Britische Propaganda

Interview mit Jackie McMullan
aus telegraph #101

Kannst du kurz den Einfluss von britischer Propaganda oder Medienoperationen auf den Konflikt in Nordirland beschreiben? Wie wichtig war Propaganda im Verhältnis zu anderen Arten von Operationen?
Jackie McMullan: Von allen am Konflikt beteiligten Seiten wird der Propaganda eine sehr wichtige Bedeutung zugemessen, und seit es diesen Konflikt in Nordirland gibt, findet auch ein „Propagandakrieg“ statt, an dem alle Gruppen beteiligt waren. Jede beteiligte Gruppe hat ihre eigene Version der Geschichte, und dessen was passiert. Propaganda heißt vor allem den Informationsfluss zu kontrollieren. Wenn durch die britische Armee oder die RUC jemand zu Tode kommt, dann sperren sie zuerst den Ort des Geschehens für jeden. Niemand, auch nicht die Presse, kommt da ran. Das kann dann bis zu 48 Stunden dauern. Das ist die Zeit, die sie brauchen, um erstens zu wissen, was genau passiert ist, und um zweitens eine widerspruchsfreie Version für die Öffentlichkeit zu produzieren.
Außerdem wird natürlich versucht, die Version der gegnerischen Partei zu untergraben. Das gilt genauso für die IRA wie auch für die britische Regierung. Alle gesellschaftlichen Gruppen waren auch Ziel von Propaganda. Das bezog sich zum Beispiel auch auf die USA, und auf die Darstellung des Konflikts in den USA.

Wie sah die Einflussnahme in den USA aus?
Das erste Beispiel, was mir in den Kopf kommt, ist, dass dort in den Berichten der britischen Botschaft eine sehr starke Betonung darauf gelegt wurde, dass die IRA eine marxistische Organisation sei.
Das war ein Versuch die irischstämmige Bevölkerung in den USA von der IRA zu entfremden, weil die Briten erkannt hatten, dass die Iren in den USA sehr wichtig waren für die IRA, sowohl was finanzielle Unterstützung betraf, als auch was die Beschaffung von Waffen anging. Das ist auch nicht nur ein einzelner Punkt, an dem die britische Seite versucht, die Tatsachen zu verdrehen, sondern es ist Teil einer geschlossenen, durchgängigen Strategie, zu der es gehört, sämtliche negativen Aspekte ihres Kriegs in Irland runter-zuspielen, wenn es also um Menschenrechtsverletzungen, staatliche Folter oder staatliche Morde geht.
Jedes Jahr gibt die britische Regierung eine Summe von ungefähr 20 Millionen Pfund in den USA aus, um diese Propaganda zu finanzieren. Das war die letzte genauere Zahl, die ich gelesen habe, und die ist von 1989.
Hier in Irland sind 149 Personen Vollzeit damit beschäftigt, die britische Version dessen, was geschieht, in der Welt zu verbreiten. Diese Leute haben den Job, sich um die Medien zu kümmern. Jede Art von Presseerklärung, die rausgeht, durchläuft verschiedene Stadien, in denen sie gecheckt und noch mal gecheckt wird, bevor sie endlich abgesegnet wird und veröffentlicht werden darf. Andere aus diesem Stab haben die Aufgabe, Delegationen zu organisieren. Diese Delegationen aus dem Ausland bekommen dann freie Flüge, freie Unterkunft in irgendwelchen Hotels und ein Unterhaltungsprogramm. Sie werden dann in bestimmte Regionen gebracht und dort herumgeführt – und zwar in genau die Regionen, die am allerwenigsten vom Konflikt betroffen sind. Es gibt unter den internationalen Presseleuten diesen Standardwitz, dass, wenn du nach Nordirland kommst, um für deine heimatliche Presse über den Konflikt zu berichten, und du fällst diesen Pressereferenten des Nordirlandbüros in die Hände, dann musst du feststellen, dass es eigentlich gar keinen Konflikt gibt, und dass du umsonst hier bist.

Welche Rolle haben die elektronischen Massenmedien bei der Propaganda?
Was die Fernsehsender betrifft, so ist bekannt, dass die Einflussnahme dort vor allem über die stillen Gespräche, die „Kamingespräche“ stattfindet. Die gibt es regelmäßig zwischen einem britischen Minister und den Programmdirektoren der jeweiligen Fernseh-Anstalten. Dabei werden die Programmdirektoren in die Richtung „gebeten“, die der Regierungspolitik genehm sein könnten. Beide Seiten sind sich natürlich gegenüber der Öffentlichkeit einig darüber, dass der Minister nicht gesagt hat, was gemacht werden soll, dass also irgendwelche Sendungen oder Reportagen über Nordirland, die der Regierung unangenehm sind, verändert oder entfernt werden sollen. Es heißt dann höchstens, dass den Direktoren nahegelegt wurde, dass im Interesse der Nationalen Sicherheit dieses oder jenes problematisch sein könnte.
Das britische Fernseh-Rahmengesetz bestand 1970 aus genau zwei Artikeln und 1988 wurde es ausgedehnt auf 8 volle Seiten. Darin ist detailliert vorgeschrieben, wie mit allen Programmen und Sendungen umzugehen ist, die das Thema „Nordirland“ behandeln.
Über viele Jahre hinweg durften Sinn-Féin-Politiker im Fernsehen nicht zu hören sein. Das heißt, es gab die absurde Situation, dass Sinn-Féin-Politiker im Fernsehen geredet haben, du aber ihre Stimme nicht gehört hast. Schauspieler haben ihre Rede gesprochen, das heißt, synchronisiert. Du hast sie den Mund auf- und zumachen sehen, während jemand anders ihre Worte nachgeahmt hat. Es gab auch oft die absurde Situation, dass in Diskussionen die Stimmen der Sinn-Féin-Sprecher herausgeschnitten wurden, und als Untertitel gesendet wurden, weil man ihre Stimme nicht hören durfte. Es gab das auch im Fall eines Interviews mit Bernadette McAliskey, einer Abgeordneten im britischen Unterhaus. Sie war niemals Mitglied von Sinn Féin, aber es hieß, dass es einen Satz in diesem Interview gäbe, aus dem man eine „Unterstützung für den Terrorismus“ heraushören könne. Deshalb wurde ihr gesamtes Interview von einer Schauspielerin gesprochen.
Jeder Journalist, der einen Beitrag zu Nordirland macht, muss seit 1988 diesen Beitrag seinem unmittelbaren Chef vorlegen, dieser wiederum seinem Chef, und dieser legt ihn wiederum (im Fall der BBC) dem Programmdirektor vor, der dann entscheidet, ob der Bericht in Ordnung ist. In den letzten 20 Jahren sind über 100 Sendungen zum Thema nachträglich bearbeitet oder ganz aus dem Programm geworfen worden, bevor sie gesendet werden konnten. Ein Teil dieses Procedere ist, dass, wenn man sich innerhalb der BBC unsicher ist, ob der Beitrag so gesendet werden kann, der Beitrag an das Nordirlandbüro der BBC übergeben wird, weil man davon ausgeht, dass die nicht falsch entscheiden können.
Aber die Journalisten sagen selbst, dass die schlimmste Art der Zensur die Selbstzensur ist. Sie setzt ein, nachdem du versucht hast, einige Schlachten zu schlagen, sie aber verloren hast. So kommen zum Beispiel Fernsehjournalisten überhaupt nicht mehr auf die Idee, irgendeinen investigativen Bericht über Nordirland zu machen, da sie wissen, dass sie es sowieso nicht senden dürfen.

Habt ihr außer dieser Form der Zensur festgestellt, ob es Sprachregelungen in der Tagesbericht-erstattung gibt, Wörter, die vermieden werden, andere, die anstelle verwendet werden?
Das ist kein Geheimnis, es ist allgemein bekannt. Der ehemalige Chef von BBC-Nordirland hat nach seiner 12jährigen Dienstzeit gesagt, dass das Wort „Teilung“ in seiner gesamten Dienstzeit nicht vorgekommen ist. Das muss man sich erst mal vorstellen. Ein Zustand, der für jeden in Nordirland täglich ganz unmittelbar präsent ist, darf nicht erwähnt werden.
Oder ein Beispiel, was mir sofort einfällt, ist Derry. Das ist die zweitgrößte Stadt, die im Süden von Nordirland liegt. Wenn Journalisten einen Bericht über Derry machen, müssen sie beim ersteinmal, bei dem sie die Stadt im Bericht erwähnen, die Stadt „Londonderry“ nennen, also mit der britischen Bezeichnung. Bei jedem weiteren Mal, das die Stadt in dem Bericht auftaucht, dürfen sie die Stadt Derry nennen.
Ein anderer Generaldirektor der BBC hat öffentlich festgehalten, dass, wenn es darum geht, über „unsere“ Armee und über die „terroristische“ IRA zu berichten, dann kann es da keine Unparteilichkeit geben.
Und wenn über Vorfälle berichtet wird, die etwas mit der britischen Armee oder mit der RUC zu tun haben, dann wird der Nachrichtensprecher, wenn er von der Armee und der RUC redet, immer sagen: „Die Britische Armee sagte…“ oder „Die RUC erklärte…“. Wenn es aber darum geht, dass Vertreter einer Menschenrechtsgruppe etwas gesagt haben, oder irgend jemand, der gegen die britischen Besetzung von Nordirland ist, dann wird das immer beschrieben und abgewertet mit: „Die Organisation hat behauptet…“, oder „Es wurde verbreitet…“ oder „Sie hat den Vorwurf gemacht…“. Also das, was die britische Seite macht, wird immer als Faktum präsentiert, während die Position ihrer Kritiker immer relativiert wird, als Unterstellung dargestellt wird.

Denkst du, dass die britischen Geheimdienste selber einen direkten Zugang zu den Massenmedien haben, oder läuft die Beeinflussung nur über diesen institutionellen Weg, den du vorhin beschrieben hast?
Nein, es ist sehr gut dokumentiert, dass ein Teil der Journalisten selber für den Geheimdienst arbeitet. Der Herausgeber der Sunday-Times hatte zum Beispiel in seinem Büro eine große Weltkarte, in der ein Haufen kleine rote Nadeln gesteckt haben – eine für jeden Auslandskorrespondenten -, und er hat erklärt, dass jeder einzelne von denen ein Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes ist. Der Mann war selber Offizier des britischen Geheimdienstes. Ich glaube, man kann sagen, dass die britischen Medien, die am besten kontrollierten Medien in ganz Europa sind. Mittlerweile werden diese Gesetze und Regelungen übrigens auch nicht mehr nur zum Thema „Nordirland“ benutzt, sondern ihre Anwendung wird ausgeweitet auf Journalisten, die zu ganz anderen Themen arbeiten, auf Staatsbedienstete, auf Gewerkschaftssprecher und Nicht-Regierungs-Organisationen. Ein aktuelles Beispiel ist ein ehemaliger Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes, der inzwischen in Frankreich lebt, und der ausgepackt hat über die zweifelhaften Operationen, an denen britische Geheimdienste beteiligt waren. Es ist versucht worden, ihn zu knebeln, mithilfe genau dieser Gesetze, die eigentlich gegen die republikanische Bewegung erlassen worden waren.

Gibt es denn über den Medienbereich hinaus Beispiele für Beeinflussung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen?
Es gibt eine ganz aktive Kampagne, die sich zum Beispiel auch auf Regisseure und Filmemacher richtet, genauso wie aber auch auf Wirtschaftsvertreter. Die werden eingeladen und zum Essen ausgeführt und rundum betreut. Das alles, um sie dazu zu bewegen, die britische Sicht der Ereignisse zu verbreiten.
Auf dem Höhepunkt der IRA-Bombenkampagne gab es eine Promotionskampagne, deren Slogan war „Belfast is boosting!“, also ungefähr „In Belfast tobt das Leben“. Das wurde auf riesige Plakatwände geklebt, es liefen Radiospots usw.

Im Rahmen des Friedensprozesses ist unter anderem das Redeverbot von Sinn Féin-Politikern aufgehoben worden. Wie haben sich diese Art von Propaganda- oder Medienoperationen verändert? Haben die mit dem offenen militärischen Konflikt aufgehört?
Diese Operationen haben nicht im Geringsten aufgehört. Nachdem das Redeverbot, oder das Verbot gehört zu werden, aufgehoben worden ist, nach dem Waffenstillstand, und die Medienvertreter endlich Interviews mit Sinn-Féin-Vertretern machen durften, gab es die Anweisung, dass sie Sinn-Féin-Sprecher mit ungemein feindlichen Fragen konfrontieren mussten. Die Anweisung kam schon bevor der Waffenstillstand erfolgte, dieses Verhalten wird seitdem aber auch weiter fortgeführt. Ein anderes aktuelles Beispiel ist der Sunday-Times Journalist Liam Clarc, der gegenwärtig seine Verhaftung und mögliche Verurteilung zu einer Haftstrafe erwartet. Das ist ein Journalist, der der republikanischen Bewegung früher sehr feindlich gegenüberstand, der sich jetzt aber weigert, den Namen eines Informanten zu nennen, der ihm gegenüber das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen britischen Sicherheitskräften und loyalistischen Todesschwadronen offengelegt hat. Da ging es um Fälle der Zusammenarbeit bei der Ermordung von Republikanern, Nationalisten und auch einfachen Katholiken.
Der UNO-Beauftragte für Pressefreiheit und Zensur hat gerade vor zwei 2 Monaten festgestellt, dass die BBC ein Hindernis für den nordirischen Friedensprozess darstellt, und zwar aufgrund ihrer Berichterstattung zu den Themen „orangistische Märsche“, „Zusammenarbeit zwischen loya-listischen Todesschwadronen und den Sicherheitskräften“ und der Berichterstattung über ehemalige politische Gefangene aus der republikanischen Bewegung.
Es gibt die Anweisung in der BBC, dass britische Fernsehjournalisten in der Zeit um den 1. November herum eine Mohnblume tragen müssen. Diese Mohnblume wird getragen zum Gedenken an die gefallenen britischen Soldaten. Es gab nie Republikaner in der BBC, aber in den letzten Jahren ist es einigen wenigen gelungen, dort unterzukommen. Es gab also den Fall, dass ein Journalist sich geweigert hat, diese Blume zu tragen, und er ist daraufhin für die gesamten 2 Wochen aus allen Sendungen herausgenommen worden.
Die BBC gibt vor, dass sie die Öffentlichkeit repräsentieren würde, was sie aber nicht tut. Das, was die BBC immer noch verbreitet, ist eine Version, und zwar eine sehr einäugige, heftig zensierte Form der Realität. Dabei tun sie so, als ob ihre Art des Umgangs in der Berichterstattung über die republikanische Bewegung identisch mit der Öffentlichkeit wäre, und leugnen damit vollkommen die Unterstützung, die die republikanische Bewegung und mit ihr die IRA hat.

Vielen Dank für das Interview.

Übersetzung von Miriam Tödter.

Jackie McMullan ist republikanischer Aktivist und ehemaliger politischer Gefangener.

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