von Wolfgang Kaleck
aus telegraph #102/103
Es wäre einfach, einmal mehr den rassistischen Konsens zu denunzieren, der in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung und des deutschen Establishments zu herrschen scheint. Zu durchsichtig scheinen die Motive der neuen Männerfreunde Beckstein und Schily, der treibenden Kräfte des NPD-Verbotsantrages. Zu durchsichtig schienen auch die Motive der Berliner Gewerbetreibenden und öffentlichen Arbeitnehmer, ihren Bediensteten für die Großdemonstration am 09.11.2000 frei zu geben.
Um es von Anfang an klarzustellen: Ich bin gegen ein NPD-Verbot. Ich halte aber die reflexartige Ablehnung von Teilen der Linken und der Antifa für falsch. Die Initiative für ein NPD-Verbot hatte – taktisch sehr geschickt – der bayrische Innenminister Beckstein eingeleitet. Er gebrauchte damit die sommerliche Empörung über rechtsradikale Gewalt für eigene Zwecke. Damit war einer breiteren gesellschaftlichen Mobilisierung von vornherein die Spitze genommen: Es sollten wieder einmal der Staat und seine Institutionen sein, die die Sache in die Hand zu nehmen haben.
Damit bediente Beckstein zugleich die alte obrigkeitsstaatliche Klientel der Konservativen aber auch die Rot/Grüne Klientel. Letztere haben zwar auch realisiert, dass die von ihren Leuten geführte Staatsmacht grundsätzlich politisch wenig ändert. Aber von Zeit zu Zeit soll der Schröder/Fischer-Staat seine Muskeln spielen lassen für Menschenrechte wie letztes Jahr im Kosovokrieg oder aber wie jetzt gegen den Rechtsradikalismus. In ihrer Ohnmacht und beseelt von dem Wunsch, wenigstens irgendetwas zu tun, merken sie nicht, wie mit der Adelung des Krieges als außenpolitisches Mittel und der innerstaatlichen Repression als innenpolitisches Mittel zur Lösung von Konflikten der Obrigkeitsstaat seine Renaissance feiert.
Die wehrhafte Demokratie und der Konsens der Demokraten gegen die Extremisten von links und rechts sind Figuren aus der ideologischen Mottenkiste des alten und neuen Konservatismus. Die Geschichte der Weimarer Republik und ihr Scheitern am antidemokratischen Konsens der alten und neuen Mächte Wirtschaft, Grundbesitz, Militär, Justiz und Polizeiapparat wird einmal mehr umgeschrieben. Das alte Szenario, dass die Weimarer Republik daran zerbrochen sei, da die Rechts- und Linksextremen sie in die Zange genommen hätten, lebt wieder auf.
Die argumentativen Muster gehen auf die konservativen Gegenrevolutionäre der Weimarer Republik wie Carl Schmitt zurück. Seine Schüler haben seine Lehren in die Bundesrepublik Deutschland hinüber gerettet, obwohl der Ruf des Meisters durch seinen ursprünglichen Pakt mit den Nazis und seine antisemitischen Hetztiraden gänzlich ruiniert war.
Der Rot/Grüne Staat von heute wird – bewusst oder unbewusst – immer mehr dem großen Bruder, den USA ähnlicher: Sozial- und wirtschaftspolitisch wenig aktiv, aber starkes Militär und starker Polizeiapparat. Der NPD-Verbotsantrag kommt somit im Moment allen recht.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille sieht ein wenig anders aus. Auch wenn ich selbst kein Teilnehmer der Großdemonstration am 09.11.2000 war, haben mir aber viele der dortigen Teilnehmer übereinstimmend berichtet, dass die Stimmung unter den Demonstranten keineswegs von der Freude über den Schulterschluss der Demokraten geprägt war. Den größten Beifall erhielt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Deutschlands, Paul Spiegel, als er die unsägliche Diskussion um die deutsche Leitkultur vehement kritisierte. Auch in den Tagen darauf war die Diskussion über die CDU-Kampagne um die deutsche Leitkultur das politische Signal, welches von der Großdemonstration ausging. Zur gleichen Zeit als eine starke Gegendemonstration am 25.11.2000 dem Berliner Polizeiapparat den Vorwand lieferte, eine NPD-Demonstration vorzeitig aufzulösen, wurde im Kongreßzentrum der Berliner CDU-Parteitag abgehalten. Von vielen dortigen Rednern wurde davor gewarnt, dass der Kampf gegen Rechtsradikalismus von Sozialdemokraten und Grünen missbraucht würde, um gesellschaftlich ein Klima gegen rechts zu schaffen. Diese Entwicklungen machen deutlich, dass in der aktuellen Diskussion durchaus auch Chancen für uns liegen.
Es ist daher auch falsch, diejenigen Antifas zu schelten, die für ein NPD-Verbot plädieren. Denn auch wenn ich grundsätzlich gegen Polizeieinsätze bei genehmigten Demonstrationen bin, auch wenn ich Strafen und insbesondere Gefängnisstrafen für keine besonders gelungene gesellschaftliche Lösung politischer Konflikte halte, müssen wir doch realisieren, dass wir an einer Wegscheide stehen. Ohne dass ich mehr und außerordentliche Kompetenzen für Polizei und Justiz fordere, verlange ich jedoch von diesen Institutionen, dass sie ihr Instrumentarium wirksam gegen gewalttätige Rechtsradikale einsetzen. Dies würde auch das in jeder Hinsicht riskante und verdienstvolle Handeln militanter Antifas in dem einen oder anderen Fall überflüssig machen. Unter diesen gesellschaftlichen Umständen würde ich sogar gegebenenfalls einem NPD-Verbot zustimmen, wenn ich der Auffassung wäre, dass es ein effektives Mittel zur Bekämpfung von Rechtsradikalismus ist. Aber da sind zum einen die großen Zweifel, ob der NPD-Verbotsantrag überhaupt vor dem Bundesverfassungsgericht durchkommen wird. Zumindestens wird es noch einige Zeit dauern, bis ein solches Verbot ausgesprochen werden kann. Die rechte Szene wird also genügend Zeit haben, sich entsprechend andere Strukturen zu schaffen. Das andere Gegenargument liegt auf der Hand: Die kulturelle Hegemonie der Rechtsradikalen in einigen Regionen in Deutschland und insbesondere unter vielen Jugendlichen ist ebenso wenig durch ein NPD-Verbot aufzubrechen, wie fremdenfeindliche und gewalttätige rassistische Tendenzen in dieser Gesellschaft.
Nach meiner Auffassung läuft es auf einen Kompromiss hinaus: In einer Situation, in der die Linke in Deutschland gesellschaftlich absolut in der Defensive ist, müssen in der Tat breite Bündnisse eingegangen werden, muss der kleinste gemeinsame Nenner gesucht werden, um ein weiteres Vordringen der Rechtsradikalen im kulturellen und politischen Raum zu verhindern und vor allem dafür zu sorgen, dass nicht weiter Menschen in Deutschland sterben, weil sie nicht so aussehen, wie dies ein Teil unserer Landsleute für wünschenswert hält.
Daneben muss rücksichtslos mit ethnisch aufgeladenen Kultur- und Nationsdiskussionen abgerechnet werden. Die Inhumanität der Ausländer- und Asylpolitik der letzten 20 Jahre muss immer wieder zum Thema gemacht werden.
Wir haben zuviel Angst vor der offenen politischen Auseinandersetzung. Wie das Kaninchen auf die Schlange starrten wir auf die skrupellose Kampagne von CDU-Koch in Hessen. Warum nicht mal eine offen politische Kampagne für unsere Ziele starten? Wir selbst haben es in der Hand, mit weiteren Inhalten, als nur der Verteufelung des gewalttätigen Rechtsradikalismus, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt in Berlin und tritt als Nebenklägervertreter in Gerichtsfällen gegen rechtsradikale Täter auf.
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph