Politik

Fürs Vaterland

Martin Niemöller überraschte nach seiner Befreiung aus dem KZ Dachau alliierte Reporter mit seiner freiwilligen Kriegsmeldung  

Von Karsten Krampitz

Neben Dietrich Bonhoeffer gilt heute Martin Niemöller als Symbolfigur der Bekennenden Kirche. Der einstige Pfarrer aus Berlin-Dahlem, der in der zweiten Jahreshälfte 1933 gemeinsam mit anderen den Pfarrernotbund ins kirchliche Leben gerufen hatte, kämpfte für die Kanzelrechte von kaum mehr als hundert Pfarrern, denen man eine jüdische Abstammung nachgewiesen hatte. Nicht aber für Hunderttausende Christen an der Basis, die durch die Rassegesetze der Nazis zu „Nichtariern“ erklärt worden waren, und schon gar nicht für die Jüdischen Gemeinden. Und dennoch brachte ihn sein Verständnis vom Auftrag der Kirche für die Jahre von 1937 bis 1945 ins Konzentrationslager.

Martin Niemöller, Wikimedia, Foto Denis Apel, Creative Commons 3.0

Weniger bekannt ist dagegen Niemöllers militaristische Vergangenheit als U-Boot-Kommandant der kaiserlichen Marine. Ausgerechnet an diesem Punkt, seiner deutsch-nationalen Überzeugung, repräsentiert der spätere Pazifist und Adenauer-Kritiker weite Teile seiner Kirche, auch und erst recht der Bekennenden.

Foto. Martin Niemöller Marineoffizier, Wikimedia, Scan aus Martin Niemöller: Vom U-Boot zur Kanzel. Berlin 1938, Frontispiz Urheber Petit8, Creative Commons 4.0

Unmittelbar nach seiner Befreiung aus dem KZ Dachau verblüffte „Hitlers persönlicher Gefangener“, der noch 1933 NSDAP gewählt hatte, die Weltöffentlichkeit mit der Nachricht, er habe sich im September 1939 erfolglos aus dem Konzentrationslager zum Kriegseinsatz gemeldet. Gegenüber alliierten Reportern erklärte Niemöller in fließendem Englisch, er habe sich dem Nationalsozialismus aus rein religiösen Gründen widersetzt. Als guter Lutheraner habe er sich verpflichtet gefühlt, für sein Vaterland zu kämpfen. („My soul belonged to God. But I must render into Ceasar things, that are Caesar’s, which is my whole physical life.“)

Nach dem 1. September 1939 hatte Martin Niemöller eine Woche vergebens auf seine Einberufung gehofft. Am 7. September schrieb er dann – direkt aus dem KZ! – dem Chef des Oberkommandos der Marine, Großadmiral Raeder: „Da ich bislang vergeblich auf meine Einberufung zum Dienst gewartet habe, obgleich ich alle erforderlichen Meldungen und Angaben als ehemaliger aktiver Seeoffizier seit den Zeiten der Schwarzen Reichswehr pünktlich abgegeben habe, melde ich mich nunmehr ausdrücklich als Freiwilliger. Ich habe den ganzen Krieg 1914/18 an der Front miterlebt (…) und bin dann nochmals 1920 für die Zeit der Spartakuskämpfe im Ruhrgebiet unter Generalleutnant Freiherr von Watter aktiv gewesen. Ich bin 47 Jahre alt, körperlich und geistig unvermindert leistungsfähig und bitte um irgendeine Verwendung im Kriegsdienst, für die man mich geeignet hält (…).“

Noch im Prozess gegen ihn 1938 hatte sich Niemöller mit dem Verweis auf seine Teilnahme an den Ruhrkämpfen verteidigt. Bemerkenswert auch seine Aussage vor Gericht, dass die Juden ihm „unsympathisch und fremd“ seien.

Am 5. Mai 1945 Nach der Befreiung vor der Weltpresse auf der Terrasse des Hotel „Pragser Wildsee“: Niemöller mit Pfeife im Mund. Wikimedia, CC BY-SA 4.0

So wundert es nicht, dass er 1947 von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zur Persona non grata erklärt wurde. Niemöller, damals stellvertretender EKD-Ratsvorsitzender, war in der VVN-Betreuungsstelle im hessischen Büdingen aufgeschlagen mit dem Vorwurf: „Sie unterstützen wohl nur Judenfreunde?“. Als daraufhin das Nachrichtenmagazin Der Spiegel bei ihm nachfragte, sagte Martin Niemöller: „Ja, ich stehe dazu. Ich werde die Richtigkeit dieser Behauptung, beweisen.“. Das musste er nicht.

Martin Niemöller (1952), Wikimedia, Creative Commons 1.0

Eine Kirche, in der es ganze 500 Jahre gedauert hat, bis der Judenhass des Kirchenstifters bei einem Reformationstag mal kritisch diskutiert wird, diese Kirche wird noch einige Zeit brauchen, um sich Niemöllers Antisemitismus bewusst zu werden. Für seine Vorträge reiste der Kirchenpräsident von Hessen-Nassau um die ganze Welt. In Moskau nahm er 1967 den Lenin-Preis entgegen. In Israel aber war er nie, gleichwohl er dazu von Heinrich Grüber mehrmals ermutigt wurde.

Dabei soll nicht vergessen werden: Im deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts war Martin Niemöller noch einer von den ‚Guten‘! Im nationalprotestantischen Milieu empfand man den 8. Mai 1945 nicht als Befreiung, sondern als Niederlage und Zusammenbruch. Der Theologe Johannes Hamel sagte 1999 über die Schuld der Kirchen in der NS-Zeit: „Stellen Sie sich mal vor, Niemöller ist doch ’45 fast der Einzige gewesen, der gefragt hat: Wie können wir es nach der Beteiligung am Nationalsozialismus eigentlich noch wagen, das Evangelium in den Mund zu nehmen? Im Stuttgarter Schuldbekenntnis hat Niemöller den Satz durchgesetzt: ‘Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.’ Aber Dibelius hat dann hinzugefügt: ‘…wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.’ Das kann man natürlich allezeit sagen. Die Masse, auch der christlichen Wortführer, hat doch gar nicht kapiert, dass es ein Wunder Gottes ist, dass sie überhaupt noch gewürdigt sind zu predigen.“