aus telegraph 1/1999
von Raul Zelik
Keine drei Monate nach der feierlichen Eröffnung von Gesprächen zwischen der Regierung Pastrana und der Guerillaorganisation FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) scheint der Friedensprozeß in Kolumbien schon wieder am Ende zu sein. Die Regierung in Bogotá treibt die umfassende Modernisierung ihrer Streitkräfte voran und nimmt bereits gemachte Zugeständnisse gegenüber den RebellInnen wieder zurück. Verantwortlich dafür ist vor allem der Druck der Clinton-Administration. Washington lehnt die Gespräche mit den Aufstandsbewegungen in ihrer jetzigen Form ab, weil FARC und ELN – so die US-Berater – aus einer zu starken Position verhandeln könnten. Anders als bei den Friedensprozessen in El Salvador und Guatemala weigern sich die kolumbianischen Guerillaorganisationen nämlich, eine Demobilisierung auch nur ins Auge zu fassen. Sie wollen konkrete soziale Transformationen, die den bewaffneten Kampf überflüssig machen, und keine Eingliederung ins politische Establishment. Der ehemalige nicaraguanische Staatspräsident Daniel Ortega äußerte im Januar bei einem Besuch in Kolumbien denn auch, daß die kolumbianische Guerilla sehr viel selbstbewußtere Forderungen stelle als dies die zentralamerikanischen Aufstandsbewegungen jemals getan hätten.
Die Signale aus dem Norden sind in jeder Hinsicht deutlich. Unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung unternehmen die USA schon seit Ende der achtziger Jahre enorme Anstrengungen, um ein Vorrücken der Oppositionsbewegung in Kolumbien zu verhindern. Seit der Veröffentlichung des Santa Fe II-Dokuments 1988 ist das südamerikanische Land, das das stabilste Wirtschaftswachstum auf dem Subkontinent vorweist, zum drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe in der Welt aufgestiegen. Die Weltmacht im Norden unterhält im Land mehrere Dutzend US-Basen, eine unbekannte Anzahl Geheimdienstagenten sowie umfangreiche Kom-munikationsstrukturen an der kolumbianischen Pazifikküste. Seit Mitte 1996 ist die US-Präsenz sogar noch deutlich ausgebaut worden.
Zu diesem Zeitpunkt gingen die sozialistischen FARC im schwach besiedelten Süden Kolumbiens vom Guerilla- zum Bewegungskrieg über und fingen an, große Militäreinheiten anzugreifen. Mindestens ein halbes Dutzend schwerer Niederlagen hat die Guerilla der Armee auf diese Weise in den vergangenen 30 Monaten zugefügt. Mehr als 300 Polizisten und Soldaten befinden sich in den Händen der Aufständischen, ganze Einheiten sind regelrecht aufgerieben worden. Die militärische Stärke der Guerilla ist inzwischen so groß, daß die Besetzung einer Stadt mit 50.000-EinwohnerInnen im Land kein Ereignis mehr ist. US-Studien haben sogar einen Sieg der Guerilla innerhalb der nächsten fünf Jahre vorhergesagt, wenn das US-Engagement nicht verstärkt wird.
The empires strikes back
Kein Wunder also, daß im vergangenen Jahr hochrangige Funktionäre aller US-Sicherheitsdienste in Kolumbien gewesen sind. Verteidigungsminister William Cohen, der Boß der Drogenbekämpfungs(?)-Agentur DEA Thomas Constantine, FBI-Direktor Louis Freeh, der selbsternannte Anti-Drogen-Zar Barry McCaffrey, mehrere CIA-Delegationen sowie der Chef des Kommandos Süd der US-Armee Charles E. Wilhelm haben sich in Bogotá die Klinke in die Hand gegeben. Im Dezember 1998 – just in der gleichen Woche, in der Außenministerin Madeleine Albright die Verfehlungen in der us-amerikanischen Chile-Politik der siebziger Jahre eingestand – unterzeichnete ihr Amtskollege, Verteidigungsminister Cohen, ein weitreichendes Militärabkommen. Die kolumbianische Armee wird 1999 nicht nur 400 Mio US-Dollar Militärhilfe erhalten, sondern auch tatkräftig mit Hochtechnologie ausgerüstet und in Geheimdienstpraktiken ausgebildet werden. Mehr als 300 US-Berater werden im Verlauf des Jahres zusätzlich nach Kolumbien kommen und den Krieg zum Teil direkt mitdirigieren. Schon jetzt überwachen US-Spionageflugzeuge und -satelliten Bodenbewegungen der Guerillagebiete und lassen ihre Erkenntnisse der Armeespitze in Bogotá zukommen. Neu kommt außerdem dazu, daß das aus Berufssoldaten zusammengesetzte Elitebataillon der kolumbianischen Armee, das sogenannte Batallón Anti-Narcótico einem US-Militärberater unterstehen wird.
