MITGEFANGEN – MITGEHANGEN

Ostdeutsche Betriebsräte und Co-Management im Umbruch von Produktionsstrukturen

von Hinrich Garms
aus telegraph #102/103

Kurzdarstellung der Untersuchung
Von 1996 bis 1998 führte der Autor 30 Interviews in ostdeutschen Betrieben sowie zehn Interviews mit Gewerkschaftssekretären im Osten Deutschlands. Von zwölf untersuchten Betrieben befanden sich sechs in Brandenburg, drei in Sachsen und drei in Berlin. Es wurde darauf Wert gelegt, sowohl große und mittlere als auch kleine Betriebe in das Sample aufzunehmen. Hierbei sind große Betriebe bei der qualitativen Untersuchung im Gegensatz zu ihrer Anzahl im Untersuchungsgebiet etwas überrepräsentiert. Auch sollten die regionale Verteilung der Betriebe in Berlin, Brandenburg und Sachsen und die Kriterien Großstadt, Großstadtnähe bzw. Provinz Berücksichtigung finden. Drei Unter-suchungsbetriebe im Ostteil der Großstadt Berlin sind die einzigen Betriebe in einer Großstadt, die anderen Untersuchungsbetriebe sind entweder in kleinen Gemeinden auf dem Lande angesiedelt oder in Mittelstädten. Nicht die Ballungszentren oder Metropolen bilden also das Untersuchungsgebiet, sondern vor allem die „industrielle Provinz”. Diese Situation ist für die Industriebetriebe im Metallbereich in den neuen Ländern acht Jahre nach der Wende sehr typisch. Die regionale Streuung von Betrieben ist nicht nur aus der Geschichte der Deindustrialisierung in Ostdeutschland zu erklären, sondern auch aus der Geschichte der Industrialisierung Ostdeutschlands nach dem Krieg, denn hier wurde aus Gründen, die in der damaligen planwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung begründet liegen, versucht, auch in kleineren Städten und Gemeinden Industrie aufzubauen. Dies geschah, um einerseits dort nicht nur Landwirtschaft, sondern auch produzierende Betriebe anzusiedeln, und auf der anderen Seite, um eine gewisse Dezentralisierung der industriellen Produktion zu erreichen. Dies geschah allerdings bei gleichzeitiger Zentralisierung auf dem Papier: So konnten Betriebe, die Hunderte von Kilometern voneinander entfernt waren, zum gleichen Kombinat gehören. Eine untergeordnete Rolle in der Untersuchung spielen die Besitzverhältnisse der Betriebe (Ostdeutsch/westdeutsch/europäisch/außereuropäisch). Die Ergebnisse können aufgrund der Untersuchungsmethode nicht repräsentativ sein, sie besitzen aber dennoch für das Untersuchungsgebiet eine Aussagekraft, die über zufällige Statements hinausgeht.

Es wurde bei der Auswahl der Betriebe keine Repräsentativität angestrebt, vielmehr sollte den vermuteten Typen von Co-Management nachgespürt werden.
Von zwölf für die qualitative Untersuchung ausgewählten Betrieben waren zwei akut konkursgefährdet, von den elf Betrieben, die an der weiteren quantitativen Untersuchung teilnahmen, waren dies wiederum drei. Weitere Betriebe, die an der quantitativen Untersuchung Interesse bekundet hatten und angeschrieben wurden, konnten deshalb nicht an dieser teilnehmen, da sie erhebliche Umstrukturierungen vornahmen und/oder mit Teilstillegungen zu kämpfen hatten. Dies äußerten jedenfalls die Betriebsräte auf telefonische Nachfrage.

Betriebsbeispiele
Die harmonischen Co-Manager im Mittelbetrieb
Ursprünglich war der Betrieb Brandenburg B Teil eines Kombinats, das sehr stark für den Export in die damalige Sowjetunion, aber auch für den Weltmarkt produzierte. In diesem Betrieb werden Schwermaschinen und Anlagen gebaut. Der Betrieb ist im Arbeitgeberverband organisiert. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in diesem Betrieb beträgt 75%.

Der Betrieb wurde 1993 zum ersten Mal durch einen großen westdeutschen Konzern privatisiert. Da aber dieser gesamte Konzern 1996 in Konkurs ging, wurde der Betrieb kurzfristig in die Strukturen der BVS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) eingegliedert, um nicht in die Konkursmasse zu fallen. Anfang des Jahres 1997 wurde er wiederum privatisiert. Mit den ersten großen Entlassungen 1991 wurde die Belegschaft von 3.000 auf 1.000 reduziert. Danach wurde sie jedes Jahr um etwa 1/3 vermindert.

Die Belegschaftsstärke zum Untersuchungszeitpunkt beträgt 232 Personen, Teilzeitbeschäftigte sind mitgezählt. Auch im Jahre 1997 sollte unter dem neuen Investor ein weiterer Personalabbau stattfinden, mit dem Ziel, die Beschäftigtenzahl um weitere 90 Personen zu senken.

Wenn hier von „dem Betriebsrat” die Rede ist, so sind der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter gemeint, die sich beide als Team verstehen und schon seit der Gründung des Betriebsrats zusammenarbeiten. Ein hervorstechendes Ergebnis der Arbeit des Betriebsrats ist ein Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, welcher größere Entlassungen verhindern sollte und der auf der Basis der im Tarifgebiet Ost üblichen Arbeitszeit von 38 Stunden eine Arbeitszeitverkürzung (ohne Lohnausgleich) auf 33 Wochenstunden regelt. Dieser Vertrag wurde bewusst nicht als Betriebsvereinbarung konzipiert. Die Betriebsräte sind stolz darauf, dass sie dieses Ergebnis erreichen konnten. Denn die Initiative für diese Vereinbarung ging vom Betriebsrat aus, und es gab sehr wohl auch Diskussionen in der Belegschaft hierüber. Die Art und Weise, wie der Tarifvertrag konzipiert, verhandelt und durchgesetzt wurde, war in gewisser Weise auch typisch für das Verhältnis zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft im Untersuchungsgebiet.

Obwohl, wie der Betriebsrat betont, die IG Metall diesen Vorgang anfangs skeptisch sah, war der Betriebsrat darauf bedacht, die IG Metall zu überzeugen, damit diese Regelung nicht als Betriebsvereinbarung, sondern als Tarifvertrag abgeschlossen wurde.

„Das war ein ganz komplizierter Prozess, diesen Beschäftigungstarifvertrag hier durchzusetzen, weil er ja noch nicht als Flächentarifvertrag vorhanden war. Wir hatten Vorstellungen, die Geschäftsleitung hatte Vorstellungen, die IG Metall hatte Vorstellungen, und der Arbeitgeberverband hatte auch seine Vorstellungen. Und wir als Betriebsrat haben versucht, zwischen den drei Parteien zu vermitteln, dass wir denn endlich zu einem Ergebnis gekommen sind.” (Interview)

Es gibt weitere Betriebsvereinbarungen, die flexible Arbeitszeiten und vermögenswirksame Leistungen regeln. Der Betriebsratsvorsitzende und sein Stellvertreter haben seit 1990 nicht gewechselt. Sie haben immer versucht, statt einer Konfrontation eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung zu gestalten und dabei die Konsensfähigkeit zu erhalten. Sie haben im letzten Jahr sogar ihre Freistellung auf eigenen Wunsch aufgegeben.

„Wir sind Betriebsratsmitglieder und waren bis Herbst vorigen Jahres beide noch freigestellt. Da muss man ja auch auf bestimmte Befindlichkeiten im Unternehmen achten, auch als Betriebsrat. Da hat man uns im Unternehmen eine Arbeit angeboten, wo wir uns bereit erklärt haben, diese Arbeit zu übernehmen, weil auch in der Belegschaft doch teilweise die Frage kommt, jetzt sind wir nur noch so wenig Personal, und es sind noch zwei hauptamtliche Betriebsräte da, so dass wir uns entschlossen haben, die hauptamtliche Tätigkeit aufzugeben, das Angebot der Geschäftsführung anzunehmen, uns einer neuen Beschäftigung zuzuwenden, haben aber gleichzeitig ausgehandelt, dass wir bestimmte Freizeiten kriegen für die Betriebsratstätigkeit, so dass wir mehr oder weniger ungehindert unsere Betriebsratstätigkeit durchführen können.” (Interview)

Diese beiden Betriebsräte haben während des Streiks 1993 zusammen mit der IG Metall einen Warnstreik im Betrieb vorbereitet. Bevor dieser jedoch stattfinden konnte, hatten sich die Tarifparteien in Sachsen geeinigt, und das Ergebnis wurde auf Brandenburg und Ost- Berlin übertragen. Die Betriebsräte üben aus ihrer Sicht auch Kritik an der IG Metall: Vieles, was die Gewerkschaft möchte, wird zu sehr wie früher „von oben durchgestellt”, und vieles, was sie selber wollen, kommt bei der IG Metall nicht an.

„Die Arbeit oder die Entscheidungsfindung ist nicht von unten nach oben, sondern wird grundsätzlich fast überhaupt nicht … – also ich bin kein Gewerkschaftsfunktionär, ich bin bloß Mitglied, deswegen kann ich mir das leisten, das so zu sagen, es wird oben entschieden und den Mitgliedern nur noch zur Kenntnis gegeben. Das ist, glaube ich, eine Situation, die einfach nicht befriedigen kann. Und das ist nicht nur eine Meinung in unserem Betrieb, sondern allgemein, … wie mit den Mitgliedern umgegangen wird und wie Entscheidungen herbeigeführt werden. Da liegt einiges im argen. Man hat ja immer gesagt, der FDGB ist eine administrative Gewerkschaft, die auch die Mitglieder nicht fragt, was sie machen soll, sondern sie hält die Mitglieder an, die Parteilinie zu verfolgen und im sozialistischen Wettbewerb das Beste zu geben. Aber wenn man heute die Leute fragt, gut, dann hat man keine Meinung zum FDGB, aber man stellt fest, dass die Administration in der IG Metall nicht wesentlich anders ist. Auch dort bei den hauptamtlich beschäftigten Funktionären ist doch das Abhängigkeitsverhältnis sehr groß.” (Interview Betriebsrat)

„Ich bin ja zweiter Bevollmächtigter der IG Metall von X-Stadt, aber trotzdem gibt es auch von unserer Seite als Betriebsrat kritische Töne an die Gewerkschaft, denn mit einigen Dingen kann man doch nicht so einverstanden sein, was die Gewerkschaftszentrale in Frankfurt am Main so manchmal von sich gibt, wo die Belegschaften denn davon überrascht sind und man denn erwartet, dass die Belegschaft sich dahinterstellt und im Sinne der IG Metall die Betriebsverfassung umsetzt.” (Interview Betriebsrat)

Im Juni 1997, zum Auslaufen des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung, wurde dann die Entlassung von 90 MitarbeiterInnen von der Geschäftsleitung forciert. Der Betriebsrat reagierte zunächst mit Unverständnis, versuchte dann aber, die Zahl der Entlassungen zu verringern und einen Sozialplan abzuschließen. Gruppenarbeit gibt es in diesem Betrieb aufgrund der Produktionsstruktur und der Produktpalette nicht.

Die harmonische Co-Managerin im „Familienbetrieb”
Der Betrieb Brandenburg C liegt in einem ländlichen Gebiet in der Nähe der polnischen Grenze und umfasst mit allen Betriebsteilen 700 Mitar-beiterInnen. In diesem ländlichen Gebiet ist er einer der größten Arbeitgeber. Der Betrieb wurde 1991 privatisiert. Munitionsentsorgung ist ein Teil des Geschäftsfeldes, zum anderen werden Fertighäuser, sogenannte Modulhäuser, für Russland sowie andere Produkte hergestellt. Die Geschäftsleitung und der Betriebsrat mussten von Anfang an über Produktkonversionen nachdenken. Der Betriebsrat und die Belegschaft überlegten sich ständig, welche Produkte neu auf den Markt gebracht werden könnten, welche Marktnischen es gab. So hat die Produktpalette in den letzten Jahren häufig gewechselt, es wurde z.b. auch probiert, Krankenhausbetten herzustellen. Dieser Geschäftszweig wurde jedoch fallengelassen und dieser Betriebsteil, die Medizintechnik, musste nach 1990 geschlossen werden. Der Betrieb wird, auch vom Betriebsrat, dementsprechend als Gemischtwarenladen bezeichnet und fällt insgesamt in den Organisationsbereich der IG Metall, worüber es auch schon Auseinandersetzungen mit anderen DGB-Gewerkschaften gab, insbesondere mit der damaligen IG Chemie, Papier, Keramik. Es gab mehrere Entlassungswellen, noch Ende 1997 gab es hier 120 Entlassungen. Im September 1998 wurde die Gesamtvollstreckung der gesamten Firmengruppe beantragt und ein Sequester eingesetzt. 300 Arbeitsplätze sollen wahrscheinlich abgebaut werden. (Neues Deutschland vom 7.1.1999) 1

Der Betrieb besitzt eine komplizierte Unternehmensstruktur, die nach dem Holding – Prinzip gegliedert ist. Diese Struktur wurde in den letzten Jahren oftmals geändert und ist weiterhin ständig im Fluss. Obwohl die Gesamtholding mehrere Tausend Mitarbeiterinnen an verschiedenen Standorten in Ost und West besitzt, ist der Betrieb im Bewusstsein der Belegschaft und des Betriebsrats der „Familienbetrieb” geblieben, der er vor dem Zukauf der ostdeutschen Unternehmensbestandteile sicher auch war.

Der Betrieb ist nicht im Arbeitgeberverband, es besteht aber ein Anerkennungstarifvertrag. Der Organisationsgrad in der IG Metall beträgt in diesem Betrieb etwas über 50 Prozent. Der Betriebsrat wurde 1991 erstmals gewählt. Vorher gab es die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) und in der Übergangszeit ein neugegründetes „Belegschaftsvertretungsorgan”.

Es wurde auch später ein Konzernbetriebsrat installiert, der wiederum sehr stark von der Betriebsratsvorsitzenden und den restlichen ostdeutschen BetriebsrätInnen dieses Betriebs dominiert wird. Diese Betriebsratsvorsitzende erweckt den Eindruck, sie kümmere sich wirklich um alles. Es kam nie zu wirklich harten Auseinandersetzungen, aber die üblichen Rituale (Demonstrationen bei Tarifverhandlungen) wurden des öfteren ausprobiert.

Um den Erhalt des Betriebes und die Arbeitsplätze zu retten, wurden hier viele Kompromisse geschlossen. Die Gesamtverantwortung für den Erhalt des Betriebes zu übernehmen kann sich der Betriebsrat aber „nicht leisten”. Es existieren ca. 30 Betriebsvereinbarungen (!), u.a. über Betriebliches Vorschlagswesen und Arbeitszeitregelungen, aber auch zur Rufbereitschaft, zu Brückentagen, Erschwerniszulagen, zum Monatslohn usw.

In der Geschichte des Betriebes, der in der DDR als Rüstungsbetrieb eine privilegierte Sonderstellung innehatte, gibt es sehr viele Merkmale der „harmonischen Zusammenarbeit”. So gab es in der Zeit nach der Wende sehr viele „Vertrauensrunden” und „Runde Tische” während der Privatisierungsphase, die schon damals ein gutes Verhältnis zwischen Belegschaft und Geschäftsleitung herstellten: „Ich bin eigentlich von der Sache her ein Mensch, der es nicht zu harten Konfrontationen kommen lässt. Wie soll ich das sagen? Ich bin nicht so ein Faustkämpfer. Ich versuche, weil wir auch die Erfahrung gemacht haben, sowie wir auf Konfrontation gehen, sind da die Ohren zu auf der anderen Seite. Und da versuchen wir eben immer, das meiste für die Kollegen rauszuschlagen, aber jetzt eine ganz harte Konfrontation, dass wir schon mal zur Einigungsstelle gegangen wären, zum Beispiel, das gab’s nicht” (Interview Betriebsrats-Vorsitzende).

Die Betriebsratsvorsitzende ist immer über die Einrichtung neuer Arbeitsplätze und neue Aufträge informiert. „Also ich sitze am Geschäftsleitungstisch. Mein Kollege auch. Wir bekommen alles mit. Vielleicht gibt’s Geheimsitzungen, die wir nicht kennen. Aber die regulären Geschäftsleitungssitzungen sind für uns kein Tabu.. . Also ich denke schon, Betriebsräte und auch unser Betriebsrat ist am Ball.”

Aber sie stimmt auch dann zu, wenn Arbeitskräfte von einem Teil des Gesamtbetriebes, welcher eigenständig als GmbH organisiert ist, in einen anderen Teil versetzt werden sollen, obwohl sie dies selbst als problematisch ansieht, weil es im rechtlichen Sinne einer nicht immer zulässigen Arbeitnehmerüberlassung gleichkommt. Dies alles geschieht aus Gründen des Arbeitsplatzerhalts: „Das ist täglich Kampf! Täglich Kampf! Und wir haben eine ganz schön moderne Organisationsform. Andere Betriebsräte sagen mir immer: Wie kannst Du das zulassen? Wie kannst Du das zulassen, dass die Leute soviel versetzt werden? Und ich habe aber meine Philosophie, man muss immer der Arbeit hinterherreisen. Junge Leute müssen in die neuen Bundesländer gehen, weil hier keine Arbeit ist – warum denn nicht innerhalb eines Betriebes immer da die Kollegen hinsetzen, wo Arbeit ist?”

Ihre Tätigkeit bringt aber auch hohe Anforderungen mit sich: „Ich würde mir oft wünschen, dass ich klüger wäre. Klüger jeden Tag. Aber man kann ja nicht Betriebswirt, Techniker, Konstrukteur, Arbeitsvorbereiter, ja, was müsste ich noch sein? Perfekt müsste ich noch sein Arbeitssicherheitsfachkraft, Betriebsarzt vielleicht auch noch, und alles, alles müsste man sein, wenn man Betriebsrat ist.”

Aufgrund der speziellen Situation des Betriebs (größter Arbeitgeber in der ländlichen Region), der Eigentumsverhältnisse (Familienbetrieb) und der Geschichte des Betriebsrats sowie der Persönlichkeit der Betriebsratsvorsitzenden kann dieser Betriebsrat als harmonischer co-managerieller Betriebsrat bezeichnet werden. Das bedeutet nicht, dass jeder auftretenden Schwierigkeit, jedem Konflikt aus dem Wege gegangen würde, aber dass immer versucht wird, dies mit Blick auf einen Kompromiss zu lösen. Die Vermutung liegt nahe, dass dieses Co-Management auch von den AkteurInnen als eine spezifische ostdeutsche Errungenschaft gesehen wird. Auf die Frage zum Verhältnis zwischen West-Betriebsräten und Ost-Betriebsräten im Konzern angesprochen, antwortet die Betriebsratsvorsitzende: „Da gab’s auch mal eine Wochenendschulung…. Und dadurch haben wir eben mitgekriegt, wie ist Betriebsratsarbeit überhaupt, und haben mitgekriegt, dass die Betriebsräte so sehr bissig sind, so sehr contra mit ihren Geschäftsführern, dass da eine Kluft ist zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ein richtiger tiefer Graben.” (Interview Betriebsrats-Vorsitzende).

Dieses Modell des Co-Management ist nicht nur die Idee der Betriebsratsvorsitzenden, der Kurs wird auch von anderen Betriebsratsmitgliedern getragen: „Es war nie in unserem Interesse, hier einen offenen Konflikt zum Ausbruch zu bringen… . Es gab schon Meinungsverschiedenheiten, aber nie bis zu der Form, dass man hätte mal eine Einigungsstelle anrufen müssen, oder vielleicht gar direkt vor Gericht ziehen müssen… . Vielleicht darf ich das ein bisschen relativieren, also es waren keine Kraftspiele und Drohgebärden in dem Sinne, dass man versucht hat, wie weit kann man den anderen denn eigentlich treiben, in unserem Falle zumindest würde ich das so einschätzen, dass wir einen Kompromiss finden konnten. Immer im Interesse der Kollegen natürlich.” (Interview Betriebsrat).

Gruppenarbeit gibt es in diesem Betrieb bis auf eine kleine Abteilung nicht: „Wir haben ja zu DDR-Zeiten schon eine Art Gruppenarbeit gemacht. Wir hatten damals eine Straße hier, eine Wellenfertigung. Da haben sechs Kollegen gearbeitet. Da wurde auch schon über die Gruppe entlohnt, über die sechs Kollegen. Das gab es früher schon. Vielleicht in einer anderen Form, zwar nicht so ausgeprägt, nicht so viel, aber ein gewisser Anfang war schon da. Viel Unterschied war da auch nicht. Man musste auch eine bestimmte Stückzahl machen, damit sie ihr Geld verdienen.” (Interview Betriebsrat).

Der eigensinnige Ersatzmanager, der mit Konflikt droht und durch sein Engagement zur Rettung des Betriebes beiträgt
Der Betrieb Berlin C ist ein Stahlbaubetrieb. In diesem Betrieb sind zur Zeit 90 Personen beschäftigt. Der Betrieb ist Mitglied im Arbeitgeberverband und wurde 1996 nach jahrelangen Auseinandersetzungen privatisiert. Es gilt der Tarifvertrag-Ost der Metallindustrie. Der Organisationsgrad beträgt in diesem Betrieb etwa 60%. Der Betriebsrat wird hauptsächlich durch die Person des Betriebsratsvorsitzenden repräsentiert. Dieser ist gelernter Schlosser. Schon in der DDR hatte er „immer meine eigene Meinung vertreten.” (Interview), war dadurch auffällig geworden, dass er eine Motorradjacke und lange Haare trug und sich den Vorwurf der „Cliquenbildung” einhandelte. Er hatte einmal deswegen in der DDR zwei Wochen in Untersuchungshaft gesessen, auch hatte er einen Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns als einer der wenigen Arbeiter unterschrieben. Er war damit noch weniger als andere Oppositionelle geschützt und hatte noch größere Risiken zu tragen als andere, denn die meisten Unterzeichner dieser Resolution waren Künstler oder Intellektuelle.
Zur Zeit der Wende ist er mit der Forderung „Neues Forum zulassen” auf dem T-Shirt durch den Betrieb gegangen, was ihm naturgemäß viel Ärger eintrug: „Ich war schon immer Opposition… . Einzelkämpfer war ich auch im Betriebsrat” (Interview Betriebsrats-Vorsitzender).

In der Wendezeit war er gegen den Widerstand der damaligen BGL nach einer Übergangsperiode zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden, was er bis heute geblieben ist. Während seiner weiteren Tätigkeit hatte er in vielen Punkten noch nicht einmal die Unterstützung des gesamten Betriebsrats, sondern er hat viele Konflikte während der Privatisierung allein gegen die Treuhand ausgekämpft. Er hat zum Teil ebenfalls ohne weitere Unterstützung der anderen Betriebsratsmitglieder, zum Teil mit der Geschäftsleitung, jahrelang für die Privatisierung und gegen die Liquidierung des Betriebes gestritten, zuerst im Rahmen einer versuchten, aber gescheiterten Privatisierung, wobei der Betrieb an einen Strohmann der Scientology – Sekte verkauft werden sollte, dann während der Zugehörigkeit des Betriebs zu einer Management – KG, dann in der Vorbereitung der jetzigen gelungenen Privatisierung. Er gehört zu den Betriebsräten, die während der Wende aus dem Bereich der Arbeiterschaft kamen und war auch innerhalb der Ostdeutschen Betriebs- und Personalräteinitiative tätig, die 1991/92 parallel zur IG Metall branchenübergreifend arbeitete. Von Gewerkschaftsseite wurde diese als syndikalistisch angesehen. Sie gab jedoch den Betriebsräten eine Menge Hilfestellung.2

Seine Strategie war und ist, mit allen zu reden, um den Betrieb zu retten. „Ich kann auch mit dem Teufel, zur Not” (Interview Betriebsrats-Vorsitzender). Er sieht im Zusammenhang seiner Strategie auch die Möglichkeit, ganz und gar auszusteigen. So redete er auch mit der Treuhandniederlassung in Berlin, „gehörte schon zum Hause” und bekam Kontakt zu dem jetzigen Investor. Sein Druckmittel waren entweder die Medien oder die Drohung mit den Medien.

Aufgrund seiner Kontakte zur Treuhand bekam er Informationen oftmals schneller als die Geschäftsleitung, als Betriebsratskollegen oder gar die Belegschaft. „Wenn bei uns Geschäftsführer ausgetauscht worden sind, dann wusste ich das oft Monate vorher.”(Interview Betriebsrats-Vorsitzender). Mit anderen Betriebsräten zusammen und mit der IG Metall versuchte er, für die Firma auch Aufträge zu akquirieren. Insofern kann man davon reden, dass er parallel zur Geschäftsleitung mit Erfolg eigene Managementstrategien entwickelte.

„Also, was habe ich gemacht? Ich habe mir ein paar Leute im Unternehmen gesucht, denn fachlich stecke ich nun doch nicht so drinne, haben ein eigenes Konzept auf die Beine gestellt, haben das bei der Treuhand eingereicht, bin auch von Behörde zu Behörde gerannt, habe das Ding vorgestellt, erklärt, unter dem Strich haben sie den ganzen Beschluss des Aufsichtsrates annulliert, die Geschäftsführung und den Namen und das Ding darüber umgesetzt“…„Ich meine, der Senat [als Auftraggeber, H.G.] hat mir auch gesagt, also wir erkennen das ja an, dass Du dich um Aufträge kümmerst, aber das ist halt nicht dein Job. Dafür habt ihr ja einen Vertrieb und eine Geschäftsführung. Ich sagte: Ihr habt ja recht, aber soll ich nun zugucken, dass hier keiner Arbeit heranbringt? Und dann machen wir zu und die Leute sollen ständig kurzarbeiten? Also muss ich es doch machen.”…..„Früher war’s ja eigentlich kein Co-Management, da war man der eigene Manager” (Interview Betriebsrats-Vorsitzender).

Mit „früher” ist die Zeit direkt nach der Wende bis zur Privatisierung gemeint. Diese Handlungsweise steht jedoch nicht im Widerspruch zu seiner Rolle als Gewerkschafter: 1993 gab es einen eintägigen Warnstreik innerhalb der Tarifbewegung der IG Metall, der vom Betriebsrat organisiert wurde.

Während und wegen der Privatisierung allerdings erfolgten keine Auseinandersetzungen, die bis zur Ebene eines Streiks gegangen wären. Obwohl er es versuchte, entwickelte sich hierfür nicht genug Rückhalt innerhalb der Belegschaft.

Das heutige Verhältnis zum Investor ist gut, die Geschäftsführung „aber wirklich relativ sozial eingestellt.” In der Person des Betriebsratsvorsitzenden widerspiegelt sich auch sehr gut die Widersprüchlichkeit der gesamten Privatisierungsphase in Ostdeutschland: Einerseits Engagement bis zur persönlichen, auch körperlichen Erschöpfung, andererseits dies alles mit dem Ziel, Arbeitsplätze, ja den gesamten Betrieb zu retten und in „normales” kapitalistisches Fahrwasser zu geleiten. Seine Rolle sieht er als die eines Co-Managers, während der Privatisierungsphase sogar als die eines Ersatzmanagers. Die Beschäftigtenzahl des Betriebes wurde allerdings von 950 im Jahre 1990 über 280 im Jahre 1994 auf 90 in den Jahren 1996/97 heruntergefahren, ohne dass der Betriebsrat dies verhindern konnte.

In diesem Betrieb wurde auch unter Hinzuziehung einer Beraterfirma die Einführung von Gruppenarbeit versucht, was aber gescheitert ist. Es besteht im Betrieb eine Betriebsvereinbarung zu flexibler Arbeitszeit. Durch das Engagement des Betriebsrats konnte überbetriebliche Ausbildung über das Arbeitsamt akquiriert werden.

Die Ökonomisch-sozialen Rahmenbedingungen und gewerkschaftliche Handlungsmuster in Ostdeutschland
Die wirtschaftliche Situation der Betriebe im Organisationsbereich der IG Metall im Osten Deutschlands ist keinesfalls überall konsolidiert, insbesondere nicht in Klein- und Mittelbetrieben. Dort, wo Betriebsräte eingerichtet werden konnten, sind diese in den meisten Fällen allerdings vertretungswirksam tätig, konsolidiert und von der Belegschaft anerkannt. Konsolidierung in diesem Sinne bedeutet, dass sie sich in einer – unterschiedlich langen – Übergangsphase erfolgreich konstituierten und dass sie danach seit mindestens zwei Legislaturperioden kontinuierlich aktiv waren. Im Grad ihrer Konsolidierung unterscheiden sie sich mittlerweile nicht signifikant von Betriebsräten im Westen Deutschlands.

Worin sie sich aber unterscheiden, ist, dass in die Zeit der bisherigen Tätigkeit der Betriebsräte in Ostdeutschland ein Strukturwandel der Wirtschaft fällt, der sich in den Betrieben als radikaler Arbeitsplatzabbau darstellte, ein Strukturwandel, welcher der Angliederung der DDR an die BRD folgte. Die Folgen für die Ökonomie Ostdeutschlands sind auch heute noch sichtbar: Hohe Erwerbslosigkeit, Abhängigkeit des Arbeitsmarktes von staatlichen Maßnahmen, Kapitalmangel vieler, gerade kleiner und mittlerer Betriebe und ähnliches. Die Tatsache, dass alle Betriebsräte in diesen Prozess miteinbezogen waren, nach Privatisierungsmöglichkeiten suchten, Sozialpläne verabschiedeten, eine Sozialauswahl vornahmen sowie ABSen gründeten, hat ihr weiteres Handeln und auch ihr Bewusstsein stark beeinflusst. In dieser Übergangszeit eigneten sie sich ihre Rolle als Betriebsräte an, und gleichzeitig wurde in dieser Zeit auch der Grundstock für die späteren Differenzierungen betriebsrätlichen Handelns gelegt. Hierbei spielt das Co-Management eine wesentliche Rolle.3

Ostdeutsche Betriebsräte sind oft hoch qualifiziert und am betrieblichen Geschehen massiv interessiert. Unter dem Druck des wirklichen oder scheinbaren Kapitalmangels der Betriebe gehen sie insbesondere bezüglich Lohn- und Gehaltsgestaltung (insbesondere bei Tarifabweichungen) und/oder Arbeitszeit oder im Feld neuer Produktionsstrukturen selbst bei der konfliktorisch ausgeprägten Variante des Co-Managements oftmals Kompromisse ein, die bis zur äußersten Grenze früheren gewerkschaftlichen Selbstverständnisses gehen. Gewerkschaftspolitische Zielsetzungen spielen in den Bereichen Lohn, Arbeitszeit, Überstunden für die Betriebsräte gegenüber dem wirklichen oder vermeintlichen Erhalt des Betriebes oft erst in zweiter Linie eine Rolle.

Aus den oben genannten Zusammenhängen heraus identifiziert sich ein Großteil der ostdeutschen Betriebsräte sehr stark mit dem betrieblichen Geschehen. So machen sie oft eigenständig Vorschläge zur Kapitalaufstockung, Produktpalette, Produktinnovation, Produktionsumstellung, Konversion, Arbeitszeitgestaltung, Lean production oder Gruppenarbeit. Sie tragen auch entsprechende Vorschläge aus der Belegschaft weiter. Sie betreiben oft Co-Management mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad. Harmonisches und konfliktorisches Co-Management sind hierbei die hauptsächlichen Abstufungen. Eine weitere Abstufung, und dies ist sicher eine Besonderheit des Ostens der Bundesrepublik, besteht darin, dass sie darüber hinaus sogar als Ersatzmanager eigene Vorschläge bis zur Umsetzungsreife präsentieren und diese auch gegenüber Geschäftsleitung und Belegschaft durchsetzen.

Co-Management als Beteiligung von Arbeitnehmern in unterschiedlicher Ausprägung ist ein für das Untersuchungsgebiet signifikantes, aber nicht das einzige Handlungsmuster. An den äußeren Rändern einer Skala betriebsrätlichen Handelns befindet sich jenseits des Co-Managements auf der einen Seite die Anpassung an den Willen der Geschäftsleitung, auf der gegenüberliegenden Seite der konfliktorische oder kämpferische Betriebsrat, der das Co-Management bewusst-kämpferisch ablehnt.

Co-Management oder auch nur der Versuch, dies zu vollziehen, geschieht mit großem persönlichen Engagement und unter erheblichem persönlichen Arbeits- und Zeitaufwand. Trotzdem wird die innerbetriebliche Hierarchie nie in Frage gestellt. Die Rollen im Betrieb bleiben klar verteilt – hier die Seite der Arbeitgeber, dort die Seite der Beschäftigten. Dabei gerät die Frage in den Hintergrund, ob der Kapitalbesitzer westdeutsch, ostdeutsch oder anderer Nationalität ist und ob er durch westdeutsches, ostdeutsches oder ein anderes Management vertreten wird.

Durch die alltägliche Arbeit in demselben sozialen Ort Betrieb verliert diese Unterscheidung an Wichtigkeit, sie spielt höchstens eine Rolle, wenn es zu Spannungen zwischen Konzern und Filiale bei multinationalen Konzernen kommt.

Das Betriebsverfassungsgesetz und die Geschichte der Mitbestimmung im Westen Deutschlands führten schon in der bisherigen Geschichte der alten Bundesrepublik immer wieder zu einer starken Trennung zwischen betriebsrätlicher und gewerkschaftlicher Tätigkeit. Ostdeutsche Betriebsräte nehmen in ihrer Arbeit auch diese Trennung sehr wohl wahr und adaptieren diese positiv, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen. Eine Verbetrieblichung der Gewerkschaftsarbeit hat somit auch und gerade im Osten Deutschlands stattgefunden.
Durch die weitere quantitative Untersuchung trat zutage, dass sich hierbei ein soziales Bewusstsein und soziales Handeln, welches allerdings schon in der damaligen DDR erlernt, angeeignet und gelebt wurde, mit Aspekten des betriebsrätlichen Handelns trifft, deren Ursachen in der Institution der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz liegen. So hat zum Beispiel die Festlegung der Institution Betriebsräte auf die betriebliche Friedenspflicht ihre Wurzeln schon in der Weimarer Republik und wurde schon bei der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes 1952 gegen den Willen der Gewerkschaften von parlamentarischer Seite aus in dieses Gesetz eingefügt.

Dies alles geschieht auch vor dem Hintergrund der Flucht der Arbeitgeber aus den Arbeitgeberverbänden, die auch im Untersuchungsgebiet evident ist. Dort allerdings, wo Betriebsräte existieren, ist dem Willen auch dieser Arbeitgeber eine untere Grenze gesetzt: Betriebsräte können durch Streiks und Verhandlungen Betriebsvereinbarungen, Haustarifverträge und allgemeine Tarifverträge erzwingen.

Aber dies bedeutet oft nicht, dass dann der „alte” Flächentarifvertrag uneingeschränkt gilt, welcher als Idealtypus und als zu erreichendes Fernziel ja noch existent ist. So viele Betriebe es gibt, so viele Sondervereinbarungen und betriebliche Regelungen zu verschiedenen Themenkreisen bestehen allerdings auch.

So existieren nebeneinander und sich ergänzend der normale Tarifvertrag und die Bindung des Arbeitgebers an diesen sowie Anerkennungstarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Es tauchen die zeitliche Verschiebung der Ost-West-Angleichung, die Härtefallklausel und Tarifverträge zur Beschäf-tigungssicherung mit betrieblicher Arbeitszeitverkürzung auf. Dies wird flankiert durch eine ganze Palette von Betriebsvereinbarungen, insbesondere zur Arbeitszeit und Mehrarbeit, oftmals zur Gruppenarbeit sowie zu neuen Entgeltmodellen, Kontinuierlichem Verbesserungsprozess, Betrieblichem Vorschlagswesen und ähnlichem.

Diese Sondervereinbarungen werden von den Betriebsräten und der Gewerkschaft als Ergänzung bestehender Tarifverträge gesehen, sie stellen aber auch eine große Gefahr für die Institution „Flächentarifvertrag” im Osten wie im Westen dar, der letztlich hierdurch immer mehr aufgeweicht und in Frage gestellt wird. Betriebsvereinbarungen, Haustarifverträge und Verträge zur Beschäftigungssicherung werden die Regel, der vollständig auf den Betrieb übertragene Flächentarifvertrag die Ausnahme. Im Untersuchungsgebiet stimmt auch die Gewerkschaft IG Metall als Akteur vielerlei Modifikationen zu, gleichzeitig wird der Flächentarifvertrag von der Gewerkschaft noch als anzustrebendes Ziel gesehen. Kann aber, was in den Betrieben und Regionen ausgehöhlt wird, im gesamten Kontext der industriellen Beziehungen dann noch Bestand haben?

Eine wesentliche Grundlage für diese Untersuchung bildeten die Definitionen betriebsrätlichen Verhaltens in verschiedenen Regionen Westdeutschlands. Im Westen veränderten sich diese Verhaltensweisen oftmals nur über einen sehr langen Zeitraum, stellte Kotthoff vor allem in seiner Untersuchung 1994 fest (Kotthoff 1994). Im Osten Deutschlands haben wir es historisch mit einem so kurzen Zeitraum zu tun, dass dort zumindest für unser Untersuchungsgebiet noch keine relevanten Veränderungen festzustellen sind. Dies hat sicherlich seine Ursache auch darin, dass die lange Phase der Umstellung der Betriebe in Richtung kapitalistischer Strukturen noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Dennoch ist damit nichts über die Handlungsoptionen von Betriebsräten in zwei, drei Jahren gesagt. Es bleibt die Frage unbeantwortet, welche internen oder externen Bedingungen eine Änderung des Verhaltens ergeben können.

Es kann hier nur die Vermutung ausgesprochen werden, dass einer der benannten Typen, derjenige mit den weitesten Mitbestimmungsmöglichkeiten und innerbetrieblichen Kompetenzen, der „Betriebsrat als Ersatzmanager”, als Typus entfällt, da er nur in einer historischen Übergangszeit gebraucht wurde. Unter dieser Prämisse würden sich ostdeutsche Betriebsräte, wohl mit anderer Motivation, in ihren Handlungsmustern westdeutschen Betriebsräten annähern.

Aber welchen Veränderungen war in der Zwischenzeit das Selbstverständnis der Betriebsräte im Westen unterworfen? Was ist mit ihnen, die ja auch immer mit ihren Verhaltensmustern eine Grundfolie für diese Untersuchung abgaben, in den letzten Jahren passiert? Unter den Stichworten „Globa-lisierung”, „Standort Deutschland”, „Lean production”, „Lean management” und anderen haben sich in westdeutschen Betrieben in den letzten Jahren erhebliche Wandlungen vollzogen. Hermann Kotthoff, der an umfangreichen Untersuchungen in den letzten Jahren beteiligt war und in diesen auch seine Typologiebildung vollzogen hat, umreißt in seinem neueren Aufsatz mit dem Untertitel „Betriebsräte zwischen Beteiligungsofferten und ‘gnadenlosem Kostensenkungsdiktat” (Kotthoff 1998) das Problem treffend: „In dieser paradoxen Situation sind die Betriebsräte hin- und hergerissen. Sie sehen sich in einer ungewissen, verworrenen Lage. In ihrer Rolle als Co-Manager erleben sie, dass ein Rationalisierungs- und Reorganisierungsprojekt das andere in immer kürzeren Abständen jagt… . Ihr Grundgefühl ist Überforderung, Hinterherhecheln und Verzettelung der Kräfte. In ihrer Rolle als Gewährer von Zugeständnissen und als Mitträger von schmerzhaften Einschnitten ist die Ungewissheit noch größer, ob die Opfer sich lohnen, d.h. ob sie tatsächlich Arbeitsplätze sichern. Statt Wissen bleibt ihnen nur der Glaube… . Was tun die Betriebsräte in dieser Situation? Die meisten springen im Vertrauen darauf, dass sie auf dem Zug einer notwendigen Reform und nicht auf dem Zug der Beseitigung des Konsensmodells landen. Sie tun, was sie in den letzten Jahren so gut gelernt haben: sie praktizieren kooperative Konfliktverarbeitung.” (Kotthoff 1998:78f.)

Und an anderer Stelle: „Die Betriebsräte können dieses Zugeständnis ‘gelassen’ machen, weil es für sie nichts mit Abbau von Mitbestimmung zu tun hat. Sie können nicht erkennen, dass das Management die Beziehungsstruktur in Frage stellt… . Wenn die Grenze der Zumutbarkeit überschritten ist, dann können kooperative Betriebsräte durchaus auch gezielte Streikaktionen organisieren, wie der Fall der Reduzierung der Lohnfortzahlung bei Daimler-Benz gezeigt hat.“ (Kotthoff 1998:95f.) Sind Betriebsräte – überspitzt gesagt – in Ost und West also Co-Manager, deren reale Bedeutung darin besteht, die Institution Betriebsrat aufrechtzuerhalten und auf bessere Zeiten zu hoffen? Gibt es diese besseren Zeiten überhaupt? Ist dies die vielzitierte Zukunft industrieller Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland, Ost wie West? Bekommen sie im Rahmen eines geplanten gesellschaftspolitischen „New Deals” oder eines „Bündnisses für Arbeit” wieder eine ganz andere Bedeutung? Was ostdeutsche Betriebsräte in der jüngsten Vergangenheit erreichten, war wohl kein „Bündnis für Arbeit”, eher ein „Bündnis für den Umbruch”.

Schlussfolgerungen
Ostdeutsche Betriebsräte legen, so wurde auch in den Interviews deutlich, andere Erfolgs- oder Misserfolgskriterien an als Betriebsräte im „gesicherten Fahrwasser” der alten Bundesrepublik. Dies hat seinen Grund auch darin, dass sie ihre Arbeit unter anderen Bedingungen begonnen haben und weiter fortführen. Eine Bilanz der bisherigen Co-Management-Strategien der ostdeutschen Betriebsräte und ihrer Gewerkschaft wäre für alle Beteiligten sinnvoll, wurde aber in dieser Art bisher noch nicht geleistet. Im Zusammenhang damit kommt den Gewerkschaften, insbesondere der Bildungsarbeit, verstärkt die Aufgabe zu, anhand konkreter Betriebsbeispiele und durch Erfahrungsaustausche über die gegenwärtige Funktion und Ausprägung von Co-Management zu informieren und gleichzeitig den Dialog mit Betriebsräten und Belegschaften hierüber weiter und stärker als bisher zu führen.
Die überwiegende Zahl der im Rahmen des abgeschlossenen Forschungsprojekts „Handlungsmuster ostdeutscher Betriebsräte” befragten Belegschaftsmitglieder und Betriebsräte sieht ihr Co-Management auch in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. So bedauern sie, dass die soziale Komponente in den Betrieben und in der Gesellschaft zu kurz komme. Gewerkschaftliche Arbeit, die nicht nur Beratung von Betriebsräten ist, kann und muss hieran anknüpfen. Gelingen kann dies dann, wenn Betriebsräte ihre vorhandene soziale Kompetenz ausbauen, die für einen Idealtypus des „konflikt-orischen Co-Managements“ gebraucht wird, ohne die eine oder andere Seite dieser Handlungsweise zu vernachlässigen. Denn die Ansatzpunkte sind gegeben, wenn wir uns die Aussagen der Betriebsräte über „den Mangel an Sozialem” und „soziale Kälte in den Betrieben” anschauen. Hierauf begründet eine Alternative zu den jetzigen Handlungsmustern aufzubauen, die auch dem Wunsch der Betriebsräte (und Belegschaften) nach sozialer Gerechtigkeit entspricht, wäre eine wichtige Aufgabe für die Gewerkschaften.
Auch unter den gegenüber dem Westen der Bundesrepublik schlechteren Bedingungen und jenseits des täglichen Handlungsdrucks sollte betriebsrätliches Co-Management immer wieder an konkrete Bedingungen geknüpft sein; die erreichten Ergebnisse sollten stärker als bisher reflektiert und überprüft werden.
Gelingen kann dies zusätzlich zu den angesprochenen Themen wie Erhalt der Produktion und Produktfragen im Zusammenhang mit den „alten” gewerkschaftlichen Themen Lohn und Arbeitszeit, mit Tarifpolitik, aber auch zum Beispiel im Zusammenhang mit aktiver Arbeit mit und für SGB- und andere prekär Beschäftigte in Beschäftigungsgesellschaften, Scheinselbständige und Leihar-beiterInnen in den Betrieben. Insgesamt gesehen, mit einer Vergewerkschaftlichung und Politisierung der Betriebsratsarbeit, besser gesagt mit einer Reflexion dieser Politik, die den gesellschaftlichen Rahmen miteinbezieht.

Kleine Literaturliste:
Kotthoff, H., 1994, Betriebsräte und Bürgerstatus, München und Mering
Kotthoff, H., 1995, Betriebliche Mitbestimmung in der Langzeitperspektive, in: WSI-Mitteilungen 9/1995, S. 549 – 557
Kotthoff, H., 1998, Mitbestimmung in Zeiten interessenpolitischer Rückschritte. Betriebsräte zwischen Beteiligungsofferten und „gnadenlosem Kostensenkungsdiktat”, in: Industrielle Beziehungen Heft 1/1998, S.76 – 100 Clemens, M., 1993, Zur Geschichte der Ostdeutschen und Berliner Betriebsräteinitiative, Dokumente und ein Interview, Berlin
Express, Zeitschrift für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Nr. 7-8/1993 und 9/1993 Garms, H., 1994, Die Ostdeutsche und Berliner Betriebs- und Personalräteinitiative – Ein Beispiel sozialer Interessenvertretung im Transformationsprozess, in: Sozialwissenschaftliches Forschungszentrum Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Umbruch Nr.8, Berlin, S. 18 – 65
Höge, H., 1997, Berliner Ökonomie, Prols und Contras, Berlin
Gehrke, B., 1996, Geschichte der „Initiative für unabhängige Gewerkschaften” oder: Zur Abwicklung der DDR-Opposition, Teil 1-3, in: Express 9/1996 – 11u.12/1996
Gehrke, B., 1997a, Geschichte der „Initiative für unabhängige Gewerkschaften” oder: Zur Abwicklung der DDR-Opposition, Teil 4-5 in: Express 1/1997 – 2/1997
Gehrke, B., 1997b, Arbeitskämpfe und eigenständige Interessenvertretungen in Ostdeutschland seit 1989, in: Sklaven 31/32, S. 4 -11
Kädtler, J., G. Kottwitz und R. Weinert, 1997, Betriebsräte in Ostdeutschland, Institutionenbildung und Handlungskonstellationen 1989 – 1994, Opladen

1 Weiter hieß es, dass 500 Kündigungen ausgesprochen wurden, aber durch den Verkauf des Betriebes zum Ende März 150 Arbeitsplätze oder mehr gesichert werden könnten. Die Nachricht des Konkurses dieses Betriebs war auch dem IG-Metall-Magazin von November 1998 zu entnehmen. Auch dies ist ein weiteres Beispiel der unendlichen Geschichte des Arbeitsplatzabbaus in der Metallindustrie zehn Jahre nach der Wende. 2 Zu den Sonderfällen konfliktorischer und kämpferischer Betriebsräte im Zusammenhang mit der Ostdeutschen und Berliner Betriebs- und Personalräteinitiative vgl. auch Clemens 1993, Express 7-8/1993 und 9/1993, Garms 1994, Höge 1997, Gehrke 1997 sowie Kädtler/Kottwitz/Weinert 1997, 209-217. 3 Mit Co-Management als „neuer Qualität“ der Mitarbeit und Mitbestimmung ist nicht die auch im Westen übliche Sozialpartnerschaft gemeint. Co-Management ist somit im Sinne dieser Untersuchung vor allem die Einbeziehung der Betriebsräte in betriebliche Entscheidungen auf den unterschiedlichsten Feldern, ihre Hinzuziehung und Einbindung in die Verantwortung bis hin zu managerieller Mitbestimmungs- und Entscheidungsgewalt. Es bezeichnet somit eine betriebliche Strategie der permanenten Mitbestimmung. Diese Mitbestimmung ist dadurch gekennzeichnet, dass eine möglichst frühzeitige und allseitige Information des Betriebsrates vorgenommen wird, dieser sich über alternative Konzeptionen Gedanken machen, eigene Positionen entwickeln und sie auch durchsetzen kann. Sie beinhaltet aber auch die Übernahme von betrieblicher Verantwortung.

Hinrich Garms, Dipl. Soz., Jahrgang 1957, arbeitete von 1996–1998 an der FU Berlin am Otto-Suhr-Institut im Projekt “Handlungsmuster ostdeutscher Betriebsräte”. Weitere Schwerpunkte: Sozialpolitik, Erwerbslosigkeit.

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