Kommentar: Alternativer Kapitalismus?

aus telegraph 10/1990
von Dirk Teschner

In letzter Zeit mehrt sich Unmut über einige Erscheinungsformen innerhalb der Haus- und ObjektbesetzerInnenbewegung in Ost- Berlin (und ebenso zumindestens auch in Dresden). Es geht um Geld. Genauer darum, daß ein kleiner Teil den Anderen, „das Geld aus den Taschen zieht.“

Besetzungen sollten nicht nur Wohnraum, Lebensraum vor Abriß, Verfall und Spekulationen schützen, sondern sie sind Ausdruck von autonomen, selbstverwalteten Lebens. Und dazu gehören auch Kommunikationsräume, Kneipen, Cafes.

Aber, immer mehr scheint es, daß es den BetreiberInnen von einigen Cafes, Kneipen um etwas völlig anderes geht.

Szene bleibt Szene, aus! Dies geht aber an der Realität vorbei. Denn es gab und gibt nicht die eine Szene. Der politische Teil ist der kleinste. Es klingt platt, ist aber doch wahr. Der fehlende politische Idealismus bringt einige Leute dazu, im Besetzungsflair ein Exquisit- Cafe zu betreiben.

Auf der einen Seite PDS- Fähnchen, Bündnis 90- Aufkleber bis „Heroin-Dealer- Raus“- Plakate am Tresen und auf der anderen Seite Flaschenbier (im Laden -,61 M) für 1,50 bis 2,00 M (Camera Kino), Käse- Toast für 3,00 M … .

Es kristallisiert sich genauer heraus, welches Cafe für die Leute da sein will, oder wo vielmehr die Leute für die Geldkasette der Cafes da sind. Und wo bei drohenden Faschisten-Aktionen freundlich weiter Alk ausgeschenkt wird. Ohne Kommentar!

Natürlich ist diese Entwicklung nichts DDR-orginelles. Im Kapitalismus wird eben, dort wo ein Engpaß ist, entsprechend mehr Geld verlangt. Marktwirtschaft pur!

Schon vor Monaten und Jahren zeigte sich wer politisch und solidarisch war und wer nicht.

Schon damals war es zum Kotzen, wenn z.B. ein sogenannter oppositioneller Fotograf Hauswald 100,00 M Miete pro Abend für „seinen“ Video-Rekorder von politischen Gruppen nahm.Oder einige Musikanlagen- Vermieter ihre Hand bei Soli-Konzerten aufhielten.

Angewiesen auf die Deli-Cafes ist mensch solange, bis andere Räume geschaffen werden. Ansätze gibt es ja, z.B. in der ollen KvU halten sich die Preise auch konstant. Verständlich wäre es, wenn die Cafes West-Touris (auch Szenetouris) ausnehmen und das erbeutete Geld an selbstverwaltete Projekte, für die Antifa-Kasse oder an „Waffen für El Salvador“ geben würden… .

Aus radikalen BesetzerInnen-Bewegungen Westeuropas sind Entwicklungen bekannt, die für uns nachvollziehbar sind und die Aspekte der dargestellten Probleme im gesamtgesellschaftlichen Kontext setzen, wie in Halim 1975.

Die Bewegung „Autonomia creativa“ z.B. propagierte die Politik der unmittelbaren Wiederaneignung des eigenen Lebens. In der Praxis wurden Supermärkte geplündert, Jugendclubs als kollektive Treffpunkte besetzt, die Zerstörung der eigenen sozialen Struktur durch Heroinkonsum bekämpft, indem Heroindealer überfallen und verprügelt wurden, sie verschafften sich kostenlos Eintritt zu Musikveranstaltungen, fahren schwarz und überrannten das Kinoeinlaßpersonal.

Aber auch in Ost- Berlin gilt, daß es einen Teil der BesetzerInnenszene darauf ankommt, ihr Leben anders zu organisieren, nicht aber gegen das CDU – SPD regierende System und das zu befürchtende Großdeutschland zu „kämpfen“. Sie richten sich in ihren Nischen ein, wie schon in der Honeckerära und kriegen den Arsch nur hoch, wenn sie direkt bedroht werden.

Die Formen von Selbstorganisation sollten zum Selbstverständnis und zum politischen Ziel erklärt werden.

„Freiräume“ sind nicht das Ziel, sondern Ausgangspunkte im „Kampf“. „Freiräume, Häuser, Cafes erobern, absichern – das ist klassischer Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken, auch keins, das erst Wochen alt ist.

Der Staat, die Räte der Stadtbezirke, KWV s werden sehr flexibel darauf reagieren: „Freiräume“können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft – Spielwiesen!

d.t.