Bedenken

Ein sehr persönlicher Kommentar
von W. Rüddenklau

Nach zwei monatigem Schweigen will ich mich einmal kurz zu Wort melden, wenn auch nur, um mitzuteilen, warum ich nichts mehr sage. Denn spätestens seit dem Übertritt der so bezeichneten Bürgerrechtler Wollenberger, Noocke, Neubert, Barbe etc. habe ich keine Lust mehr. Nein, ich denke nicht darüber nach, welcher Partei ich beitrete. Ich war einer von denen, die die Erklärung der 66 unterschieben haben und dem ist nichts Neues hinzuzufügen. Es ist überhaupt offenbar nicht sinnvoll, irgendetwas Neues zu sagen, weil das ohnehin im allgemeinen Lärm der Unterhaltungsmusik untergeht, es sei denn man fordert etwa durch eine positive Erwähnung Sylvio Gesells oder eine sonstige dogmatische Abweichung die Schranken der political correctnes und den darauf üblichen kenntnis- und imaginationslosen Proteststurm heraus. Was mich, von diesem immerhin gewichtigen Einwand, mal abgesehen an gegenwärtigen Situation frustriert, ist, daß es meine Altersgenossen aus der DDR-Opposition sind, darunter viele gute Freunde, die jetzt Stück für Stück nach rechts rücken. Nein, nicht wegen Wollenberger. Aber ein gutes Teil einer Bewegung und auch des persönlichen Wohlbefindens darin, ist eben durch das Wissen um emotionale Nähe zu diesen oder jenen Leuten bestimmt. Wollenberger ist mir Wurst. Ich konnte sie schon früher als dogmatische Marxistin nicht ausstehen und irgendwelche positiven Nachrichten hat man seither nicht von ihr gehört. Aber dieser kluge Erhard Neubert beispielsweise war doch für mich immer ein Merkzeichen, wie man auch in meiner Generation leben und stehen kann. Und was für ein dummes Zeugs er jetzt daherredet, daß trifft mich ganz persönlich. Ein anderer wichtiger politischer Freund, einer von denen, die mich bewegt und erwärmt haben, wurde mir neulich bei einer Wiederbegegnung in der Kneipe jählings entrissen. Er erzählte mir von der regulierenden Kraft des Geldes. Ich ahnte Schlimmes und hätte mir am liebsten die Ohren verstopft. Dann stellte ich doch ein paar Fragen, um mich zu vergewissern und zusehends verwandelte sich dieser angenehme und gebildete Zeitgenosse in einen Fremden.

Es wird zusehends kälter und einsamer um mich. Und neue politische Verwandte können mir keinen Ersatz für die alten geben. Sie haben andere Erfahrungen, andere Erlebniswelten und andere Assoziationen. Es stellt sich nicht mehr die Nähe und die Verständigungsmöglichkeit mit wenigstens einigen dieser Leute her, die ich für Leben und politische Arbeit eigentlich so dringend brauche. Die Rolle eines einsamen Wolfes liegt mir nicht, aber kann ich mich in die neuen politischen Denkrichtungen nicht so einordnen, wie das nötig wäre, um wirklich neue politische Freunde zu gewinnen.

Die Erfurter Erklärung beispielsweise gefällt mir grundsätzlich nicht schlecht, wenn sie auch für meinen Geschmack ein wenig zu sehr auf einen reformierten Kapitalismus abstellt. Aber der Gedanke an weitere 4 Jahre konservativer Reform, vielleicht sogar unter einem Bundeskanzler Schäuble gruselt mich so, daß ich zu allerlei Kompromissen bereit bin. Das Land kommt schon jetzt moralisch und geistig immer weiter herunter. Unter dem Einfluß von Privatmedien und Existenzkampf verwandeln sich die Mitbürger in Ungestalten. Ja, ich wäre für einen Wechsel in Bonn zu vielen Zugeständnissen bereit.

Nicht aber in der Frage der PDS und des doktrinären Kommunismus, merke ich dann. Nein, ich kann mich mit DDR-Flaggen und FDJ-Fahnen als revolutionären Requisiten nicht aussöhnen. Auch die rote Fahne kann ich nicht ohne unangenehme Assoziationen wahrnehmen. Und bei der Bezeichnung „Genosse“ gruselt mir. Bei aller Abneigung gegen die zunehmende Usurpierung des Landes, in dem ich aufgewachsen bin, durch westdeutsche Besatzer, kann ich doch nicht das Säuredreieck in Bitterfeld vergessen, die Entwürdigung durch Polizei und Staatssicherheitsdienst aber auch all das, was mir Leute, die die DDR von ihrer miesesten Seite erlebt haben, berichteten: von Knast, Folter oder auch nur alltäglicher Schikane. Und schließlich das, was ich in Puschkino von den Gulaghäftlingen gehört oder auch nur bei Solschenyzin gelesen habe, von Massenerschießungen, Hunger, brutaler Sklavenarbeit, aber auch dem Wert der Freundschaft der Entrechteten oder des trockenen Stücks Brot. Und merkwürdigerweise fühle ich mich emotional diesen Opfern, auch wenn sie die schlimmsten Kommunistenfresser geworden sind, immer sehr nah, während mich beispielsweise westdeutsche Linke ziemlich kalt lassen.

Nein, wenn ich mich in eine irgendwie geartete Bewegung begebe, dann müßten wenigstens diese grundsätzlichen Essentials stehen: Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Aus böser Erfahrung müßte ich außerdem darauf bestehen, daß die Begriffe klar definiert werden, damit sich nicht plötzlich beispielsweise herausstellt, daß Freiheit „Einsicht in die Notwendigkeit“ ist. Und zugegeben, gegenüber dem alten Personal der DDR habe ich so gewisse Vorbehalte. Wer einmal in einem solchen Laden mitgemacht hat… Ich würde in solchem Fall mindestens auf einer genauen Erklärung und aus böser Erfahrung gelegentlich auch noch Überprüfung des Vorlebens beharren.

Andererseits und bei allem Haß auf dieses Gott sei Dank bankrotte System will ich eben nicht, wie die Unterzeichner der Berliner Erklärung vor lauter Haß auf frühere Machthaber die Wahrnehmung der Konturen der Gegenwart aus den Augen verlieren. Leute, die den „Umbau des Sozialstaates“, die Umverteilung von unten nach oben und die Entrechtung der Bürger betreiben, das sind eben, genauso wie die Oberen im ehemaligen Ostblock, die Feinde von Demokratie und Menschenrechten und wohin diese neoliberale Reise geht, kann man in Lateinamerika bewundern

Es ist eben offenbar nicht mehr möglich, zu sagen, wofür man ist oder wogegen, man muß sich mit den drei Buchstaben eine Partei zieren oder wenigstens ein Unterzeichner einer nach irgendeiner Stadt benannten Erklärung sein. Eine Zeit wie die nach 1870/71 oder nach 1918, in der die sogenannte heimatlose Linke zwischen den großen Pötten zerdrückt wurde.

Den Rest kenne ich. Ja, es ist möglich, auch unter solchen Bedingungen politische Arbeit zu machen. Es ist harte tägliche und zudem noch unbezahlte Kleinarbeit. Gewiß doch, das habe ich ja seit der Wende gemacht. Aber was ich immer noch nicht in den neuen Bewegungen unter den neuen Leuten finde, das ist emotionale Nähe und Menschen, die ganz ähnliche Bedenken und Befindlichkeiten haben wie ich. Das braucht seine Zeit, falls die Zeit für solche Dinge nicht überhaupt vorbei ist.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph