Der großflächigste Kriegsdienstverweigerer

von Helmut Adolf
aus telegraph 1/1996 (#92)

Mit dem wohl größten Kriegsdienstverweigerer in der Bundesrepublik haben wir es in der Colbitz-Letzlinger Heide zu tun. Mit etwa 230 Quadratkilometern ist diese Fläche die größte zusammenhängende unbesiedelte und nicht durch Verkehrswege zerschnittene Landfläche Mitteleuropas. Und da der größte Teil der Fläche weder land- noch forstwirtschaftlich genutzt wurde, gibt es auch dort keinen Eintrag von Dünge- oder Schädlingsbekämpfungsmitteln. Das kennzeichnet den hohen ökologischen Wert dieses Gebietes. Außerdem beziehen etwa 600 000 Menschen ihr Trinkwasser aus der Heide. Dessen Qualität ist eine der besten in Europa. Diese Fakten verbieten schon von ganz allein eine militärische Nutzung des Gebietes.

Aber auch ohne die eben genannten ökologischen Besonderheiten dürfen Flächen nicht mehr militärisch mißbraucht werden. Der einzige Panzer, der in die Landschaft paßt, ist der Panzer der Schildkröte.

Nun zur Geschichte des Widerstandes in der Colbitz-Letzlinger Heide. Ende 1989 wurde die ausschließlich zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide gefordert. Aber kaum waren die Militäruniformen im Osten Deutschlands gewechselt, zeigte die Bundeswehr Interesse an diesem großen Areal. Hier hoffte man, sich fernab gewohnter Proteste ungestört tummeln und für die „neuen militärischen Aufgaben“ vorbereiten zu können. 1991 ließ die Bundeswehr die Katze aus dem Sack: In der Colbitz-Letzlinger Heide soll das modernste lasergestützte Gefechtsübungszentrum Europas entstehen. Inzwischen haben sich die Volksvertretungen von über 100 Anrainergemeinden, 5 Kreistage und der Landtag von Sachsen-Anhalt für eine ausschließlich zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide ausgesprochen. Sogar die damalige CDU/FDP-Landesregierung hatte sich für diese Forderung zumindest verbal eingesetzt. Die Bundeswehr ließ nicht locker, schickte immer wieder ihre Offiziere in die Gemeinden, um für die Bundeswehr zu werben. Man lud zu Hubschrauberflügen zu anderen Truppenübungsplätze ein, schließlich sei die Bundeswehr nicht mit der Sowjetarmee bzw. der Nationalen Volksarmee der DDR zu vergleichen. Es wurden über 70 000 Unterschriften gesammelt, in denen sich Menschen für eine ausschließlich zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide aussprachen. In Protestkundgebungen auf dem Gelände wurde dieser Wille bekräftigt. Seit 1992 ist die Colbitz-Letzlinger Heide Ziel des Ostermarsches in Sachsen-Anhalt. 1992 erfolgte die einstweilige Unterschutzstellung von ökologisch besonders wertvollen Gebieten in der Heide als Naturschutzgebiet. Damit sollen die Bemühungen der Bundeswehr zumindest erschwert werden. Da sich die Bundeswehr trotz aller Artikulierungen von ihren Plänen für die Colbitz-Letzlinger Heide nicht abbringen ließ, wurde im Sommer 1993 ein Protestcamp am Rande der Heide durchgeführt. Dabei wurde die Idee geboren, den Weg des zivilen Ungehorsams zu gehen. Jeden ersten Sonntag wird bewußt das von der Bundeswehr beanspruchte Gebiet betreten und mit friedlichem Leben erfüllt. Widerstand der Spaß macht. Die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe war entstanden. Beim Namen haben wir uns von der FREIen HEIDe in der Wittstocker Heide inspirieren lassen. Am 1. August 1993 fand der erste Friedensweg statt, ergo gab es am 3. November 1996 den 40. Am 11. August 1994 wurde der große Coup vollzogen, die Bundeswehr übernahm offiziell das Gebiet. Wenn durch unsere friedliche Blockade an diesem Tag auch nicht die Okkupation der Heide verhindert werden konnte, haben wir es den Herren der Bundeswehr zumindest gezeigt, daß sie im Gebiet unerwünscht sind. Später gab es für vier Leute, die gewaltfrei blockierten, Anzeigen wegen Nötigung zum Unterlassen (der Bundeswehroffizier wurde zum Unterlassen des Betretens des besetzten Gebietes genötigt). Da sich die Beteiligten geweigert haben, die Geldstrafen zu bezahlen, gab es eine Verhandlung vor dem Amtsgericht, bei der sie freigesprochen wurden.

Unser Programm auf den Friedenswegen ist immer so ausgerichtet, die Leute in ihrem geistigen Zuhause abzuholen und sie behutsam an alternatives und pazifistisches Gedankengut heranzuführen.

Zur Fortsetzung des zivilen Ungehorsams gegen die militärische Weiternutzung der Colbitz-Letzlinger Heide hat unterdessen der Generalsekretär der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, Joachim Garstecki, aufgerufen. Die Gesellschaft könne „ein wenig Regelverletzung“ für den Frieden „leichten Herzens ertragen“, sagte er am 1. September vor den rund 300 Teilnehmern des 38. Friedesweges.

Spendenkonto: Friedemann John, Kto.-Nr. 30 10 00 84 48, Sparkasse Stendal/Osterburg, BLZ 810 505 55, Stichwort OFFENe HEIDe

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph