aus telegraph 1/1989 (#01)
Am 2. Oktober um 16.00 Uhr begann in der Berliner Gethsemane-Kirche eine Mahnwache für die Inhaftierten der letzten Wochen. Die Beteiligung an den täglichen Andachten wuchs im Laufe der Zeit bis auf 2.500 Leute. Der Staat versuchte zunächst, über den Gemeindekirchenrat Druck auszuüben, Plakate am Kirchturm wurden kritisiert und mußten abgenommen werden. Die Mahnwache wollte informieren und dadurch Solidarisierung aus der Bevölkerung erreichen. In den Hauptverkehrszeiten wurden vor dser Kirche Handzettel verteilt. Von fast allen Passanten wurden sie mit großem Interesse aufgenommen und die Reaktionen reichten von verbalen Solidaritätserklärungen bis zu Geld- und Essenspenden. Es gab nur sehr wenig Ablehnung und Unverständnis. Grundsatz der Mahnwache ist Gewaltlosigkeit. Sie will weder die Sicherheitskräfte provozieren, noch sich provozieren lassen.
Innerhalb der Mahnwache läuft eine Fastenaktion, der sich inzwischen ca. 20 Leute angeschlossen haben. Die Fastenden sind religiös motiviert, möchten sich von „Angst, Resignation, Haß, Gewalt, Ungeduld und Sensationslust reinigen“ und sehen im Fasten eine Protestmöglichkeit gegen „die Art und Weise, mit der unsere Politiker ungerührt den Schein aufrechterhalten, die den 40. Jahrestag als ihren Sieg feiern“. Außerdem geht es um Solidarität mit allen Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, die dafür leiden müssen und verfolgt werden.
In Zusammenhang mit den Demonstrationen am 7. Oktober kam es zu einem Übergriff einer Spezialeinheit auf die Gethsemanekirche, dabei wurden zwei Mitglieder des Gemeindekirchenrates „entführt“.
Seit dem 7. Oktober sind die Andachten von einem unvorstellbaren Aufgebot von Sicherheitsorganen begleitet. Es kam wiederholt zu Knüppeleinsätzen gegen Besucher der Andachten in der Gethsemanekirche. Die Gethsemanekirche war zeitweise regelrecht eingekesselt und nicht zu erreichen.
Das Kontakttelefon war oftmals längere Zeit nicht zu erreichen.
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