„Ich verhungere nicht, aber das kann doch nicht alles sein!“

Zur Situation von alleinstehenden Flüchtlingsfrauen in Sammelunterkünften in Ostdeutschland.
von Anja/FFM
(Aus telegraph #100)

Diese Aussage stammt von der Afghanin S., die allein mit ihrer Tochter Mitte der 90-er Jahre vor den Mujahedin nach Deutschland floh. Sie steht exemplarisch für die Lebenssituation, mit der sich Flüchtlinge, insbesondere jedoch alleinstehende Flüchtlingsfrauen hier konfrontiert sehen. Frauenspezifische Fluchtursachen sind zu einem Dauerbrenner in den Diskussionen um Flucht und Migration geworden. Anhand des Schicksals von S. soll im folgenden auf frauenspezifische Fluchtsituationen näher eingegangen werden.

Aushöhlung des Asylrechts
Flüchtlinge verlassen ihre Heimat nicht freiwillig. Es sind existenzielle Gründe, die sie zu diesem Schritt veranlassen. Migration, Flucht und Exil können nicht losgelöst von weltwirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen betrachtet werden und stellen zugleich eine Reaktion auf diese globalen Prozesse dar. Menschen sind auf der Flucht, um einen Ort der Sicherheit und Stabilität zu finden, der ihnen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Doch in der BRD ist dies seit der Aushöhlung des Asylrechts im Jahre 1993, wo mit Zustimmung der SPD den Flüchtlingen ein legaler Zugang zu diesem Grundrecht verwehrt wurde, kaum noch möglich. „Anreizmindernde Maßnahmen“ bilden neben der Drittstaatenregelung und den Rücküber­nahmeabkommen somit die Grundpfeiler einer globalen Abschottungs- und Abschreck­ungspolitik.

In der BRD besteht nach der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes das Existenzminimum eines Flüchtlings aus einem Bett, Essenspaketen und Hygieneartikeln sowie 80 DM Taschengeld. Sie erhalten eine Grundversorgung im Wert von ca. 360 DM, d.h. 30% weniger als es der Regelsatz des Bundessozialhilfegesetzes vorsieht. Doch damit nicht genug. Auf Initiative des Landes Berlin wurde ein folgenreicher Passus hinzu gefügt. Nach diesem können Minimalleistungen den Flüchtlingen ganz und gar entzogen werden, wenn sie nach Ansicht der Behörden nur in die BRD eingereist sind, um Sozialleistungen „zu erschleichen“. Die ohnehin weit verbreitete Meinung, daß Flüchtlinge den Direktflug zum Sozialamt buchen würden, ist nun auch gesetzlich verankert und wird unter Federführung des DRK, als einem der Hauptbetreiber von Sammelunterkünften in Berlin, auch mit aller Rigidität umgesetzt, um vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslavien sowie Kosovo-Albaner zur Rückkehr zu nötigen. Doch für die meisten stellt sich nicht einmal mehr die Wahl zwischen Ausreise und Obdachlosigkeit, da ihr „Zuhause“ im ehemaligen Jugoslavien oder Albanien oft gar nicht mehr existiert.

Ohne Unterkunft und Anspruch auf Sozialleistungen ist das die Endstation einer langen Odyssee von Flucht und Vertreibung.

Szenenwechsel Leipzig:
S. ist seit zwei Jahren in Leipzig. Mehr als drei Jahre sind vergangen, seit sie ihre Flucht zusammen mit ihrer Tochter und in Begleitung eines Fluchthelfers über die Berge nach Pakistan angetreten hat, um von dort aus mit dem Flugzeug nach Deutschland zu gelangen. S. setzte dabei alles auf eine Karte. Alles Barvermögen gab sie einem Freund, der ihre Flucht organisierte. „Eigentlich hätte ich schon viel früher weg sein müssen, aber ich hatte keine Möglichkeit gehabt. Die Leute, die das machen, die Pässe verkaufen usw. sind sehr schwer zu finden.“ S. hatte in zweierlei Hinsicht Glück gehabt. Zum einen gelang ihr die Flucht noch vor der Machtergreifung der Taliban- Milizen, denn als Künstlerin mit einer unehelichen Tochter von einem russischen Mann wäre sie dem Tode geweiht gewesen. Zum anderen brachte sie der Fluchthelfer wirklich ans Ziel. Daß es Deutschland sein sollte, wußte sie vorher nicht: „Damals war das für mich keine Frage. Ich wollte nur raus. Ich wollte nur irgendwo hin.“
In Deutschland angekommen, ist sie gemeinsam mit ihrer damals achtjährigen Tochter zunächst bei Verwandten in H. untergekommen. Dort stellte S. bei einer Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge (BAFL) auch ihren Asylantrag. In H. konnte sie jedoch nicht bleiben, da das deutsche Asylrecht keine Rücksicht auf den Grundsatz der Familieneinheit nimmt und dementsprechend familiäre bzw. verwandtschaftliche Beziehungen ignoriert, obwohl gerade auch in ökonomischer Hinsicht dies eine Entlastung der kommunalen Haushaltskassen bedeuten würde. Vor allem aber wäre es für das seelische Gleichgewicht der Flüchtlinge wichtig.
Mit Hilfe des computergesteuerten Erstaufnahmesystems (EASY) werden Asylsuchende nach dem Prinzip der freien Kapazitäten und Aufnahmequoten der jeweiligen Bundesländer verteilt. So wurde S. mit ihrer Tochter durch die ZAST (Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber) in Chemnitz in die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) nach Leipzig geschickt. Anschließend kam sie in das Containerlager Raschwitzer Straße, was im offiziellen Sprachgebrauch beschönigend als „Gemeinschaftsunterkunft“ bezeichnet wird.
Nach ungefähr 11 Monaten erhält sie einen positiven Bescheid nach §51 AuslG vom Bundesamt. Zumeist erhalten jene Flüchtlinge dieses sogenannte kleine Asyl, die zwar als politisch verfolgt anerkannt sind, aber bei denen Unklarheiten in der Reiseroute vorliegen. Sozialleistungen werden ihnen demzufolge nicht in vollem Umfang gewährt. Der Bescheid von S. wurde jedoch einige Wochen später vom Bundesbeauftragten1 mit der Begründung angefochten, daß es in Afghanistan keine Zentralregierung gäbe und somit innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung gestanden hätten.

S. wartet seitdem auf ihr Gerichtsverfahren in dem Containerlager Raschwitzer Straße.

Alltag in den Sammelunterkünften

Leipzig besitzt neben der EAE noch zwei weitere Sammelunterkünfte, die sich ebenfalls an der Stadtgrenze befinden. Die dortigen Lebensumstände sind formal betrachtet für Männer wie für Frauen mit denselben Konsequenzen verbunden. So schränkt die Stadtrandlage den Bewegungsradius der Flüchtlinge weiter ein, die aufgrund des minimalen Taschengeldes kaum Fahrten in das Stadtzentrum unternehmen können. Ämter und Beratungsstellen können nur bedingt aufgesucht werden. Aufgrund des fehlenden Zugangs zu wichtigen Bereichen des sozialgesellschaftlichen Umfeldes infolge des Arbeits-, Studiums- und Ausbildungsverbots haben sie kaum die Möglichkeit, soziale Kontakte herzustellen. Die mangelnde Unterstützung außerhalb der Sammelunterkünfte begünstigt einmal mehr die Marginalisierung der Flüchtlinge.

Alle Sammelunterkünfte, in denen sich mehr als 2oo Menschen aufhalten, sind durch Zäune sichtbar begrenzt, die jedoch eher der Visualisierung einer ausgegrenzten Personengruppe dienen, als dem tatsächlichen Schutz der Flüchtlinge vor rechtsextremistischen und rassistischen Angriffen. Die Sammel­un­terkünfte, die als Provisorien konzipiert sind (gemäß eben jener verbreiteten Auffassung, die Majorität der Asylanträge von Flüchtlingen sei „offensichtlich unbegründet“ und ist demzufolge nur vorübergehend in der BRD), erweisen sich oft als Langzeitunterkünfte für die Bewohner. Obwohl die Flüchtlinge selbst keine affektive Bindung zu der von ihnen bewohnten Sammelunterkunft herstellen können, werden sie doch von den Außenstehenden und teilweise vom Personal mit diesem Wohnumfeld identifiziert, was zu einer zunehmenden Stigmatisierung der Flüchtlinge führt. Aufgrund der permanenten Fremdkontrolle und Institutionalisierung der Sammelunterkünfte können sich Vertrautheit und Verläßlichkeit als stabile Elemente im Lebenskontext der Flüchtlinge nicht entwickeln, denn tägliche Ausweiskontrollen, sporadische Zimmerkontrollen und festgelegte Besucherzeiten (Übernachtungen sind nicht gestattet) lassen ein Gefühl von Geborgenheit erst gar nicht entstehen. Die Reglementierung der Individualität erfolgt jedoch nicht nur über Heimleitung, Wachpersonal und Behörden, sondern auch durch die Flurgemeinschaft und die Mitbewohner in den Räumen.
Der Wachschutz, der ausschließlich von privaten Wachgesellschaften gestellt wird, ist einerseits für die externe Absicherung und Abgrenzung und andererseits für die interne Disziplinierung der Flüchtlinge zuständig.

Nachteilig wirkt sich ebenfalls der Umstand aus, dass das gesamte Personal kaum auf die Vielfalt der Kulturen mit den unterschiedlichsten Sitten, Gebräuchen und Umgangsformen vorbereitet und demzufolge schlichtweg überfordert ist. Zudem gibt es für die Sozialbetreuer keine einheitlichen Richtlinien hinsichtlich Ausbildung und Qualifikation. Oft ist ein Betreuer für mehr als 100 Flüchtlinge zuständig, so dass deren Arbeit vorwiegend aus Reparaturtätigkeiten und Kontroll­vorgängen (z.B. während der Essensausgabe) besteht. Dass dieses Verhalten nicht die Selbständigkeit sondern im Gegenteil die Abhängigkeit der Flüchtlinge fördert, ist offensichtlich.

Das Personal verlangt die Anpassung an geltende Bestimmungen (z.B. Hausordnung) unter Androhung von Sanktionen bei Zuwiderhandeln. Zudem ist die sprachliche Verständigung kaum möglich, da Dolmetscher, sofern diese Rolle nicht durch die Flüchtlinge selbst praktiziert wird, nicht zur Verfügung stehen. Infolge gegenseitigen Unverständnisses kam es bereits mehrmals zu Konflikten zwischen dem Personal und den Bewohnern, in denen sich angestaute Aggressionen und Frustrationen entluden. Zum einen stellt das Personal die einzige, permanent anwesende Zielscheibe und damit das primäre Angriffsobjekt der Flüchtlinge dar. Zum anderen werden Konflikte auch durch die Voreingenommenheit und Nichtbereitschaft des Personals, sich in die psychische Situation der Flüchtlinge hineinzuversetzen, geschürt. Angesichts des trostlosen Alltags sind bei den Flüchtlingen zu beobachtende Phänomene wie Lethargie, Apathie oder Aggression symptomatisch. Die Ursachen für diesen kranken Lebensrhythmus werden jedoch kaum vom Personal bzw. von der deutschen Öffentlichkeit hinterfragt. Stattdessen werden die Flüchtlinge mit dieser Lebensform identifiziert, als ob es sich beim „Rumhängen“ um eine selbstbestimmte Tätigkeit handelt, die das Ziel für eine Flucht in der BRD darstellt. Für das Personal gehören diese Probleme zum Arbeitsalltag. Konfliktlösungsstrategien werden nur selten in Betracht gezogen, geht es doch primär darum, die eigene Autorität zu wahren. Für die Flüchtlinge gehören diese Probleme jedoch zum Lebensalltag.

Für Frauen ergeben sich dennoch eine Vielzahl von zusätzlichen Problemen. Aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihrer kulturellen Tradition sind diese um so gravierender, je traditioneller die Lebensweise der Frauen ist und je strikter die Trennung zwischen den Geschlechtern in der Herkunftsgesellschaft erfahren wurde. Bereits die Tatsache, dass alleinlebende Flüchtlingsfrauen in den Sammelunterkünften absolut unterrepräsentiert sind, spricht für sich.

Die Erstaufnahmeeinrichtung Torgauer Straße
Um die Lebensumgebung der Flüchtlinge, insbesondere von alleinstehenden Flüchtlingsfrauen wiederzuspiegeln, sollen hier insbesondere zwei Unterkünfte näher betrachtet werden, in denen S. mit ihrer Tochter leben mußte bzw. immer noch muss.

Zum einen ist da die EAE, die sich in der Torgauer Straße im Nordosten Leipzigs befindet. Die ehemalige Kaserne wurde 1994 umgebaut und als EAE für Asylsuchende im Februar 1995 in Betrieb genommen. Diese Sammelunterkunft liegt an einer stark befahrenen Hauptstraße mit zwei Anschlußverbindungen an den öffentlichen Nahverkehr. Das Gelände ist durch hohe Mauern mit Stacheldraht sichtbar abgegrenzt. Das Passieren des Pförtnereingangs erfolgt für Flüchtlinge wie für Besucher durch die Abgabe der Papiere, wobei sich etwaige Besucher vorher anzumelden haben. Die EAE besteht aus zwei Häuserkomplexen und einem dazwischen liegenden Verwaltungstrakt, in denen die Büros des Heimleiters sowie der 5 Sozialbetreuer untergebracht sind. Ebenfalls in diesem Trakt befindet sich ein Kinderzimmer. Außerdem gibt es eine Teestube, die jedoch nur begrenzte Kochmöglichkeiten bietet und nur für Alte, Kranke und Frauen mit Kleinkindern bestimmt ist.

„Dann kam ich in das Heim, sah die Wachmänner…für mich war es wie Polizei… ich konnte das gar nicht begreifen.“ Das war der erste Eindruck, den die Afghanin S. von der EAE hatte und den sie mit vielen Flüchtlingen teilt.

Aktuell leben 475 Flüchtlinge in der EAE, davon 30 alleinstehende Frauen im Alter zwischen 19 und 63 Jahren , die vorwiegend aus dem Iran, der Türkei und dem Irak stammen. „In die Torgauer Straße kamen jeden Tag neue Leute.“

Obwohl die zwei Häuserblöcke über eine offizielle Platzkapazität für 920 Menschen verfügen, wird es nicht als Notwendigkeit erachtet, räumlich getrennte Wohneinheiten2 zum Schutz der Frauen zu schaffen. Alleinstehende Frauen werden größtenteils mit Männern in eine solche Wohneinheit eingewiesen, was zur Folge hat, dass sie sich mit diesen zwar nicht das Zimmer teilen, jedoch die sanitären Anlagen. Damit sind sie massiv in ihrer Privat- und Intimsphäre eingeschränkt.

Das Fehlen von Duschvorhängen und verschließbaren WC´s und Naßzellen potenziert die Schutzlosigkeit der betroffenen Frauen.
Auch S. wohnte in einer Wohneinheit mit 4 Zimmern. „Dort waren auch Männer untergebracht. Da kannst du nicht richtig duschen. Es gab keinen Schlüssel zum abschließen.“

Entgegen den Aussagen der Flüchtlingsfrauen, behauptet jedoch der Heimleiter Künert, alleinstehenden Frauen nach Möglichkeit ein Einzelzimmer zu geben. Er begründet dies jedoch damit, dass „Frauen etwas eigenartig sind“, da viele Frauen nicht zusammenwohnen könnten, da es nur Zank und Streit gäbe. Bei Männern käme das zwar auch vor, aber „da kann ich schon mal ein hartes Wort sagen, aber mit den Frauen kann ich doch nicht schimpfen.“ Auch könne er beobachten, dass in der Regel Männer, die derselben Flücht­lingscommunity angehören, „…sich um die Frauen kümmern. Die sind also gar nicht so schutzlos.“ 3

Von der Kaserne in das Containerlager Raschwitzer Straße
Diese Sammelunterkunft befindet sich an der südlichen Peripherie von Leipzig mit Straßen­bahnanbindung ins Stadtzentrum. Auf dem Gelände sind 150 Container4 aufgestellt, in denen derzeit (Stand Juni 1998) 300 Menschen auf engsten Raum leben müssen. Von den künstlich beleuchteten langen Fluren, von ungefähr anderthalb Meter Breite, gehen links und rechts die Raumzellen ab. Am Ende des Ganges befinden sich die Sanitäranlagen. Ungefähr 40 Menschen teilen sich 8 Waschgelegenheiten, 4 Duschen und 9 Toiletten (davon sind 5 WC´s für Männer vorgesehen). Durch unzureichende Belüftung kommt es in den Gängen vermehrt zu Schwitz­wasser­bildung an den Wänden und Decken, was eine unangenehme Geruchsbelästigung zur Folge hat. Die Container, die zweistöckig zusammengesetzt wurden, sind primär für Familien und alleinstehende Frauen vorgesehen. Die anderen Container sind in einer Reihe aufgestellt und dienen der Unterbringung alleinstehender Männer. Ein Container, der für die Unterbringung von zwei bis drei Personen konzipiert ist, umfasst eine Fläche von 15 m². Damit beträgt die dem Flüchtling zuerkannte Wohnfläche 4-6m²und ist damit niedriger bemessen als die eines deutschen Schäferhundes. In einem weiteren Containerflachbau befindet sich der Pförtnerbereich sowie die Büros des Heimleiters und des Sozialarbeiters. Auf dem Gelände befinden sich ebenfalls zwei Tischtennisplatten sowie zwei Telefonzellen.

In dieser Sammelunterkunft sind Menschen aus 28 Ländern untergebracht. Die größten Flüchtlingsgruppen kommen aus dem Iran, Irak, Afghanistan, Ex- Jugoslavien und Ex- Zaire. Die Aufenthaltsdauer variiert zwischen wenigen Wochen und mehreren Jahren. Tendenziell gehören die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex- Jugoslavien und Afghanistan zu den „Langzeitinsassen“ mit einer mehr als vierjährigen Aufenthaltsdauer.

In den Containern leben 24 alleinstehende Frauen im Alter zwischen 19 und 51 Jahren, die vorwiegend aus dem Iran, Irak und aus Ex- Jugoslavien stammen. Die Frauen sind zwar in den Containern entweder mit ihren Kindern oder anderen Frauen untergebracht, dennoch befinden sich diese Container auch im Flachbau, der eigentlich für alleinstehende Männer vorgesehen ist. Der Heimleiter Krüger? sieht keine besonderen Problemlagen von Frauen, denn die Situation, in der sich die Asylsuchenden befänden sei für Männer und Frauen dieselbe. Übergriffe oder Belästigungen an Frauen seien ihm nicht bekannt. Für die Mehrzahl der Flüchtlinge ist das Containerlager jedoch ein gravierendes Erlebnis, exemplarisch sei an dieser Stelle die Aussage der Afghanin S. zitiert: „Wo ich dort reingekommen bin, habe ich erst mal einen Schock gekriegt. Das war wirklich ein Schock. Ich hatte nicht gedacht, dass solche Container in Deutschland existieren würden. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Deutschland ist so ein großes Land und dann die Ausländer in solchen Containern. (…)Das war mein ganzes Geld, was ich hatte und auch andere, die viel Schwierigkeiten hatten, um das nötige Geld zu besorgen, um dann nach Deutschland in die Raschwitzer Straße zu kommen?! Ich fragte mich immer: Ist das Deutschland? Das soll Deutschland sein?!“(…) Ich hatte mit meiner Tochter ein Zimmer, das war 12 m² groß und dann die Duschen und Toiletten,…die waren immer so dreckig, Kakerlaken überall… und dann ganz unterschiedliche Leute. Die eine kocht so, die andere so. Jeder guckt, was du kochst, was du zu Mittag ißt, oder wie oft du dich duschst. Oder wenn du schlafen willst, es gibt laute Musik oder ein Kind schreit die ganze Zeit oder die Leute streiten sich… du hörst alles. Nein das ist kein Leben. (…)Aber am schlimmsten ist, dass du keine Zukunft siehst.“ Der Heimleiter hingegen sieht in der fehlenden Ordnung und Sauberkeit die größten Probleme. „Wenn da zu essen gekocht wird und es läuft über, dann wird es nicht weggemacht. Man denkt ja, die kennen sich in solchen Gepflogenheiten aus. Ich würde sagen, das ist Desinteresse und echte Faulheit.“

Für die Zubereitung des Essen stehen zwei Elektroherde für ungefähr 40 Personen zur Verfügung. S. meint dazu: „Ich hatte keine Lust gehabt, zu kochen. Wenn du in die Küche gehst und den Dreck dort siehst, bist du schon satt.“

In der Raschwitzer Straße hatte S. aufgrund ihrer Nichtanpassung an die traditionellen Verhaltensmuster ihres Heimatlandes wiederholt Auseinandersetzungen mit der ihrer eigenen Flüchtlingscommunity. Damit war nicht nur ihr deutscher Freund sondern auch die Nichteinhaltung der islamischen Kleidervorschriften gemeint. „(…) Eines Tages kam ein Afghane gegen Mitternacht zu mir. Er war betrunken. Es war ein Landsmann und ich habe aufgemacht, denn ich hatte noch nicht geschlafen. Auf einmal hat er angefangen mich zu fragen, warum ich den deutschen Freund habe. Das wäre nicht gut, die wollen doch nur das eine. Ich habe ihm gesagt, dass das meine Sache sei und ihn das nichts anginge. Und außerdem, wenn ich Probleme habe, ist er dann vielleicht da? Dann fragte er mich, warum ziehe ich mich nicht ordentlich an, dass ich mich nicht genügend bedecken würde. Er meinte damit das Kopftuch usw.. Das ging eine Stunde so, bis ich ihn rausgeworfen habe. Ich habe die ganze Nacht geweint. Ich dachte, oh Gott, wo bin ich hier, wieder in Afghanistan?“ Dieselben Vorwürfe, die zum Auseinanderreißen des Familienbandes im Heimatland geführt hatten, mit der Konsequenz es schließlich verlassen zu müssen, kamen in Deutschland erneut zum Tragen. Alleinstehende Frauen sind dabei nicht nur dem Druck und der permanenten Überwachung der eigenen Flüchtlingscommunity ausgesetzt. Das Prinzip der „gegenseitigen Hilfeleistung“ spielt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle, handelt es sich doch um ein einseitiges meist sexuelles Abhängigkeitsverhältnis zwischen einer alleinlebenden Frau und einen aus derselben Flüchtlingscommunity stammenden Mann, der ihren „Schutz“ vor anderen Männern übernimmt.

Ohne diesen „Beistand“ aus der eigenen Flüchtlingsgemeinschaft sind die Frauen von einer noch stärkeren Isolation betroffen.

Es ist offensichtlich, dassunter diesen Umständen die Gefahr der Übergriffe von Männern infolgedessen zunimmt. Zudem ist der Aufenthalt in den Sammelunterkünften für traditionell lebende Frauen aus vorwiegend geschlechtssegrierten Gesellschaften in jedem Fall mit einem „Ehrverlust“5 verbunden.

Frauen sind demnach in den Sammel­unterkünften mit Bedingungen konfrontiert, die sich von ihrer Verfolgungssituation im Herkunftsland kaum noch unterscheiden. Denn der Schutz vor Verfolgung in den für mehrere hundert Menschen konzipierten Sammelunterkünften ist für die Frauen nicht mehr gewährleistet und tangiert somit die Menschenwürde der Frauen. Die Unterbringung in Sammelunterkünfte stellt sowohl einen gravierenden Eingriff in die persönliche Freiheit als auch in das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Frauen dar.

