Gehören die besetzten Häuser denen, die darin wohnen?

Ostberliner BesetzerInnen im Kampf um Verträge und Legalisierung

aus telegraph 10/1990
von Dietmar Wolf

„Alle Verträge oder keiner!“, „Wir lassen uns nicht spalten!“. Das sie immer wieder bekundeten und vertretenen Kernpunkte der im BesetzerInnenrat zusammengeschlossenen Häuser von Prenzlauer Berg, Mitte und Friedrichshain. Große Worte, aber schwer zu realisieren. Vor allem deshalb, weil die alte und neue Bürokratie blockiert, Verhandlungen verschleppt und veranwortliche Bürokratenseelen nur schwer an den Verhandlungstisch zu bekommen sind. In den Räten grassierte über Wochen die nicht-zuständig-Kur-Urlaub-Krankheit- Terminschwierigkeiten-Epedemie.

Dabei fing alles verheißungsvoll an. Damals im Herbst ging es durch alle Medien: „Schönhauser Allee 20/21 – das erste besetzte Haus in Berlin.“ Transparente, rot-schwarze Fahnen, Losungen an der Fassade, Große Versprechungen der Räte, Erklärungen, Zugeständnisse in die laufenden Kameras geplappert.

Was folgte, war eine Kettenreaktion. Immer mehr Häuser wurden besetzt. Dabei waren auch Westberliner. Von 70 Häusern ist die Rede. Besetzen war einfach, Verhandeln schwierig. Die BesetzerInnen liefen sich über Wochen und Monate die Hacken ab, von Pontius zu Pilatus und wieder zurück. Alle mit mehr oder weniger den gleichen Ergebnissen: „Wir sind nicht zuständig“, „Wenden Sie sich an den Rat“, „Kommen Sie morgen oder nächste Woche wieder“, „Mit Ihnen verhandeln wir nicht“, trallala, etc..

Da klar war, daß es die einzelnen Häuser aus eigener Kraft nicht schaffen, bildete sich bereits im Januar der Ostberliner BesetzerInnenrat. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und Verständigungsproblemen ist seit kurzem der BesetzerInnenrat aktionsfähig. Mann/frau beschloß, koordiniert über den BesetzerInnenrat, der Bürokratenclique auf den Leib zu rücken. Zusammen mit der Vereinigten Linken gelang es über den Runden Tisch Berlin, einen gemeinsamen Verhandlungstermin im Roten Rathaus mit Magistrat, Polizei, Räten und KWVen der Stadtbezirke zu erwirken. Am 25. April um 17.00 Uhr fanden sich dann auch HausbesetzerIn- nen, Vereinigte Linke, Poleizeichefs der Stadtbezirke und Bürokraten der Stadt und der Stadtbezirke ein. Jedoch was da an Bürostrategen herumsaß! Vertreter von Vertretern, Personen ohne jede Kompetenz. Die Herrschaften des Rates des Stadtbezirks und der KWV Prenzlauer Berg waren gar nicht erst erschienen. Die KWV- Stellvertreter von Mitte und Friedrichshain bekundeten Verhandlungs- und Vertragsbereitschaft. Nur Häuser, die bereits auf dem Bebauungsplan 1990 ständen, könnten keinesfalls mit Verträgen rechnen. Man würde dort in jedem Fall eine „Entsetzung“ vornehmen. Ulf Heitmann, Mitarbeiter einer Rechtsanwaltsfirma, die hauptsächlich Hausbesetzer und Bürgerinitiativen vertritt, machte klar, daß bereits Konzepte für Sicherungsverträge vorlägen, die man beim nächsten Mal vorlegen würde.

Beim nächsten Termin konnten dann wegen der Kurzfristigkeit des Termins und zu ihrem unsäglichen Bedauern wieder mal der Rat und die KWV Prenzlauer Berg und dazu noch die von Mitte nicht teilnehmen. Das Sicherungskonzept wurde besprochen und an verschiedenen Stellen verändert. Nochmals betonte der KWV-Mensch von Friedrichshain, daß es in seinem Stadtbezirk keine Verträge an Häuser des Bebauungsplanes 1990 geben wird. Und er machte es diesmal namentlich fest: Mainzer Straße und Kreutziger Straße. Das war klar, da hat das Westkapital bereits seine Spekulantenfinger drin (siehe „telegraph“ Nr. 5 und 6). Natürlich dementierte er, darauf angesprochen. Ansonsten wurde beschlossen, den erlauchten Bürokraten bis zum nächsten Mal das Konzept des Sicherungsvertrages zukommen zu lassen, woraufhin der Kollege Friedrichshain einen gemeinsamen Vertragsabschluß ablehnte. Unangenehm fiel auf, daß die Vertreterin der Vereinigten Linken dem BesetzerInnenrat riet, keine Neubesetzungen zuzulassen bzw. Neubeset- zer zum Verlassen der Häuser zu veranlassen, da sonst die Verhandlungen erschwert würden. Ansonsten verlief das Treffen mit allgemeinem Gelaber und ohne wesentliche Ergebnisse.

Als sich alle am 9. Mai wiedertrafen, war zum ersten Mal Rat und KWV des Stadtbezirks Prenzlauer Berg vertreten, was dadurch ausgegli- chen daß die Epedemie auf Friedrichshain übergegriffen hatte. Auch diesmal war an Vertragsabschlüsse nicht zu denken. Die Füllfederhalter von Prenzlauer Berg und Mitte taten völlig inkompetent und unwissend hinsichtlich eines Sicherungsvertrags- Konzeptes, das sie erst am Vortag erhalten hätten und daher keinerlei Aussage treffen könnten. Dafür kamen Drohungen: In der Adebertstraße, wurde behauptet, hätten die Anwohner Angst, weil das besetzte Haus (nämlich gegen die Nazis) verbarrikadiert und gesichert wurde. So etwas dürfe nicht passieren. Der Vertreter von Prenzlauer Berg, Ribuschatis, zuständig für Rekonstruktion und Instandsetzung meinte, es gebe in Rat und KWV Stimmen, den Besetzern im Prenzlauer Berg keine Verträge zu geben, ehestens könne man sich auf ein Duldungsverhältnis für einzelne Häuser einlassen, das müsse aber erstmal beraten werden. Im übrigen würde für das Haus in der Schliemannstr. 39 nicht die BesetzerInnen, sondern ein gewisser Herr Schönitz mit seinem Verein den Vertrag erhalten. Wie sich dann herausstellte will Schönitz im Erdgeschoß des Hauses ein Fitnis-Center und einen Massagesalon und in den oberen Räumen Wohnräume einrichten (Nachtigall, ick hör dir trappsen!). Schwierigkeiten bereitete selbst die Findung eines neuen Termins. Ein Besetzer, der hinter Ribuschatis stand, wies darauf hin, daß dessen Terminkalender völlig leer sei, was dieser mit kaltem Grinsen kommentierte und bei einem „eventuell“ blieb.

Dies alles reichte dann den BesetzerInnen. Einen Tag später wurde gemeinsam besetzt. Und zwar der Rat des Stadtbezirks Prenzlauer Berg, Abteilung Wohnungspolitik. Damit gelang es immerhin den Stadtbezirksbürgermeister und den Stellvertrendenden Chef der KWV und Bauchef, einen gewissen Herrn Schejock herbeizurufen (letzterer aus Schweinereien der vergangenen Jahre gut bekannt). Schejock führte die Verhandlungen und leitete mit einer Drohung ein: „Ich muß Sie rein formal darauf aufmerksam machen, daß Sie mit Ihrer Besetzung eine Unregelmäßigkeit begehen und zwar in Form eines Hausfriedensbruches.“ Weiter führte er aus, daß der Behörde das Problem bewußt sei, daß man aber derzeit mangels Geld nichts machen könne. Aber man sei bemüht und war sowieso immer bemüht und und und. Die Stadtbezirksbürokraten notierten noch einmal alle Häuser und sicherten überprüfung und ein Konzept für die nächste Verhandlungsrunde zu. Probleme gebe es mit der Schliemannstr. 39 (Fall Schönitz), der Prenzlauer Allee 203 (nicht genehmigte Baumaßnahmen) und der Lottumstraße 26 mit Brandanschlägen auf das Haus und daraus folgenden Anzeigen gegen die BesetzerInnen (???).

In den nächsten Tag brachten dann die BesetzerInnen die Räte der Stadtbezirke Friedrichshain und Mitte mit Besetzungen auf Trab.

Die nächste Verhandlungsrunde fand nicht im Roten Rathaus, sondern im Haus der Demokratie statt, weil die Herren der Räte das Gerücht erreicht hatte, daß die Besetzerin im Falle mangelhaften Beratungstempos eine Besetzung des Roten Rathauses planten. Es war diesmal eine erstaunlich vollzählige Versammlung. Nur die Herrschaften aus Friedrichshain waren scheinbar wieder alle krank. Der neu hinzugegkommene „Mittler“, ein Stadtrat für Wohnungspolitik, erläuterte das Konzept: Duldungsvertrag, Sicherungsvertrag, Muster-Nutzungsvertrag. Alle bekämen mindestens einen Duldungsvertrag. Dieser für Häuser, die für Baumaßnahmen vorgesehen sind, oder wie Herr Scheock etwas später äußerte, zur „planmäßigen Instandsetzung“. Verträge würden jedoch nur mit „juristischen Personen“ unterzeichnet, also Vereinen, angemeldeten Vereinen, Genossenschaftewn etc.. Für Häuser, die noch keine dieser Organisationen gegründet hätten,wurde eine einseitige Erklärung zur vorübergehenden „Duldung“ angeboten. Anschließend wurde erläutert, wer für welchen Vertrag vorgesehen ist und Termine für Einzelverhandlungen abgeklärt. Im Fall Schönitz wurde ein Klärungstermin mit allen betroffenen Parteien vereinbart. Für Friedrichshain wurde ein neuer Termin zwischen Bezirksbürokraten und BesetzerInnen vereinbart, dessen Realisierung „Mittler“ Reinhard zusicherte.

Die ersten Einzelverhandlungen sind nun bereits angelaufen, werden jedoch erst Anfang/Mitte Juni abgeschlossen sein. Das Ergebnis ist abzuwarten. Die BesetzerInnen jedenfalls bleiben dabei: „Verträge für alle.“ Duldungsverträge werden abgelehnt, da es sich hierbei sowieso nur um Verschleppungsmanöver handle. Ob die Bürokratenclicque mitspielt, bleibt abzuwarten.

d.w.