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Wir machen in der AA-BO nicht mehr mit

Die Gruppe FelS zu Antifaschistischen Aktion-BO und zu den Organisationsansätzen.

Ein Text aus der jüngeren antifaschistischen Geschichte und zur Organisierungsdebatte der 1990er Jahre in Deutschland. (Aus dem FelS – Infoblatt ARRANCA, Nachgedruckt im telegraph 4/1996)

Einführender Kommentar (der Redaktion telegraph) zum nachfolgenden Artikel

Seit einigen Jahren hatten die bundesdeutsche „Radikale Linke“ (wie sie sich gern selbst mit den Worten ihrer Feinde in der Regierung bezeichnet) einen neuen Namen: AABO, Antifaschistische Aktion, Bundesweite Organisation. Erst recht wuchs das Renommee, seitdem Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft die federfüh­rende Gruppe Antifa(M) in Acht und Bann getan haben und die AABO verdächtigt wurde, einen verfassungsfeind­lichen Zusammenschluss darzustellen. Mangels sonstiger eigener Inhalte ist man nämlich in der westdeutschen Radikalen Linken in den letzten Jahren dazu übergegangen die Bewegungen und Ideen für wichtig zu halten, die Staat und Polizei gerade besonders gefährlich finden. Umso überraschender mutet es an, dass unser Stalinismus­verdacht gegen die AABO jetzt von einer Gruppe geteilt wird, die sich noch 1994 in einem Interview mit uns als eifrigste Verfechterin der AABO gab. Die Berliner Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) ist aus der AABO ausgestiegen. Wir müssen zugeben, dass es uns mit einer gewissen Genugtuung erfüllt, dass die FelS als Begründung für ihren Austritt jetzt die Gründe anführt, die sie damals, in „telegraph“ Nr. 2/94 lebhaft bestritten hatte. Wir hatten damals der AABO den Versuch der Gründung einer neuen linken Partei unterstellt, die zudem nicht einmal im Ansatz die Lehren aus den letzten hundert Jahren sozialistischer Parteiengeschichte zu ziehen versucht. Dass die Motive von FelS für eine verbindliche Organisierung der außerparlamentarischen Linken ehrenhaft und in sich logisch sind, war für uns schon damals im Interview erkennbar. Aber wie sagen es die FelS-Leute in ihrem Papier: „Es gibt anscheinend in diesem Land nur ganz wenige Menschen, die eine linksradikale Kritik an Partei- und Avantgardekonzepten teilen, und gleichzeitig eine verbindliche Organisierung befürworten.“ Im Folgenden ein Nachdruck der Erklärung.

Nach fast zweieinhalb Jahren Mitar­beit haben wir beschlossen, uns von der Antifaschistischen Aktion/Bundes­weite Organisation zu trennen. Die Entscheidung war nicht leicht gemacht, ihr sind lange Diskussionen und zahl­reiche Versuche, an der AA/BO etwas zu verändern, vorhergegangen. Ein be­sonders wichtiges Argument gegen die Trennung von der Antifa-Organisation war die Tatsache, dass die Geschichte von FelS eng mit der Organisations­diskussion in der undogmatischen, radikalen Linken der BRD seit 1990 verbunden war. Zunächst hatten wir 1992-94 versucht, uns themenüber­greifend, also unabhängig von Antifa, mit anderen linksradikalen Gruppen im Bundesgebiet zu organisieren. Als die­ser Versuch im Frühjahr 1994 scheiter­te (siehe Arranca Nr.4), konzentrierten wir uns ausschließlich auf die Mitarbeit in der AA/BO, dem, wie wir damals Behaupteten, „relevantesten Organisationsansatz in der radikalen Linken“. Wenn wir jetzt zu einer sehr viel kritischeren Einschätzung der AA/ BO kommen, dann hat das mit einer langwierigen Entwicklung zu tun. Un­sere Schwierigkeiten mit der BO sind nur zu verstehen, wenn man sich die Grundlagen des Projektes FelS in Er­innerung ruft. Dieser Artikel ist also mehr als eine Auseinandersetzung mit der AA/BO, er ist vor allem eine kriti­sche Aufarbeitung von 4 Jahren Organisationsansatz.