Seit dem verstärkten Engagement der USA ist vor allem die Medien- und Desinformationspolitik der Regierung spürbar professioneller geworden. Militärische Kampagnen werden nun von großen politischen Kundgebungen begleitet, wie zuletzt in der nordko-lum-bianischen Stadt Santa Rosa (Bolívar). Das Gebiet an der Serranía de San Lucas, in dem 80% der Goldvorkommen des Landes konzentriert sind und das als Hochpunkt der ELN gilt, steht seit Mitte letzten Jahres unter massivem Druck von Paramilitärs und Armee. Durch brutalen Terror – die Paramilitärs massakrierten ihre Opfer in zahlreichen Fällen mit der Motorsäge – erzwang man eine Massenflucht aus der Region. Nachdem das Gebiet zumindest teilweise von Guerilla-SympathisantInnen gesäubert worden ist, organisierte die Pastrana-Regierung eine Demonstration gegen die ELN mit 10.000 TeilnehmerInnen, die nun als Begründung dafür dient, warum einer Demilitarisierung der Region für Gespräche zwischen Gesellschaft und ELN nicht zustimmen könne. Offensichtlich begreift der Generalstab, daß die Mobilisierung der „Zivil“gesellschaft kriegsentscheidend ist.
Es mag nach abgestandenen Imperialismustheorien klingen, doch die Politik des Pentagon greift auf das gesamte im Kalten Krieg entwickelte Repertoire des low intensity warfare1(Kriegführung geringer Intensität) zurück. Die Mobilmachung gegen die kolumbianische Aufstandsbewegung erfaßt inzwischen die ganze Region. Nach Angaben der Bogotaner Tageszeitung El Espectador hält das US-Verteidigungsministerium Kolumbien für den „größten Instabilitätsfaktor Lateinamerikas“ und verlangt ein konzertiertes Vorgehen. Besonders die engsten Verbündeten Washingtons in der Region sind aktiv geworden. Bereits vergangenes Jahr rief der argentinische Präsident Carlos Menem zur Bildung einer multinationalen Eingreiftruppe gegen Kolumbien auf – offiziell natürlich zur effizienteren Drogenbekämpfung.
Regionalisierung des Konflikts
Seit dem interamerikanischen Militärgipfel im Dezember 1998 im kolumbianischen Carta-gena machen nun auch die direkten Nachbarstaaten an ihren Grenzen mobil. Der peruanische Präsident Fujimori – wahrscheinlich der treuste Statthalter der USA in der Region – erklärte unmittelbar nach einer Dienstreise nach Washington, daß seine Regierung alle kolumbianischen Guerilleros, die peruanisches Territorium betreten, verfolgen und mit lebenslanger Haft bestrafen werde. Kurz darauf verlegte Fujimori 5000 Soldaten an die Grenze im Amazonasgebiet. Der El Espectador wies weiterhin darauf hin, daß die Beilegung des Grenzkonflikts zwischen Ecuador und Perú im vergangenen Jahr unter anderem deswegen von Washington forciert worden sei, um Truppen für die Grenzkontrolle beider Länder zu Kolumbien freizusetzen. Auch in Brasilien, Panamá und Ecuador übe die Clinton-Administration Druck aus, damit die betreffenden Armeen die Versorgungswege der Guerilla unterbreche.
Die Internationalisierung des Konflikts beginnt allmählich die innenpolitische Situation in den Nachbarstaaten grundlegend zu verändern. So ermordete ein kolumbianisches Kommando im Februar den linken ecuatorianischen Abgeordneten Jaime Hurtado. Der Anwalt und wichtigste schwarze Politiker seines Landes war zwei Mal Präsidentschaftskandidat der Volksdemokratischen Bewegung MPD gewesen und bekämpfte die neoliberale Politik der Regierung in Quito ebenso wie er Solidaritätskampagnen für die kolumbianische Opposition unterstützte. Der Mord löste in Ecuador, in dem es bisher keinen schmutzigen Krieg gab, ein kleines politisches Erdbeben aus.
