Flugblatt des telegraph vom 10. Dezember 1989

1. Es hat keine Verhandlungen mit Springer gegeben!
2. Forderungen der Umwelt-Bibliothek Berlin an den Runden Tisch

Es hat keine Verhandlungen mit Springer gegeben!“

Der Berliner Verlag soll ausverkauft werden

Im Hinterzimmer einer der miesesten Berliner Kaschemmen, in der „Quelle“, Ecke Metzer/Prenzlauer traf sich in der letzten Woche der ehemalige Chef des bundesdeutschen Industrieverbandes, Otto Wolff von Amerongen mit Berliner Oppositionellen (nicht eigeladen war die Vereinigte Linke). Was Otto Wolf von Amerongen dort als Sanierungskonzept der westdeutschen Industrie für die DDR vortrug, ließ allen die Kiefer herunterklappen: DDR-Betriebe über 3.000 Beschäftigte gelten zur Sanierung fähig und werden bis zu 48% mitr Westkapital unterstützt. Bei Betrieben von 1.000 bis 3.000 Beschäftigten werden Rentabilitätsanalysen angestellt. Wenn sie nach westlichen Maßstäben an der Konkursgrenze sind, sind sie sanierungsfähig. Betriebe unter 1.000 Beschäftigten sollen als GmbH privatisiert werden.

Aber die Dinge sind ja auch bereits unterwegs. Gerüchte über Beteiligung von großen BRD-Firmen an diesem und jenem Betrieb schwirren durch die Luft. Der Henschelverlag verhandelte mit einem bundedeutschen Verlag über eine Beteiligung, wollte aber nicht mehr als 40% Auslandskapitel zulassen. Die Westdeutschen brachen, im Bewußtsein des längeren Hebels die Verhandlungen ab: „Ach, wir warten lieber noch zwei Wochen.“ Im Schaltgerätebau des Berliner Transformatorenwerkes Oberspree beispielsweise hat sich AEG einge­kauft. Ab 1. Januar (scheinbar ein Richtdatum für den Beginn der Rekapitalisierung) wird die „Umstrukturierung“ beginnen. Aus 14 Direktoratsbereichen werden fünf. Unklar ist noch, wieviel Angestellte und Sachbearbeiter dabei freigesetzt werden. Unsicher ist bezeichnenderweise auch das Schicksal der Forschungs- und Entwick­lungsabteilungen. Ein halbkolonialer Staat braucht so etwas nicht.

Klarere Informationen gibt es über den Berliner Verlag. Nachdem sich der Verlagsleiter in einem Interview mit einer westdeutschen Zeitung verplappert hatte und der Eindruck entstanden war, daß die Verhandlungen mit Springer bereits abgeschlossen wären, gabe es im Betrieb einige Unruhe. Weil die SED nicht mehr fähig sei, den parteieigenen Verlag mit jährlich 129,0 Mio Mark zu unterstützen, könne, so hieß es, ab Januar an die Mitarbeiter kein Gehalt mehr gezahlt werden. Der Direktor P/T entsandte an die aufgescheuchte Belegschaft ein Rundschreiben mit „konzeptionellen Vorstellungen zur weiteren Entwicklung des Berliner Verlages unter der absehbaren politischen Entwicklung“.

Zur Disposition ständen Eigentumsform, Herausgeber, Verlagsprofil und ökonomische Eigenständigkeit. Unter vier Varianten, die im Folgenden erörtert werden, wird von vornherein eine weitere Steuerung durch die SED ausgeschlossen, die dies infolge der Trennung vom Staat nicht mehr finanzieren könne. Aussichtsreicher wird die Angliederung des Berliner Verlags an den Ministerrat und „eine Wiederspiegelung des Parteienspektrums“ geschildert. Erörtert wird dann eine „Berliner Verlags GmbH als ein öffentlicher, rechtlicher und überparteilicher Pressekonzern“, was nach Aufnahme eines Kredits „keine ernsthaften Probleme“ bereite. Und schließlich folgt als Variante 4 die „Bildung einer Berliner Verlag Aktiengesellschaft auch mit ausländischem Kapital“.

Während in den meisten Zeitschriften des Berliner Verlags das Rundschreiben bei den Chefredakteuren hängen blieb, engagierte sich die Redaktion der „Für Dich“ massiv gegen einen Ausverkauf des Verlags und berief für Mittwoch eine Versammlung der Gesamtbelegschaft ein mit der Aufforderung, Betriebsräte zu bilden. Dazu hatten sie Gäste aus verschiedenen linken Gruppen eingeladen. Eine Vertreterin der Westberliner „TAZ“ wurde von der Belegschaft vor die Tür gewiesen.

Mitarbeiter der Initiative Vereinigte Linke forderten, daß die Belegschaft auf das Schicksal des Verlages Einfluß nehmen müßte. Dies solle durch Betriebsräte realisiert werden. Da der Verlag ursprünglich Eigentum des Magistrats war (1954 von der SED okkupiert) und damit Volkseigentum sei, müsse er öffentlichen Interessen dienen und entsprechend öffentlich kontrolliert werden. Dazu sollten „medienpolitische Volkskontrollausschüsse“ gebildet werden. Eigenerwirtschaftung der Mittel wird bejaht. Es gelte aber zu_verhindern, daß aus wirtschaftlichen Erwägungen politische Sonderinteressen, z.B. westlicher Kapitalgeber durchgesetzt werden.

Diese Vorschläge lösten aber bei der Belegschaft nur Unmut aus. „Der Sozialismus hat sich erledigt“, „Laßt doch unseren Direktor reden, er wird es schon wissen.“ Der Verlagsleiter leugnete, daß es Verhandlungen mit Springer gegeben habe. Es sei ihm nur um Information und Sondierung gegangen. Im übrigen seien die Befürchtungen ohnehin nicht aktuell. Die SED habe neuerdings zugesichert, daß der Etat für das gesamte Jahr 1990 abgedeckt sei. Warum der Direktor nun gerade mit dem einst so beschimpften Springer Verlag geredet hatte, beantwortete er folgendermaßen: „Das hat nichts zu bedeuten. Die Leute vom Springer Verlag können das besonders gut und wir müssen es lernen. Ich bin ja schließlich nicht als Manager auf die Welt gekommen.“

Einigkeit herrschte bei der Mehrheit der Belegschaft in der Ablehnung sowohl eines Betriebsrates als auch in der Ablehnung der Ministerratsvariante und eines von den NBI-Leuten vertretenen öffent­lich-rechtlichen Konzepts. Der Berliner Verlag soll privatisiert werden, ob nun als GmbH oder als Aktiengesellschaft. Es ginge um wirtschaftliche Effektivität und Eigenerwirtschaftung der Mittel. In jedem Fall soll ein westlicher Kredit aufgenommen werden. Völligen Konsens gab es in der Annahme von westlichen Anzeigenkunden.

Gerüchteweise übrigens verlautet, daß FF Dabei schon in nähere Koalitionen mit dem Springer-Blatt Hörzu getreten ist. Die Redaktion kommentierte, sie müsse ja immer das westliche Fernsehprogramm bringen und daher sei die Zusammenarbeit mit einem Westverlag naheliegend.
r.l.

Forderungen der Umwelt-Bibliothek Berlin in eigener Sache an den Runden Tisch auf Magistratsebene

Die Umwelt-Bibliothek stellt an die Regierung der DDR eine Reihe von Forderungen: auf Rehabilitierung und Herausgabe von widerrechtlich bzw. nach damaligen Gesetzen der DDR beschlagnahmtem Eigentum und fordert die Anerkennung der Umwelt-Bibliothek als gemeinnütziger Verein sowie die Zulassung ihrer Zeitschriften.

I.1.In Zusammenhang mit den Januarereignissen des Jahres 1988 wurden 3 Mitglieder der Umwelt-Bibliothek Berlin, Till Böttcher, Andreas Kalk und Bert Schlegel wegen angeblicher „Zusammenrottung“ zu je einem Jahr mit Bewährung veurteilt. Die Verfahren suchen in ihrer frivolen Auslegung selbst der damals geltenden Gesetze ihresgleichen. Alle drei Mitglieder der Umwelt-Bibliothek gelten jetzt nach Ablauf ihrer Bewährungsfrist immer noch als vorbestraft. Wir fordern die sofortige Rehabilitierung und Klärung der Verantwortung für dieses Verfahren.

2.Im Zusammenhang mit dem Überfall der Staatssicherheit auf die Umwelt-Bibliothek im November 1987 wurden eine Reihe von Materialien und Produktionsmittel der Umwelt-Bibliothek und der damaligen Zeitschrift „Grenzfall“ beschlagnahmt. Damaligen Gesetzen folgend, wurde wegen eines Ermittlungsverfahrens eine Wachsmatrizenmaschine der Redaktion „Grenzfall“ und nach den Zollbestimmungen eine Wachsmatrizenmaschine englischen Fabrikats der Umwelt-Bibliothek beschlagnahmt. Ohne jede rechtliche Grundlage wurden auch nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder Umwelt-Bibliothek trotz wiederholter Anmahnungen unseres Rechtsanwalts, Schnur, zwei weitere Wachsmatrizenmaschinen (Vorkriegsfabrikate) und eine elektrische Schreibmaschine einfach einbehalten. Weiterhin wurden bei dem Überfall der Staatssicherheit andere Materialien der Umwelt- Bibliothek beschlagnahmt und nie zurückgegeben. Wir fordern die sofortige Rückgabe unseres Eigentums und des Eigentums der Redaktion „Grenzfall“.

3.Im Oktober 1988 wurde eine Video-Kamera der Umwelt-Bibliothek während einer Demonstration beschlagnahmt, und zwar unter Vorgabe der damaligen Zollgesetze der DDR. Wir fordern die Rückgabe auch dieser Video-Kamera.

II.Als Entschädigung für zahlreiche in Haft verbrachte Tage, häufige Vernehmungen, fortwährende Bespitzelung, Hindernisse beim beruflichen Fortkommen bzw. Arbeitslosigkeit infolge entsprechender Vorgaben der Staatssicherheit für Mitglieder der Umwelt-Bibliothek verlangen wir folgende Kompensationen:
1.Anerkennung der Umwelt-Bibliothek Berlin als gemeinnütziger Verein und bedingungslose finanzielle Unterstützung der Arbeit der Bibliothek.
2.Zulassung der Zeitschriften der Umwelt-Bibliithek „telegraph“ und „umweltblätter“ und ihre Aufnahme in den Post­Zeitungsvertrieb.
3.Zur Verfügungsstellung geeigneter und ausreichend großer Räumlichkeiten für die Umwelt-Bibliothek Berlin und ihre Arbeitsgruppen, entweder mit langfristigen Mietverträgen oder_als Eigentum. Als Vorschlag machen wir die Räumlichkeiten des Lagers des VEB Schuh- und Lederwaren in der Zionskirchstraße 75, das Staatssicherheitsobjekt in der Straßburger Straße 6-8 oder Teile der Alten Brauerei an der Schönhauser Allee zwischen Dimitroffstraße und Sredzkystraße.
4.Beteiligung der Umwelt-Bibliothek an den Gesprächen am Runden Tisch auf Magistratsebene.

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