aus telegraph 10/1990
Am 15. Mai 1990 fand anläßlich des Tages der Wehrdienstverweigerer in Erfurt eine kleine Demo statt. Aufgerufen hatte der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer Erfurt. Gekommen waren vor allem Mitglieder des AJZ und des Neuen Forums. Die jugendlichen Teilnehmer trafen sich, wie geplant, vor dem WKK Erfurt. über Handzettel und die Medien hatte man dazu aufgerufen. Aber auch die Polizei hatte sich darauf eingestellt. Zivile Personen warteten schon 16.00 Uhr unruhig auf die angekündigten Demonstranten. Erst gegen 17.00 trafen dann 30-50 Teilnehmer ein.
Geplant war, einige Transparente anzubringen, das Telegramm an Minister Eppelmann zu verlesen und eine Unterschriftenaktion zur Solidarisierung mit Totalverweigerern in anderen Ländern, die dafür Haftstrafen absitzen.
Doch das Programm fand eine jähe Wendung. Hauptmann der Polizei Keil ergriff die Initiative. Er belehrte die Anwesenden, daß diese Demo weder amtlich angemeldet noch zugelassen sei. Er meinte, das alte Versammlungsrecht, das eine Zulassung erfordere, gelte noch. Keil drohte den Platz zu räumen, sobald die Demonstranten „in die öffentlichkeit treten“. Es gab heftige Dispute, besonders als Hauptmann Keil von einem Jugendlichen des AJZ als ein besonders prügelwütiger Polizist aus der Zeit um den 7./8. Oktober wiedererkannt wurden. Keil reagierte darauf nur sarkastisch: Wer Lust habe, solle doch Anzeige erheben. Deutlich wurde, daß die neue Polizei die alte ist, ebenso wie die Leute auf der Straße die gleiche Passivität wie vor der Wende haben. Im Gefühl neuerwachten Selbstbewußtseins kontrollierte die Polizei die Ausweise und notierte die frechen Rechtsbrecher. Die Demonstranten einigten sich schließlich darauf, den polizeilichen Drohungen zu weichen. Sie gingen kurz zum WKK und brachten dort Transparente und Flugblätter an und bewegten sich dann in Richtung Rathaus. Dort wurde das Telegramm an Eppelmann verlesen und einiges zu den Forderungen der Wehrdiensttotalverweigerer gesagt. Zu den Aktivitäten des Innenministers (Aufrüstung nach innen) wurden Flugblätter verteilt.
Es gelang den Demonstranten bei dieser Gelegenheit immerhin mit Passanten ins Gespräch zu kommen. Die Resonanz war nicht sonderlich ermutigend. Die Erfurter Wehrdiensttotalverweigerer meinen aber, daß viele kleine Aktionen in allen Städten auf Dauer doch nicht zwecklos sind.
Erfurt, den 15.4,1990
Brieftelegramm an den Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR. Rainer Eppelmann und an den ehemaligen Friedenskämpfer
Aus Anlaß des Tages der Kriegsdienstverweigerung haben wir folgende Fragen:
1. Hast Du Deine Zeit als Verweigerer schon vergessen?
2. Willst Du um jeden Preis 15 Jahre Basisgruppenarbeit in Frage stellen?
3. Bist Du Dir im Klaren, was es für uns heißt, wenn Du Wehrpflicht, Dienstpflichtgesetz und militärischen Abschirmdienst neu installierst?
Wir werden es Ihnen sagen!
Wenn Sie dies tun, und es mit Ihren Kumpanen durchsetzen, dann müssen wir dies als Verrat ansehen.
Wenn das eintritt, können wir Dir bloß Gute Nachte wünschen – für Deine Götterdämmerung.
Wir, der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer (WTV) Erfurt beharren auf dem Menschrecht der freien Entscheidungsfindung des Individuums.
Der Freundeskreis WTV Erfurt fordert:
Radikale Schritte zur Entmilitarisierung der Gesellschaft.
Das heißt für uns:
1.) Abschaffung der Wehrpflicht
2.) Die Abschaffung der militärischen Verbände
3.) das Orientieren der Gesellschaft auf friedliches und einheitliches Handeln Erfüllen Sie Ihren Titel als Abrüstungsminister konsequent mit Leben
Freundeskreis Wehrdienstverweigerer Erfurt