„Und bald leben wir alle in einem gigantischen Freizeitpark“
Die Treuhand hat große Pläne für Prenzlauer Berg: Ihr Tochterunternehmen Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), seit 1990 Besitzerin des VEB Getränke-Kombinats, vormals Schultheissbrauerei, will das Filetstück mit 50.000 m² Nutzungsfläche zwischen Schönhauser Allee, Sredzki- und Knaackstraße aufmotzen, oder wie es ihr Architekt Weiß formuliert, den Freizeitpark Kulturbrauerei „von innen her erschließen“.
Geplant sind ein Multiplex-Kino (1800 Plätze), Edelkneipen und Freßtempel („von der Sredzkistraße in die Kulturbrauerei die längste Theke der Welt, 60 Meter!“), Galerien und Ateliers, ein Medienzentrum mit Studios für Fernsehübertragungen sowie exklusive Geschäfte für die Schickeria.
Prenzlauer Berg ist „in“: Kaum ein Berlin-Reiseführer kommt heute ohne ein Extra-Kapitel über den zur „Legende“ gewordenen Stadtbezirk aus, kaum ein Lifestyle-Magazin, das nicht fortwährend schwärmt über den „funkiest part of the town“. Prenzlauer Berg hat Kreuzberg längst den Rang abgelaufen, weil „hier gibt es keine Junkies, keine Türken und keine Autonomen“ (Berliner Zeitung). Also keine das Image beschmutzenden Faktoren, mithin „Lifestyle ohne Weltverbesserung“. Lokale Ereignisse, wie die Walpurgisnachtfeiern der Jahre 1995 und 1996 am Kollwitzplatz, stoßen auf republikweites Medieninteresse. Jeden Monat eröffnen neue Restaurants, Bars und andere Amüsierbetriebe der kulturellen, kulinarischen und preislichen Berliner Spitzenklasse. Die zukünftige Regierungs- und Möchtegern-Dienstleistungsmetropole Berlin ist bestrebt, ihr im internationalen Vergleich mit New York, Paris oder London noch immer mausgraues „weltstädtisches“ Image aufzupolieren. Die attraktiven Innenstadtbezirke wie Mitte (Spandauer Vorstadt) oder Prenzlauer Berg werden genutzt, um den Leuten mit höheren Einkommen zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft noch Konsum und Kultur in der „Bronx“ zu bieten. In die Kieze ziehen Edelläden und Luxusrestaurants ein, Altbauwohnungen werden luxussaniert und als Eigentumswohnungen weiterverkauft. Parallel dazu untergräbt die Yuppie-„Kultur“ die alte Stadtteilkultur. „Neue Urbanität“ nennt sich das. Es ist wieder schick, direkt in der Innenstadt zu wohnen.
Für die hier lebende Bevölkerung, eine Mischung aus Alten, Arbeitern, Studis, Erwerbslosen und Freaks wird das alltägliche Leben unbezahlbar.
Wo früher Einrichtungen der Nahversorgung anzutreffen waren (Post, Bäckerei, Lebensmittelladen) tummeln sich heute Cocktailbars und andere Amüsierbetriebe. Trauriges Beispiel ist die Kinderbibliothek in der Wörther Straße, die einem Preisniveau von 40 DM pro qm Gewerbefläche wie viele andere kleine Geschäfte nicht gewachsen ist und demnächst ihren Standort räumen muß.
Dem steht der Trend von ungebrochenen Zuzügen materiell eindeutig besser Situierter entgegen. Selbst Eliten der BRD, wie Bundesbauminister Töpfer, bekunden mittlerweile ihren Wunsch, nach erfolgtem Regierungsumzug ihr Quartier in Prenzlauer Berg nehmen zu wollen.
Prenzlauer Berg als begehrten Wohnstandort zu betrachten, ist historisch etwas Neues. Lange Zeit galt der Bezirk geradezu als Inkarnation der sozialen Mißstände des „steinernen Berlin“. Bis in die 80er Jahre war Prenzlauer Berg „Arbeiterbezirk“. Hier wohnte, wer nichts Besseres fand. Was heute in anheimelndem Ton als „Nische“, als „Kreuzberg des Ostens“ und aufregendste Wohngegend des Ostblocks beschrieben wird, war noch vor zehn Jahren ein heruntergekommenes Altbauviertel, das langsam zerfiel. Die besser gestellten und mobileren Teile der Bevölkerung flohen vor solchen Zuständen in die ferngeheizten Neubauviertel Marzahns, Hellersdorfs und Hohenschönhausens, bzw. in die wenigen rekonstruierten Gebiete der Innenstadt. Die Verslumung des Gebiets wurde zur Voraussetzung für eine schleichende soziale Umschichtung. Beachtlich ist das Tempo dieses Aufwertungsprozesses: was in Kreuzberg über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren eher einem latenten, schleichenden Prozeß glich, vollzieht sich hier in einem galoppierenden Rahmen von nur wenigen Jahren. Ausgehend vom Kollwitzplatz, werden die angrenzenden Gebiete (Helmholtzplatz, Kastanienallee-Oderberger Straße) „erschlossen“.
Angesichts dieser Entwicklung mit für viele der „alten“ Bewohner verbundenen katastrophalen Folgen, beginnt sich Widerstand gegen das Projekt „Schultheissbrauerei“ zu regen; handelt es sich doch für beide Konfliktparteien um eine Art Präzedenzfall: Einer der letzten Schritte auf dem Weg zu einem Leben in einem gigantischen „Freizeitpark Prenzlauer Berg“, den es aufzuhalten gilt, versus die Macht der Inverstoren, unter Ausschaltung der Interessen der Bewohner, seelenruhig ihre Claims an den Goldquellen des „Wilden Ostens“ abzustecken.
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