Disneyland und Kacke

Über das Elend des Arbeitsbeschaffungsmaßnahmenschaffenden

„…und wer unter Menschen rein bleiben will, muß lernen, sich auch mit schmutzigem Wasser zu waschen.“

ein umstrittener Autor _ er endete in der Anstalt _ in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“

In jenen Tagen, da der Begriff „Russe“ noch eine üble Beschimpfung und sein Gebrauch einen politisch fragwürdigen Akt darstellte, war das Leben des kleinen Mannes ein weitgehend unbeschwertes. Heiter und fröhlich lebte es sich im Osten, auf jeden Fall heiterer und fröhlicher als jetzt. Ein kleines Bier kam vierzig Pfennig in der Gaststätte, ein Brot dreiundneunzig, und wer nicht mit dem Treiben seniler Sozialisten eingehend sich zu befassen bemüßigt sah, hatte zwar kein Vidschoh, aber der Ruhe und des Auskommens reichlich. Der Knuffer in der Fabrik kriegte knapp tausend OM, der Ingenieur knapp über tausend (und der Offizier noch ein klein bißchen mehr). Irgendeinen Job hatte laut Statistik restlos jeder Depp, ob er nun gearbeitet hat oder nicht. Wer Opfer des Asozialenparagraphen wurde, war in aller Regel selber schuld und eh dem Alkoholtod nahe.

Die durch gewisse Elemente angezettelte friedliche demokratische Revolution brachte nebst Freiheit und Demokratie groß und viel Bedrängnis übers einfache Volk, was aber nicht in erster Linie an den Elementen lag, sondern an denen, denen sie grob fahrlässig in die Hände arbeiteten. Das Streben nach dem schnöden Mammon wurde zum Lebenszweck eines jeden; hart wurden die Herzen der Menschen, böse ihr Tun, finster ihre Seelen und bekloppt ihre Hirne. Kriegte der Angehörige der nichtarbeitenden Bevölkerung vorher ohne Diskussion vierzehn Mark am Tag, was locker zum Leben reichte, hatte und hat er es nunmehr tatsächlich mit einer Art Existenzkampf zu tun, wenn auch nicht mit solcher polnischer oder ruandischen Qualität. (Was nicht ist…)

War im Osten ein Abiturient, welcher für diese Tätigkeit hundertachtzig Mark einstrich, davon sein altes Motorrad am Leben erhielt und sich jedes Wochenende den wüstesten Ausschweifungen hingab. Nährte er sich seit der erwähnten Revolution hauptsächlich von Sozialbetrug, Kleinstkriminalität und Schwarzarbeit mehr oder weniger hinlänglich, und lebten kaum Haß und Mißgunst in ihm, und sah er Mietschulden, Bettelbriefe wegen Strom und Gas sowie Vollstreckungsbefehle aller Art mitwachsender Gelassenheit, bis daß ein Schreibsklave der Obrigkeit, ein böser hartherziger Mann, zu ihm sprach: „Hören Sie, Herr…, so geht das nicht weiter mit Ihnen. Ich schlage vor, Sie nehmen eine ABM beim Naturschutz- und Grünflächenamt an.“ Sagte der junge Mann, kämpfend mit aufsteigender Panik, aber doch energisch: „Ich möchte nicht, dankeschön.“ Erwiderte der Hüter des Arbeitsgesetzbuches mit Häme: „Nun, dann werden Sie Leistungen für drei Monate zurückerstatten, außerdem könnte uns dann interessieren, wie Sie mit siebenhundert Mark Miete, Essen usw. bezahlt haben. Sie wissen, daß wir eng mit Finanzamt und anderen Stellen zusammenarbeiten.“

Bitternis und Verzweiflung wüteten in unserem armen Wendeopfer, und war es stinkig bis dorthinaus, und ging es denn wahrlich hin, auf Steuerkarte zu arbeiten.

Erster Tag: Eine fette häßliche alte Tipse spricht. „Arbeitsbeginn ist halb sieben, Urlaub gibt’s die ersten Monate natürlich nicht. Sie gehen jetzt zum Einkleiden.“ Unser junger Held: „Ich zieh euer Zeug nicht an, ich bin eingekleidet.“ „Na gut, dann fahren Sie jetzt zu Ihrem Stützpunkt.“ Woselbst ein Haufen anderer Opfer im Pausenraum hingen, BZ lasen und Scheiße redeten, bis man sie auf einen für seine Mistigkeit berüchtigten Ostberliner Platz entsandte, um die dort befindlichen im Eingehen begriffenen Rosen anzuhäufeln. Kamen reichlich Leute dort vorbei, lachten sich innerlich halb scheckig (und das mit Recht) und dachten: „Diese Leute haben es zu nichts gebracht, das werden sie auch nicht mehr, und sind die Schande ihrer Familien. Ich bin nur Tipse/Verkäufer/BVGler, aber Dank sei diesem oder jenem, daß ich nicht so was tun muß.“ Und wer sein Kind dabeihat, spricht zu ihm: „Höre, werde Vertreter, Politiker, Callgirl oder -boy, stirb meinetwegen an irgendeiner Seuche, friß einen Zentner englisches Rindfleisch, aber sieh zu, daß du nicht so endest!“ Bekannte des ABMlers, so seiner ansichtig werden, gießen bitteren Spott aus über ihn und die Art und Weise seiner Schmach und Demütigung, und ist es ihnen nicht übelzunehmen. Das Anhäufeln ist bald getan, und es geht zurück in den Pausenraum, zwei Stunden vor Feierabend. Fragt unser Held: „Kann ich ja jetzt nach Hause, ne?“ Zur Antwort wird ihm Wutgeheul: „Nee, Feierabend ist erst dreiviertel vier!“ Setzt er sich in den Pausenraum und harret des Feierabends, und hört sich Scheiße an und hadert mit seinem Schicksal. Er kündigt der stellvertretenden Stützpunktleiterin an, daß er morgen Ämterkram machen muß. Alles sitzt rum, redet Scheiße, liest BZ, bis die stellvertretende Stützpunktleiterin zwei Minuten vor dreiviertel sagt: „Feierabend.“, worauf alle innerhalb einer Minute verschwunden sind.

(Anmerkung: Ist die absolute Grenze materiellen Mangels durch das Aussetzen der Hirn- und Stoffwechselfunktionen des betroffenen Individuums definiert, liegt die geistige Elends im Dunkeln; oft scheint ihr Vorhandensein generell fragwürdig. Was ist davon zu halten, wenn ein volljähriger Mensch vor Zeugen äußert, daß sein Lebensziel ein Besuch des Disneyparks in Florida sei? Und wenn Ausgewachsene sich beklagen, daß ein Kollege ohne Absprache eine Zigarette geraucht hat?)

ABM heißt arbeiten bis Mittag, was aber nicht ganz stimmt, weil eigentlich nichts zu tun ist außer halb sieben da sein. Jene Veranstaltungen sind im Kern ihres Wesens reine Schurigelei des unteren Drittels, Bestrafung fürs bloße Dasein auf Erden; es geht darum festzustellen, ob und wie weit die Betroffenen noch in die Arbeitswelt passen, sprich, wieviel Sklavengeist, Dummheit und Servilität noch in ihnen sind, wieviel und was an Kacke zu schlucken sie bereit sind. Meist fällt das Ergebnis befriedigend aus. Der Inhalt des Pausenraums ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: am Leben verzweifelnde Akademiker, total flippige Künstler mit unheimlich Individualität, Golden American-Raucher – alle Sorten evolutionärer Mißgriffe, meist Naturen, deren Schlichtheit schwerlich in Worte zu fassen ist.  Trotz ihrer liebenswerten Schwächen – Michael Jackson gut finden, sich kleiden, als wünschte man, unverzüglich vors Standgericht zu kommen etwa –  sind sie als Geschöpfe des Herrn zu betrachten, deren Existenzberechtigung daher nicht zu hinterfragen ist.

Zweiter Tag: Das ABM-Opfer tätigt frühmorgens zwei Ämtergänge, wartet bis zwei Uhr, um zu sagen, daß es erst jetzt fertig und ein Besuch der Arbeitsstelle nun ja wohl sinnlos geworden sei. „Nee, komm mal noch her.“ Unser Held, in der Annahme, es sei irgendwas zu tun, geht hin, um zu erfahren, daß erst dreiviertel vier Feierabend ist und auf selbigen zu warten. Er mag sich keinen Scheiß mehr anhören, übt sich in geistiger Versenkung und liest Hesses „Siddartha“ oder irgendwas anderes. Nietzsche ist auch gut. Der Feierabend nimmt denselben Verlauf wie am Vortag.

Dritter Tag: Unser Held läßt sich eine schlimme Gastritis bescheinigen und betätigt sich künstlerisch.

(Nach dem Abklingen der Magenbeschwerden zerschlug der ABM-Held mit dem Kopf eine solide Scheibe, was ein großes Glück war, da er einen bösen Hirnschaden erlitt und auf Wochen krankgeschrieben wurde.)

Gegrüßt seien an dieser Stelle A., B. und M., vor allem B.

HRMPF!

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