TODESSTRAFE FÜR SCHWULE IN TSCHETSCHENIEN

von Klaus Hart
aus telegraph #102/103

Die tschetschenischen Rebellen halten sich – wie ihre Mitkämpfer aus Afghanistan und Saudi-Arabien – ans islamische Recht, fundamentalistische Werte. Im Westen stört das kaum jemanden.

Die Lage in Tschetschenien gehört seit Jahren zu den herausragenden Themen der deutschen Medien. Kaum ein Tag, an dem nicht Politiker, aber auch Intellektuelle eindeutig Position beziehen. Die fehlt indessen gewöhnlich, wenn es um die Frage geht, für welche doch sicherlich fortschrittlichen, freiheitlich-demokratischen Grundwerte die tschet-schenischen Kämpfer ihr Leben einsetzen. Das war zuvor in Afghanistan nicht anders, als die USA mit Dollarmilliarden den Heiligen Krieg radikal-fundamentalistischer Islamistengruppen finanzierten, die jetzt kräftig in Tschetschenien mitmischen.

Unlängst berichtete der TV-Sender ARTE in einer mehrstündigen Spezialsendung über die Situation der Schwulen weltweit, wies besonders auf die Diskriminierung und extrem brutale Verfolgung in islamischen Ländern hin. Wer sich dort etwa als Reisender längere Zeit aufhält, bemerkt unschwer, dass Homosexuelle keineswegs zu einer verschwindenden Minderheit gehören, entsprechende Umgangsformen im Alltag auffallen. Ein schwuler Kurde bringt es in der ARTE – Sendung auf den Punkt: „Islamische Männer sind analfixiert.“ Genannt werden ausdrücklich jene Staaten, in denen auf Homosexualität die Todesstrafe steht – Saudi-Arabien, Afghanistan und Tschetschenien. Als in der Kaukasusrepublik noch sowjetisches bzw. russisches Recht galt, hatte Holger Beck, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, kaum Anlass, aktiv zu werden. Das änderte sich spätestens am 11.November 1996, als das neue tschetschenische Parlament den Islam zur Staatsreligion erklärte, erwartungsgemäß die Sharia, der islamische Strafkodex, nun auch bindend eingeführt wurde. Beck richtete deshalb noch 1996 eine entsprechende, von Joseph Fischer mitunterschriebene Kleine Anfrage an die Kohl-Regierung, forderte sie auf, „alle diplomatischen Mittel einzusetzen, um die Einführung der Todesstrafe für Homosexuelle in Tschetschenien zu verhindern.“ Außenminister Kinkel dürfe sich nicht auf „stille Diplomatie“ verlassen, laut Heiner Geißler sei Einmischen gefragt. Doch Bonn dachte gar nicht daran, wiegelte in der Antwort ab: Über gesetzliche Regelungen zu homosexuellen Beziehungen sei nichts bekannt, wenngleich man davon ausgehen müsse, dass irgendwann auch Bestimmungen, die islamische Vorstellungen zur Homosexualität und zu Homosexuellen reflektieren, erlassen würden. Homosexuelle, hieß es weiter, seien bislang von Menschenrechtsverletzungen nicht in auffälliger Weise betroffen. „Die Menschenrechtslage in Tschetschenien ist innerhalb bestimmter Clan-Strukturen – und mit den Eigentümlichkeiten des islamischen Rechts – als stabil zu bezeichnen.“ Ein schlechter Witz angesichts der Situation vor Ort – deshalb musste erwartet werden, dass nach dem Regierungswechsel sich Rot-Grün nicht nur für die tschetschenischen Homosexuellen, sondern für alle von den drakonischen Sharia-Strafen Betroffenen einsetzen würde. Doch dies unterblieb. In den Medien wurde für die Schwulenehe in Deutschland gestritten, am Artikel 148 der Sharia-Rechtsnormen Präsident Aslan Maschadows in Grosny stieß man sich indessen nicht.

Schwule steinigen oder enthaupten
Wenigstens in der ai-Broschüre „Das Schweigen brechen – Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Orientierung“ von 1999 wird die barbarische Praxis der Todesstrafe für Schwule angeprangert, vollzogen „z.b. durch Steinigen oder durch Enthauptung. Vermutlich fallen alle homosexuellen Handlungen unter den im Gesetz erwähnten Begriff „analer Geschlechtsverkehr“ ganz gleich, ob dieser tatsächlich stattgefunden hat oder nicht.“ Doch auch auf sogenannte Verbrechen gegen die Religion, etwa „Gotteslästerung“, steht die Todesstrafe, ebenso auf Ehebruch. Sofern der betreffende Mann bzw. die Frau verheiratet waren, müssen sie den neuen Regeln zufolge gesteinigt werden. Sergej Kowaljow, ehemaliger politischer Gefangener, Duma-Mitglied und Präsident des Instituts für Menschenrechte in Moskau, analysierte in der „Frankfurter Rundschau“: “Überdies wurden die islamischen Rechtsnormen in Tschetschenien in besonders harter Form eingeführt, unter anderem die Prügelstrafe, die Amputation von Gliedmaßen und öffentliche Hinrichtungen, die im dortigen Fernsehen übertragen wurden.“ Präsident Maschadow habe die eigentliche Macht an die sogenannten „Feldkommandeure“, darunter Leute wie die Sklavenhändler Arbi Barajew und Ruslan Chaichorojew, die Terroristen Salman Radujew und Schamil Bassajew sowie den jordanischen islamischen Fanatiker Chattab übergeben, den viele für einen Verbündeten von Osama bin Laden, dem saudi-arabischen Ölmilliardär, hielten. Den radikalen Islamisten Bassajew immerhin machte Maschadow zum Regierungschef – mit seiner Miliz hatte dieser zuvor die südrussische Stadt Bud-jonnowsk attackiert, in einem Krankenhaus mehrere hundert Geiseln genommen, zweiundvierzig Menschen kamen ums Leben. Während auch in Deutschland das Verständnis und die Sympathien für die islamischen Macho-Kämpfer stetig zunahmen, machte vor Ort die Islamisierung große Fortschritte, sind wie in Afghanistan Frauen die Hauptleidtragenden. Bei der ersten öffentlichen Exekution schauen in Grosny über zweitausend Menschen zu, laut Agenturberichten wird die „Zeremonie“ von Allah-Akbar-Sprechchören begleitet. Kopiert wurde damit lediglich, was in den wichtigsten stockreaktionären Unterstützerstaaten Afghanistan und Saudi-Arabien, die Geld, Waffen und wohltrainierte fundamentalistische Milizen schicken, seit langem gang und gäbe ist: 1998 beispielsweise wurden laut ai drei afghanische Männer wegen angeblicher „Unzucht mit kleinen Jungen“ hingerichtet, in dem man vor Tausenden von Zuschauern mittels eines Kampfpanzers eine Steinmauer auf sie stürzte. Im selben Jahr wurden in der Stadt Herat zwei der „Sodomie“ angeklagte Männer im Stadion auf ähnliche Weise getötet – eine Planierraupe schob über beide eine Lehmmauer. Rundfunk und Presse berichteten wie üblich ganz ausführlich, natürlich auch über das sehr häufige Handabhacken bei Dieben, oder das öffentliche Auspeitschen. Laut ai wurden 2000 in Saudi-Arabien mindestens sieben Männer wegen „sodomitischer Kontakte“ gehenkt, in Afghanistan sei die häufigste Methode immer noch das Steinigen.

„Die Ultras passen ins geopolitische Konzept“
Wirksamer Druck auf Riad unterbleibt indessen aus strategischem und wirtschaftlichem Interesse – über Afghanistan schrieb 1996 wenigstens der Spiegel: “Steinigen von Ehebrechern, Händeabhacken bei Dieben, öffentliches Prügeln. Am schlimmsten unterdrückt werden die Frauen. Doch fast der gesamte Westen schweigt – die Ultras passen ins geopolitische Konzept.“ Schwule würden dort zudem mit geschwärzten Gesichtern in sogenannten „Schand-Zügen“ durch die Straßen gekarrt. Dass in Tschetschenien nach Einführung der Sharia genauso verfahren wurde, die fundamentalistischen Milizen auf mittelalterliche, neofeudale Art für „Ordnung“ sorgten, erwähnten die europäischen Medien nur höchst selten, kaum einmal wurde ein Foto gedruckt, das die Anwendung des neuen islamischen Rechts zeigte.

Vorzüglich organisiertes Drogengeschäft
Tschetscheniens neue Machthaber schwimmen im Geld – vor allem dank des Rauschgifthandels. Die Kaukasusrepublik wurde rasch Teil der international vernetzten Drogenkartelle, die sich zumindest in Teilen der deutschen Wirtschafts- und Politikereliten allergrößter Beliebtheit erfreuen. Schließlich liefert das organisierte Verbrechen den Stoff für die Antreiber des Turbo-Kapitalismus, deren Aufsichtsratssitzungen und Partys – für Fußballtrainer wie Daum, Künstler und natürlich die Top-Journaille fällt ebenfalls noch genug ab. In Europa ist Deutschland der wichtigste Drogenimporteur – die Ware wird flächendeckend vertrieben, von einer ernstzunehmenden Bekämpfung der Kartelle kann, für jedermann offensichtlich, absolut keine Rede sein. Nie wurde unter Aufsicht der Taliban-Milizen in Afghanistan, aber auch Tschetschenien soviel Rauschgift erzeugt, über den Kaukasus, die Türkei, den Balkan nach Deutschland gebracht, ein Milliardengeschäft. „Die Doppelmoral feiert Triumphe“, betont denn auch Jürgen Roth in seinem neuesten Buch „Schmutzige Hände – Wie die westlichen Staaten mit der Drogenmafia kooperieren“ (Bertelsmann, 2000). „Klammheimlich haben sich die Mächtigen der demokratischen Staaten längst mit den mafiosen Organisationen arrangiert, benutzen sie. Sie kooperieren hemmungslos mit jenen Staaten und deren Entscheidungsträgern – die mehr oder weniger direkt tief im kriminellen Sumpf verstrickt sind -, wenn es denn ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen entspricht. Sachzwänge nennt man das. Die Politik gegen das „organisierte Verbrechen“, dieser Eindruck drängt sich immer mehr auf, ist bei näherem Hinsehen eine Politik der Komplizenschaft mit jenen, die selbst am Tropf der Kriminalität hängen…. Moralische Wertvorstellungen haben sich verflüchtigt, und die politischen Systeme kennen daher auch wenig Skrupel, Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Menschenwürde oder Freiheit noch ernst zu nehmen.“ Die CIA, schon immer weltweit ins Drogengeschäft verwickelt, lieferte einst den fundamentalistischen Rebellen Afghanistans modernste Stinger-Raketen – jetzt schießen die tschetschenischen Kämpfer damit russische Bomber und Hubschrauber ab. Wenn jüngste Berichte stimmen, lehnt die übergroße Mehrheit der rund eine Million Tschetschenen inzwischen das drakonische Regime der Fundamentalisten, deren Werte, den Strafkodex der Scharia ab. Doch instruiert von radikal-islamischen Missionaren der arabischen Länder, kämpfen die Rebellen fanatisch weiter. „Ich will ein Regime wie in Afghanistan, wo Dieben die Hand abgehackt wird“, zitiert die „Frankfurter Rundschau“ jetzt den 25-jährigen Magomed aus Grosny, „der Wille Allahs steht für mich höher als der meines Vaters. Ich werde bis an mein Ende für die Scharia kämpfen. Selbst wenn ich dafür Mitglieder meiner Familie töten muss.“ Also weiterhin schlechte Zeiten auch für Tschetscheniens Homosexuelle.

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