aus telegraph 1/1989 (#01)
Wir, die Vertreter von 25 Arbeitsgemeinschaften des Kulturbundes aus großen Städten unseres Landes, die auf den Gebieten des Umweltschutzes, der Stadtölkologie und der Stadtgestaltung tätig sind, haben während unseres Treffens in Potsdam am 7. und 8. Oktober 1989 einen Erfahrungsaustausch durchgführt. Im Ergebnis der Diskussion stellten wir fest, daß uns alle die gleichen ernsten Probleme beschäftigen und die gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen einen fruchtbaren Dialog und effektive Arbeit nicht zulassen. Deshalb wenden wir uns mit dieser Willenserklärung an Sie, mit der dringenden Bitte um Veröffentlichung:
Wir sind am Tage des 40. Geburtstages unserer Republik betroffen, traurig und auch wütend über den Zustand unseres Landes. Das Gehen vieler ist für uns der Ausdruck der Enttäuschung und der Abkehr, die schon seit Jahren Teile der Bevölkerung erfaßt haben. Wir sind von Unehrlichkeit umgeben, wo Aufrichtigkeit lebenswichtig wäre. Wir müssen feststellen, daß Engagement und Sorgen um unser Dasein und das unserer Kinder bagatellisiert oder gar kriminalisiert werden. Weil die vorhandenen gesellschaftspolitischen Strukturen unglaubhaft sind und nicht den Erfordernissen unserer Zeit entsprechen, bilden sich neue Plattformen mit großem Zuspruch.
Wir wollen Wahlen, die durchschaubar sind, Alternativen bieten und von der Öffentlichkeit lückenlos kontrollierbar sind.
Wir wollen als selbstbewußte Bürger unseres sozialistischen Staates endlich glaubhaft in den Ent-scheidungsmechanismus im Lande einbezogen werden, statt ein Leben in privater Zurückgezogenheit zu führen.
Wir wollen ehrliche Analysen und Aussagen über den Zustand unserer Wirtschaft und unserer Umweltbedingungen.
Wir wollen Medien, in denen wir uns, unser Leben und unsere Probleme wiederfinden.
Wir wollen im Beruf und in der Freizeit aktiv für eine sozialistische Gesellschaft arbeiten, die sich durch Ehrlichkeit, gegenseitige Achtung und Offenheit auszeichnet, die die ökologische Gefahr erkennt und produktiv verarbeitet, die durch eine menschenwürdige Perspektive Leistungsbereitschaft und Lebensfreude verbreitet.
Wir fühlen uns als Aushängeschild mißbraucht.
Wir wollen, daß der Kulturbund der DDR, sich auf seine Traditionen besinnend, eine wichtige Plattform zur demokratischen Erneuerung unseres Landes wird.
Wir wollen nicht, daß die von uns allen in 40 Jahren geschaffenen Werte in Gewalt und Chaos untergehen.
Potsdam, den 8. 10. 1989
58 Unterschriften
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph