürovorgänge, dann sind es die Reisevorgänge, dann sind es öffentliche Situationen auf Festen usw – und die Interaktionen in diesen Situationen dann genau zu fokussieren in der Vorstellung. Jetzt fahre ich morgen nach Wien, da lese ich Sachen vor, die diese Wiener Sozialhysterie, Wien-Figuren und Wiener Sozialhysterie zeigen, dieses: ah, der meint doch eigentlich dies!, und wenn der so zuckt, dann heißt das doch genau das usw, all das. Und mit dieser Nervosität dann die Spekulation aufzuladen, wie solche Situationen ablaufen, das war die Idee«, und dessen Buch dann fehlte auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis, Rainald Goetz’ Roman über die schöne neue Eiskalt-Glitzer-Wirtschaftswelt, ›Johann Holtrop‹; endlich hat einmal jemand den Mut, einen wirklich bedrängenden Stoff der Gegenwart Gier und Wahn im Turbokapitalismus – zu einer packenden Niedergangssaga zu erarbeiten, wobei die soziale Genauigkeit eines Zola sich mit der psychologischen perspicacité eines La Bruyère paart; und eben dieses Buch bleibt unberücksichtigt. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Das ist der Skandal dieser Shortlist« (Tilman Krause), der aber nun vergessen ist, weil Rainald Goetz zum Büchnerpreisträger 2015 geadelt wurde. Congrats und weiterhin: Krieg den Palästen.