Ein Jahr ist nun vergangen, seitdem S. auf einen Termin beim Verwaltungsgericht eingereicht hat und wartet immer noch auf eine Antwort. „Das Schlimmste ist, daß ich nicht arbeiten darf.“ Das geringe Taschengeld deckt die anfallenden Kosten (Anwalt, Telefonieren, Porto etc.) nicht. S. ist gezwungen, ohne Arbeitserlaubnis, die ihr aufgrund ihres beschränkten Aufenthaltsrechts vom Arbeitsamt verweigert wird, einer „illegalen“ Beschäftigung nachzugehen. Derzeit hilft sie auf Baustellen aus und putzt gelegentlich. Doch immer ist die Angst da am Monatsende keinen Lohn ausgezahlt zu bekommen und ohne einen Pfennig Geld in der Tasche dazustehen, was nicht das erste Mal wäre. Trotz der anhaltenden starken Rückenschmerzen, mit denen sie seit ihrer Tätigkeit auf dem Bau konfrontiert ist, kann sie nicht ans Aufhören denken, ist sie doch froh überhaupt nebenbei etwas zu verdienen. Ihr sehnlichstes Ziel ist ein regulärer Aufenthaltsstatus und sie fügt hinzu:„Ich möchte eine Arbeitserlaubnis, ganz offiziell.(….) Ich bin noch jung. Jetzt kann ich noch arbeiten.“

Das faktische Arbeitsverbot stellt für alleinlebende Flüchtlingsfrauen eine extreme Belastung dar, insbesondere jedoch für alleinerziehende Mütter. Besonders alleinstehende Frauen können aus ökonomischen Gründen gezwungen sein, der Prostitution nachzugehen, da illegale Beschäftigungen vorwiegend in der von Männern dominierten Baubranche zu finden sind. Häufig bleibt den Frauen nur noch die Wahl zwischen Putzen oder Prostitution. Frauen, die zudem noch Kinder zu betreuen haben, sind auch zeitlich sehr starken Reglementierungen unterworfen, so dass die Prostitution sich ihnen als die einzige Möglichkeit zum Gelderwerb erschließt.

Gefragt nach ihren Wünschen, antwortet sie: „Für mich sehe ich keine Zukunft, aber für meine Tochter, daß sie sich fühlt wie ein Mensch. Denn Ausländer sind in Deutschland keine Menschen. Damals in Afghanistan gab es viele Ausländer: Deutsche, Russen, Franzosen, Araber… Das war sehr interessant, denn es waren ja ganz andere Kulturen und Traditionen. Sie waren bei uns sehr hoch angesehen. Aber das ist nun vorbei, das Afghanistan existiert nicht mehr. Ich habe nichts. Aber ich möchte, daß meine Tochter es besser hat. Aber auch sie hat Schwierigkeiten mit den deutschen Kindern in der Schule, weil sie Ausländerin ist.“

1 Der Bundesbeauftragte wird vom BMI berufen und überprüft die Entscheidung des Bundesamtes
2 Eine Wohneinheit besteht aus 3 bis 4 Zimmern, so dass sich mindestens 9 Personen ein WC sowie eine Dusche teilen müssen.
3 Die einzige wissenschaftliche Untersuchung, die im Rahmen der psychologischen Auswirkungen der Situation in Sammelunterkünften die sexuelle Gewalt an Frauen erwähnt, ist die Studie von Henning/ Wießner: „Als Folge der stark eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten des Lagerlebens, des Intimitätsverlustes, des Alkoholmißbrauchs besteht die Gefahr, daß es zu sexuellen Angriffen auf Frauen innerhalb und außerhalb kommt (…)“.
4 Jeder Container entspricht einer Raumzelle, wobei der einzelne Container oder im Zusammenschluß mit mehreren eine Einheit bildet, so daß jeder Container beliebig aus dem Verbund entfernt oder hinzugefügt werden kann.
5 Die Ehre der Frau symbolisiert stellvertretend die Ehre des Mannes bzw. der Familie und hängt in entscheidendem Maße von deren „ehrenhaften Verhalten“ ab. Die Frau kann diese bereits durch Verletzung geltender Moralvorschriften (z.B. Aufenthalt in einer männerdominierten Öffentlichkeit) und schlimmstenfalls durch sexuelle Übergriffe fremder Männer verlieren, da die ihnen herkömmlich zugeordneten Lebensbereiche nicht existent sind.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph