aus telegraph #101
Propaganda
Die Bundesregierung sieht eine Trendwende beim Aufbau in den neuen Ländern, “Die Trendwende ist geschafft”, sagte der Staatsminister im Kanzleramt, Rolf Schwanitz (SPD), in der Debatte zum Aufbau Ost im Bundestag. Dieses Jahr fließen rund 40 Milliarden Mark in den Aufbau Ost. Allein im April 2000 ist die Arbeitslosenzahl im Osten um 55 000 gestiegen. Noch nie haben so viele Menschen Ostdeutschland verlassen wie jetzt, darunter viele gut ausgebildete junge Leute.
Quelle: Hamburger Abendblatt 20.5.2000
Sparen I Der Kardiologe von der Jenaer Universitätsklinik Hans-Reiner Figulla schlägt Alarm: Trotzdem das Risiko eines Herzinfarkt-Todes für Ostdeutsche um 25 Prozent höher als für Westdeutsche ist, gibt es zunehmend „erhebliche Einschränkungen bei der klinischen Versorgung von Herzpatienten in den neuen Bundesländern“
Quelle: ddp/ND 19.05.2000
Sparen II
In Ostdeutschland steigt die Zahl der Todesfälle durch Ertrinken nach Einschätzung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft Besorgnis erregend, weil immer weniger Leute schwimmen können. Am Bevölkerungsanteil gespiegelt gebe es im Osten Deutschlands doppelt so viele Ertrunkene wie im Westen, teilte DLRG-Präsident Klaus Wilkens am Donnerstag in Berlin mit. Bundesweit sei der Anteil der Kinder unter zehn Jahre an der Zahl der Gesamtopfer unverhältnismäßig hoch.
Quelle: AP/Kieler Nachrichten 19.05.00
Haute Couture
Ein Schüler aus dem sächsischen Oschatz hat sich wegen eines im Versandhandel erworbenen T-Shirts mit dem Emblem der früheren DDR-Jugendorganisation FDJ eine Strafanzeige wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingehandelt. Der 17-Jährige Gymnasiast war von Polizisten wegen des umstrittenen T-Shirts angesprochen und zur Feststellung der Personalien mit aufs Revier genommen worden.
Denn laut Strafgesetzbuch – Paragraph 86a Absatz 2 – ist das FDJ-Emblem verboten. Behauptet jedenfalls die sächsische Polizei und bezieht sich dabei auf ein Schreiben des Generalstaatsanwalts, in dem die Beamten aufgefordert werden, “in jedem Fall” polizeiliche Ermittlungen vorzunehmen. Wie die auszusehen haben, hat der sächsische Justiziminister präzisiert: Da das Tragen des FDJ-Emblems dazu geeignet sei, “den Anfangsverdacht einer Straftat zu begründen”, gehöre zur Verfolgungspflicht “die Sicherstellung der erforderlichen Beweismittel”. Beziehungsweise “die Fertigung von Lichtbildern dieser Beweismittel”.
Die sächsische PDS hat sich daraufhin hingesetzt und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel einen Brief geschrieben. Tenor: “Sie waren doch auch mal in der FDJ, nun sagen Sie mal: Wie finden Sie das?”
Quelle: Dpa 6.4.00/Hamburger Abendblatt 24.05.00
Im Osten sind Reiche einsam…
Viele in Ostdeutschland nach der Wende geborenen Kinder übernehmen nach Ansicht des Erfurter Soziologen Wolf Wagner von ihren Eltern weiterhin sozialistische Wertvorstellungen. „Das DDR-Wunschziel materieller Gleichheit der Bürger wird von den Eltern an die Kinder weitergegeben“, sagte der Professor für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Erfurt. So werde im Osten der Reichtum weniger akzeptiert als im Westen. Dort wiederum sei Armut eher ein Makel. „Im Westen sind die Armen einsam, im Osten die Reichen.“
Quelle: Stuttgarter Nachrichten, 23.11.99
…und bald auch im Süden
Rom – Die Italienerinnen haben keine Lust mehr auf reiche Männer. Bei einer Umfrage unter 1500 Frauen von 18 bis 25 Jahren kam heraus, dass 48 Prozent der Italienerinnen einen einfühlsamen und zärtlichen aber dafür armen(!) Mann einem reichen vorziehen. Für 37 Prozent ist es zudem entscheidend, dass er sich an Geburtstag und Verlobungsdaten erinnert. Nur 15 Prozent wollen einen vor allem reichen Mann.
Quelle: SAD/Berliner Morgenpost, 08.05.00
Polizei I
Der ostdeutsche Polizeiwachtmeister Schmidt aus Jena arbeitet einige Stunden mehr als sein westdeutscher Kollege aus Heilbronn. Dafür bekommt er aber weniger Geld. Das ist doch ungerecht! In Dresden gingen deswegen Tausende auf die Straße. Die Forderungen von Polizeigewerkschaft, ÖTV und Beamtenbund: Tarifanpassung sofort! Oder wenigstens in den nächsten drei Jahren!
Quelle: taz, 13.04.00
Polizei II
Ob dem Leipziger Polizeibeamten, der während der Krawalle am 1.Mai in Berlin festgenommen worden war und gegen den das zuständige Berliner Amtsgericht Haftbefehl erlassen hat, den militanten Flügel der ÖTV zuzurechnen ist, wissen wir nicht. Nur soviel ist bekannt: Der 27-Jährige soll sich bei einem Besuch in Kreuzberg an Ausschreitungen beteiligt haben. Die Berliner Staatsanwaltschaft wirft dem sächsischen Beamten schweren Landfriedensbruch sowie Widerstand gegen Vollzugsbeamte vor. Laut Polizei hat der Beschuldigte zu Protokoll gegeben, vor der Tat bei einem Polizeieinsatz geschlagen worden zu sein.
Quelle: Berliner Morgenpost, 06.05.00
Polizei III
Im vergangenen Jahr sind 542 Disziplinarverfahren gegen Berliner Polizeibeamte eingeleitet worden. Außerdem wurden 2174 Strafverfahren gezählt, wie der Innensenat am Freitag mitteilte. Von den Strafverfahren endeten 49 durch Verurteilungen. Bei den Disziplinarverfahren wurden 56 Verweise ausgesprochen und 62 Geldbußen verhängt. Elf Beamte mussten Gehaltskürzungen hinnehmen und einer wurde in ein Amt mit geringerem Endgehalt versetzt. Zwei Polizisten wurden aus dem Dienst entfernt und fünf verloren die Beamtenrechte. Die übrigen Straf- und Disziplinarverfahren wurden eingestellt oder endeten mit Freisprüchen.
Quelle: ddp/ND, 20./21.05.00
Polizei IV
Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sieben Polizisten wegen Körperverletzung. Den Beamten wird vorgeworfen, in Zivil am 1.Mai auf unbeteiligte Passanten eingeschlagen zu haben. Dabei sollen sie von zwei anderen Polizisten beobachtet worden sein, die daraufhin Anzeige erstattet haben.
Gegenüber Unbeteiligten kam es in diesem Jahr wie auch 1999 zu vermehrten Übergriffen. Wegen Körperverletzung erstatteten mehrere Reporter Anzeige gegen Polizeibeamte.
Gegen acht Beamte wird noch wegen der Krawalle 1999 ermittelt. Zwei sollen nun angeklagt werden.
Quelle: Berliner Zeitung, 12.05.00
Polizei V
Offensichtlich erste Reaktionen auf die Ausschreitungen könnten die Äußerungen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und des Berliner Innensenators Werthebach(CDU) sein. Die GdP fordert polizeibekannte Krawalltäter sollen vor dem l. Mai eine elektronische Fußfessel angelegt bekommen. Die elektronische Überwachungsmaßnahme sei billiger und für die Betroffenen angenehmer als Polizeigewahrsam, so die GdP.
Werthebach will künftig den Druck auf die „gewaltbereite Szene“ erhöhen. Dem Münchner Magazin „Focus“ sagte er: „Nächstes Mal erhält jeder Einsatzführer vor Ort ein Bildheftchen mit den bekannten Rädelsführern. Wenn er einen erkennt, geht er zu ihm hin und sagt: `Überleg´ dir, was du tust. Wir haben dich im Auge`.“
Bravo! Weiter so.
Quelle: Berliner Morgenpost, 08.05.00 und 17.05.00; Focus
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