Kultur

Die Akte IM Dödel kann geschlossen werden

– Zum Tod von Harry Rowohlt

Von Jürgen Schneider

HarryRowohlt

Er war bereits »als Kleinkind eine männliche Doppelnamen-Tusse« und hieß Harry Pierenkämper-Rupp. Und weil der »soviel erlebt hat und zahlreiche wichtige Menschen kennt«, bat der Verleger Klaus Bittermann um die Jahrtausendwende den Irlandkorrespondenten der taz, Ralf Sotscheck, Harry über sein Leben zu befragen. Harry Pierenkämper-Rupp kennt keine Sau. Unter dem Namen Harry Rowohlt kennen ihn allerdings viele, besonders als Übersetzer, vom »Schausaufen mit Betonung« und als Penner aus der ›Lindenstraße‹. Korrekt muss es heißen »kannten«, denn Harry Rowohlt ist am 15. Juni 2015 in Hamburg gestorben.

Weil er beim Schausaufen immer Paddy-Whiskey hinunterstürzte, »an der Leber vorbei direkt ins Nervensystem«, wurde er 1996 zum ›Ambassador of Irish Whiskey‹ ernannt. Die gängigen Lebenswasser aus den Regalen deutscher Supermärkte, wie eben Paddy, Jameson oder Tullamore Dew, kannte er, aber bei Green Spot oder Old Comber musste unser Whiskeybotschafter passen. Hauptsache irischer Whiskey. Auch seinen Namen konnte er ins Irische übersetzen.

Einmal hatte ich bei viel Whiskey die Ehre, in der Buchhändlerschule zu Frankfurt am Main nach Hearaidh Fitzrowohlt lesen zu dürfen. Da war es bereits zwei Uhr in der Früh, weil Harrys Schausaufen mit Betonung sich wie üblich in die Länge gezogen hatte. Und während ich las, spazierte Harry vor mir auf und ab, weil er befürchtete, ich würde die ein oder andere Story über ihn auspacken, die nicht ausgepackt werden sollte. Weil ich nichts über ihn auspackte, lobte er meine Lesung: »Gut gemacht, doch, doch.«
Als wahrer Meister zeigte sich Harry beim Namedropping, wie wir in dem Buch nachlesen können, das einst unter dem Titel In Schlucken-zwei-Spechte – Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege erschien. Bill Ramsey (sein Freund), Fidel Castro (dem er die Hand drückte), Dr. Siegfried Unseld (bei dem er Lehrbub war), Fritz Raddatz (dem er eine Kopfnuß verpasste), Inge Feltrinelli (neben der er mal im Auto saß), Alfred Polgar (von dem er einen Brief besitzt), Gerhard Polt (der mal irgendwas zu ihm gesagt hat) – die Promi-Namen poltern nur so aus ihm heraus.

Weniger prominent ist Timmi Belwe, mit dem Rowohlt in Wiesbaden eingeschult wurde. Belwe heißt eigentlich Belbe und war, wie Rowohlt erwähnt, lange nach der Volksschulzeit »Frontmann der Gruppe Soul Caravan«. Die Bezeichnung Tenorsaxophonist wäre richtiger gewesen. Unerwähnt bleibt zudem, dass diese Combo ihren Namen später auf Xhol verkürzte, und Xhols Version von ›Rock me baby, rock me all night long‹ (zu finden auf der LP hau-RUK von 1970) bis heute unübertroffen ist. Außerdem verstanden es die Jungs von Xhol, die im übrigen eine der ersten Kommunen in Westdeutschland gründeten, jeden Saal in eine Haschischhöhle zu verwandeln. Aber da war Rowohlt schon nicht mehr in Wiesbaden. Der hessischen Landeshauptstadt ist es piepe, dass Rowohlt »im Alter von zwei bis sechs bewußt dort aufgewachsen« ist. Es interessiert an den Taunushängen auch niemanden, dass James Joyce 1930 eine Woche im Hotel Rose weilte, mit dessen einstigem Eigentümer, dem Spekulanten Dr. Jürgen Schneider, mich Harry Rowohlt immer bewusst verwechselte und dabei in hessischen Slang verfiel. Er zog allerdings Flann O’Brien, das Chamäleon der irischen Literatur, James Joyce vor und behauptete, man könne entweder Flann-O’Brien-Fan oder Joyce-Fan sein, beides zugleich sei unmöglich. Japers! Den Übersetzer des Joyceschen Ulysses, Hans Wollschläger, verehrte Harry nur deshalb, weil der es geschafft hatte, »sich fast zehn Jahre lang von dem als knickrig bekannten Suhrkamp-Verlag alimentieren zu lassen«.
Schluß des Vorhergehenden. Beginn des Nachfolgenden.

In Schlucken-zwei-Spechte ist allen Sprachstudentinnen und -studenten, die sich mit der Absicht tragen, einmal Übersetzer(in) werden zu wollen, aufs Schärfste zur Lektüre zu empfehlen. Erstens macht ihnen Rowohlt klar, dass Übersetzer für Drei-Fuffzich arbeiten müssen, und zweitens, dass wenig Freude aufkommt, wenn ein Text zunächst aus der Originalsprache ins Deutsche übertragen und dann das Ganze noch aufwendig aus dem Lektorierten in eine sprachlich korrekte Form gebracht werden muss.

Rowohlt hätte es allerdings besser haben können, wollten ihn einst doch ein Horst und ein Manfred als Stasi-IM anheuern: »Wir machten einen Waldspaziergang, weil Wälder abhörsicher sind, wie mir inzwischen klar ist. Damals kapierte ich überhaupt nicht, was die von mir wollten. Und als ich es endlich geschnallt hatte, war ich Feuer und Flamme. Ich sagte: ›Ja, sehr gern sogar, wann soll ich anfangen und was soll ich ausspionieren?‹ Da haben sie gemerkt, dass ich zu dämlich für einen IM war. Jetzt würde ich gerne meine Stasi-Akte einsehen, um herauszufinden, ob ich als IM Dödel geführt bin.«
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Opa Pierenkämper war übrigens 1917 einer der führenden Köpfe im Arbeiter- und Soldatenrat von Wilna und Mitbegründer des Spartakus, worauf der »linke Spinner« Harry zu Recht stolz war. Ebenso stolz war er auf die Flip-Flops, in denen er seine stets frisch geschnittenen Fußnägel vorzeigte. Original Vietcong-Badelatschen wären ihm allerdings lieber gewesen: »Das letzte Mal, dass jemand die Knochen hingehalten hat für etwas, was ich gut fand, war das der Vietcong. Und seitdem schicke ich nicht mal mehr Menschen zum Brötchenholen vor die Tür, wenn ich das auch selbst machen kann.«
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Harry Rowohlt behauptete gerne, er könne im Gegensatz zu Ralf Sotscheck und mir anhand des Matsches an den Flip-Flop-Vorläufern, seinen New Yorker Maßsandalen, sowie mit einem Stein, den er dort aufgehoben haben will, beweisen, dass er auf der Insel gewesen sei, die wir aus Flann O’Briens Opus In Schwimmen-Zwei-Vögel bzw. Auf Schwimmen-Zwei-Vögel kennen. Der Originaltitel dieses Vorläufers postmoderner Literatur lautet At Swim-Two-Birds. Darin heißt es: »After another time he set forth in the air again till he reached the church of Snámh dá Én (or Swim-two-Birds) by the side of the Shannon.« Demnach wäre Snámh dá Én ein Ort am Ufer des Shannon. Wie Harry Rowohlt gingen Ralf Sotscheck und ich davon aus, dass Snámh dá Én eine Insel bezeichnet, als wir einst eine brandneue Luxusjacht derart heftig gegen die völlig vermoderte Holzanlegestelle des kleinen Eilandes krachen ließen, dass dort sicher heute noch weiße Lackspuren zu sehen sind. Außerdem wurden wir minutenlang von einem Helikopter der britischen Armee verfolgt. Der Observierungsbericht der Luftaufklärer Ihrer Majestät wird ebenso belegen, dass wir auf der Insel waren. Harry Rowohlt sagte nicht, wann genau sein Snámh dá Én-Besuch stattgefunden haben soll. Ich erinnere mich jedenfalls, dass er einmal in Dublin weilte, also weit weg vom Shannon, und in der International Bar eine grottenschlechte Singegruppe erfolgreich nötigte, Coverversionen von Stones-Songs zum Vortrag zu bringen.

Seit er an Polyneuropathie erkrankt war, mied Harry Rowohlt Wirtshäuser: »Ich habe einfach keine Lust mehr, der Welt zu beweisen, wie viel Apfelsaftschorle ein Mann verträgt. Um einen herum werden sie immer munterer und immer lauter und immer dümmer, und man selbst …«

Slan agat, Harry.

Foto: Wikipedia (CC BY-SA 4.0)