Von der Kritik der Autonomen zur Organisationsdebatte

Schon lange vor der Gründung unserer Gruppe trugen einige eine mehr oder minder klare Kritik an der autonomen Bewegung mit sich herum. Im Verlauf des Jahres 1991 zeigte sich die deso­late Situation der BRD-Linken immer deutlicher. Der allmähliche Zusammenbruch des realen Sozialismus hatte zur Annektieren der DDR geführt, der politische Mainstream ging weltweit spürbar nach rechts, die außerparla­mentarischen Bewegungen präsentier­ten sich so schwach wie seit Anfang der 60er Jahre nichtmehr, das kulturel­le Milieu, in dem die radikale und auto­nome Linkeaktivgewesen war, zerfiel. Vor diesem Hintergrund er­schien uns das Festklammern an den immer gleichen Ritualen und Politik­formen zunehmend absurder. Im Som­mer und Herbst 1991 diskutierten des­wegen einige von uns eine zusammen­fassende Kritik an den Autonomen. Diese Papiere wurden vor allem von einer Person erarbeitet, die sich in der Debatte das Synonym Heinz Schenk gab und heute weder mit FelS noch mit außerparlamentarischer Politik allge­mein etwas zu tun hat Aber diese Entwicklung macht die Kritik von da­mals nicht hinfällig. Weil Fels zunehmend mit einem einzigen Anliegen – der Organisationsfrage.

  • in Verbindung gesetzt wurde, wollen wir an dieser Stelle noch einmal die wichtigsten Punkte unserer damaligen Diskussion zusammenfassen. Für uns war und ist die Organisationsdiskussion nämlich nur die notwendige Grundla­ge, um inhaltliche Positionen neu zu Unsere inhaltliche Kritik bezog sich auf folgende Punkte:
  • zunächst (siehe der Text „Wir sind doch kein Kampagnenheinz“) das Feh­len politischer Kontinuität: in der auto­nomen Bewegung gab es kaum konti­nuierlich arbeitende Gruppen, die Mit­glieder der Szene sammelten sich je nach Kampagne neu und mussten so jedesmal von vorne diskutieren: Eine längerfristige Strategie wurde fast nie Eine Ausnahme bildeten gelegentlich WGs oder Arbeits­kollektive, die jedoch einen abgeschlos­sen Charakterbesaßen.
  • Bewegungsfixierung und Beschränkung auf Themenbereiche: die autonome Linke zeigte sich immer nur als radikaler Teil der Bewegungen (AKW, -Anti-Nato, Antifa). Die Aufgabe der Linken, nämlich Bewegungen inhalt­lich zu verbreitern und organisatorisch zu verlängern, wurde viel zu wenig Natürlich gibt es positive Aus­nahmen, aber diese veränderten am Problem nichts: Die autonome Linke kettete sich krampfhaft an Bewegungskonjukturen: läuft viel, macht man viel, gibt es eine Krise, macht man wenig. Das halten wir für völligen Quatsch.
  • Die Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft: linksradikales Bewusstsein war und ist vom Blick auf den eigenen Bauchnabel bestimmt, nach dem Mot­to: „Wir sind die Guten, da ist die Gesellschaft“. Die Grenze wurde mei­stens subkulturell gezogen, die „Normalos“ erkannte man schon am Äußeren. Die Absicht, „die“ Gesell­schaft anzusprechen oder sogar zu verändern, war nur selten zu bemerken, man gab sich mit Nischen zufrie­den.
  • Unverbindlichkeit, Vereinzelung und versteckte Hierarchien: in dem subkulturellen Milieu, das wir als „Szene „bezeichneten, waren die politischen Beziehungen locker und unverbindlich. Natürlich gab und gibt es auch hier Solidarität, aber die Strukturen der Szene an sich förderten dies nicht. Gleichzeitig gab es versteckte und daher kaum angreifbare Hierarchien.
  • Geschichts- und Theorielosigkeit: weit verbreitet war die Ablehnung gegen ­über theoretischen Diskussionen. Un­angenehm verband sich dies mit ei­nem Militanzfetisch. Die Abzieh­bildchen von „tobenden Riots“ von Caracas bis Berlin-Keuzberg ersetz­ten die Auseinandersetzung mit politi­schen Inhalten.

Unser Anliegen 1991 war es, Inhalte und Praxis neu zu bestimmen. Wir waren der Meinung, dass sich die radi­kale Linke (in diesem Fall nicht nur die Autonomen) überholt hatte, dass es notwendig sei, neue Grundlagen zu schaffen. Es ging uns z.B.: – um eine bessere Vermittlung der eigenen Politikdurch eine anders ge­staltete Öffentlichkeitsarbeit; um die Ausweitung des politischen Horizonts; wir wollten internationale Verhältnisse, kulturelle Bewegungen, den Alltag in dieser Gesellschaft usw. stärker be­rücksichtigt wissen; – um soziale Bin­dungen in der politischen Bewegung, die nicht nur auf Freundschaft aufbau­en müssen, aber von Verbindlichkeit und Respekt bestimmt sind. Allgemei­ner: um den Ausbruch aus der Phantasielosigkeit, wonach radikale Politik =Szene=Demonstration= punkige Musik ist. In dieser Hinsicht haben wir nicht alles verdammt, was es bis dahin gegeben hatte: die IWF-Kampagne zum Beispiel (die allerdings nicht allein von Autonomen gestaltet und durchgeführt wurde) hatte viele Momente, die nach vorne wiesen.

Wir waren und sind der Mei­nung, dass es nicht Aufgabe der radi­kalen Linken sein kann, auf die näch­ste Bewegung zu warten, um dieser dann jahrelang hinterher zu weinen. Die Linke muss Kontinuität herstellen und dafür muss sie sich organisieren. Nur auf diese Weise ist es möglich, Erfah­rungen weiterzugehen, Strategien zu entwickeln, Debatten zu fahren und Konsequenzen daraus für die Pra­xis zu ziehen.

Auf der anderen Seite ist die „Organisation um der Organisation wil­len“ (also um z.B. einen starken Na­men zu besitzen) für uns nie ein Ziel gewesen. Der Vorwurf, wir würden eine Partei gründen wollen, die wie eine starre Hülle über die Linke gestülpt werden sollte, war deswegen von An­fang an unberechtigt. Uns ging es um eine inhaltliche Neubestimmung nach der Krise der außerparlamentarischen Bewegungen, des traditionellen Anti-imperialismus und des sozialistischen Lagers. Bei unserer Organi­sationsdiskussion war uns immer klar, dass es eine Eigendynamik von Bürokratisierung, Formalisierung und Re­pression in Organisationen gibt. Wir haben deswegen lange über die Ent­stehung marxistisch-leninistischer Avantgardeparteien diskutiert, die An­fang der 70er vor allem aus der Studentinnen-Bewegung hervorgingen, und deren Entwicklung wir nicht wie­derholen wollten.

Der Eintritt in die AA/BO und die weitere Entwicklung

Zur gleichen Zeit, als wir in Berlin eine Organisationsdebatte lostraten, gab es in der bundesweiten Antifa-Koordination eine Diskussion um klarere Struktu­ren, aus der schließlich 1991/92 die AA/BO hervorging. Obwohl dies eine klassische Teilbereichsorganisierung war, fanden wir den Ansatz sehr gut; einmal weil auf der Grundlage prakti­scher Zusammenarbeit ein breiterer Organisationsprozess in Gang gebracht werden sollte, zum anderen weil der Ansatz zu einer Zeit entstand, als in der Linken überall davon geredet wur­de, aufzugeben. Die AA/BO mag dabei ihre Rolle manchmal überschätzt ha­ben, aber sie war mit Sicherheit ein positives Zeichen gegen den linken Zerfall.

Als Anfang 93 der Teil der Antifa-Gruppen, die stärker für eine Teilbereichsorganisierung und weniger für eine politische Organisation plä­diert hatten, aus der AA/BO austraten, glaubten wir, dass eine inhaltliche Ver­breiterung (über Antifa hinaus) möglich sei. lmSommer93wurdediesvonder AA/BO ausdrücklich so formuliert und deswegen sind wir der BO als Nicht-Antifa-Gruppe beigetreten. Schon nach drei Monaten unserer AA /BO-Mitar-beit kam es allerdings zum ersten Zusammenstoß mit den meisten an­deren Gruppen. Es ging um den Eintritt der Gruppe RAI, deren Politik wir aus Berlin kannten und deren Positionen wir als stalinistisch bezeichnen. Die Gruppe orientiert sich an den histori­schen KPs, bezieht sich positiv auf die Politik der UdSSR unter Stalin und verteidigt das gesamte Programmder stalinistischen Industrialisierung (von den Massenumsiedlungen und der Zwangsarbeit bis hin zu den Moskauer Prozessen und der Liquidierung der Opposition).

Nun kann man dies wie die meisten BO-Gruppen als historische Ereignisse abtun, die mit aktueller Politik nicht viel zu tun haben. Genau diese Haltung entspricht aber dem, was wir oben als Geschichts- und Theorielosigkeit der Autonomen be­schrieben haben. Eine befreite Gesell­schaft oder auch nur eine starke linke Bewegung kann es nur dann wieder geben, wenn aus der Geschichte Kon­sequenzen gezogen werden. Und das bedeutet für uns, dass revolutionäre Politik nicht mit brutalen Zwangsmaß­nahmen gegen die Bevölkerung oder die linke Opposition einhergehen kann.

Die AA/BO-Gruppen wollten der Argumentation gegen die RAI nicht folgen. Das lag unserer Meinung nach an folgenden Gründen: durch einen teilweise unverantwortlichen Umgang unsererseits mit einem Verratsvorwurf gegen ein Mitglied der RAI konnte die Diskussion innerhalb der BO nur müh­sam sachlich geführt werden. Weiter­hin war bei den meisten BO-Gruppen kein Interesse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung vorhanden, hin­zu kam, dass die RAI ihre Dokumente immer wieder nur als „nicht von allen getragene AG-Papiere„ darstellen. Die BO-Gruppen vertraten daraufhin mehr­heitlich, dass es keine inhaltliche Krite­rien für die Mitarbeit in der BO gebe, ausdiesem Grund müsse man die RAI aufnehmen. (Möglich gewesen wäre ja auch, eine Entscheidung über den Beitritt so lange aufzuschieben, bis inhaltliche Gemeinsamkeiten geklärt gewesen wären). Es war praktisch eine politische Bankrotterklärung: wir ha­ben außer der Gegnerschaft zu deut­schem Staat und Nazis- keine inhaltli­chen Gemeinsamkeiten. Auf dieser Grundlage kann man sich auch mit türkischen Nationalisten oder der Spar­takist-Arbeiterpartei organisieren.

Weil wir an einer inhaltlichen Diskussion und Klärung interessiert waren, versuchten wir, die uns wichti­gen Themen in die AA/BO einzubrin­gen, begannen mit Antifa-Arbeit und beteiligten uns an den gemeinsamen Aktivitäten.

Um der Forderung nach einer inhaltlichen Positionsbestimmung Rechnung zu tragen, wurde in der AA/ BO schließlich eine „Programm-AG“ eingerichtet. Gleichzeitig wurde argu­mentiert, durch Diskussionen im Rah­men von Kampagnen und Demonstra­tionen würden an konkreten Beispielen inhaltliche Positionen bestimmt. Un­serer Meinung nach wurden dadurch jedoch nur fehlende inhaltliche Ge­meinsamkeiten überbrückt und die Dif­ferenzen traten erneut ans Tageslicht.

Im November1993 wurde eine Kampagne zum 9. November durchge­führt, die sich gleichzeitig auf die Re­volution 1918, auf die Pogrome 1938 und die sogenannte Wiedervereinigung 1989 bezog. Der AA/BO-Mehrheit ging es darum, die Geschichte des Wider­standes in Deutschland nachzuzeich­nen. Es sprach für die inhaltliche Verfassung der BO, dass der Einwand von älteren Antifaschistinnen, durch die Neubesetzung des9. Novembers wer­de eine „Geschichtsrevision von links“ vollzogen, nicht einmaldiskutiert wur­de. Der Vorwurf dieser Antifaschistinnen lautete, dass durch den Hinweis auf die Revolution 1918 die Erinnerung an die faschistischen Massenpogrome am 9. November 1938 beiseite gewischt wurden. Die Linke würde damit dazu beitragen, die Shoa vergessen zu machen. Wir finden die­se Kritik nicht unbedingt richtig; gera­de um den Faschismus und groß­deutsche Vorstellungen bekämpfen zu können, müssen wir an die Widerstandsgeschichte anknüpfen. Trotzdem wäre es nötig gewesen, auf diese Kritik ernsthaft einzugehen, schließlich gibt es eine lange Geschichte des linken Antisemitismus.

Am Ende machte jede Gruppe ihre „eigene“ Kampagne: die Antifa (M) und die meisten anderen Gruppen ar­beiteten zur Revolutionsgeschichte 1918-23. Wir bezogen uns auf die na­tionalistische Wende und die „Norma­lisierung der deutschen Geschichte“, die 1989 eingeleitet wurde. Zu 1938 war von der AA/BO wenig zu hören

Das nächste einschneidende Erlebnis war der Kaindl-Fall, der sich von November 1993 bis Ende 1994 hinzog. Wegen des Todes des Nazi-Funktionärs Kaindl wurden elf Leute wegen „gemeinschaftlichen Mordes“ verfolgt, darunter eine Frau von uns.

Obwohl die meisten einzelnen BO-Gruppen unsere Solidaritätskampagne in ihren Städten unterstützten, und wir die Zusammenarbeit mit einigen sehr gut fanden, gelang es der AA/BO we­der in diesem noch in anderen Fällen, ein gemeinsames, offensives Vorge­hen gegen die Repression zu entwickeln.

Ausgesprochen unsolidarisch fanden wir das Verhalten der anderen Berliner BO-Gruppen im Kaindl-Fall. Verglichen mit den Aktivitäten anderer Gruppen tendierte ihre Mitarbeit in der Solidaritätskampagne gegen Null.

Dies war Ausdruck der politi­schen Differenzen: von den anderen Berliner Gruppen wurde unsere Positi­on zur Prozessstrategie, zu dem Verratsvorwurfgegen die Jugendlichen und unser Demonstrationskonzept für die bundesweite Demo im Mai 1994 abgelehnt. Zusammenfassend kann man sagen, dass wir erstens kollektiv abgesprochene Aussagen im Verfah­ren für vertretbar hielten (wenn da­durch die Abwesenden nicht belastet würden), dass wir zweitens die zwei inhaftierten Jugendlichen nicht als Verräter brandmarken wollten (weil von ihrem Verhalten im Prozess vieles ab­hing und wir sie außerdem nichts als Hauptschuldige betrachteten) und dass wir drittens für eine Öffentlichkeitsar­beit außerhalb der radikalen Linken und der Antifa- Gruppen plädierten. Von den Berliner BO-Gruppen hinge­gen bekamen wir wenn überhaupt- nur zu hören, dass eine Kampagne für tota­le Aussageverweigerung gemacht, der Verrat der Jugendlichen angegriffen und die Öffentlichkeitsarbeit viel radi­kaler werden müsse.

Hinsichtlich der Demo im Mai 1994 wurden wir auch aus dem Bun­desgebiet scharf kritisiert: Man warf uns Reformismus und übertriebene Zurückhaltung vor, weil wir uns gegen einen schwarzen Block und gegen die Deklarierung der Demo als AA/BO-Initiative ausgesprochen hatten. Da-mitwurden zwei grundsätzliche Wider­sprüche zur Politik der meisten BO-Gruppen offensichtlich: Die Frage, in­wieweit man breitgetragene Aktionen für sich in Beschlag nehmen darf und welchen realen Inhalt die zur Schau gestellte Kampfbereitschaft (als schwarzer Block) besitzt.

Diese Diskussion fand natür­lich auch andersherum statt: Gegen­über den Göttinger Demo-Initiativen wurden wir im Verlauf des Jahres 1994 immer skeptischer, d.h. wir mobilisier­ten nur halbherzig. Wir bezeichneten das Konzept des „Schwarzen Blocks“ in der augenblicklichen Situation für eine sinnentleerte Weiterführung des autonomen Militanzfetischs.

Natürlich gibt es auch posi­tive Erfahrungen. Die von Antifa-Gruppen aus dem ganzen Bundes­gebiet getragene, aber wesentlich von der AA/BO initiierte Kampagne im August 1994 gegen den Nazi-Aufmarsch in Wunsiedel war ein echter Erfolg. Die Nazis wurden in ihren Heimatorten unter Druck ge­setzt und die Pressearbeit in Bonn ermöglichte es, die Inhalte der Antifa zumindest teilweise breit zu vermit­teln. Aber das ist eben nur ein Punkt in unserer AA/BO-Einschätzung. Weitere Ereignisse, die unsere kri­tische Meinung bekräftigten, wa­ren die Aktionen zu den Wahlen im Oktober 1994 und dem 50. Jahres­tag der Befreiung vom Faschismus im April/Mai 1995. Beide Anlässe fan­den wir wichtig, aber inhaltlich falsch gefüllt. Die Position zu den Wahlen im Herbst I994 entsprach plattester Ana­lyse: Das Parlament als Marionettenstadl des Kapitals. Die Demonstration in Bonn war dann nur noch ein Lacherfolg, der an finsterste K-Gruppen-Zeitenerinnerte.Knapp200 Organisationsmitglieder defilierten in der Hauptstadt. Zu verantworten ha­ben wir das gemeinsam, aber es zeigt, wie wenig sich die BO von der oben kritisierten Bauchnabelschau der au­tonomen Linken entfernt hat. Während es vorher die Subkultur war, bezog man sich nun auf die Organisation.

Auch der April/Mai 1995 prä­sentierte sich mit unglaublichen Pein­lichkeiten. Auf großen roten Plakaten mit dem AA/BO Emblem wurde in Berlin und Hamburg anlässlich des 50. Jahrestag der deutschen Niederlage der Befreierin -der Roten Armee- ge­dacht. Kein Wort über die Säuberun­gen, über den Hitler-Stalin-Pakt, über den Verrat von jüdischen Partisaninnen durch die Kominform, über den Aus­verkauf der Guerilla-Armeen in Jugo­slawien, Griechenland und Italien durch Moskau.

Unsere Bemühungen, klärende Aus­einandersetzungen übersolche Streit­punkte innerhalb der AA/BO herbeizu­führen, scheiterten. Die seit 1993 dau­ernde Diskussion um eine inhaltliche Programmatik wurde immer wieder abgebrochen, „weil dies die Organisation spalten könnte’“. Außerdem erschwer­ten der sehr unterschiedliche Wissens­stand der einzelnen Gruppen -der uns jedoch nicht unüberwindbar schien -sowie entgegengesetzte Auffassungen über die Notwendigkeit theoretischer Auseinandersetzungen die Diskussio­nen.

Besonders deutlich hat sich dies bei unserem Interview mit den Berliner AA/BO-Gruppen im Herbst 1994 gezeigt. Unsere Absicht war es, mit dem Arranca-Gespräch die politischen Unterschiede zwischen den vier Berli­ner Gruppen diskutierbar zu machen. Nach langen Vorbereitungen und kla­ren Absprachen erklärte A&P während des Interviews, dass sie nichts sagen wollten, weil die Veröffentlichung den Konflikt weiter polarisieren würde. Wir fanden es hingegen sehr wichtig, wie in dem Interview die Unterschiede trans­parent wurden. Wir und andere Grup­pen forderten daraufhin erneut die inhaltliche Diskussion anhand einer Grundlagen-oder„Programm“-Diskussion in der BO. Von Anfang an war klar, dass dies möglicherweise zu einer Tren­nung der Gruppen führen könnte, was wir allerdings nicht als negativ empfan­den: es muß zwar in Bündnissen und Organisationen die Bereitschaft da sein, trotz gewisser Differenzen eine ge­meinsame Linie mitzutragen, aber ge­nauso muss die Linke als Grundlage auch Kriterien für die Zusammenarbeit definieren. Schließlich wollten wir kein loses Antifa-Bündnis, in dem von den Jusos bis hin zur KPD-ML und der autonomen Kiezgruppe alle mitma­chen, sondern eine offene und breite Organisation, die sich über politische Gemeinsamkeiten definiert.

Um den für uns sehr wesentli­chen Streitpunkt „Verhältnis zur real­sozialistischen Geschichte“ zu klären, organisierten wir im Sommer 1995 ein BO-Seminar zu dem Thema. Dies wurde von den meisten BO-Gruppen erneut ignoriert, uns wurde „Polarisie­rung“ vorgeworfen. Bei dem Seminar taten sich zwischen uns und der RAI Abgründe auf. Die Gruppe verteidigte sogar noch die Moskauer Schaupro­zesse der 30er Jahre. Wir sind nicht bereit, solche Positionen mit Leuten zu diskutieren, mit denen wir organi­siert sind. Darüber hinaus hat das Nicht-Verhalten der anderen BO-Gruppen gezeigt, dass inhaltliche Klärungen in der AA/BO zu so wesentlichen Fragen nicht möglich sind, weil sie (um der Einheit willen) nicht gewollt werden. Dieser Eindruck hat sich noch einmal bestätigt, als im Herbst 1995 eine ge­meinsam zusammengestellte, aber noch nicht diskutierte Thesen­sammlung für die Grundlagen­diskussion von der BO-Mehrheit für bedeutungslos erklärt wurde, weil die dort angesprochenen Punkte mit der konkreten Antifa-Arbeit angeblich nichts zu tun hätten.

Darüber hinaus ist i m Herbst 1995 die Zusammenarbeit der Berliner BO-Gruppen auch offiziell aufgekündigt, als ein durchaus spaßiger Brief der Berliner A&P verschickt wurde, in dem allen anderen Berliner BO-Gruppen man­gelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit, Widersprüchlichkeit, Unverbindlichkeit sowie Unfähigkeit zu und das Versagen in der praktischen Arbeit vorgeworfen wurde. Außerdem nannte sich die Gruppe eigenmächtig in Anti­faschistische Aktion-Berlin um und be­anspruchte ein Alleinvertretungsrecht.

Nach diesen Ereignissen dürfte klar sein, dass es für uns keine inhaltliche und politische Grundlage gibt, die eine gemeinsame Organisierung rechtferti­gen würde, und dass diese in der bestehenden Zusammensetzung auch nicht zu erarbeiten ist.

Was wir an der AA/BO nicht mehr mittragen können

Die AA/BO ist eine klassische, recht verbindliche Teilbereichsorganisierung, wie es sie in den 80er Jahren schon mehrfach gab. Themen, die nicht mit Antifa zu tun haben, sind kaum durchzusetzen. Die politische Analyse be­zieht sich fast ausschließlich auf den Ausgangspunkt Faschismus. Die AA/ BO hat damit zwar eine unbestrittene Berechtigung als bundesweite Antifa-Koordination (also eine Teilbereichs­organisierung), aber sie verliert den für uns maßgeblichen und im Sommer 1993 formulierten Anspruch: die Aus­weitung auf andere politische Felder.

  • der Geist in der AA/BO ist ganz offen­sichtlich von der Meinung geprägt, dass der Zusammenschluss mehrerer Gruppen, egal auf welch dürftiger inhalt­licher und praktischer Grundlage, ­eine starke Organisation ausmacht. Deswegen hat man panische Angst vor inhaltlichen Diskussionen, die die bestehenden Differenzen be­stätigen könnten und eine Klärung unvermeidbar machen würden. Eine unhinterfragte Effizienz­orientierung bestimmt die Treffen, es müssen immer scheinbar konkrete Ergebnisse vorweisbar sein.
  • dem entspricht das Bedürfnis nach einem geschlossenen, starken, ein­heitlichen Außenbild, wie es bei tra­genden BO-Gruppen gängig ist. Der fetischisierte schwarze Block, die Vertuschung interner inhaltlicher Dif­ferenzen und die unbedingte Ab­schottung tragender BO-Gruppen nach außen sind Ausdruck dieser Haltung. Um jeden Preis wird ein oberflächliches Gefühl von Stärke und Gemeinsamkeit konstruiert.
  • das, was an realer Übereinstim­mung nicht vorhanden ist, wird durch Formalien zu überwinden Immer stärker entwickelt sich die AA/BO in diese Richtung: die in den Einsatzbroschüren for­mulierten Anforderungen werden stereotyp durchgegangen, wer sie erfüllt, kann mitmachen. Inhaltliche Positionen verlieren dadurch ge­genüber oberflächlichen Mitgliedschaftskriterien an Bedeu­tung. Außerdem wird auch die in­nere Struktur der BO durch­formalisiert: Mehrheitsbeschlüsse ersetzen zunehmend die Konsens­suche. Mit vielen Gruppen teilen wir keine politischen Ziele außer der Gegnerschaft zu Staat und Nazis. Das, was wir als Errungen­schaften der Neuen Linken nach 1967 begreifen (die Kritik der auto­ritären kommunistischen Parteien, die Erarbeitung feministischer und antirassistischer Politik, die Abkehr von einem Antiimperialismus, bei dem bedingungslos alle Gegner unserer Feinde unterstützt werden, etc.), wird von vielen der anderen Gruppen nicht geteilt.
  • der persönliche Umgang hat sich spürbar verschlechtert, was einer­seits mit den politischen Widersprü­chen, andererseits aber auch mit der Effizienzorientierung der AA/ BO zu tun hat. Schnell werden Ko­alitionen gebildet, um bestimmte Positionen durchzudrücken.
  • gemeinsame praktische Initiati­ven sind kaum noch vorstellbar. Die Demonstration zur Freilassung Mumia Abu-Jamals im Sommer 1995, die wir aufgrund ihrer Breite und Lebendigkeit für erfolgreich halten, wird von vielen BO-Grup­pen abgelehnt, weil es keinen Bei­trag der AA/BO gegeben habe, die anderen Reden zu moderat und das Auftreten der Demo insgesamt zu wenig militant gewesen seien.
  • Die Durchsetzung unserer Inhalte würde den Kampf gegen den Willen der Mehrheit der BO-Gruppen be­ Unsere Erfolge in dieser Rich­tung waren recht gering, obwohl wir zeitweise den größten Teil unserer Anstrengungen in die BO-Arbeit steck­ten. Das hat unsere Arbeit in Berlin behindert. Wir haben festgestellt, dass wir mit manchen Nicht-BO-Gruppen einfacher und produktiver zusam­menarbeiten können.
  • Einige wichtige BO-Gruppen ha­ben einen klassisch „politischen“ Blick auf die Dinge. Nicht die Stär­kung sozialer Bewegungen von unten ist das Ziel, sondern in erster Linie die Stärkung der eigenen In dieser Hinsicht liegt der Schwerpunkt auf Bündnissen mit politischen Gruppen, Medien­präsenz und dem Dazugewinnen neuer Leute. Diese Punkte sind zwar wichtig und legitim, aber sie sind nicht das bedeutendste. Letzt­endlich muss es uns immer um die Stärkung von Bewegungen der Lin­ken als Ganzem gehen.

Eine Einschätzung von unseren Organisationsversuchen und dem Projekt FelS

Nach dem Scheitern unserer bundes­weiten Organisationsversuche ha­ben wir unsere Geschichte Revue passieren lassen. Wir sind der Mei­nung, dass wir politisch spürbar gewachsen sind. Wir haben den Repressionsschlag im Kaindl-Ver-fahren, die Nervereien im Zusam­menhang mit unseren angeblichen RAF-Kontakten und den Druck ei­ner kritischen Szene gut ausgehal­ten. Von der in der Heinz-Schenk-Debatte geäußerten Kritik haben wir einiges eingelöst: wir haben als Grup­pe kontinuierlich gearbeitet, Praxis und Theorie verbunden, uns strategische Ziele gesetzt. Wir haben uns nicht auf ein Thema fixiert, sondern ar­beiten sehr breit: zu Antifa/Anti-rassismus, Frauen, Internationalis­mus und sozialem Widerstand. Viele von uns sind darüber hinaus als Einzelpersonen noch anderswo aktiv und wir macht die Arranca, über die wir viele Kontakte geknüpft haben. Mit unserer Ausrichtung sind wir ein ganzes Stück von der auto­nomen Nabelschau weggekom­men, die die gesellschaftlichen Ver­hältnisse nur am Rande wahrnahm. (In diesem Zusammenhang muss man allerdings sagen, dass die Szeneorientierung in der Linken insgesamt nachgelassen hat. Aus­gemachte Szene-Kneipen haben sich für ein anderes Publikum ge­öffnet, mit dem Zerfall der Subkul­tur sind viele radikale Linke in die „Gesellschaft zurückgekehrt“.) So­ziale und politische Unverbindlichkeit oder Hierarchien gibt es natür­lich auch bei uns, aber anders als in einer meist diffusen Szene finden in festen Gruppen Auseinanderset­zungen darüber statt.

Als Gruppengründung wa­ren wir also erfolgreich, bei dem Ziel bundesweiter Organisation ganz offensichtlich nicht. Dies hat damit zu tun, dass die Organisati­onsfrage immer mit den realen Bedingungen in einem Land, d.h. für uns konkret mit der Verfasstheit der undogmatischen, radikalen Lin­ken in der BRD zusammenhängt.

Im Prinzip müsste es zwar jeder/m einleuchten, dass wir die Gesell­schaft nicht als vereinzelte Individuen oder unverbindliche Kleingruppen verändern werden, sondern nur über kontinuierliche Arbeit an uns, unse­rem direkten Umfeld und den politi­schen Verhältnissen. Genau diese Einsicht aber ist in der BRD-Linken im Moment anscheinend nicht möglich.
Es gibt offensichtlich nur zwei Optio­nen in der radikalen Linken: die undogmatische Hälfte schwört auf wenig verbindliche Szenestrukturen, die Organisationsbefürworterlnnen wärmen bürokratische, formale Lö­sungen auf. Es gibt anscheinend in diesem Land nur ganz wenige Menschen, die eine linksradikale Kritik an Partei- und Avantgardekonzepten teilen, und gleichzeitig eine verbindliche Or­ganisierung befürworten. Mit de­nen einen teilen wir inhaltliche Po­sitionen, mit den anderen die Vor­stellung verbindlicher Arbeits­strukturen.

Das haben wir falsch einge­schätzt: Nach dem Zusammen­bruch des realen Sozialismus wa­ren wir überzeugt davon, dass sich klassische ML-Rezepte erledigt hätten und zumindest in der radika­len Linken Einigkeit darüber be­steht, dass aus der kommunistischen Geschichte Lehren gezogen werden müssen. In der Wirklichkeit ist dieses Verständnis weniger durchgesetzt als wir gedacht hatten. Die Vorstellung einer Organisation mit Mitgliedschaft, Kassenwart und Zellenleitung, die Effizienzorientierung und Vertuschung interner Diskussionen, die(unbewusste) theoretische Orientierung am plat­testen vorstellbaren Marxismus, all das ist immer noch verbreitet. Auf dieser inhaltlichen Grundlage wol­len wir uns nicht organisieren, aber wir geben deswegen unser Projekt nicht auf. Wir konzentrieren uns jetzt mehr auf regionale Bündnisse, auf das An­sprechen neuer Leute, auf die Zu­sammenarbeit anhand konkreter Projekte, ohne deswegen unser langfristiges Ziel -eine organisier­te, radikale Linke- aufzugeben. Es gibt einen schönen Satz, der da heißt, eine Revolutionärin braucht immer zwei Eigenschaften: Begei­sterung und unendlich viel Geduld. In diesem Sinne werden wir weitermachen. Wir sind an dem Kontakt, der Diskussion und Zu­sammenarbeit mit anderen Grup­pen weiterhin interessiert. Vielleicht müssen wir einfach lernen, einen anderen Rhythmus zu gehen. Auch mit den BO-Gruppen wollen wir von wenigen Ausnahmen abgese­hen weiterhin zusammenarbeiten. Unsere Kritik bedeutet keine Feind­schaft, die Tatsache, dass wir un­terschiedliche politische Vorstellun­gen haben, heißt nicht, dass wir nicht in gemeinsamen Projekten arbeiten können. In diesem Sinne:

LA LUCHA SIGUEÜ

FelS

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