Offiziell wurde die Verantwortung für die Aktion dem kolumbianischen Paramilitär-Chef Carlos Castaño zugeschoben. Doch ist kaum davon auszugehen, daß die Todesschwadrone eine derartige Ausweitung des Konflikts auf die Nachbarländer ohne Zustimmung der Armeespitze getroffen haben. Castaño gilt in Kolumbien zwar offiziell als Krimineller, aber unterhält dennoch beste Verbindungen zum Generalstab und koordiniert seine militärischen Kampagnen mit der Armee.
Daß der Mord an Hurtado abgesprochen war, wäre nicht weiter verwunderlich. Immerhin nutzt der Tod des linken Abgeordneten den Regierenden in Quito, Bogotá und Washington gleichermaßen: Die ecuatorianische Regierung hat einen unangenehmen Kritiker weniger, die ausländische Solidaritätsbewegung mit der kolumbianischen Opposition ist eingeschüchtert, und Washington schließlich hat ein gewichtiges Argument zur Militarisierung der Grenzen. Die offizielle Version wird lauten, daß die kolumbianische Armee die Extremisten von Rechts und Links nicht mehr unter Kontrolle habe und man den Konfliktherd deswegen isolieren müsse.
Das einzige Land, in dem diese Strategie im Augenblick nicht aufgeht, ist Venezuela. Der erst Ende 1998 als Führer einer linksnationalistischen Koalition ins Amt gewählt Armee-Offizier Hugo Chávez hat dem korrupten Establishment Venezuelas den Krieg erklärt und verweigert sich der Unterordnung unter die US-Politik. In seinem Selbstverständnis als Antiimperialist und Bolivarianer hat Chávez als einziger Staatspräsident der Region den Militarisierungsplänen des Pentagon eine klare Absage erteilt und den kolumbianischen RebellInnen sogar die Möglichkeit des politischen Asyls zugesichert, wenn sie unbewaffnet in venezolanisches Territorium gelangen. So halten sich mit Zustimmung Chávez‘ seit einigen Wochen denn auch hochrangige Delegationen von ELN und FARC in Venezuela auf. Wie weit die Anerkennung der Re-bellInnen inzwischen geht, zeigte sich auch darin, daß ELN-Kommandant Antonio García, der im Februar und März in Maracaibo Gespräche mit kolumbianischen und vene-zolanischen PolitikerInnen führte, von einer gleichermaßen aus ELN-Guerilleros wie aus vene-zolanischen Polizisten zusammengesetzten Gruppe Leibwächter beschützt wurde.
Noch ist die Pastrana-Administration zwar um einen freundschaftlichen Ton gegenüber dem hochpopulären Chávez bemüht, doch der Druck auf den venezolanischen Präsidenten wächst. Völlig unvermittelt sagte die kolumbianische Regierung Anfäng März wegen der venezolanischen Kontakte zu FARC und ELN ein Treffen zwischen den Präsidenten beider Länder wieder ab, und der Paramilitär-Kommandant Castaño kündigte gar an, daß die Todesschwadrone ihren Aktionsradius auf das Nachbarland ausweiten werden. Anfang März wurden denn auch noch Pläne zum Sturz von Chávez öffentlich. Es gebe einen Komplott gegen den Präsidenten, hieß es in der venezolanischen Presse, und tatsächlich spricht einiges dafür, daß Chávez ein ähnliches Schicksal widerfahren könnte wie dem pana-menischen Staatspräsidenten Omar Torrijos, der in den siebziger Jahren die SandinistInnen in Nicaragua unterstützte und die USA zur Rückgabe der Kanalzone zwang. Torrijos, mit dem Chávez politisch einiges gemein hat, kam 1981 unter ungeklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Hinter dem Anschlag steckte damals der in den USA ausgebildete Narco-Militär und zeitweilige CIA-Agent Noriega, der schließlich zehn Jahre später selbst zum Opfer einer US-Militärintervention werden sollte.
Menschenrechtsverletzungen und schmutziger Krieg
Doch nicht nur das geheime Ränkespiel der Militärstrategen, sondern auch die Aktionen der Guerilla selbst machen die Situation hochexplosiv. So wurden Anfang März die drei nordamerikanischen Indigenas Terence Freitas, Ingrid Wahinawatok und Larry Gay Lahe’ena’e an der kolumbianisch-vene-zolanischen Grenze tot aufgefunden. Als die Morde bekannt wurden, deutete zunächst alles in Richtung rechter Todesschwadrone. Selbst die us-amerikanische Washington Post zweifelte die offizielle Version des US-State Department an, wonach die Guerilla die drei native Americans ermordet habe. Immerhin waren die Nord-amerikanerInnen eingereist, um die kolumbianischen U’wa-Indigenas in ihrem Kampf gegen den Erdölmulti OXY zu unterstützen. Der Ölmulti möchte auf dem U’wa-Territorium nach Öl bohren, stößt dabei jedoch auf den erbitterten Widerstand der U´was.
Zunächst deutete alles auf einen Mord von Todesschwadrone oder Sicherheitsbehörden hin: Einer der US-UmweltschützerInnen war von der kolumbianischen Polizei kurz zuvor festgenommen und verhört worden. Die drei native Americans standen mit ihrer Unterstützung der U’was politisch eindeutig auf der Seiten der Opposition, und wurden schließlich auch noch auf venezolanischem Territorium gefunden, was ein weiteres Argument gegen die Neutralitätspolitik von Präsident Hugo Chávez war.
Doch obwohl es keinen vernünftigen Grund für eine Täterschaft der linken RebellInnen gab, stellten sich die von den Medien präsentierten Anschuldigungen gegen die FARC schließlich doch als wahr heraus. Nach einer Woche Recherche trat FARC-Sprecher Raúl Reyes sichtlich schockiert vor die Presse und gestand die Verantwortung seiner Organisation für die Morde. Ein Kommandant der 10.FARC-Front mit dem Decknamen „Gildardo“ habe die drei US-Amerikaner im Gebiet der U’was angetroffen, als unbekannte Ausländer festgenommen und ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten erschossen. Reyes, der gleichzeitig Verhandlungsführer der FARC bei den Gesprächen mit der Regierung ist, beeilte sich klarzustellen, daß das Vorgehen nicht der Politik seiner Organisation entspreche und kündigte die Bestrafung der Verantwortlichen an. Doch der angerichtete Schaden wird kaum gutzumachen sein.
Die Ereignisse sind für die kolumbianische Guerilla ein echtes Desaster. Erst im Januar hatten die FARC die Gespräche wegen der fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen für drei Monate eingefroren und der Regierung ein gut recherchiertes Papier über die Hintermänner des schmutzigen Kriegs überreicht. Von den systematischen Kriegsverbrechen der Armee und ihren zivilen Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik wird nun kaum noch die Rede sein. Die nächsten Wochen wird die internationale Debatte vorrangig über den Tod der Nord-ame-ri-kanerInnen geführt werden.
Dabei wäre internationale Öffentlichkeit im Augenblick so nötig wie nie. Die para-staatliche Repression nimmt immer brutalere Ausmaße an. Praktisch kein Landesteil ist mehr vor paramilitärischen Überfällen sicher. Die hauptsächlich von der Armee zu verantwortenden Flüchtlingsströme werden demnächst die 2 Millionen-Grenze überschreiten, womit Kolumbien nach dem Sudan das Land mit den meisten Binnenflüchtlingen der Welt ist. 25% der ländlichen Bevölkerung ist bereits vertrieben, ganze Stadtteile sind in den letzten Monaten zu paramilitärischen Angriffszielen erklärt. Der Terror geht inzwischen so weit, daß selbst die bescheidenste Menschenrechtsarbeit unmöglich geworden ist. Neben der kirchlichen Untersuchungskommission Justicia y Paz haben nun auch die Solidaritätskomitees mit den politischen Gefangenen CSPP sowie diverse Medelliner Büros des Gewerkschaftsdach-verbandes CUT ihre Büros wegen der Drohungen der Armee schließen müssen. Insgesamt werden in Kolumbien jährlich etwa so viele Menschen von Paramilitärs und Armee ermordet wie in Chile in 17 Jahren Militärdiktatur zusammengezählt. Das Problem ist dabei nicht nur, daß die Täter mit absoluter Straffreiheit rechnen können, sondern auch daß von der kolumbianischen Regierung zunehmend „Menschenrechtsorganisationen“ gegründet werden, die diese Zahlen zu relativieren oder den Staat als Opfer der Extreme von Rechts und Links darzustellen versucht. So existiert anders als bei den zentralamerikanischen Bürgerkriegen der achtziger Jahre praktisch keine kritische Öffentlichkeit mehr, die den Terror wahrnehmen und öffentlich machen würde.
Die politische Lösung rückt in weite Ferne
Vor diesem Hintergrund wird eine politische Lösung des Konflikts immer unwahrscheinlicher. Vieles spricht dafür, daß es Präsident Pastrana mit seiner moderaten Rhetorik in den letzten Monaten vor allem um einen Zeitgewinn ging – denn nach den militärischen Erfolgen der FARC galt der Zustand der Armee als desolat. Von den Zusagen, die Pastrana im August vergangenen Jahres bei einem Gipfeltreffen mit Guerilla-Kommandant Marulanda machte, wurde hingegen nur eine einzige eingelöst. Außer der Räumung eines 40.000 Quadratkilometer großen Gebiets um San Vicente de Caguán hat der Präsident nichts eingehalten. Der Para-militarismus tobt weiter, und die gewerkschaftliche Opposition wird weiter kriminalisiert.
Gegenüber der militärisch unauffälligeren, aber kaum kleineren ELN setzt das Establishment inzwischen sogar offen auf eine militärische Lösung. Fast täglich sind in den kolumbianischen Medien Artikel über die Krise der guevaristisch-basischristlichen Guerillaorganisation zu lesen. Offensichtlich will man keine weiteren Zugeständnisse mehr machen. Als Folge hiervon wurde die erst im vergangenen Juni zwischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Kolumbiens und der ELN in Deutschland vereinbarte Nationalkonvention für unbestimmte Zeit verschoben. Die ELN erhielt von der Regierung trotz mehrerer Versprechen keine Sicherheitsgarantien für die Abhaltung der Konvention, auf der 300 RepräsentantInnen der kolumbianischen Gesellschaft über soziale und politische Transformationen des Landes debattieren sollten. Antonio García, militärischer Kommandant der ELN, erklärte daraufhin in Maracaibo/ Venezuela, daß man die Konvention nun ohne Beteiligung der Regierung im Ausland zu organisieren versuche. Doch auch hier bemüht sich Pastrana den Spielraum der Aufständischen einzuengen. Seit seinem Amtsantritt ist der Konservative darum bemüht, die Beziehungen zu den EU-Staaten zu verbessern und sich als Friedenspräsident zu profilieren.
Die Strategie funktioniert bestens: Ignacio Ramonet, der große Kritiker des Neoliberalismus, feierte Pastrana in der Le Monde Diplomatique vergangenes Jahr als große Hoffnung des Landes, in Europa handelt man den Politiker als einen auf sozialen Ausgleich bedachten Reformer. Doch seine Politik hält keiner Prüfung stand: Pastranas Sozialpolitik setzt noch brutaler als die seines Vorgängers Samper auf neoliberale Öffnung und De-Industrialisierung. Die verarbeitenden Branchen Kolumbiens stecken in der schwersten Krise ihrer Geschichte, selbst der Mittelstand verarmt. Während sich das Land als Rohstoffexporteur von Öl, Kohle, Kaffee, Bananen, Blumen, Smaragden und Gold einen Namen macht, leben 55% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze – Tendenz steigend. Die Armutskonzentration erreicht absurde Ausmaße (der Gini-Faktor liegt doppelt so hoch wie der Hongkongs), und gegen die sozialen Protestbewegungen wird die Repressionsschraube weiter angezogen. So darf es niemanden überraschen, wenn der Krieg in Kolumbien in den nächsten Monaten auf noch nicht dagewesene Weise eskaliert. Und „noch nicht dagewesen“ will tatsächlich etwas heißen: Schon jetzt ist das Land mit Abstand das konfliktivste der westlichen Hemisphäre. Gut möglich, daß die „Friedenspräsidentschaft“ Pastranas als Beginn einer nur schlecht kaschierten und vom ach-so-liberalen Bill Clinton betriebenen US-Militärintervention Kolumbiens in die Geschichte eingehen wird. Wer da noch von einer „zivilen“ Weltordnung spricht, ist entweder ein Idiot oder Komplize.
1In diesem Zusammenhang sollte man darauf hinweisen, daß der „Krieg geringer Intensität“ keine Erfindung der Linken, sondern ein offizieller Begriff der internationaler Sicherheitspolitik ist. Im erst vor kurzem gegründeten bilateralen Verteidigungsausschuß USA-Kolumbien wird die nordamerikanische Großmacht beispielsweise durch einen – so die hochoffizielle Bezeichnung – „Staatssekretär des State Department für Low-Intensity-Konflikte“ vertreten.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph