Die alten und die neuen Verschmutzer

Bericht aus dem Schichtpreßstoffwerk Bernau

aus telegraph 10/1990

Aus allem was in jüngster Zeit über das Schichtpreßstoffwerk Bernau (SPW) zu hören und zu lesen war, ergibt sich ein erschreckendes Bild der durch diesen Betrieb entstandenen und entstehenden Umweltschäden, die in diesem Ausmaß selbst in diesem arg belastetem Land noch eines der schlechtesten Beispiele sind. Der 1240 Mitarbeiter zählende Betrieb ist Alleinhersteller von Basismaterial für Mikroelektronik und der Hauptarbeitsgeber im Kreis Bernau.Die jährlich 6000t betragende Gesamtemission des Werkes wird z.T. verursacht durch 19 Lackiermaschinen, die der Herstellung der Leiterplatten dienen, sowie die Abproduktverbrennung. Von den Lackiermaschinen sind mittlerweile mit einem Millionenaufwand an Valutamitteln ganze 3 mit einer thermischen Nachverbrennungsanlage (TNV) ausgerüstet worden, die effektiv jedoch kaum einen Anteil am Abbau der Gesamt-Schadstoffemission des Betriebes haben.

Bei der Trocknung des Trägermaterials aus den Lackiermaschinen werden ungeheure Mengen an Schadstoffen (Formaldehyd, Methanol, Phenole u.a.) abgelassen. In Bernau und Umgebung gilt Dauerbelastungsstufe 5,eine hohe Krebsrate, hohe Säuglingssterblichkeit, die Grenzwerte werden um ein vielfaches überschritten. So etwa bei Phenol um das 144fache.

Trotz der enormen Schwierigkeiten bei der Schadstoffvermeidung wurde mit dem zur Verfügung stehenden Geld munter in völlig unsinnige Projekte fehlinvestiert.

Die größten Schweinereien leistete sich die Werksleitung bei der Lagerung bzw. Verbrennung der anfallenden Abfallstoffe. Zunächst wurden auf einer Freifläche bei Albertshof Harze und Lösungsmittel einfach ausgekippt, später unter freiem Himmel verbrannt. Dabei wurden auch die Prepregs (lackiertes Basismaterial) vernichtet.Es entstanden massenweise hochgiftige bromhaltige Dioxine. 1989 wurde dem Betrieb dann eine von der berüchtigten Firma „Berlin Consult“ (siehe u.a.Schöneiche) neu installierte Abfallverbren- nungsanlage (AVA) übergeben,die ursprünglich alle anfallenden Abfallstoffe entsorgen sollte.Nach anderthalbjähriger Betriebszeit hält die Anlage lange nicht das,was sie versprochen hat.“Sie befindet sich in der mehrjährigen Optimierungsphase“ (Der Vertag wurde 1980 unterschrieben).Der Rest der betrieblichen Abprodukte wird auf einer werksnahen Deponie zwischengelagert und harret seiner Entsorgung. Dabei kann das in den Prepregs enthaltene Phenol ungehin- dert in den Boden gespült werden. Der jetzige Umweltbeauftragte (übrigens der ehemalige Parteisekretär) sieht das anders: Durch die hohe Saugfähigkeit des Papiers könne das Wasser in das Material eindringen und verdunsten, sobald die Sonne wieder scheint. Na, dann wird ja alles gut.

Zur AVA: nach mehrjährigem Experimentieren steht diese Anlage tatsächlich einmalig in der Welt da. Verbrannt werden u.a. Harzreste und Prepregs. Die Pyrolyse (Hitzezersetzung) dient der Kupferrückgewinnung. Dabei entsteht bromdioxinhaltiger Pyrolysekoks.

Das giftige Pyrolysegas soll hinter der Nachverbrennung in Kalk- schlamm absorbiert werden. Die Sache hat gleich zwei Haken, die bedenklich stimmen: offenbar durch einen Konstruktionsfehler entströmte aus der Pyrolyseeinheit mindestens einmal reines Pyrolysegas, das bei den Arbeitern des danaebenliegenden Heizwerkes Erstickungsanfälle auslöste.(Die Mitarbeiter von Berlin Consult trugen Atemschutzmasken). Die Betriebsleitung kann sich heute nicht an diesen Störfall erinnern.

Eine Woche danach sind Tiere in der Bernauer Umgebumg gestorben. Tiere sterben natürlich immer.

Außerdem ungeklärt ist die Entsorgung des bromdioxinhaltigen Pyrolysekoks und des Kalkschlamms. Schöneiche nahm den Koks nicht an.Auf einer Betriebsversammlung wies ein Arbeiter darauf hin,daß der Koks nördlich vom betrieblichen Freifaßlager, das das mo- dernste Europas sein soll, vergraben würde. Bis heute gibt es dazu keine Stellungnahme der Betriebsleitung.

Nach Untersuchung von Bodenproben (die ohne Zustimmung der Betriebs- leitung von Mitarbeitern der Sicherheitsinspektion übergeben wurden) sowie Pyrolysekoks/Kalkschlamm und Nachweis einer extremen Dioxin-Belastung durch die Karl-Marx-Universität wurde die sofortige Stillegung der AVA empfohlen. Der Bereich Umweltschutz wurde daraufhin der Sicherheitsinspektion entzogen und dem For- schungsdirektor unterstellt. Dieser stellte in den Bodenproben allerdings keine Dioxin-Belastung fest. Der Kalkschlamm, nach Untersuchung durch die Karl-Marx-Universität ebenfalls dioxinbe- lastet, wird mittlerweile beim Agrochemischen Zentrum Werneuchen als Dünger eingesetzt.
In einer Studie der Sicherheitsinspektion, die der Betriebsdirektor alsbald nach Bekanntwerden einsammeln ließ, wird festgestellt, daß es international keine funktionierenden großtechnischen Pyrolyseanlagen gibt. Die AVA sei nach anderthalbjährigem Dauerbetrieb unausgereift und störanfällig. Die Funktionssicherheit sei nicht gewährleistet und bei den Abprodukten der AVA handele es sich um gefährliche Spurengifte, für deren Entsorgung es keine Deponiegenehmigung gäbe.

Suspekt scheint die AVA selbst dem Ministerrat gewesen zu sein. In einem Beschluß desselbigen vom 8.Januar 90 zur Müllpolitik heißt es: „Aufgrund fehlender Verbrennungskapazitäten…ist für Abfallstoffe aus der DDR, die gegenwärtig nicht umweltgerecht beseitigt werden können, eine Verbindung mit dem NSW aufzunehmen. Dies betrifft insbesondere …Rückstände aus der Leiterplattenfertigung…“

Die AVA beim SPW will die ehrenwerte Gesellschaft Berlin-Consult als Prototyp dieser Art in Europa anbieten. Werbeprospekte sind schon im Umlauf.

Irgendwie hat sich die Betriebsleitung des SPW Bernau über die „Wende“ hinübergerettet. Nicht geblieben sind die Kritischen Stimmen aus der Abteilung Sicherheitsinspektion. Nach rufmordähnlichen Kampagnen und allerlei Diskriminierungen kündigten der Leiter der Sicherheitsinspektion Wieland und der Mitarbeiter Rappe.

Anfang November 89 gab der neue Leiter der Sicherheitsinspektion die Weisung, interne Umweltdaten, die nicht bei den Kontrollorganen bekannt waren, zu vernichten (woran er sich heute nur schlecht erinnern kann).

Ein Mitarbeiter erfüllte die Weisung nicht vollständig und vernichtete nur unwichtige Unterlagen. Wichtige Materialien zum Umweltschutz übergab er der Kriminalpolizei. Leider ohne Kopien, denn wie sich herausstellte, hielt der anfängliche Eifer des Oberleut- nants,dem Handeln der Betriebsleitung einen Riegel vorzuschieben, nicht lange an.Plötzlich war er der Auffassung, daß es sich um einen Präzidenzfall handele, „wer kennt schon die Grenzwerte“ etc.- Der Mitarbeiter erhielt die Unterlagen nicht zurück.

Verantwortlich für den katastrophalen Zustand des Betriebes ist in allererster Linie die Betriebsleitung, daneben natürlich auch der damalige Ministerrat. Um die 80 Mio Mark wurden für TNV fehlgeplant, 30 Mio Mark wurden für den Bau des gigantischen Werksteils SPW 3 verschleudert,von welchem nach Baustopp im November 89 bezeichnender- weise nur ein riesiges Verwaltungsgebäude übrigblieb. Teile der Unterlagen zu SPW 3 sind auf recht mysteriöse Weise verschwunden:- Ostern 90 brannte die Baracke ab, in denen sie aufbewahrt wurden.Zu- fällig entstand der Brand durch ein Kühlschrankkabel(???). Für die kriminelle Entsorgung der Abfallstoffe ist ebenfalls die Betriebsleitung hauptverantwortlich.

Bemerkenswert ist bei aufmerksamen Lesen ein vom Betriebsdirektor herausgegebener „Maßnahmeplan zur Senkung der Umweltbelastungen der Werktätigen im SPW Bernau“. Darin heißt es u.a.: Bis zur Durchsetzung geeigneter technischer Lösungen…ist das Gesundheitsrisiko der Werktätigen durch technisch-organisatorische Maßnahmen und eine umfassende Dispensairebetreuung in medizinisch vertretbaren Grenzen zu halten.“

Neben dem Werk wurden kürzlich zwei neue Schulen gebaut. Die Kinder schreiben allerdings nur in den ersten Stunden Klassenarbeiten und verlassen das Gebäude in den Pausen häufig nicht. Als wirksame Schutzmaßnahme empfahl die Betriebsleitung der Schuldirektion außerdem, die Fenster geschlossen zu halten.

Einer Einladung eines Mitarbeiters der Pathologie des Kreiskranken- hauses Bernau, sich die Krebstoten doch einmal von innen anzusehen,- ist die Betriebsleitung nicht gefolgt.