DIE KULTURELLE KOLONISIERUNG DER EX – DDR

aus telegraph #104
von  Klaus Hart

Die vielseitige Musikbranche der neuen Länder könnte ein wichtiger regionaler Wirtschaftsfaktor sein – stattdessen regierte auch hier nach der Wende Plattmacherei. Nur noch ein Bruchteil der Bands und Sänger ist aktiv. Auch Vertriebschefs, Veranstalter und Musikexperten kritisieren fehlende Chancengleichheit auf dem deutsch-deutschen Musikmarkt nach der Wende, sehen zahllose geschäftsschädigende Behinderungen, dazu Vorurteile und Scheuklappen bei den Kulturprodukte vermittelnden öffentlich-rechtlichen Sendern.

Merkwürdig Widersprüchliches erlebt derzeit das ostdeutsche Musikbusiness. Bands wie City, Puhdys und Karat, die vor dem Mauerfall teilweise jahrelang wegen der vielen günstigen Angebote öfters im Westen tourten als zuhause, gingen dieses Konzertmarkts größtenteils verlustig. Und spielen dafür im Osten jetzt selbst in kleinsten Städten und Dörfern, füllen für nicht gerade satte Gagen bequem jede Freilichtbühne, werden gefeiert, sind gefragt. Reinhard Lakomy sorgt sogar zweimal am Tag mit seinen Kinderlieder-Programmen für einen ausverkauften Dresdner Kulturpalast, hat auch mit den Erwachsenen-Songs landauf, landab im Osten volle Häuser. Sein Buch „Es war doch nicht das letzte Mal“ ist ein richtiger Seller, erreicht noch im Startjahr 2000 die vierte Auflage. Doch die interessante Nach-Wende-CD „Die 6-Uhr-13-Bahn“, ärgert ihn, wurde überhaupt nicht im Radio gespielt, wenig besser sieht’s bei den größten Lakomy-Hits aus. Auch anderen, mit Konzerten erfolgreichen Bands, Schlagersängern wie Frank Schöbel brach der Rundfunk-Tantiemenmarkt fast völlig weg, suchen deren Fans nur zu oft vergeblich in den Läden nach den neuesten oder älteren Scheiben. Dort wird jetzt vor allem die übermächtige Konkurrenz deutscher und englischer Zunge angepriesen, von Madonna bis Maffay, für die nach gängiger Regel zehn bis fünfzehn Prozent des CD-Endpreises abfällt. Sie hat in den neuen Ländern auch den hochprofitablen Radiomarkt im Griff, verdient bei Öffentlich-Rechtlichen wie Privaten pro gesendete Titelminute über zwölf Mark. Da kommen für die Autoren, sogar solcher Oldie-Schnulzen wie „Der Junge mit der Mundharmonika“, hübsche Summen zustande, wie man selbst als Gelegenheitshörer leicht erfasst. Pech für die Ostmusik. Denn wer heute nicht ständig in den deutschen Radios und im TV präsent ist, gut vermarktet wird, Hörgewohnheiten schafft und bedient, kann seine Popularität schwerlich halten, verkauft keine Tonträger, wird zwangsläufig meist zum Ladenhüter. Denn von jedem gesendeten Titel geht – banale Tatsache – ein mehr oder weniger starker Kaufimpuls aus. Der erfreuliche Nebeneffekt fällt für all jene flach, die von den Selektoren nicht für gut, passend befunden werden. Ostbands und -sänger suchen dies mühselig durch möglichst viele Konzerte auszugleichen, haben von Jahr zu Jahr deutlich mehr Zuspruch. Nachfrage, Bedarf nach dem Ostprodukt Musik ist also da, nur wird sie, entgegen marktwirtschaftlicher Logik, weder zeitgemäß gefördert noch befriedigt. Nicht zufällig sprechen deshalb sogar Bands wie „City“ von Fremdbeherrschung, beobachtet Buschfunk-Chef Klaus Koch „kulturelle Kolonialisierung“.

An der Musik-Qualität kann’s nicht liegen – die ist im Musikgeschäft Weißgott nicht alleiniger Maßstab. Schließlich schoss Big-Brother-Christian mit „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ auf Platz Eins der Single-Charts, die TV-PR bekam ihm bestens. Von Container-Kollege Sladko setzte der Musikkonzern BMG an die 880 000 Singles ab. Andererseits, weiß der Ostdeutsche Jörg Stempel, Amiga-Label-Manager bei BMG, geben Plattenfirmen häufig Millionen für Neue Bands und Sänger aus, die sie für sehr gut und marktgerecht halten. Und dann floppen die trotzdem. Doch selbst die alten Hasen im Geschäft brauchen permanente, teure Imagepflege, sonst läufts nicht. Für das Maffay-Konzert im Juni in der Wuhlheide wurde deshalb schon ein halbes Jahr vorher Ostberlin mit Postern nebst Hinweis auf die neueste CD beklebt, Sponsoren bzw. Mitveranstalter wie das ZDF, BMG und zwei Berliner Privatradios ziehen beim Marketing an einem Strang, um einem deutschen Künstler zum Erfolg zu verhelfen, seine Tonträger an den Mann zu bringen. Die neuesten Grönemeyer- und Heinz-Rudolf-Kunze-CDs werden etwa in Berlin ebenfalls unübersehbar per Riesenposter beworben, in den Radios permanent vorgestellt. Doch als der im Osten nach wie vor sehr beliebte Sänger und Pianist Holger Biege für sein Januar-Konzert im Prenzlauer Berg die Promotion anlaufen lässt, sämtliche Berliner Blätter auch mit dicken Pressemappen versorgt, wird er allen Ernstes nicht mal wenigstens bei den täglichen Veranstaltungstipps erwähnt. „Die Berliner Zeitungen schneiden mich total“, sagt Biege zum telegraph nach seinem Auftritt vor trotzdem vollem Haus, „die Medien nehmen mich nicht wahr.“ Um aber wieder wie einst nicht nur vor Hunderten, sondern Tausenden spielen zu können, so wie mit Veronika Fischer 1979 gar im Palast der Republik, braucht er ebenso wie Maffay gerade die Medien als sensible, verständnisvolle Vermittler. Anders als Autos, Bier oder Waschmittel sind Produkte der Kulturindustrie nun einmal darauf angewiesen. Länder wie Großbritannien machen’s vor – da ist die Regierung stolz, dass die Musikexporte die der Stahlindustrie an Wert übertreffen.

Sonderfall Sachsen
„Ostdeutschland hat die besser ausgebildeten, Westdeutschland die besser vermarkteten Künstler“, sagt Hansjoachim Seiferth, einer der führenden Musikproduzenten in den neuen Ländern, künstlerischer Leiter in der Schleizer Harmonika Lied-Text GmbH, 1990 gegründet. Der Autor, Regisseur und Redakteur arbeitet in Sachsen – da hat die Musikbranche des Ostens erstaunlicherweise ihre größte Nische, werden die alten Profis, neuen Talente, soweit es geht, eindeutig am meisten gepflegt und gefördert. Mit ziemlichem Rückenwind des öffentlich-rechtlichen MDR, der damit regional und überregional Quote macht. Seiferth hat vierunddreißig Jahre Unterhaltungserfahrung, produzierte über achthundert TV-Sendungen. Die Harmonika Agentur stellt zudem Live-Veranstaltungen jedes Genres auf die Beine, besetzt auch da jede nur mögliche, von den marktbeherrschenden Großveranstaltern der alten Bundesländer gelassene Nische. „Bis wir unsere materielle und finanzielle Basis für dieses Geschäft gesichert hatten“, so Seiferth, saßen die im Osten bereits fest im Sattel. „Das gewinnbringende Geschäft mit den Spitzenstars ist ausschließlich in der Hand der bekannten Westprofis. Die meisten Ostveranstalter haben keine gesicherte Basis, leben von der Hand in den Mund, können größere Verluste nicht mit, langem Atem` wegstecken.“ Musikvermarkter Harmonika, hat inzwischen jenen langen Atem, ist unübersehbar ein regionaler Wirtschaftsfaktor, bindet viele andere Unternehmen mit ein. Dennoch ist Seiferth unzufrieden, will den Durchbruch, raus aus dem Nischendasein, die reelle Bewertung seiner Künstler auf dem gesamtdeutschen Musikmarkt. „Wer fehlende Chancengleichheit für ostdeutsche Künstler kritisiert, hat Recht“, konstatiert er, „bis heute nehmen sowohl ARD und ZDF als auch die privaten Sender kaum Notiz von der mitteldeutschen Unterhaltungsszene, erfüllen die Medien ihre Vermittlerrolle schlecht oder gar nicht.“

„Vorauseilender Gehorsam oder Blödheit“
Seine Medienkritik wendet der Schleizer Musikproduzent natürlich nicht gegen MDR 1 Radio Sachsen – der ist ARD-weit Ausnahme von der Regel. Joachim Schlese, Leiter der Redaktion Musik und Unterhaltung, pflegt ganz Antitrend, kaum wie in anderen Sendern üblich, die populäre Tonkultur Kaliforniens oder Schottlands auch mittels reichlichem Tantiemenfluss, sondern mit siebzig, achtzig Prozent aller eingesetzten Titel die deutsche, vorrangig ostdeutsche, regionale. Nach gängiger Lesart müsste solche abwegige Auswahl Schleses Radio eigentlich im sächsischen Stationen-Ranking für immer auf einen der untersten Plätze verbannen. Falsch – Radio Sachsen ist seit Jahren unangefochten die Nummer Eins, bei solcher Quote kann Schlese keiner an den Karren fahren. Und je besser die Einschaltquote, umso höher sind die Werbeeinnahmen. Klar macht ihn das stolz und selbstbewusst: “Solange ich Musikchef bin, bleibt diese 70-30-Aufteilung, wir haben uns da von Anfang an nicht beirren lassen.“ In vielen Sendern sitzen Überflieger, Ex-DJs auf solchen Posten, schwankende Blätter im Wind, den die gewieften PR-Agenten der Musikkonzerne machen – Schlese dagegen ist Vollprofi. In Dresden wuchs er auf, hat an der Hochschule für Musik seinen Abschluss gemacht, das berühmte Dixieland-Festival, das Schlagerfestival entwickelt, gemanagt. „Ich habe Musikgeschichte im Blut“. Als Anfang der Neunziger scheinbar niemand mehr auf Ostprodukte, auch die kulturellen stand, nach allem griff, was neu und besser verpackt war, Interpreten und Bands inbegriffen, handelte Schlese „intuitiv“: “Die Leute aus der Unterhaltungsbranche, mit denen ich aufwuchs, sind gut – und deshalb spielen wir sie auch, ob Jiri Korn, Rote Gitarren aus Polen, unsere eigenen wie den Leipziger Frank Schöbel, Gabi Rückert, Uta Bresan, Lift, Elektra, Stern Meißen und die vielen anderen.“ Die liegen auch immer in der Hitparade ganz vorne, „in manchen Sendungen spielen wir neunzig Prozent Ostmusik, es gibt keine Stunde ohne Ost-Titel!“ Wo dann die Radio-Tantiemen vor allem hinfließen, welchen Künstlern damit die zumindest magere Existenz ermöglicht wird, weiß der Radiomann sehr wohl – schließlich haben öffentlich-rechtliche Sender den Programmauftrag, sich um die Regionalkultur zu kümmern. „Damit strahlen von Radio Sachsen selbstverständlich auch wirtschaftliche Impulse aus – wenn wir ausführlich über Musiker und deren Konzerte berichten, gehen mehr Leute hin, machen Veranstalter und Gastronomie mehr Umsatz, gibt’s mehr Steuereinnahmen für die Region, dient es dem Image Sachsens.“ Dies könnte ganz anders, gar nicht so positiv laufen, denn alles, weis er aus Erfahrung, hängt von den Leuten an der Senderspitze ab. In jedem Ost-Funkhaus sind die Personenkonstellationen anders: “Wenn der Musikchef aus Leipzig oder Dresden stammt, für Sachsen verantwortlich ist, hat der ein ganz anderes Gespür, Fingerspitzengefühl als einer, der aus Hamburg oder München kommt.“ Wer bestimmte Künstler eben nicht in seiner persönlichen musikalischen Biographie, in seinen Hörgewohnheiten hat, so sehen es viele gelernte Radiomacher des Ostens, entscheidet anders, wählt ganz andere Titel aus. Doch dann gibt’s auch noch die Wendehälse, peinliche bis lächerliche Figuren: „Ossis in Musikredaktionen“, so ein Profimoderator, „suchen manchmal dieselben Songs wie Westdeutsche heraus, aus Opportunismus, vorauseilendem Gehorsam, oder schlicht Blödheit.“

Und schon sind wir zwangsläufig bei den deutsch-deutschen Befindlichkeiten, heiß diskutiert. Schlese witzelt über jene „Neunmalklugen“ des von einem westdeutschen SPD-Intendanten geführten ORB, die wegen ihrer englisch dominierten Musikfarbe Radio Sachsen massenhaft brandenburgische Hörer zutrieben. In die Dresdner Redaktion flattern monatlich bis zu achttausend Briefe und Karten, sensationell viel, stets sind mehrere tausend aus Brandenburg dabei, sogar von Radio-Sachsen-Fangruppen. Eine regelrechte „Aktion MDR“ habe es gegeben – da sei gefordert worden, Antennen so aufzustellen, dass ganz Brandenburg Radio Sachsen empfangen könne. „Weil wir so viel deutschsprachige Musik bringen – die wollen die Leute hören, ob ostdeutsch oder nicht.“ Ganz schlimme Briefe seien sogar an Ministerpräsident Stolpe gegangen, ohne Resultat. Erst als Antenne Brandenburg gemäß letzter Media-Analyse weiter abstürzte, wurde man aufmerksam. „Ein bissel spät – denn wer uns bisher hörte, tut das auch künftig.“ Nur ist Radio Sachsen alleine gar nicht in der Lage, den Trend umzukehren – da müssten auch andere Rundfunksender, zumindest die öffentlich-rechtlichen, gemäß Programmauftrag mitziehen, der ostdeutschen Musikbranche etwas unter die Arme greifen.

Interne Musik-Absprachen zwischen Werbekonzernen und Sendern
Wenigstens der ORB schwenkt ein bisschen um. Wolfgang Martin, Musik-journalist, Ex-DT 64, Musikchef von Antenne Brandenburg, bestätigt die Abwanderung von ORB-Hörern zu Radio Sachsen, die mehr Deutsches, vor allem Schlager, bevorzugen. „Wenn die uns davonlaufen, muss man nachdenken, was wir falsch machen.“ Seit September 2000 ist eine Programmänderung in Kraft, Martin nennt es „back to the roots“. Der äußerst magere Zwanzig-Prozent-Anteil deutscher Titel wurde auf fünfunddreißig erhöht, etwa ein Viertel, ein Fünftel davon ist Ostmusik, meist im Nachtprogramm versteckt, immer noch längst kein Vergleich mit Radio Sachsen, aber wenigstens ein Anfang. Weshalb die Sender Berlin-Brandenburgs sich so hartnäckig an ihre hohe Quote englischer Songs klammern, liegt laut Insidern an der bekanntlich mit harten Bandagen kämpfenden Werbewirtschaft, ohne die alle Privatradios aufgeschmissen wären. Und auch den Öffentlich-Rechtlichen ist ihre Teilhabe am Werbekuchen immer wichtiger, der immerhin jährlich bei rund zwei Milliarden Mark liegt – aufs Fernsehen entfallen sogar über dreizehn Milliarden. „Die Werber wollen den deutsch-freien Sender“, kritisiert Joachim Neubauer, Vorstandsmitglied im Deutschen Musikverleger-Verband, „fünfundneunzig Prozent der Hörer verstehen kein Englisch, werden nur musikberieselt. Kommt dann eine deutschsprachige Werbebotschaft, wird die verstärkt wahrgenommen.“ Und darum geht’s ja. Neubauer zum telegraph: „Die Werbewirtschaft nimmt direkt Einfluss auf die Musikauswahl der Sender – das ergab meine Recherche. Die Redakteure werden das natürlich immer bestreiten.“ Radio-DJs hätten oft nur starre Richtlinien zu befolgen, wüssten gar nichts von den Abmachungen der Programmverantwortlichen. „Wer was anderes spielt, wird gefeuert – so einfach ist das.“ Bei den internen Absprachen zwischen Werbewirtschaft und Sender läuft es danach genauso wie heute bei Grundsatzentscheidungen der Machteliten in der hohen Politik – „nichts Schriftliches“. Man rede sich gewöhnlich mit Hörerumfragen, Publikumsgeschmack heraus. Sender, die mehr Englisches bringen, betonten andere Insider, werden auf der Stelle mit höheren Werbeeinnahmen belohnt. Der Begriff „deutschfreier Sender“ ist übrigens völlig normal und üblich in der Werbebranche.

„Die Leute wollen Osttitel“
Mögen die Dinge beim ORB so liegen oder nicht, bei neuerdings etwas höherem Deutsch-Anteil ist jedenfalls auch auf einmal mehr Platz für den eingangs erwähnten Holger Biege, der steigende Tantiemeneingänge registriert. Musikchef Martin wusste schon lange, dass die Brandenburger mehr davon wollen. “Die vollen Konzerte zeigen, dass das Bedürfnis nach Ostmusik groß ist – Lift, Elektra und Stern Meißen haben mit ihrem gemeinsamen, Sachsendreier‘ direkt einen Boom, Bands, die dichtmachten, starten deshalb wieder neu.“ Natürlich wollte die zuvor sture ORB-Senderspitze wissen, ob das regionale Publikum tatsächlich mehr Östliches hören will. „Wir machten gleich eine Wunschhit-Aktion und merkten“, so Martin, „die Leute wollen die Osttitel wirklich, die Reaktion auf mehr Ostmusik war durch die Bank positiv.“ „Alt wie ein Baum“ von den Puhdys oder Karats „Sieben Brücken“ seien ja auch regelrechte Hymnen, würden sogar von Privatsendern gespielt. In den Antenne-Brandenburg-Oldie-Charts gebe es das Phänomen, dass immer DDR-Titel vorne seien, wochenlang beispielsweise die Puhdys, Karat oder Neumis Rockzirkus. Dabei sind die den Hörern zur Auswahl angebotenen Osttitel lediglich eine kleine Minderheit, werden linientreu natürlich meist anglo-amerikanische gestartet. Dass dennoch manche Gazetten, Magazine und Politiker gleich wieder von Ostalgie, Ostlastigkeit, rückwärtsgewandter DDR-Sehnsucht zetern, Oststars als „DDR-Altlasten“ runterwerten, tut Martin ebenso wie Schlese als lächerlich ab, man sollte das ganz sachlich sehen. Werfe jemand den Bayern vor, dass sie ihre Regionalbands mögen, oder den Nordrhein-Westfalen ihre Pflege der Karnevalscombos? Genauso verhalte es sich mit der Ostmusik, für zu viele Entscheider im oder aus dem Westen wie so manches ostwärts eine ästhetische Zumutung. „Vorbehalte, Vorurteile gegenüber Ostmusik sind bei West-Musikredakteuren sehr stark.“ Brandenburger Martin weiß, dass westdeutsche Musikredakteure, die man bewusst auf Toppositionen in Ostsendern hievte, natürlich eine völlig andere Sicht der Problematik haben. Er spielt unter anderem auf den Westberliner Peter Radszuhn an, Musikchef beim ORB-Radio Eins. “Der sieht das natürlich ganz anders.“ Bei sich selber Vorurteile abzubauen, sei nun mal sehr schwer. „Das kann ich gut nachvollziehen.“ Radio Eins liegt ziemlich weit hinten in der Hörergunst Berlin-Brandenburgs. “Da könnte man fragen, ob das an der Musikauswahl liegt“, lacht er. Radszuhn erwartungsgemäß: “Es gibt keine Zensur, aber es muss ins Programm passen.“ Man probiere, das Beste der Pop- und Rockmusik der letzten dreißig Jahre ins Programm zu bringen – aber die Puhdys laufen bei uns nicht, das ist nicht unser Sound. Marius Müller -Westernhagen auch nicht, der ist uns zu betulich geworden.“ Natürlich gebe man durch die Musikauswahl automatisch einen Kaufimpuls, forme Geschmack, Hörgewohnheiten.
Auch der SFB weist Vorwürfe zurück, Ostmusik zu benachteiligen.

Auffällige Disproportionen bei Tantiemen
ORB- Antenne-Musikchef Martin ist die wirtschaftliche Dimension einseitiger Titelauswahl, die Wirkung in Heller und Pfennig sehr bewusst. „Westdeutsche Künstler verdienen in den Ostradios viel mehr an Tantiemen als die ostdeutschen, letztere aber eben sehr viel weniger in den Westradios.“ Dass die Wende Ersteren finanziell sozusagen einen warmen Regen ohne Ende brachte, weiß Arndt Bause, des Ostens erfolgreichster Schlagerkomponist, aus allererster Hand. Gäbe es in der DDR die Goldene Schallplatte, er hätte mindestens fünfzehn davon, gar nicht so wenige seiner rund 1300 Tanzmusiktitel wurden auch im Westen Hits. Schon zehn Jahre vor der Wende hat er ein Dauervisum und drei West-Limousinen, kennt drüben alle Großen des Musikbusiness persönlich und natürlich auch seine ebenso erfolgreichen Komponistenkollegen. Nach dem Mauerfall sagt ihm einer in München: “Junge, Bause, ich kriege jetzt immer jährlich Hunderttausende Mark mehr, weiß gar nicht, wo ich das verdient haben soll!“ Der geborene Leipziger kontert schlagfertig, ironisch: “Das ist eigentlich mein Geld, das ist aus den neuen Bundesländern, denn Du bist jetzt auf meinem Markt, wo ich kaum noch gespielt werde!“ Dabei kommt Bause immer noch vergleichsweise bestens über die Runden, Hits wie „Sing mei Sachse sing“ sind gerade in seiner Heimat schwerlich totzukriegen. Doch so viele andere Komponisten, Texter, Schlagersänger, alles Freischaffende wie er, hatten nach der Wende plötzlich keine Arbeitsstelle mehr, keine Anlaufstelle, überlebten den Tantiemenabfall beruflich nicht, hatten kein Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung. Manchen gehe es existenziell richtig schlecht. „Da gibt’s viele tragische Fälle – Andreas Holms Frau hat glücklicherweise eine Bockwurstbude in Westberlin.“ Bauses ebenfalls hochmusikalische Tochter Inka, ausgebildete Schlagersängerin, hat’s aber im Westen gepackt, ist eine ganz, ganz große Ausnahme, moderiert eine TV-Sendung im Hessischen Rundfunk. „Damit verdient sie aber mehr als mit Singen – das macht die nebenbei, als Luxus.“ Auch Bause hatte nach der Wende Illusionen. „Mit dem Markt kann gar nichts passieren – ich kenne die wichtigen Leute drüben ja alle. Bis ich merkte – die wollen nichts von uns. Der Westen wollte nur unseren Markt von sechzehn Millionen CD-Käufern, aber nicht unsere Künstler, die Autoren gleich gar nicht.“ Symptomatisch ist für ihn der Umgang mit der einzigen DDR-Schallplattenfirma Amiga. Die Treuhand gab sie mit Hintersinn ausgerechnet an einen norddeutschen Autohändler. „Der hatte von Schallplatten überhaupt keine Ahnung, andere Absichten.“ Denn der Stammsitz war das schöne Reichstagspalais am Brandenburger Tor. Als man das dem Autohändler mitvermachte, war klar, man wollte es zurück. „Der Autohändler erhielt vier oder fünf Filet-Grundstücke in Berlin-Mitte geschenkt – für ihn war damit die Schallplattenfirma erledigt, so lief der Trick!“ Bause weiß von vielen solcher Deals, über die nie etwas veröffentlicht wurde. Danach hatte der Radio- und TV-Abwickler Mühlfenzl den verdeckten Auftrag, alle DDR-Schall- und Filmarchive an den Medienmogul Leo Kirch zu verkaufen. „Ein ganz mutiger Ossi bekam davon Wind, flog auf der Stelle nach Frankfurt/Main zum Bundeszentralarchiv, erklärte denen: “Wenn ihr nicht sofort alles beschlagnahmt, hat’s Kirch!“ Andernfalls müsste der ORB heute von ihm für jeden DDR-Film, jedes Musikdokument erst die Rechte teuer kaufen. Doch so leicht ist Bause nicht ganz aus dem Geschäft zu drängen, machte ein Kindermusical, das ein Fahrradhersteller sponsert, produziert andere Künstler, komponiert der Not gehorchend sogar Werbetitel, Volksmusik. „Ist nicht mein Niveau, sage ich Ihnen ehrlich.“ Als das MDR-Fernsehen letztes Jahr über vier Stunden ihm einen „Langen Sonnabend“ widmet, ist die Resonanz direkt überwältigend, mit Kauf -und Wirtschaftsimpulsen aller Art: Ein sächsischer Tiefkühlkost-Hersteller engagiert Bause prompt für eine Werbe-CD, klärt ihn auf, wie Marktbereinigung in anderen Branchen funktioniert. Ihm habe eine weit größere westdeutsche Firma für seine drei Produktionsstandorte fünfzehn Millionen Mark geboten, um sie nach dem Kauf sofort dichtzumachen. Aber weil das zweihundertsechsundachtzig Sachsen den Arbeitsplatz gekostet hätte, sagte Bauses neuer CD-Auftraggeber ab. Nach Reinhard Lakomys unerwartetem Bucherfolg brachte der Verlag „Das Neue Berlin“ jetzt ein von Bause verfasstes, spritzig-polemisches Insider-Werk, „Der Mann mit der goldenen Nase – über Hits und das ganz normale Leben“ heraus, Gisela Steineckert liefert darin die Gegenstandpunkte. Doch dass er ausgerechnet im wichtigsten öffentlich-rechtlichen Hauptstadtsender ausgebremst wird, noch zehn Jahre nach der deutschen Einheit, das bringt ihn hoch. Nachdem der SFB Ende letzten Jahres mal in einer Sendung drei Titel von ihm spielte, habe ein Abteilungsleiter bekundet, diese von der DDR-Regierung verordnete Musik nicht mehr im Sender hören zu wollen. “So was ist reine Dummheit – regierungsverordnete Musik machte ich nie. Der SFB tut so, als hätten die anderthalb Millionen Ostberliner keine musikalische Vergangenheit – wir werden ausgegrenzt, und das ist kriminell. Diese nicht unerhebliche Klientel muss berücksichtigt werden.“
Alles nur gekränkte Eitelkeit eines Ex-Privilegierten mit Künstlermarotten?

Musikvertrieb mit Hindernissen – „Medienmanipulation schlimmer denn je“
BMG-Manager Jörg Stempel, der mit seinem Amiga-Label seit 1994 für den Gütersloher Weltkonzern nach eigenen Angaben jährlich um die zehn Millionen Mark Umsatz einfährt, haut interessanterweise in die gleiche Kerbe. „Ostbands spielen wir nicht“, hört er ganz unverblümt bei seinen Promotion-Touren durch öffentlich-rechtliche Sender der Alt-Bundesländer, kriegt es sogar schriftlich. Und das immerhin sogar bei einer Gruppe wie City, die durch ihren Hit “Am Fenster“ noch vor den Puhdys im Westen am bekanntesten ist, als einzige Ost-Gruppe von BMG nicht nur Gold, sondern sogar Platin verliehen bekam. Stempel und sein Team stellen sich auf den Kopf, um brandneue Titel oder Ost-Oldies auf die sogenannte Playlist der Radios zu kriegen, vergeblich. Denn wer auf dieser Liste steht, wird zehnmal und mehr pro Woche gespielt, was natürlich, wie überall auf der Welt, Riesenauswirkungen auf die CD-Verkäufe hat. Wenn also ein Musikchef dem Promoter Stempel erklärt, dass er ihm den City-Titel erst gar nicht vorzuspielen brauche, heißt das mit anderen Worten: Bei anderen Künstlern werden die Verkäufe hochgetrieben, aber nicht bei denen aus dem Osten. Das ärgert Stempel schwarz, ist geschäftsschädigend für ihn und alle am Amiga-Label hängenden Ostkünstler gleich mit. Die sind deswegen zehn Jahre nach der Wende spürbar nicht gerade auf einem Stimmungshoch, ganz im Gegenteil. Hinzu kommt: “Wir haben kaum Geld, um richtig PR, Marketing zu machen!“ Das liegt an den Oberentscheidern in Stempels eigenem Hause. Und ohne knackiges Marketing, siehe oben, floppt heutzutage selbst beste Qualität. „`Ne Menge guter CDs mit richtig geiler Musik“, so der frühere Puhdys-Manager zum telegraph, „fällt deshalb einfach durch die Roste. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Ostbands auf dem Radiomarkt, der wichtige Kauf- und Geschäftsimpulse gibt, gegenüber vergleichbaren Rockbands aus dem Westen benachteiligt werden.“ Bitter, wenn Stempel mitansehen muss, wie neue CDs seines Labels wegen mangelnder PR ein Flop werden.
Disponenten beobachten täglich die „Warenbewegungen“, fragen irgendwann bei ihm an: “Können wir die Ware vernichten?“ Mit zwanzig, dreißig Sängern, Gruppen ging ihm das so, Namen will er aus Fairness nicht nennen, weil der Misserfolg am „Markt“ nichts mit dem Wert der Musik zu tun habe. „Ohne Lobby, Beziehungen läuft im Westen nichts, das ist viel, viel schlimmer als damals im Osten mit Vitamin B, Connections.“ Jazzerin Uschi Brüning: “Der Westen bewegt sich in seinem eigenen Filz.“ Manche im Westen hätten die Grundeinstellung, so Stempel, Ostmusik sei hinterwäldlerisch, sowieso immer durch Stasi und Kulturministerium kontrolliert worden, die Texte – eine Art spezieller DDR-Poesie, für Westhörer gar nicht verständlich. „Alles fadenscheinig. Ich sehe in Deutschland definitiv keine Chancengleichheit für Künstler, Bands aus dem Osten, die werden überall behindert, Fußangeln vorne und hinten, geschäftsschädigend. Deshalb sind die meisten auch frustriert – zu Recht. Ganz anders als vor der Wende geben beispielsweise die Puhdys von hundert Konzerten nur noch an die acht im Westen, Karat und City eventuell fünf. Anderen geht’s genauso.“ Stempel weiß sehr gut, wie viele gute Musiker Brief- und Zeitungsausträger, Versicherungsvertreter, Steuerberater, Gelegenheitsjobber wurden. Über Presse, Rundfunk, Fernsehen weiß er zwangsläufig durch täglichen Kontakt mehr als genug, hat jede Menge Insiderinformationen. Und urteilt deshalb: “Die Medienmanipulation ist derzeit schlimmer denn je – ich werde nirgendwo mehr objektiv informiert, fühle mich wirklich auf übelste Art und Weise manipuliert.“
Andere Völker, andere Sitten und Geschmäcker in der globalisierten Welt, man wird ja mal vergleichen, über den Gartenzaun schauen dürfen. Stempels BMG hat beispielsweise in Brasilien, einem der führenden Musikmärkte, die größten nationalen Stars, wie Chico Buarque und Caetano Veloso, unter Vertrag, macht für die enorme PR. Einheimische Künstler halten bequem einen Marktanteil von etwa achtzig Prozent auch im Radio, jede mittlere Sambakapelle setzt mehr CDs um als etwa Madonna trotz Millionenmarketing auch am Zuckerhut. Doch die Alte Welt bewundert sie, macht den ganzen Kommerz-Kult ungebrochen mit, hält sie gar für den Inbegriff neuer weiblicher Erotik, die Sender, Gazetten und Illustrierten jubeln die Kalifornierin hoch – doch in Brasilien wird der US-Star von Anfang an gnadenlos verrissen, ausgelacht, selbst der brasilianische „Playboy“ nennt sie öde, plump, grob und langweilig, lässt kein gutes Haar an ihr, singen könne Madonna gleich gar nicht.

Buschfunk im leichten Aufwind – „kulturelle Kolonisierung“
Dr. Klaus Koch, Gründer, Chef der Buschfunk Musikverlag GmbH in Berlin, hat nicht Stempels Temperament, gilt als „pessimistischer Optimist“, eine durchaus treffende Beschreibung, und ist am Erfolg des 94er BMG-Amiga-Labels beteiligt. Denn Buschfunk existierte bereits seit Ende 1989, als außer Koch und ein paar anderen Versprengten wohl wirklich alle Welt, inbegriffen die BMG-Spitze, dachte, dass es mit der Ostmusik nie und nimmer mehr was werden würde. „Wissen Sie, was das für ein Gefühl war, drei Jahre nichts zu verdienen, grade mal die Benzinkosten, während andere mit dicken ABM-Geldern durch die Gegend liefen?“ Dann steckte auch noch sein Kompagnon auf, „wegen fehlender Gewinnaussichten“. Heute, elf Jahre später, läuft das Unternehmen stabil, hat fünf feste Mitarbeiter. „Mein Glück war, dass ich mir keinen Wessi reingeholt habe – weil das ja fast immer schiefging.“ Ostdeutschlands wichtigstes Label, dazu größter unabhängiger Musikvertrieb und Mailorder-Versand mit an die Zwanzigtausend stabilen Kunden, macht einen Jahresumsatz von über vier Millionen Mark, vertreibt auch Stempels Amiga-Scheiben mit, doch vorwiegend inzwischen Eigenproduktionen. „Bestimmte Handelsketten begriffen, dass wir Verkaufsfähiges haben – da kommt es dann auch zu einer vernünftigen Zusammenarbeit“. Konkurrenz? „Die Marktchancen sind so klein, dass da kaum noch jemand Platz hat.“ Koch organisierte außerdem über achthundert Konzerte, ganze Tourneeprogramme. Buschfunk ist nach wie vor für viele Ost-Künstler überlebenswichtig, die nach der Wende schlagartig überhaupt keinen Ansprechpartner mehr hatten. „Denn auf einmal“, erinnert sich Koch, “war alles westlastig, saßen in den Entscheidungsgremien Westdeutsche, die nicht wussten, was das da für Bands, Interpreten waren, ob und welchen Wert, Verkaufswert die haben. Da brachte man natürlich die Künstler aus der eigenen West-Biographie, die man kannte, rein ins Geschäft.“ Kein Hahn krähte damals nach Gerhard Schöne, keiner wollte ihn haben – und so produzierte, vertrieb eben Buschfunk 90/91 dessen erste, wider Erwarten gut verkaufte CD, danach weitere, erhielt prompt den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ und den „Leopold-Medienpreis“ – die Scheiben stehen alle bei Karstadt, Kaufhof, Saturn, Media-Markt. „Gerhard Schöne ist fast der einzige Ost-Künstler, der den Dresdner Kulturpalast füllt – aber weil er im Radio nicht vorkommt, denken viele, den gibt’s gar nicht mehr.“ Die Ostikone Gerhard Gundermann, Baggerfahrer, natürlich auf Kochs Label, ist leider verstorben, trat sogar zusammen mit Bob Dylan und Joan Baez auf. Die Engerling-Blues-Band hat auch nach der Wende noch Kultstatus, lässt sich von Buschfunk vermarkten. An die siebzig eigene CDs zählt der Katalog inzwischen, viele davon bekamen Preise, gehen an rund Zweitausendfünfhundert Läden in ganz Deutschland, dazu noch Konzertvideos und Liederbücher. Nach dem Beispiel des zwar hochgelobten, doch nicht im Radio gespielten Gerhard Schöne vorsichtig geworden, fragt man, welche Buschfunk-Künstler denn noch so in den Sendern des vereinigten Deutschlands keine, so gut wie keine Chancen haben. „Alle“, reagiert Koch trocken, „die Nischen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden immer kleiner, der gleicht sich den Privaten an. Ich habe mich damit abgefunden.“ Damit meint er auch jene von Reinhard Lakomy bei sich zuhause produzierte, natürlich von Buschfunk vertriebene Ost-Befindlichkeiten-CD mit Titeln wie „alles Stasi, außer Mutti“. Andere Künstler, wie Schöne, kommen wirklich bestenfalls mal beim MDR auf den Teller, der immerhin eine CD des Liedermachers zusammen mit Buschfunk produzierte. Doch ausgerechnet drei Spiele sind das „unmusikalische Standbein“ ,von einer Art DDR-Monopoly (Überholen ohne einzuholen, Es geht seinen Gang, Bau auf!) setzte die im Prenzlauer Berg beheimatete GmbH über Zweihundertfünfzigtausend Stück ab, wurde damit nebenbei auch erfolgreichster ostdeutscher Spielehersteller. Und bekam dadurch, so Idealist Koch, das Geld rein, um CDs zu produzieren, die sich nie rechnen würden. Dem gelernten Kulturwissenschaftler, früheren Leiter des Leipziger Studentenklubs „Moritzbastei“ geht’s um die Pflege einer „kulturellen Identität der Ostdeutschen“, um „poetisch engagierte deutschsprachige Musikkultur“. Daher weiß er auch sehr genau, wer sich überhaupt, und mit wie viel, noch so über Wasser hält im Osten. „Wir waren bestimmt das Liedermacher-reichste Land der Welt – doch von jeweils hundert sind höchstens fünf übriggeblieben.“ Ähnlich sind die Relationen bei den Rockbands, auch da wurde künstlerische Ost-Kompetenz reichlich plattgemacht. Von den wenigen „Großen“ abgesehen, liegen heute die Einkünfte der freiberuflichen Künstler im mittleren ostdeutschen Niveau, bei etwa Siebzigtausend Mark brutto, „meistens eher darunter als drüber“. Und oft geht’s nur weiter, weil der Lebenspartner einen festen Job hat. Wie beim Sport habe es früher ein relativ gutgespanntes Netz der Talentsuche gegeben – heute komme aus dem Osten, bei den paar Verlagen und Plattenfirmen, entsprechend wenig. „Wo soll denn, beispielsweise in Chemnitz, heute ein neues Talent hin, in welchen Club, um sich zu erproben, vor interessiertem Publikum die Wirkung zu testen?“ Auch da stellt sich die Frage der Ost-Förderung, wie bei der Ost-Musikbranche insgesamt.

„Dank“ an Erich Honecker
Wenn schon BMG-Stempel kaum Mittel für anständige PR bekommt, Buschfunk-Koch hat sie erst recht nicht, lebt schlecht und recht von fortdauernder Beliebtheit seiner Ost-Musiker. „Da bedanke ich mich immer bei Erich Honecker – obwohl er gar nichts dafür kann – aber der hat die Leute alle damals bekannt gemacht.“ Manche davon bewahrten realitätsfernen Eigensinn bis in die Marktwirtschaft hinein, erwarten wohl von Koch auch finanziell gelegentlich Unmögliches. „Ein Teil der Künstler hat ein sehr eigenes Naturell, hätte früher, wenn was nicht so klappte, die Platte nicht gleich im Laden war, sofort einen Ausreiseantrag gestellt. Heute verstehen die nicht, dass das nicht mehr so geht“, lacht Koch doppelbödig-ironisch. „Wenn man nicht allzu sehr aneckte, funktionierte die DDR für manche doch wunderbar als Biotop – der ist nun weg.“ Ganz natürlich, dass die „DDR-Überproduktion an Rockmusikern und Liedermachern“ habe abgebaut werden müssen – auch Stempel weiß, dass es um manche Schrott-Combo wirklich nicht schade ist. Den Buschfunk-Chef nervt ebenfalls, dass kulturelle Ostprodukte nur zu oft sofort als Ostalgie denunziert, abgewertet werden. „Der Westdeutsche macht sich keine Gedanken, dass er natürlich genau solche Gefühle hat, wenn er an seine Lords und Rattles, an seinen Heino denkt, seine Regionalbands pflegt.“ Spötteln zwar die Hauptstadtgazetten abwertend über Kochs Künstler, kommen die in der Presse von Rostock, Dresden oder Chemnitz weit besser weg, sitzen dort in den Redaktionen, wie viele Bands und Sänger bestätigen, offensichtlich mehr sensible Journalisten. Als Kulturwissenschaftler mit Doktorgrad reflektiert Koch natürlich über die “kulturelle Kolonisierung“, die bis in die feinsten Verästelungen hinein stattfinde. „Jeder mit normalem Blick erkennt, dass es genau so ist.“ Kein Geheimnis, und inzwischen durch Studien ausführlich belegt, dass auch im Kulturbereich der Ex-DDR rund die Hälfte der Führungspositionen nicht mehr von Ostdeutschen besetzt wird, allgemein der Prozentsatz westdeutscher Positionsinhaber um so höher ist, je höher man sich in den Führungshierarchien befindet. Schon 1991 stand immerhin sogar in der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“: “Objektiv gesehen, läuft alles auf eine Kolonialisierung der Wirtschaft und Gesellschaft der ehemaligen DDR hinaus. Schon die an die neuen Bundesbürger herangetragenen Erwartungen, die westlichen Werte, Lebens- und Arbeitsstile schleunigst zu verinnerlichen, entspringt kolonialer Denkweise.“ Der Kolonisator, argumentiert Fritz Vilmar in seiner Wendebilanz, ist darauf angewiesen, die Geschichte der Kolonisierten verschwinden zu lassen.

City: „Fremdbeherrscht“
Was Buschfunk mit seinen vielen Aktivitäten an Umsätzen schafft, bringt City, oder besser, die K & P Music GmbH beinahe alleine. Das K steht für Sänger Toni Krahl, das P für den Gitarristen Fritz Puppel, der von Ökonomie und Finanzen offenkundig ebenso viel, oder mehr versteht als von Musik, womöglich intensiver als jeder andere Ost-Künstler gleich zu Wendezeiten strategisch völlig richtig Tricks und Kniffe der Marktwirtschaft studierte. „Sofort nach dem Mauerfall gründeten wir die erste unabhängige Plattenfirma der DDR neben Amiga, mit Agentur und Musikverlag, haben von den Großen auch Karat unter Vertrag, ein Joint Venture mit BMG. Der Konzern kaufte Geschäftsanteile von City, unser Mitgesellschafter ist Reinhard Mohn.“ In Gütersloh wird gepresst, vertrieben über Jörg Stempels BMG Berlin Musik GmbH, „ein Riesenvorteil“. Das rechnet sich für City – und Karat – dann ganz anders als zu DDR-Zeiten. Da wurde im Osten von der LP „Am Fenster“ zwar eine Million verkauft, doch wie bei sämtlichen anderen Bands ebenfalls üblich, erhielt City lediglich für die Studio-Produktion eine einmalige Überweisung von 1400 DDR-Mark. Den Hit „Am Fenster“ nennt Puppel „Fluch und Verpflichtung zugleich“, weil die Band im Westen eigentlich auf diesen Titel reduziert wird, das SFB-ORB-Jugendradio Fritz ihn per Hörerumfrage jetzt widerwillig zum „besten deutschsprachigen Popsong des zwanzigsten Jahrhunderts“ küren musste. Das Kuriose dabei: „Alte Bands wie City spielen wir gar nicht“, sagt Fritz-Musikredakteur Frank Menzel, Ex-DDR-Tontechniker, hatte, wie es sich gehört, pflichtbewusst auf Nena getippt. Zu den Bands im Osten seien die Leute doch damals nur hingegangen, „weil’s nichts anderes gab“. Menzel musste dann erleben, wie Joachim Witt im Finale mit seinem „Goldenen Reiter“ gegen Toni Krahl und Fritz Puppel unterlag. Dabei waren, und das spricht Bände über die Sender-Linie, unter den einhundertachtundzwanzig vorgegebenen Songs laut Menzel gerade mal sechs, acht Osttitel dabei. „Warum soll ich ne Karat-Nummer von 1999 spielen, die objektiv schlecht ist?“ Kommentar überflüssig. Entsprechend hart urteilt Puppel: „Das Hauptproblem sind tatsächlich die Medien, da sind wir fremdbeherrscht. Manche glauben, dass sie mehr Hörer erhaschen, wenn sie von sich streifen, irgendwas mit dem Osten zu tun zu haben, das ist so `ne psychologische Sache.“ Gerade die Öffentlich-Rechtlichen würden sich nur zu oft aus der Verantwortung stehlen, was für ihre „Local Heroes“, bekannte wie unbekannte, zu tun. „Wir leben in einer Medien-Marketing-Gesellschaft – also sind Dreh- und Angelpunkt unserer Branchenschwierigkeiten die Medien. „Musik müsse man nun mal hören. „Wenn Madonna nicht gespielt wird, kauft auch keiner ihre CDs.“ Doch selbst auf dem Veranstaltungsmarkt sieht er Benachteiligungen. “Wir werden oft nur als Quotenossis eingeladen, bei irgendwelchen Jahres- und Feiertagen, so wie am Brandenburger Tor zu Zehn Jahren Mauerfall. Spielen wir in Wiesbaden zusammen mit BAP, toben die Leute auch – aber selbst dort sind wir nur der Quotenossi“, lacht Puppel ironisch. Und vergisst nie zu betonen, dass City im Vergleich mit anderen Ostbands noch fein raus ist. Zu Udo Lindenbergs Rock-gegen-Rechts-Festival, City ist dabei, hatte man drei andere große Ost-Namen – Dirk Michaelis, Andrè Herzberg und Dirk Zöllner – erst zur Deutschland-Tournee eingeladen, dann aber vorher abserviert. Manager Raik Zöllner: “Die drei Highligen sind verheizt worden, zugunsten von Bands, von denen sich die Musikindustrie mehr Profit versprach.“ Seine Nach-Wende-Erfahrung: “Wenn man nicht verheimlicht, aus dem Osten zu kommen, ist man von vornherein in einer Schublade. Da kann man noch so trendy und soundtechnisch top sein – man hat das „O“ auf der Stirn, wird es nicht los.“ Um den Verdacht zu vermeiden, Ostdeutsches zu pushen, legten Ex-DDR-Redakteure ihren Chefs bestimmte Themen erst gar nicht mehr vor.

CITY BEI KANZLER SCHRÖDER: OST-FÖRDERUNG FÜR DIE MUSIKBRANCHE
Bei jeder sich bietenden Gelegenheit gehen Puppel und Krahl für die Ost-Musikbranche, deren marktfähige Produkte auf die Barrikaden, treten gezielt Kulturreferenten, Kultursenatoren auf die Füße, laden bei Westtourneen gezielt Spitzenleute ein, um auf die Probleme hinzuweisen. Und argumentieren keinen Deut anders als Bause, Biege oder Lakomy. Im Unterschied zu denen kommen sie als Ost-Vorzeigeband natürlich auch an den Kanzler heran, trugen Gerhard Schröder, für dessen SPD sie mal im Wahlkampf spielten, im Staatsratsgebäude das ganze leidige Thema ausführlichst vor. „Was ich Schröder da erklärte, wird er wohl eingesehen haben – nur steht es auf seiner Prioritätenliste vermutlich auf Platz 999.“ Ost-Förderung müsse auch Musikbranchen-Förderung sein, sonst würden Potenzen, Kapazitäten verschenkt, Künstler mit Marktwert demotiviert – doch gemacht werde bisher nichts, regiere das Taube-Ohren-Prinzip. Bestimmte Funktionsträger, manche, die sich als „Anwalt des Ostens“ verstehen, hätten da ein neues Betätigungsfeld, das sogar Imagegewinn verspricht. Auch Puppel weiß natürlich, wie sich Politiker, Regierende anderer Länder, ganze Staaten mit ihren nationalen, regionalen Musikanten schmücken. Politik soll auch Selbstwertgefühl, Bindung und Identifikation stärken – das leistet, wie man weiß, ebenso Kunst, Kultur, Musik, überall auf der Welt. Der Band-Gitarrist erinnert sich noch gut an eine Nach-Wende-Episode: City war zur MDR-Riverboat-Talkshow geladen, doch kein einziger Redakteur, „durch die Bank alle aus dem Westen“, hatte die leiseste Ahnung, geringste Idee von der Band, kannte sie gar nicht, „man behandelte uns wie Kabelträger. Das ist natürlich Kolonialstil“. Wie es in den Medien läuft, weiß Puppel nur zu gut, hörte über Ostmusik von einem Redakteur: “Wenn ich das spiele, fliege ich raus.“ City gibt’s 2002 dreißig Jahre – „fast ein Wunder, dass wir noch da sind.“

REGIONALMARKE PUHDYS – KEIN ENDE IN SICHT
So sehen es wohl auch die Puhdys, des Ostens Nummer Eins, nachdem sie sich immerhin ganz planmäßig nach zwanzig Jahren am 19.11.1989 aufgelöst hatten, nur noch junge Bands in eigenem Studio produzieren, vermarkten wollten. Doch Sänger Birr, „Maschine“, wurde selbst an der Tankstelle immer wieder von wildfremden Jugendlichen angesprochen: “Hey Alter, wann spielt ihr denn endlich mal, wir wollen die Puhdys wieder!“ Zum aller ersten Konzert in Dresden, erinnert sich ihr Ex-Manager Jörg Stempel, kamen über dreitausend Leute, „da waren die von den Socken“. Schon längst gehen die Jahresumsätze der Band-Firma in die Millionen. Birr ist heute weiter denn je von der Rockerrente entfernt, hat als einziger Ost-Rocker eine eigene Rundfunksendung, kennt deshalb das Radiogeschäft sogar bestens von innen, hat auch per Hörerkontakt das Ohr an der Masse. „Dass der DDR-Rock so populär wurde, hat man dem DDR-Rundfunk zu verdanken.“ Als ihn der Privatsender „Rockland Sachsen-Anhalt“ für „Maschines Rockfabrik“ engagierte, jeden Sonnabend von mittags zwölf bis sechs, „inzwischen richtig Kult“, legte er anfangs kaum Ostmusik auf. „Doch dann sagten die Hörer, wir wollen mehr davon, ich spürte die Rückbesinnung, die neue Ost-Befindlichkeit.“ Jetzt nimmt Birr in jede Sendestunde mindestens einen Song von Pankow, Silly, Transit und den anderen, „uns spiele ich auch jedes Mal.“ Und weiß gut, mit dieser Musikauswahl ebenfalls deutschlandweit die Ausnahme von der Regel zu sein. Dass Maffay im Osten viel, die Puhdys im Westen aber fast gar nicht gesendet werden, ist ihm natürlich auch längst aufgefallen. “Gerade bei unseren neuen Produkten gibt’s viele Probleme, weil die Sender sagen, das passe nicht in ihr Format rein. Und werden sich nicht umstimmen lassen.“ Aber resignieren dürfe man deshalb nicht. „Wir spielen deshalb viel live, fast jedes Wochenende.“ Birr stimmt City-Puppel zu, dass Ost-Gruppen Fehler bei der Eigenvermarktung machen, damit der eigenen Popularität schaden. Und mutmaßt nicht als einziger, dass es bei der noch unlängst so beliebten Berliner Band Pankow wohl daran lag, dass sie jetzt einging, nicht mehr genug Konzerte bekam. „Marketing hatte man im Osten damals nicht so kennen gelernt – manche Musiker haben immer noch nicht die richtige Nase dafür, obwohl es heute so überaus wichtig ist.“ Dafür gebe es doch Experten, mit guten Konzepten. Der absolute Wahnsinn, so Sänger und Musikredakteur Birr, was heute Plattenfirmen unternähmen, um einen einzigen Titel populär zu machen, da flössen Millionen. Die macht für neue Puhdys-Songs, trotz der Band-Kompetenz, die Berliner Waldbühne oder die Dortmunder Westfalenhalle zum Kochen zu bringen, aber eben niemand locker. „Es reicht leider nicht mehr aus, nur gute Musik abzuliefern. Wie heute Mädchen für Neue Bands ausgesucht, trainiert werden, ist schlimmer als Leistungssport.“ Da hat auch Harmonika-Musikproduzent Hansjoachim Seiferth seine einschlägigen Erfahrungen. „Ostdeutsche Komponisten, Autoren, Interpreten und Musikanten tun sich beim durchaus üblichen, alltäglichen Klinkenputzen äußerst schwer, handeln oft mit guten Produkten, aber in schlechter Verpackung.“ Das Management – hilflos, unprofessionell, und kritikabel schon das Auftreten. Manche dächten, alles müsse noch wie zu Zeiten der DDR-Konzert- und Gastspiel-Direktion ablaufen, wollten keinerlei Kompromisse machen, oder nur das schnelle Geld.

MAGERE GAGEN, NEBENJOBS
Lift-Sänger Werther Loose jedenfalls verbreitet, was Rückbesinnungs-Trends betrifft, noch mehr Optimismus als Birr von den Puhdys. Die Rundfunk-Tantiemen sind minimal, spielen kaum eine Rolle in der Band-Kalkulation, an CDs aus dem BMG-Katalog wurden nach der Wende etwa Fünfzigtausend abgesetzt, davor in Vinyl zehnmal so viel. Man lebt vom Live-Geschäft. „Jeder von uns hat jährlich über Achtzigtausend brutto, aber es wird von Jahr zu Jahr mehr.“ Um bei den mageren Gagen einen besseren Schnitt zu machen, macht Lift selber den Veranstalter, mietet Hallen, Freilichtbühnen an, produziert neue CDs ganz alleine, lässt sich jetzt von einem Chemnitzer Vertrieb vermarkten. „Die kennen uns, da ist Identifikation da, die tun wirklich was für uns.“ Fans, neue wie alte, kommen in größerer Zahl zu den Konzerten. Für 2001 sind schon mehr gebucht als im Vorjahr. Loose machte sich folgenden Reim: “Je mehr man auf die Ost-Kultur einprügelt, sie abwertet, um so mehr fühlt, sagt das Publikum: Nun grade. Da ist ein gewisser Stolz bei den Leuten.“ Erfahrungen mit den Medien hat Loose ebenfalls genug: “Selbst bei den Sendern, die deutsche Oldies spielen, liegt es an den Vorgaben, dass Osttitel so gut wie nie vorkommen. Auch in den Ost-Anstalten sitzen an den oberen Stellen eben doch meist West-Leute. “Lift, electra und Stern Meissen touren neuerdings mit ihrem „Sachsendreier“ durch die neuen Länder, die CD davon vertreibt Buschfunk. Bei einem Auftritt vor etwa zweitausend Menschen entfällt auf Looses Band an die siebentausend Mark. Die beiden anderen können von der Musik alleine schon nicht mehr leben, spielen, wie es Martin Schreyer von der einst so berühmten Stern-Meißen-Combo nennt, leider nur noch „just for fun“, wegen der ungünstigen Rahmenbedingungen. Im Westen durfte die Band nie spielen – das nützt ihr heutzutage gar nichts, bringt keineswegs etwa nennenswerte Rundfunktantiemen. “Selbst Musikredakteure mit weiterem Horizont müssen sich an die Befehlshierarchien halten, spielen, was vorgeschrieben wird. Im Business gibt’s für Ostbands keine Chancengleichheit.“ Schreyer hat ein Tonstudio, produzierte dort Gerhard Schöne, einmal auch Karat. Andere schlagen sich als Musiklehrer, Werbe-Jingle-Produzent, Studiomusiker durch, finanzielle Schwierigkeiten bleiben nicht aus. Kein Thema für Reinhard Lakomy. „Mir geht’s materiell besser als vorher, ich kann nicht klagen.“ Selbst im Berliner KaDeWe, freut er sich, erkennen ihn Ost-Verkäuferinnen sofort, wollen Autogramme, doch die Westberliner Kolleginnen daneben verstehen nur Bahnhof. Lakomys Mini-Unternehmung, an der neben seiner Frau, der Texterin und Kinderbuchautorin Monika Ehrhardt, der hinreißend spontanen, witzigen Bühnenpartnerin Carmen Hatschi noch an die fünf Leute beteiligt sind, bringt ihm Jahresumsätze bis zu einer halben Million, wegen der nach wie vor erfolgreichen Spezialstrecke Kindermusik will, nach einer in Halberstadt, demnächst bei Cottbus eine zweite Schule seinen Namen tragen.

GYSI UND BISKY GESCHÄFTSSCHÄDIGEND?
Auf den Mund war Lakomy noch nie gefallen, ist nach wie vor erfrischend direkt. „Im Osten veröden die Theater – da sind die froh, wenn wir kommen und es mal wieder voll ist.“ Die letzte Erwachsenen-CD mit Titeln wie „Alles Stasi außer Mutti“ werde wohl deshalb nicht gespielt, weil sie sehr politisch sei. „Kommt hinzu, dass wir bekanntermaßen mit Gregor Gysi, Lothar Bisky und seiner Familie sehr befreundet sind.“ Dabei habe das mit Politik gar nichts zu tun. „Was glauben Sie, wie oft ich dem Bisky sage, wie Scheiße ich seine Partei eigentlich finde inzwischen.“ Typen von ORB oder MDR werde er jedenfalls nicht in den Hintern kriechen, nur um ein paar Mark mehr zu verdienen. Bislang überweist ihm die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte/GEMA jährlich bis zu Dreißigtausend Mark – da verdient er am neuen Buch schon weit mehr, dessen überraschender Erfolg andere Ostmusik-Stars jetzt zum Nacheifern ermutigt. „Wir müssen was gegen die Entwertung unserer Biographien tun.“ Plattenlizenzen bringen bis zu viertausend Mark. Ohne Konzerte ginge es also gar nicht. „Im SFB wurden wir bei einer Sendung behandelt wie der letzte Dreck – unsere Künstler brauchen mehr Medienpräsenz, Auftritte im Westen, da muss endlich Gleichberechtigung her, der Osten hat nicht nur Spreewälder Gurken und Rotkäppchen-Sekt zu bieten. Die sind die Sieger, wir die Unterlegenen – und genauso behandeln sie uns.“ Für Lakomy ist nicht hinnehmbar, Platt-macherei, dass Top-Musiker mit eigentlich hohem Marktwert, Saxofonisten, Trompeter, ganze Tanzorchester „weg sind von der Bildfläche“, ein As wie Hubert Katzenbeier, für ihn einer der größten Posaunisten und Jazzer, heute in einer Rumpelband Umptata-Musik machen muss. „Das ist ein solcher Abstieg, unglaublich.“ Nur selten folgte auf jähen Absturz der Aufstieg: Peter „Bimbo“ Rasym, „einer der besten Bassisten, die hier rumlaufen“, hielt sich und seine Familie nach der Wende als Vorführ-Standverkäufer vor einem Westberliner Karstadt-Kaufhaus mühselig über Wasser, bis ihn die Puhdys holten, „er jetzt gute Kohle macht“. Inzwischen kennt Lakomy so ziemlich alle Großen von der anderen Seite persönlich, auch Liedermacher wie Konstantin Wecker. Er vermisst aber Solidarität. „Selbst Grönemeyer nennt es mies, dass wir so an die Wand gedrängt sind – aber alles nur Sprüche!“ Wenn es nach Lakomy ginge, könnten die Westkollegen ruhig mal bei ARD und ZDF reklamieren, wie man mit den Ostkünstlern umspringt.

UNBEKANNTE VOR-WENDE-MUSIKEXPORTE
Was den Marktwert des Ostprodukts Musik betrifft – nicht nur Karats „Sieben Brücken“ wechselten lange vor der Wende nach drüben, weil sich Plattenfirmen, Interpreten wie Maffay davon guten Gewinn versprachen. Es weiß nur keiner, abgesehen von Branchenexperten wie dem Urgestein Siegfried Trzoß, derzeit beim SFB-Radio 88,8 mit einer Sonntagssendung. Udo Jürgens singt Michael Hansen, Peter Alexander übernimmt Frank Schöbel, Peter Orloff was von Günter Geißler, viele andere bedienten sich ebenfalls im Osten, pressten es auf Platte. „Da kommen Hunderte Titel zusammen“, meint Trzoß, „nur wissen eben Westdeutsche nicht, dass sie da Ostlieder hören.“ Das häufige Argument, kein Mensch in den alten Bundesländern kenne Ostmusik und wolle sie auch nicht, ist damit jedenfalls hinfällig. Der altgediente Radiomann gibt die Worte eines ZDF-Musikmanagers wieder: “Wenn ich die Wahl habe zwischen Frank Schöbel und Roland Kaiser, weiß ich zwar, dass Schöbel besser singt, aber nur eine Million Zuschauer bringt, Kaiser dagegen zwölf Millionen.“ Und damit dem gesamtdeutschen ZDF mit besserer Quote auch letztlich höhere Werbeeinnahmen, dem Sänger satte Gagen, bessere CD-Umsätze, so einfach ist das. Dieter Thomas Heck, weiß Trzoß, holte Schöbel einmal in sein Programm, doch auf der CD zur Sendung war er dann nicht drauf, wirtschaftlich gesehen, eher ein Schaden für Image und Geschäft des Ost-Künstlers, dem Ähnliches bis heute widerfährt.

EX-THOMANER IM GLÜCK
Doch alle freuen sich über den Erfolg der Leipziger „Prinzen“, Ost-Zugpferde, hochmusikalische, virtuose Ex-Thomaner, ein Sonderfall in der Branche, eher Ausnahme von der Regel. So wie Kai Niemann aus Sangerhausen mit „Im Osten“. „Probleme mit der Medienvermittlung wie die gestandenen ostdeutschen Bands haben wir nicht“, so Prinzen-Frontmann Sebastian Krumbiegel zum telegraph, „kümmerten uns, putzten wirklich überall Klinken, hatten das Glück, die richtigen Leute zur richtigen Zeit, am richtigen Ort zu treffen – auch bei Rammstein hat das funktioniert.“ Er erwähnt vor allem Hans Blume, „unser Entdecker und Papa“, ehemals Hansa-Geschäftsführer im heutigen Berliner BMG-Büro Jörg Stempels. Vor der Wende nannte man sich „Die Herzbuben“ – laut Insider Arndt Bause bestand Blume nach dem Mauerfall aus PR-Gründen auf dem neuen Namen, verkaufte „Die Prinzen“ zunächst taktisch geschickt als brandneue Westberliner Erfindung, pushte sie phantastisch in allen Westradios, bis es lief wie geschmiert. Krumbiegel will das so nicht stehen lassen. „Vielmehr nervte mit der Zeit, dass auf uns immer als den Vorzeige-Ossis herumgeritten, der Erfolg grade mit der Ost-Herkunft erklärt wurde.“

Literatur: Fritz Vilmar(Hrsg.) Zehn Jahre Vereinigungspolitik, Kritische Bilanz und humane Alternativen (mit Beiträgen zur Kolonialisierung der Ex-DDR), trafo- Verlag Berlin
Erich Schmidt-Eenboom, Undercover – Wie der BND die deutschen Medien steuert, Knaur

Klau Hart ist Journalist und Autor und lebt in Berlin.

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