Auszüge aus der Erklärung der Besetzerinnen der Schreinerstr.47, Bln.
Aus telegraph 01/1990, vom 8. Januar
…Wir erklären hiermit, daß wir das Haus Schreiner Str. 47 in Berlin-Friedrichshain besetzt haben, um unserer Hoffnung auf Sozialismus, Verständigung und Solidarität wenigstend den Hauch einer Chance zum Überleben zu geben. Hinzu kommt, daß nicht abzusehen ist, wann unser Haus rekonstruiert werden soll. Vor 1991 ist mit dem Baubeginn nicht zu rechnen. Es steht in Frage, ob dieser Termin nach dem Abzug der nichtberliner Bauleute eingehalten werden kann. Damit würden die Wohnungen weiter sinnlos leerstehen (die Wohnungen im 4. Stock schon seit 4 Jahren). Der offizielle Fertigstellungstermin war übrigens Dezember 1989. So werden wir uns um die Rekonstruktion selber kümmern.
Wir haben die Absicht, ein offenes Info-Büro mit Cafe einzurichten, in dem auch kommunale Belange (z.B. die Gestaltung des Spielplatzes neben unserem Haus) aufgegriffen werden sollen.
Wir sind nicht über die langen bitteren Jahre der Diktatur gerade in der nichtkapitalistischen Welt geblieben, um jetzt dem Verfall und Ausverkauf unseres Landes tatenlos zuzusehen. Unsere moralischen Werte – Solidarität, Gewaltfreiheit, Bildung, Teilhabe, unsere unverschämte Lebensfreude und – Wut haben uns die Zeit des Stalinismus überleben lassen. Genau mit diesen Mitteln stellen wir uns nun der viel schlimmeren Diktatur des Weltkapitals entgegen. Weitere Häuserbesetungen in Berlin. Dessau, Dresden, Greifswald, Jena, Leipzig, Potsdam und Rostock zeigen, daß wir mit unserer Meinung nicht allein stehen.
Wir fordern alle auf, diesem Beispiel zu folgen und die Häuser, Werkstätten, Bildungseinrichtungen, Kneipen, Cafes usw. in eigene Verwaltung zu nehmen. Nur so sehen wir die Möglichkeit, dem menschenfeindlichen „freien Markt“ in der DDR den Boden vorzuenthalten. Wenn uns morgen vielleicht die Polizei aus unserem Haus herausträgt, dann gehen wir nicht, so werden das nicht mehr Polizisten des Volkes sein, sondern Handlanger des internationalen Finanzkapitals …
Anm. der Redaktion: Im Gegensatz zur Duldung der Besetzung der Schönhauser Allee 20, die wegen des großen Medienechos einen gewissen Schutz hat, hat die KWV die Absicht geäußert, die Schreiner Str. 47 räumen zu lassen. Wir bitten die Öffentlichkeit um Solidarität auch mit dieser Besetzung.
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