Kolumne
von Wolfram Kempe
aus telegraph #102/103
Mitte Oktober war für die PDS die Welt wieder in Ordnung. Nach dem Parteitag in Cottbus sollten alle innerparteilichen Konflikte, die auf dem Münsteraner Parteitag mit Wucht ins Licht der Öffentlichkeit getreten waren, vergeben und vergessen sein. So jedenfalls sah das der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch – und aus seiner Sicht ist diese Einschätzung sogar einigermaßen plausibel: Er trug schließlich durch einfältige Regie die Hauptverantwortung an dem Debakel von Münster, in Cottbus hingegen war es gelungen, eine Parteivorsitzende zu wählen, die seine Position in der Partei nicht gefährden kann. Sogar die mediale Öffentlichkeit – oft und gern mit der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verwechselt – konnte beruhigt werden: Die PDS war von einem unkalkulierbaren Haufen, in dem die Basis der Führung schon mal ganz demokratisch die Gefolgschaft verweigert, wieder zu einer stink normalen bundesrepublikanischen Partei geworden, in der der Meinungsbildungsprozess von oben nach unten verläuft. Das Schlüsselwort der politischen Kommentatoren dafür lautet: Berechenbarkeit.
Ihr Verlust war es ja, der von der Parteiführung in Münster vehement beklagt wurde: Wer, fragte Gysi die versammelten Delegierten rhetorisch, wer würde denn mit der PDS noch reden, wenn der Antrag des Bundesvorstandes verworfen würde. Die Frage offenbart vielmehr als nur den Verlust des Gefühls für die Stimmung innerhalb der Partei: In ihr offenbart sich die alte Angst der deutschen Linken, über die Fragen von Krieg oder Frieden wieder zu vaterlandslosen Gesellen gestempelt, von einer Aufwallung nationaler Gefühlsduselei in die gesellschaftliche Schmuddelecke gestellt zu werden. Ein Stammvater des demokratischen Sozialismus, der Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht, verfügte zu seiner Zeit in diesen Fragen über mehr Charakterstärke, als er den Kriegskrediten seine Stimme verweigerte. Mag sein, dass in Zeiten, in denen sich die alte nationale Gschaftelhuberei hinter dem beschönigenden Geschwafel von der NATO als einer Werte- und Verantwortungsgemeinschaft versteckt, die gesellschaftlichen Frontlinien nicht klar erkennbar sind. Es wäre jedoch vornehmste Aufgabe einer linken Partei, dieses Geschwafel als solches zu entlarven. Und im Kosovo-Krieg hat die PDS dies ja auch getan. Um so stärker musste die Irritation der Parteibasis über den Antrag der Parteiführung in Münster auch sein – und um so absehbarer das Debakel.
Der Parteitag von Cottbus hat in dieser Hinsicht überhaupt nichts bewegt. Dazu wäre es notwendig gewesen, dass die in Münster aufgetretenen Konflikte in eine tatsächliche innerparteiliche Diskussion münden. Statt dessen tauschte man nach einer kurzen Phase gegenseitiger Beschimpfungen und Verdächtigungen die bekannten Positionen aus – und ließ es dabei bewenden. So war Cottbus nur der Harmoniekleister, der den Eindruck einer zwischen Führung und Basis zerrissenen Partei verwischen sollte. Oder, um es mit den denunziatorischen Adjektiven der konservativen Politkommentatoren noch einmal anders zu sagen: zwischen einer modernen, „berechenbaren“, „in der Bundesrepublik angekommenen“ Führung und einer „ostalgischen“, rückwärts gewandten, kommunistischen, chaotischen Basis zerrissenen Partei.
Außer der Angst vor dem Stigma der vaterlandslosen Gesellen fürchtet sich die Führung der PDS noch vor einem anderen Diktum: jedes Mal, wenn die politischen Gegner ihr vorhalten, die PDS wolle eine andere Republik, wird geradezu reflexhaft beteuert, dass man fest auf dem Boden der „Freiheitlich demokratischen Grundordnung“ stünde. Abgesehen davon, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat: kaum ein Christdemokrat würde es sich gefallen lassen, wenn man behauptete, nach 16 Jahren Kohl sei die Bundesrepublik noch dieselbe wie vorher. Es ist die vornehmste Aufgabe politischer Parteien, das demokratische Gemeinwesen, in dem sie wirken, zu verändern – günstigsten Falls zum Besseren. 1982 übernahmen die Christdemokraten die Macht unter dem Motto, die „geistig-moralische Wende“ herbeiführen zu wollen. Ziel war ganz klar eine andere als die vorhergehende „sozialdemokratische“ Republik, und um dieses Ziel zu erreichen, wurde der Kern der FDGO, das Grundgesetz, durchlöchert und ausgehöhlt, wie von keiner Regierung vorher. Natürlich wäre eine „demokratisch-sozialistische“ Republik eine andere als eine konservative oder sozialdemokratische. Anstatt den Vorwurf zu fürchten, müsste eine Partei wie die PDS dies offen bekennen – und den Leuten vorab sagen, wie anders denn diese Republik sein solle. Mit einem eklektizistischen Parteiprogramm wie dem Rostocker – das versucht, es jedem Recht zu machen – kann so etwas nicht gelingen. Die Hoffnung, dass die aktuelle Programmdebatte in der PDS Besseres produziert, habe ich längst aufgegeben.
Statt gesellschaftliche Alternativen zu formulieren, die Bürgern (Wählern) in der Tat Auswahlmöglichkeiten zwischen politischen Konzepten ermöglichte, wird zu Gunsten einer nebulösen Berechenbarkeit der Weg in die politische Beliebigkeit beschritten, in der die PDS auf lange Sicht von den anderen großen Parteien genauso wenig zu unterscheiden sein wird, wie heute schon SPD, CDU und Grüne. Das ist der Kern der Sozialdemokratisierung der PDS, die häufig beschrieen wird, die vor ihr aber schon die CDU und die Grünen erlitten haben: eine „Volkspartei“ für alle, die jede politische Differenz nivelliert, und die statt der ehedem proklamierten „sozialistischen“ nun die „kapitalistische Menschengemeinschaft“ zum Ideal erhebt. Vor diesem Hintergrund ist das dümmliche Geschwätz der neuen Parteivorsitzenden über ihre „Liebe zu Deutschland“ eben keine dumpfe Heimattümelei von jenseits des Thüringer Waldes, sondern ein erster Meilenstein auf dem Weg ins politische Nirwana.
Wolfram Kempe ist Autor und Geschäftsführer der PDS-Fraktion Prenzlauer Berg.
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