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Mediales

Vorveröffentlichung aus im Dezember 2015 erscheinenden telegraph Nr. 131_132

Frankfurter Buchmesse 2005

Frankfurter Buchmesse 2005, von Sashandre, CC BY-SA 3.0

Die Buchmesse in Frankfurt am Main hat wieder mal geöffnet und kommt mit einer Flut neuer Bücher daher, von denen ich persönlich vermutlich 99% für Papierverschwendung halte, aber was soll’s: Ein Affenzirkus, getarnt als Klassentreffen. Und angeblich soll das Ganze auch noch „politisch“ sein. Die Frankfurter Buchmesse ist und war so politisch wie ein Kaffeekränzchen eben nur sein kann – nämlich gar nicht. Aber das nur unter uns.

Eine wirkliche Überraschung bot allerdings Der Deutsche Buchpreis 2015. Frank Witzel mit seinem Wälzer – irgendwas über die RAF … („Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“; Matthes und Seitz Verlag, 800 S.) – und endlich mal jemand, der aus der eigenen Ecke kommt. Gratulation! Frank Witzel kenne ich von seinen frühen Gedichtbänden „Stille Tage in Cliché“ oder „Tage ohne Ende“ (alle bei Ed. Nautilus), sowie seine legendäre Lesereise „Deutschland im Handstreich“ mit Uli Becker und Thorwald Proll 1978, von der dann die Schallplatte „Bananenrepublik“ veröffentlicht wurde. Klasse!

Na gut, ansonsten hätte die telegraph-Redaktion meine Bücherliste schnell und am besten gestern – wie immer – aber gerade aus dem Urlaub zurück sind die Bücher diesmal recht literaturlastig und wenig Sachbücher dabei. Aber gut, mensch kann sich ja auch mal mit den „schönen“ Dingen beschäftigen, wobei der Schein auch trügen kann … Auf gehts!

 

Literatür

Fast so schwierig zu lesen wie das Buch des Preisträgers des Deutschen Buchhandels ist: Wu Ming, 54. Roman. Verlag Assoziation A, Hamburg / Berlin 2015, geb. 527 S., 24,80 Euro. Hinter Autor und Titel verbirgt sich nicht das Lieblingsgericht eines chinesischen Restaurants, sondern ein italienisches Autorenkollektiv (ehemals „Luther Blisett“), und es geht um die Geschichte und (Widerstands-)Geschichten des Nachkriegs-Italiens. Mitunter etwas wirr im Erzählstrang, aber sehr interessant. Der Mut eines kleinen Verlages solche Projekte zu publizieren, und es sind weitere Bücher von Wu Ming angekündigt, sollten belohnt werden. Lesen als Abenteuer.

Aus dem selben Stall kommt ein, inzwischen einigermaßen bekannter italienischer Autor, dessen Veröffentlichung ebenfalls mutig genannt werden darf, weil dieser Mensch mit seiner Schreibe absolut unkonventionell ist, und hier mit einer Hommage: Thomas Atzert, Andreas Löhrer u.a. (Hg.), Nanni Balestrini. Landschaften des Wortes. Verlag Assoziation A, Hamburg / Berlin 2015, Pb. 217 S., 16 Euro. Mit Texten von Balestrini und über ihn u.a. von Jürgen Ploog, Bert Papenfuß, Michael Wildenhain und Peter O. Chotjewitz, der u.a. über Balestrinis Arbeit schreibt: „Die Methoden seiner Prosa sind so experimentell wie die Protestbewegungen, von denen sie handelt.“ Ein toller Autor mit interessanten Büchern. Und wenn ein toller Verlag wie Assoziation A sich für Autor und seine Texte über so viele Jahre in die Bresche schlägt, dann sollte der auch mit einem guten Absatz der Bücher belohnt werden.

Ein Literat aus einer anderen Zeit ist der Dandy, Großmaul, Boxer, Neffe von Oscar Wilde u.v.m. Arthur Cravan (d.i. Fabian A. Lloyd, 1887-1919), der hier mit seinem dünnen Werk – aber große Wirkung – präsentiert wird: Arthur Cravan, König der verkrachten Existenzen. Edition Nautilus Hamburg 2015, geb. 190 S. m. Abb., 22 Euro. Cravans literarisches Werk besteht hauptsächlich aus seiner Zeitschrift Maintenant, in der er alle Texte schrieb und die er selbst, von einem Handkarren herunter, in Paris zwischen 1912 und 1915 verkaufte. Er trieb sich in der Welt herum, hauptsächlich auf der Flucht vor dem Krieg, der in Europa herrschte und irgendwann Anfang 1919 ist er in Mexiko verschwunden. Ein Dadaist, bevor es Dada gab. Manchmal umstritten in seiner tollwütigen Kritik am Kunstbetrieb, aber gerade deshalb wurde er auch der Held der späteren Dada- und Surrealisten-Bewegung.

Dieses Buch ist im Übrigen die dritte, revidierte Ausgabe des Cravan’schen Werkes im Verlag Edition Nautilus.

 

Anarchismus

Ein fast schon wieder, zu Unrecht, vergessener Autor ist Murray Bookchin (1921-2006), ein Trotzkist, der zum libertären Ökologen wurde und seine Theorien für einen Kommunalismus und direkte Demokratie in die anarchistische Szene brachte. Jetzt mal wieder Texte in einer Erstübersetzung: Murray Bookchin, Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken. Unrast Verlag Münster 2015, Pb. 221 S., 16 Euro. Allein die Tatsache, dass die PKK sich neuerdings für die Theorien von Bookchin interessieren soll, darf uns nicht abschrecken. Gerade weil Bookchin selbst aus der Ecke der autoritären Sozialisten kommt, kennt er die Argumente derselben recht gut, und hat sich vehement für einen libertären Sozialismus ausgesprochen. Somit sind seine Texte weiterhin aktuell.

Auch er ist immer noch ein Freund „des jungen Marx“, aber ich würde ihn blind zu den Libertären zählen. Ein realistischer Utopist und Liebhaber schräger SF-Plots, kommt mit seinem Erstlingswerk zurück: P.M. bolo`bolo. Urfassung mit einer Nachbemerkung. Paranoia City Verlag Zürich 2015, OHLn. 232 S., 16 Euro. Dieses, zuerst 1983 erschienene Werk, in dem eine utopische Gesellschaft vorgeschlagen wird, die sofort, wenn wir denn wollten, umgesetzt werden könnte. Der Text ist ein Produkt der damaligen Zürcher Unruhen, aber der Autor ist bis heute dran geblieben. Er hat Wohngenossenschaften mit begründet, und gibt nicht auf, ehe er in einem 400 Personen-Grosshaushalt lebt. Das Buch ist eher eine Hommage an die Idee, die nach wie vor großartig ist, diesmal eingehüllt in einer ästhetisch anspruchsvollen Aufmachung. Ein Geschenk für alle, die bolo`bolo noch nicht kennen und nie wagten etwas anderes zu denken als die vorgeschriebene kapitalistische Realität zuläßt.

 

Musik

Und jetzt noch über zwei Oldies: Seine LP (früher hießen die Dinger so) gehört, laut des US-Musik-Magazin „Rolling Stone“, zu einem der 10 wichtigsten Alben des 20. Jahrhunderts. Die Rede ist von Bob Dylan und zu dem Album gibt es jetzt ein Buch: Mark Polizzotti, Highway 61 Revisited. Bob Dylan’s Road-Album. Edition Tiamat Berlin 2015, Pb. 175 S., 18 Euro. Es ist schon toll, was die Leute alles so über einen Tonträger mit ca. 40 Min. Musik zu berichten haben. Auch ohne ein Dylan-Fan zu sein ist dieses aus dem Jahre 1965 stammende Album nicht nur hörenswert, sondern umrankt mit zahlreichen Geschichten. Nicht nur Klatsch und Tratsch, sondern es spiegelt auch eine andere Historie der USA wider.

Auch in den USA, aber von der anderen Seite, kommt ein neues Kapitel über John Lennon zur Sprache: James A. Mitchell, Das Walross und die Elefanten. John Lennons revolutionäre Jahre. Edition Nautilus Hamburg 2015, geb. 221 S., m. Abb., 24,90 Euro. Als John Lennon 1971 nach New York ging, politisierte er sich noch stärker als zuvor. Er war in der Bürgerrechts- und Friedens-Bewegung aktiv und geriet so in den Fokus des FBI. Hier verbrachte er künstlerisch-produktive, politische und private Zeiten, anders als in der Maschinerie der Beatles-Ära. Vermutlich verbrachte er hier auch seine glücklichste Zeit, bis am 8.12.1980 – der Todestag jährt sich dieses Jahr zum 35. Mal – John Lennon einem Attentat vor seiner Wohnung erlag.

So, diesmal kam die „Anarchie“ etwas zu kurz, dafür beim nächsten Mal wieder etwas mehr. Lasst Euch beschenken, oder beschenkt Euch selbst mit einem guten Buch.

Noch kurz ein Tipp: Der Jugendkulturen Verlag Berlin startete eine Aktion, bei der vom 2.10. bis 6.12.15 alle Bücher des Verlages nur 5 Euro kosten. Nähere Infos dazu unter: http://www.jugendkulturen-verlag.de/  Es lohnt sich.

Bis dann
knobi-der-buechernomade.blog.de