aus telegraph 1/1999
von knobi
Heute überwiegend heiter bis literarisch:
So, wie wir beim Letzenmal aufgehört haben, wollen wir beginnen: p.m.; Agbala dooo! Eine Reise durch das helvetische Territorium im Jahre 205 p.r. (Paranoia City Verlag Zürich 128 S. / 20,-DM) ist ein typischer p.m. – ein Lesespaß erster Güte. Was wäre, wenn Napoleon I statt seinerzeit nach Moskau zu ziehen nicht über die Schweiz hinweggekommen wäre. Eine Revolution hätte die Welt verändert, und die Frauen hätten dafür gesorgt, daß Erfindungen, die der Menschheit nicht unbedingt dienen, auch nicht verwertet werden. Ein afrikanischer Brückenbauer durchquert diese postrevolutionäre Schweiz und erlebt bei diesem bunten Bergvolk einige Abenteuer.
Abenteuerlich ist auch das Buch von Eric Frank Russell; Planet des Ungehorsams (Guhl Verlag Berlin 125 S. / 14,80 DM). In diesem SF-Roman des englischen Autors geht es weniger um technische Details, als um einen Planeten freier Menschen, auf dem eine Abordnung von der Erde landet und den Chef oder die Regierung dieses Planeten sucht – nur kennt man sowas dort nicht. Das Militär und die Administration ist verzweifelt, bei soviel Anarchie. Ein schönes Buch – vorallem zum Veschenken.
Auch ’schöne Literatur‘ ist Sherman Alexie; smoke signals (Goldmann-Taschen-buchverlag München 251 S. / 12,-). Das Buch zum Film, bzw. eine Geschichte aus dieser Sammlung von Erzählungen, welche 1996 noch unter dem Titel „Regenmacher“ erschien. Alexie ist Spokane-Indianer und seine Erzählungen – inzwischen gibt es auf deutsch auch noch zwei Romane – handeln alle vom Leben der US-Ureinwohner in Seattle bzw. im Spokane-Reservat. Witzig, ironisch, ohne jeden falschen Pathos, aber nie hoffnungslos. 22 Erzählungen über Geister, Basketball, Drogen, Tristes und Beziehungsknatsch – eben das pralle Leben.
Von selbigen handelt auch Thomas Ka-pielski; Davor kommt noch / Gottesbeweise IX-XIII (Merve Verlag Berlin 174 S. / ca. 20,-DM). Durch deutsche Lande zieht dieser Robin Hood des guten Geschmacks, meistens irgendwie alkoholisiert, und meistens mit einem Bein überm Abgrund. Der Westen besteht eben auch aus Verlierern, daß muß hier deutlich gesagt werden, und Kapielski zeigt sie uns alle – zum Schreien!
Eigentlich hasse ich dicke Bücher. Diese ‚Ziegelsteine‘ sind eigentlich kaum zu lesen – und vor allem zu schreiben. Nichtsdestotrotz gehören einige zu den Prestigeobjekten im Bücherschrank. Dazu gehört sicher auch Hartmut Geerken; Kant (Klaus Ramm Verlag Spenge 947 S. / 98,-DM). Eine höchst poetische Auseinandersetzung mit dem Philosophen Kant und seinen letzten Lebensjahren, die allerdings neben den Reiseerlebnissen des Autors, Theorien über Jazz, Philosophie und Literatur nur einen kleinen Teil dieses Werkes ausmachen. Alles Kleingeschrieben, ohne Interpunktion und in den Maßen 13,4 x 18,5 x 5,5 cm. Wirklich etwas für Literatur-Fans, mit Namensregister und Literaturliste.
Ein Stück von verschollener Literatur ist u.a. St. Ch. Waldecke; Anekdoten von dem Gott (Edition Anares Bern 32 S. / 5,-DM). Waldecke ist das Anagram von Ewald Tscheck, der in der 20er und 30er Jahre aktiv in der Schwulen- und Anarchoszene war. Diese kleine philosophische Erzählung aus dem Jahre 1924 ist sehr postdadaistisch und voller Anspielungen. Ein feine nachmittagliche Lektüre.
Exentrisch war auch der 1997 verstorbene William S. Burroughs, der große Underdog der US-Literatur und einer der letzten Lebenden der Beat-Generation. Jetzt erschien Victor Bockris William S. Burroughs – Bericht aus dem Bunker: Interviews, Gespräche und Gedanken (Ullstein Verlag Berlin 391 S. / 28,-DM). Ebenfalls mit Namensregister ausgestattet dokumentiert der Band Gespräche, die Burroughs mit den Helden der sog. Subkultur und anderen Prominenten geführt hat, u.a. mit David Bowie, Frank Zappa, Andy Warhol, Susan Sontag u.v.a. Und natürlich geht es hier um Filme, Literatur, Sex, Drogen und andere wichtige Lebensmittel. Zum Glück kommt aus Amerika nicht nur Coca-Cola und McDonalds.
Aber leider ist Amerika auch ein repressives Land: Mumia Abu Jamal ist mit dem Tode bedroht und selbst der militante Leonard Pelltier, ein Aktivist des American Indian Movement, der für die Rechte der amerikanischen Indianer-Nationen sich einsetzte, sitzt seit über 20 Jahren unschuldig in Haft, und z.Zt. verwähren ihm die Justizbehörden eine lebensnotwendige Operation. Die Repression hat eine lange Tradition im Land der Emigranten. Die dokumentiert neuerlich der Band: Friederike Hausmann; Die deutschen Anarchisten von Chicago oder warum Amerika den 1. Mai nicht kennt (Wagenbach Taschenbuch Berlin 205 S. / 22,80 DM). Mit zahlreichen Fotos und Biographien angereichert dokumentiert dieser Band das erste Bombenattentat in den USA 1886, welches Anarchisten angehängt wurde, die dafür hingerichtet wurden. Zu ihrem Gedenken begeht die Welt heute den 1. Mai – nur eben Amerika nicht.
Ralf Landmesser hat es mal wieder geschafft. Weil sein Anarchistischer Taschenkalenda A 99 auch in diesem Jahr erst im Februar erschienen ist, hat er sich einfachheitshalber auf das chinesische Kalenderjahr bezogen, welches eben im Februar beginnt, obwohl auch dieser Kalender mit Januar anfängt. Nun gut. Inzwischen ist jedoch die Auflage so gering , daß die Fans sich sputen müssen, um noch einen abzukommen. Wie immer mit zahlreichen Artikeln, Adressen und Hinweisen.
Soweit für heute…
Alles Gute
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph