Sklavenhändler beim Fressen gestört

aus telegraph 10/1990
von der 13. Autonomen Gruppe

Ein GROSSES SKLAVENHäNDLER FRESSEN kündigte ein Flugblatt für den 17. Mai um 18.30 im Grand-Hotel Ostberlin an. Gegen die so bezeichneten Vertreter von „Zeitarbeitsfirmen“, die in Westberlin einen Kongreß abhielten (dem DDR-Leser aus Wallraffs „Ganz unten“ bekannt) wurde zu einer Demonstration aufgefordert.

50 Frauen und Männer, hauptsächlich aus der autonomen Bewegung blockierten vor Beginn des Mahls den Haupteingang des Hotels. Sowohl das Hotelpersonal als auch die wenigen in der Gegend umherlaufenden Volks-Polizisten waren überrascht. Schnell wurde Verstärkung angefordert. Zwei Sicherheits-Angestellte des Hotels begannen von einem geschützten Platz aus mit den Dreharbeiten im Auftrage des Verfassungs-Staasi-Schutzes. Ein Streifenwagen nach dem anderen traf ein. Und bald auch der erste überfallwagen. Trotzdem herrschte ganz offensichtlich Ratlosigkeit. Weder Volks-Polizei noch Hotelpersonal wußte, was geschah: Wer waren diese Krakeeler und vor allem, was wollten sie, was überhaupt war hier los? Auch die Autonomen wußten nicht so recht weiter, sie standen im Eingang des Hotels und kamen nicht voran. Ein großes Transparent wurde entrollt, Passanten im Gespräch und mit Flugblättern aufgeklärt. Auch aus den Fenstern der Vereinigten Linken im gegenüber gelegenen Haus der Demokratie hingen zwei entsprechende Transparente. Presse und Radio waren vertreten, berichteten aber in den nächsten Tagen kaum über die Aktion. Schließlich begann man auch den netten Volks-Polizisten zu erklären, wen sie hier eigentlich schützen. Manche zeigten sogar Verständnis: Wir haben ja nichts dagegen, daß ihr protestiert, aber bitteschön in der entsprechenden Form … Bald war es auch damit vorbei, denn die Volks-Polizei hatte sich vermehrt und bestand inzwischen aus 50 ehemaligen Genossen, die mit Helm, Schild und Knüppel bewaffnet waren. Ein Teil von ihnen hatte im Inneren des Hotels Stellung bezogen und schlug in einem plötzlichen Angriff den Eingang frei. Von da an begann ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Autonomen, die inzwischen etwas zahlreicher waren und übrigens zum größeren Teil aus Westberlin kamen, begrüßten lautstark ankommende Sklavenhändler, denen man ihr Handwerk ansah. Meist wurden die Busse mit den Gästen von den Volkspolizisten ziemlich ungeschickt an den nächsten Hoteleingang gelotst. Also eilen alle Protestierer dorthin und empfingen die society. Dabei konnte es schon passieren, daß die eine oder andere Abend-Garderobe mit Blumenerde verziert wurde. Die Volks-Polizisten griffen dann wieder zum Knüppel. Schließlich rannte alles zum nächsten Eingang, wo sich wieder ein paar Sklavenhändler ins Hotel schleichen wollten, und alles begann von vorn. Irgendwann nach eineinhalb Stunden war die Aktion beendet und die Demonstranten zogen autonom ab.

Obwohl die Volks-Polizei eingriff, muß gesagt werden, daß ihr Einsatz (noch) nicht vergleichbar ist mit dem Vorgehen der Westberliner Polizei. Die Volks-Polizei verteidigte das Kapital (noch) nicht so energisch, weil sie wahrscheinlich nicht ganz verstanden hat, wer die neuen HERREN sind. Jedenfalls gibt es (noch) keine so starke Identifikation mit dem Kapital, das hier im Gesicht des Sklavenhändlers so eindeutig zu erkennen war. Deshalb läßt sich auch leicht beschreiben, wer da eigentlich vom 16. bis 18. Mai einen internationalen Kongreß in Westberlin abhielt:

Sklavenhändler betreiben Firmen, die Zeitarbeit vermitteln, das heißt, sie stellen Arbeitskräfte ein und verleihen diese zeitweise an Betriebe. Möglicherweise arbeitet man also eine Woche dort, drei Tage hier und zehn Tage am nächsten Ort. Für die Unternehmer, die sich Arbeitskräfte ausleihen, erhöht sich die Effizienz, denn sie brauchen ArbeiterInnen nicht fest einzustellen, sondern nur entsprechend der Auftragslage. Außerdem sparen sie alle möglichen Sozialkosten. Für den Sklavenhändler ergibt sich eine große Profitspanne, denn er bezahlt seinen Leih-Arbeitskräften wesentlich weniger als er für diese vom Unternehmer erhalten hat. Für die gleiche Arbeit beziehen ArbeiterInnen, die von Sklavenhändlern an einen Betrieb vermittelt worden sind, oft einen geringeren Lohn als KollegInnen, die fest angestellt sind. Die verschiedenen Bedingungen erschweren gemeinsames Handeln der ArbeiterInnen und bauen Konkurrenz auf.

Die Sklavenhändler machen seit November große Extraprofite mit der Unerfahrenheit der KollegInnen aus dem Osten. Mit aufwendigen Werbekampagnen versprechen sie „Traumjobs“ und „die Sicherheit eines abwechslungsreichen Arbeitsplatzes“. Jedoch sind in weniger als 10% der Fälle Arbeitsverhältnisse mit „Zeitarbeitsfirmen“ von Dauer. Viele bestehen nur ein paar Wochen, 90% der Beschäftigten sind weniger als 6 Wochen bei einer „Verleihfirma“. Nach dem Arbeitsrecht der BRD kann man in den ersten 6 Monaten jederzeit ohne Begründung gekündigt werden, hat also nicht viel von den vielgepriesenen Sozialleistungen. So nennt man die Vermittler von Zeitarbeit Sklaven- händler. Denn sie tragen dazu bei, die ArbeiterInnen in den Betrieben zu spalten; sie halten die Löhne niedrig; sie sorgen für Ersatz, wenn sich mal jemand nicht alles gefallen läßt.

Wir können nur hoffen, daß der Versuch dieser Herrschaften, in Ostberlin zu feiern und die damit verbundenen Aktionen der Autonomen dazu beigetragen haben, das Problem bei uns zu thematisieren. Vielleicht, so ist zu hoffen, sind die Demonstranten beim nächsten Mal zahlreicher, um tatsächlich zu verhindern, daß die Fratzen des Kapitals im Stillen feiern können.