Faschistischer Eintopf

Aus telegraph 01/1990, vom 8. Januar

In den letzten Tagen und Wochen sind in den DDR-Medien immer mehr Berichte über neofaschistische Aktivitäten in der DDR zu beobachten. Aber oft sehr unkonkret, – alle Antifa-Gruppen könnten z.B. detail¬liert über Aktivitäten, Personen, Treffpunkte und ausländische Kontakte der Neofaschisten berichten.

Und auch kein Wort in den Medien über Verfolgung und Inhaftie¬rung von AntifaschistInnen durch die Sicherheitsorgane noch vor einigen Monaten, z.B. in Potsdam oder über die Vertuschung der Gründung einer faschistischen Gruppe in Wolgast.

Untragbar wird die Medienberichterstattung aber durch ihre undifferenzierte und verdummende Art und Weise. Schlimm genug, wenn das „ND“ (28.12.89) scheinbar, durch einen Brief eines Red-Skin, das erste mal etwas über verschiedene Strömungen der Skin-Bewegung gehört zu haben scheint.

Die Reaktionen auf die Sprühereien am Treptower Ehrenmal sind, so wie sie öffentlich gemacht worden sind, nicht mehr vertretbar.

Ich als radikaler Antifaschist bin gegen jede Art von Faschis¬mus, Nationalismus, Rassismus, Sexismus. Aber gerade deshalb müssen sich alle AntifaschistInnen um differenzierte Analyse bemühen. Nicht alle Deutschland-Fahnen-Träger sind Nationalisten, geschweige denn Faschisten.

Und die Sprühereien am Treptower Ehrenmal: „Besatzer raus“, „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“, „Nationalismus für ein Europa freier Völker“ und „Sprengt das letzte Völkergefängnis, sprengt die UdSSR“ sind völlig untypisch für DDR-Fascho-Szene.

Damit kein Mißverständnis auftritt: ich bin gegen den Inhalt der Sprühereien. Aber auch Erlebnisse im Baltikum machen klar, daß Teile der Volksfrontbewegung dort solche Sprüche unterstützen würden, ohne Faschisten zu sein.

Also vorsichtig mit voreiligen Beurteilungen. Es ist viel komplizierter. Auch ist es an der Zeit, peinliche Entwicklungen in der deutschen Geschichte öffentlich zu machen. Wieso ganze Rotfront¬kämpfer-Bund-Gruppen teilweise nach 1933 zur SA übergelaufen sind und ähnliches.

Auch ist es wohl etwas makaber, daß eine Demonstration gegen Faschismus gerade am Ort des größten stalinistisch architektonischen Monumentalbau der DDR stattfindet.

d.t.

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