Zum Stand der französischen Arbeitslosenbewegung

aus telegraph 2/98
von Stefanie Hürtgen

Man hört kaum noch etwas von einer französischen Arbeitslosenbewegung. Nun haben die Flugzeugpiloten gestreikt, gut, nur was wurde aus den Arbeitslosen? Von hier aus hat man den Eindruck, die kriegen den Arsch nicht mehr hoch. Ich meine, wir ja sowieso nicht, aber die eben auch nicht… Tatsächlich ist es unter einer linken Regierung schwieriger, eine starke und vor allem einheitliche Bewegung aufzubauen. Doch nach wie vor gibt es Auseinandersetzungen und wichtige Diskussionsprozesse.

Abgesehen von großen Ereignissen wie dem nationalen Arbeitslosenmarsch im Frühjahr 1994 in Frankreich oder der Bewegung im letzten Winter sind die Arbeitslosenproteste in Frankreich vor allem eine regionale Angelegenheit. Bereits vor dem letzten Bewegungswinter 97/98 gab es 130 regionale und lokale Komitees von AC! (Agir ensemble contre le chômage! = Gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit kämpfen!) in ganz Frankreich. (Diese Zahl soll sich seit der Bewegung verdoppelt haben.) Diese arbeiteten und arbeiten dezentral und machen dabei auch durchaus unterschiedliche Politik (so stellt z.B. in Lille, Bordeaux oder Paris AC! eher das linke Spektrum in der Arbeitlosen-Landschaft dar, während bspw. AC! Toulouse der großen Bewegung mehr hinterherlief). Diese regionale Struktur ist wichtig, wenn man über die Arbeitslosenbewegung in Frankreich spricht. Denn die Bewegung des Winters war keineswegs „plötzlich da“, wie es hierzulande den Anschein hatte: Schon das ganze Frühjahr ´97 über hatten z.B. Aktivisten von AC! Bordeaux immer wieder aufs neue ihr Arbeitsamt besetzt und Computer, Telefon, kostenlosen Nahverkehr und einen Versammlungsraum für Arbeitslose im Arbeitsamt gefordert („Leute mit Arbeit sehen und treffen und versammeln sich im Betrieb – für uns muß das Arbeitsamt dieser Ort sein!“). Auch woanders gab es Arbeitsamtsbesetzungen und andere Aktionen im Frühjahr und Sommer ´97, die sich gegen die Umstrukturierung der Arbeitslosenversicherungssysteme richteten und in deren Vorbereitung und Verlauf ganz grundlegende Fragen und Forderungen diskutiert wurden: Mindesteinkommen für alle, kostenlose Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel („transport gratuit“), Arbeitszeitverkürzung ohne Flexibilisierung und Lohnverlust… Mit anderen Worten, als in diesem Dezember die ansonsten übliche „Weihnachtsprämie“ den Arbeitslosen verweigert wurde und daraufhin die Bewegung losging, war der Boden dafür bereits seit längerem vorbereitet.

Umgekehrt ist nun die Bewegung nicht einfach vorbei. Sie ist „nur“ wieder in die Regionen abgestiegen, wobei sich in der Tat nicht überall gleichermaßen noch etwas tut.

Doch z.B. laufen in Paris fast wöchentlich Aktionen in Sachen „transport gratuit“ oder „Reichtumsverteilungen“ in Supermärkten (kostenloses Einkaufen, die Sachen werden anschließend auf Feten gemeinsam verfressen oder auch öffentlich an z.B. Sans Papiers verteilt). Oder in St. Nazaire, in der Bretagne, fand erst jüngst eine mehrtägige Besetzung eines Krankenhauses statt, die gemeinsam von Arbeitslosen, Aktivisten und der Belegschaft vorbereitet und durchgeführt wurde. Hier diskutierte man die gesamte Problematik von Arbeitslosigkeit, Armut und schlechter oder fehlender gesundheitlicher Hilfe einerseits und miserablen Arbeitsbedingungen, Unterbezahlung des Personals und zunehmend prekärerer Beschäftigung andererseits: Personal – und Bettenabbau gehen eben zusammen, beides sind „Kostenfaktoren“. Belegschaft und Arbeitslose forderten dort gemeinsam Einstellungen und Verbesserung der Arbeitsbedingungen ebenso wie eine kostenlose Gesundheitsbetreuung für Mittellose und explizit auch für illegal in Frankreich lebende Ausländer (Sans Papiers).

Mitunter gibt es bei solchen lokalen Aktionen auch Erfolge: In manchen Städten haben sich Arbeitslose das Recht auf kostenlosen Nahverkehr erfolgreich erstritten (Toulouse, Lyon) und in Paris gab es immerhin einige hundert Francs (ca. 100,- DM) für öffentliche Verkehrsmittelnutzung – was die Arbeitslosenkomitees natürlich als überhaupt nicht ausreichend kritisierten und daher ihre Aktionen fortsetzen. Woanders wurden kostenlose Telefon- und Computernutzung für die Jobsuche und Bewerbungen und in einem Fall – wieder in Paris – sogar von einem Krankenhausleiter (nachdem er mehrere Tage festgesetzt worden war) kostenlose Behandlung von Bedürftigen versprochen.

Blick zurück
Nun soll hier aber nicht so getan werden, als seien derartige Aktionen das gleiche wie eine nationale Bewegung. Nein, letztere ist „zurückgegangen“ (sagen die einen, meist aus Orten, wo sich noch viel tut) oder auch „vorbei“ (sagen die anderen).

Das hat mehrere Ursachen.

1. Zunächst war die Bewegung auch in Frankreich – ganz anders als hier oft euphorisch dargestellt – eine Minderheitenbewegung im besten Sinne: Es waren vor allem (Arbeitslosen-) Aktivisten und Basisgewerkschafter, die die Bewegung trugen und organisierten. Trotz der umwerfenden Sympathie von 70% der Bevölkerung für die Bewegung1 konnten auch in Frankreich „normale“ Arbeitslose und prekär Beschäftigte vergleichsweise wenig aktiviert werden.

2. So erfrischend die inhaltliche Hauptrichtung der Bewegung war („Wir scheißen auf Eure Versprechungen, wir wollen ein ordentliches Einkommen für ein machbares Leben, und zwar sofort!“) – so sehr fehlte doch der berühmte Schulterschluß mit denen, die Arbeit haben. Arbeitszeitverkürzung stand zwar auf vielen regionalen Flugblättern, blieb aber bei der Bewegung insgesamt eindeutig unterbelichtet. Viele Arbeitslose sagen auch ganz direkt, daß sie keinen Bock mehr darauf haben, auf eine Arbeitszeitverkürzung zu warten, die ihnen persönlich vielleicht irgendwann mal eine Stelle bringen soll.2 Außerdem hätte die Vergangenheit gezeigt, daß es zu Flexibilisierung aber nicht zu Einstellungen komme. Abgesehen von vielen einzelnen Ausnahmen blieb es so meist bei der Forderung: „Geld her für uns Arbeitslose!“. Dieser Forderung standen Lohnabhängige mit Arbeit durchaus wohlwollend gegenüber, das zeigen die Diskussionen unter Belegschaften. Manch einer malte auch schon mal ein Plakat oder ging zu einer Demo – doch auf nationaler Ebene kam es zu keiner praktischen Solidarisierung. Umgekehrt: als die „kommunistische“ Gewerkschaft CGT die Arbeitslosenbewegung im Januar in eine 35 Stunden- Wochen-Bewegung umfunktionieren wollte, begann die Bewegung auseinanderzubrechen.

3. Ebenso wie sich die CGT aus der Bewegung herauszog (die sie anfangs durchaus stark unterstützt hatte) und auf parlamentarische Verhandlung der 35h-Woche setzte, so wurde auch anderen wichtigen Sprechern und Organisatoren die Sache zu heiß, und zwar solchen, die vorher für das wichtige nationalweite Medienecho gesorgt hatten und die umgekehrt auch von der Presse gern interviewt und dargestellt wurden. Während die „Basis“ keinen Grund sah, gegenüber der linken Regierung weniger fordernd aufzutreten (und sie immerhin auch die ersten waren, die Jospin in ernste Schwierigkeiten brachten), ließen verschiedene Sprecher zunehmend verlauten, sie unterstützten die Bewegung und ihre Forderungen, wollten die Regierung aber nicht in eine Krise bringen. Praktisch ging ihre Unterstützung dann zurück, und die Bewegung war umgekehrt auch inhaltlich zu schwach, um sie allein auf nationaler Ebene fortzuführen.

Beispiel Sans Papiers-Bewegung
Auch eine andere Bewegung hat Schwierigkeiten, mit der neuen „linken“ Regierung klarzukommen: Die Sans Papiers. So zählte die groß angekündigte Demo in Paris am 16. Mai 98 nur einige tausend Teilnehmer. Abgesehen davon, daß es vier parallele Demos mit ähnlichen Themen gab (das berühmte einheitliche Vorgehen hier also nicht geklappt hatte) fehlten auf dieser Demo weite Teile der Linken und Sympathisanten, die noch im letzten Jahr gegen die neuen Ausländergesetze mobil gemacht hatten (wir erinnern uns: 100.000 in Paris im Mai ´97). Das hat auch hier politische Gründe. Waren doch im letzten Jahr noch die Grünen oder die Kommunistische Partei an der Bewegung beteiligt, die sich nun auf Regierungsseite wiederfinden und entsprechend rumeiern. Doch auch weite Teile der „radikalen Linken“, von denen ja im Zuge der letzten Regionalwahlen so viel die Rede war (in manchen Orten bekamen sie 10 und mehr Prozent), haben Schwierigkeiten, sich im neuen Machtgefüge zu verorten. Insbesondere die zwei wichtigen trotzkistischen Parteien LCR und LO erklären, daß sie ihre Aufgabe darin sehen, die Kommunistische Partei nach links zu drücken, damit die ihrerseits Druck auf die Regierung ausübt. Und Druck ausüben ist eben nicht das gleiche wie bekämpfen. Madjiguenne Cissé, die bekanntermaßen den linken Flügel der nationalen Koordination der Sans Papiers repräsentiert, erzählt, wie sie gerade von den ehemals Aktivsten dieses berühmte „ja – aber…“ zu hören bekommt: Natürlich sei man auch weiterhin für „Papiere für alle“, nur müsse man behutsam sein, der neuen Regierung Zeit lassen, nicht alles auf einmal fordern. Und auch innerhalb der Sans Papiers – Bewegung ist umstritten, inwieweit radikale Forderungen jetzt sinnvoll sind. Waren es doch gerade die Sans Papiers, die den unverhofften Wahlsieg Jospins im Juni 97 feierten, während sich die Euphorie ansonsten in Grenzen hielt …

Entsprechend gibt es vergleichsweise wenig öffentliche Aufregung über die neuen Ausländergesetze unter Jospin, z.B. über die Tatsache, daß die Aufenthaltserlaubnis für die vielzitierten Regulierten nun von 3 auf 1 Jahr reduziert wurde – der ganze Einzelfallprüfungsspaß also nach einem Jahr noch mal von vorne losgeht, oder daß schon etwa 75.000 Sans Papiers – Anträge abgelehnt wurden, Abschiebungen weitergehen, in üblicher Weise mit Knebeln, Beruhigungsspritzen etc.

Und nun? 
Eine linke Regierung weiß besser, wie sie Bewegungen spaltet, so Madjiguenne Cissé auf einer Veranstaltung in Berlin. Das ist sicher richtig: Jospin schickte mit unerwarteter Brutalität das Polizeisondereinsatzkommando CRS sowohl gegen Arbeitslose wie Sans Papiers vor, und erklärte – anders als seine rechten Vorgänger – gleichzeitig sein „Verständnis“ für die Probleme und seine Bereitschaft zu verhandeln. Andererseits ist es aber auch Ausdruck der Schwäche der Bewegungen, und zwar der inhaltlichen Schwäche, wenn sie nicht ebenso fordernd und klar gegenüber einer „linken“ Regierung auftreten.

Es muß insofern wohl kaum erwähnt werden, daß auf nationaler Ebene keine der Forderungen der Bewegung erfüllt wurde und daß die „Angebote“ der Regierung teilweise gut klingen, bei näherem Hinsehen sich aber in Nebelschwaden auflösen: Das von Jospin angeschobene „Gesetz gegen soziale Ausgrenzung“ besteht aus Appellen, auch an die sozial Schwachen zu denken, die große Geste von 1 Mrd. Francs für die Arbeitslosen sind umgerechnet etwa 60 DM mehr im Jahr pro Arbeitsloser und das als Gegenoffensive zur Arbeitslosenbewegung angekündigte Gesetz zur 35h- Woche stellt für die Aktivisten in und außerhalb der Betriebe eher eine Bedrohung dar -derart nimmt man vor allem auf die „Wünsche“ der Unternehmen nach Jahresarbeitszeiten, Flexibilisierung und Prekarisierung Rücksicht. („Mit 35h- Woche verbindet heutzutage keiner mehr ‘was Positives“, so ein Gewerkschafter.)

Doch die Dinge sind weiter in Bewegung. Es sortiert sich nun neu, wer zur „extrème gauche“, also zur radikalen Linken gehört – und entlang dieser neuen Trennungslinie sieht man interessante Bewegungen und Auseinandersetzungen. So gibt es in den genannten trotzkistischen Parteien3 oppositionelle Strömungen, die gegen die Regierungsfreundlichkeit ihrer Parteigenossen arbeiten und neuerdings auch untereinander diskutieren – kaum denkbar noch vor einiger Zeit. Es gibt Basisgewerkschafter bei der Eisenbahn, die Zuggleise blockieren um Abschiebungen von Sans Papiers zu verhindern (geschehen am Gare de Lyon in Paris) und es gibt das berühmte Flugzeug am Flughafen von Roissy, wo die Passagiere, nachdem sie durch Flugis etc. erfahren hatten, daß mit ihnen Illegale ausgeflogen würden, die Reise verweigerten und daraufhin der Pilot den Flug nicht startete. Es gibt seit einiger Zeit wieder von Sans Papiers besetzte Kirchen und Leute, die das unterstützen. Es gibt neue vorsichtige Annäherungen von der Arbeitslosenbewegung in Paris an die einzig größere Bewegung der banlieues (Vororte) MIB (mouvement des immigrés et des banlieues), was insofern von besonderer Bedeutung ist, als daß gerade die arbeitslosen Jugendlichen der Vororte (oft Nordafrikaner) bei der Arbeitslosenbewegung fast völlig fehlten. Es gibt neue Vernetzungen von Arbeitslosen-Aktivisten und Teilen der Sans Papiers- Bewegung, womit die wichtige Auseinandersetzung um Arbeitslosigkeit, prekärer Beschäftigung und Rassismus vorangetrieben wird und eine Diskussion breiter wird, die Sans Papiers nicht nur als arme Ausländer ansieht, sondern als den von Prekarisierung am stärksten betroffenen Teil von Lohnabhängigen. Es gibt neue regionale Vernetzungen, wie im 18. arrondisement von Paris, wo während der Bewegung gemeinsam von Gewerkschaftern und Arbeitslosen das Elektrizitätswerk besetzt worden war und wo eine intensive Diskussion um die Politik der staatlichen Elektrizitätswerke und ihre Auswirkungen gerade auf die sozial Schwachen sowie wiederum die Arbeitsbedingungen in diesem Werk losgetreten worden war. Im Zuge dieser Diskussion schalteten Angestellte des Werkes den Strom für diejenigen wieder an, denen er auf Grund von Zahlungsunfähigkeit vorher abgedreht worden war. Dagegen prozessiert wiederum die Elektrizitätsgesellschaft und es bildete sich ein regionales Unterstützerkomitee…

Mit anderen Worten: Es gibt so etwas wie eine neue inhaltliche Bestimmung von Opposition – auch gegen alte Verbündete, die sich nun direkt oder indirekt auf Regierungsseite wiederfinden.

Und wir?
Bei uns ist die Arbeitslosenbewegung in Frankreich gern und oft idealisiert worden. So hörte man während des ersten Aktionstages in Berlin aus dem für den DGB überraschend aufgetauchten Lautsprecherwagen: „Immer wenn in Frankreich die Arbeitslosen protestieren, dann stehen die Gewerkschaften hinter ihnen!“ Was leider keineswegs der Fall ist. Doch die Franzosen machen es umgekehrt genauso: Als sie von unseren 80.000 und mehr Protestlern auf der Straße hörten, schien ihnen die Bewegung in Deutschland ungeheuer…

Doch es ist schon richtig, in Frankreich laufen die Diskussionen politisierter, es geht nicht nur um Aufmerksamkeit und Mitleid für die Arbeitslosen, sondern darum, daß die Gesellschaft so nicht weiterfunktionieren kann (eine Aussage, die der bekannte Professor Bourdieu sich nicht einfach ausgedacht hat, wenn er gegen den Neoliberalismus wettert und die Arbeitslosen unterstützt, sondern die Teil des esprit der Bewegung ist). Ebenso geht es in Frankreich „radikaler“ zu, wobei man da schon vorsichtig sein muß. Einerseits ist es richtig, daß man „hier“ viel zu sehr Schiß hat vor „Übertretungen der Legalität“ (was war es für ein Theater, das bißchen kollektiv Schwarzfahren hinzukriegen), andererseits reagiert die Polizei hier schon noch anders – einfach deshalb, weil sie den gesellschaftlichen Konsens hinter sich weiß.

Und noch ein wichtiger Unterschied: Während bei uns die Extrem- Rechte sich bedrohlich bemüht, einen Fuß in diese Arbeitslosengeschichte und in Sachen soziale Fragen generell zu bekommen, ist in Frankreich, trotz des anhaltenden Wachstums der Front national (FN), die Bewegung ganz klar links. Das ist insofern wichtig, als daß jedesmal ca. 30% der Arbeiter und 30% der Arbeitslosen FN wählen und der „Modernisierer“ Megret (2. Chef der FN und Bürgermeister der Stadt Vitrolle) und mit ihm ein ganzer Flügel der FN schon länger bemüht sind, soziale Diskussionen rechtsextrem aufzugreifen („Kein Abbau des öffentlichen Dienstes! Keine Entlassungen von Franzosen!“ – liest man z.B. auf Flugblättern, die bei der Post verteilt wurden).

Andererseits gibt es auch Parallelen zwischen Deutschland und Frankreich: Die „ausgeschlafenen“ oder auch die „glücklichen Arbeitslosen“ die in den „Hängematten“ liegend ein schönes Arbeitslosenleben vorschlagen, gegen den Zwang im Kopf, permanent arbeiten zu müssen, die gibt es auch in Frankreich (mit anderen Namen). Dort läuft dann allerdings die Auseinandersetzung, ob man wirklich so einfach gegen Arbeit sein kann und ob es nicht vielmehr darum geht, „Arbeit“ für alle anders zu organisieren, weit aggressiver ab, als ich es hier erlebt habe.

Es klingt vielleicht vermessen, angesichts der gedrückten Stimmung, was unsere eigenen Arbeitslosenproteste angeht, hier noch einen optimistischen Ton anzuschlagen. Aber: von Beginn „unserer Bewegung“ an gab es ein wirkliches und neues Interesse der Basis und auch der „einfachen Leute“ (sagen wir mal, einer Verkäuferin oder Sekretärin) daran, was die Arbeitslosen denn da in Frankreich so machen. Dieses internationalistische Interesse war weder verordnet noch mühsam erklärt, sondern sie entstand tatsächlich aus der verdammten Einsicht, daß hier auch etwas „passieren“ muß. Einen solchen breiten gedanklichen Internationalismus habe ich persönlich zumindest noch nicht erlebt.

1 Jospin und die Chefin der großen Gewerkschaft CFDT machten sich durchaus lächerlich, als sie hechelten, die Arbeitslosen seien von ein paar Linksradikalen „manipuliert“ worden: Beteiligte und unbeteiligte Arbeitslose taten umgehend kund, daß sie sich weder manipuliert fühlten noch manipuliert seien, sondern hinter der Bewegung stünden.

2 Dabei muß man sich vor Augen halten, daß in Frankreich arbeitslos sein noch viel weniger lustig ist als in Deutschland: mit ca. 2200 Francs besteht die mittlere Unterstützung bei etwa 680 DM – eine Summe, die man bspw. für eine günstige Ein- bis Zweizimmerwohnung ausgibt. Diese ausgesprochen beschissene Situation (Jugendliche bis 25 bekommen z. B. rein gar keine Unterstützung) könnte z.B. auch die Diskrepanz zwischen großer Sympathie für die Bewegung und geringer aktiver Teilnahme erklären: denn wie auch in Deutschland ist man in Frankreich nicht einfach arbeitslos, sondern muß von Behörde zu Behörde rennen um seine wenigen Francs noch zusammenzubekommen. Vom permanenten Bewerbungsstreß (der allerdings bisher weniger den Charakter von Zwangsarbeit hat als in Deutschland – das regelt schon die finanzielle Notlage, daß man sich kümmert) mal ganz abgesehen.

3 Von diesen trotzkistischen Parteien ist darum hier so viel die Rede, weil diese in Frankreich traditionell eine wichtige Rolle in der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen spielen, ihr Verhalten in den sozialen Auseinandersetzungen also großes Gewicht hat.

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