DIE LOKALE ENTWICKLUNG DES KNEIPENWESENS

aus telegraph #104
von Lothar Feix

Zunächst ist ja mal das Grundbedürfnis nach Kneipen und den rechten Orten dazu wohl ähnlich alt, wie das nach Sex oder meinetwegen Pudding. Kneipen sind halt anders als halbillegale Wohnungs- und Küchenzirkel. In Kneipen kann man Leute kennen lernen mit denen man ja dann auch noch am Frühstückstisch die Revolution planen konnte. Wenn man das denn wollte. Aber wie es dem Vernehmen nach der DDR auch an anderen lebenswichtigen Kulturgütern mangelte, fehlte es selbst im Prenzlauer Berg, dem Montmatre des Gen. Krack, an Kneipen in genügender Zahl und vor allem genügender Kultur. Was sich unbedingt ändern mußte, und also auch geändert wurde.

Leiderweise mußte man dazu eine Art Revolution veranstalten, bzw. veranstalten lassen, die doch so eigentlich, klassischen Modellen folgend, erst als das Ergebnis massenhafter Zusammenkünfte in den erstrebten Kneipen hätte stattfinden sollen.

Diese Unzeitlichkeit der Ereignisse kann einiges erklären.

Als erstes entstanden freilich besetzte Kneipen in mehr oder minder geeigneten Räumen, in den besetzten Häusern, Gemüseläden oder leerstehenden Erdgeschoßwohnungen. Doch schon kurze Zeit später folgten die ersten „legalen“ Cafés und Restaurationen, andere ließen sich zumindest als ‘Info-laden’ quasi legalisieren.

Die Intentionen der Leute, die sich da zu schaffen machten, waren einander ähnlich, die Ausstattung, ästhetischen und finanziellen Unterschieden folgend, variierte ein wenig. Man kannte einander meist schon seit längerem und das meist aus den wenigen Kneipen der Vorzeit. Nun bastelte sich erst einmal jeder seine eigene Traumkneipe. Wir verstanden uns alle als Teil einer aufblühenden, geradezu entfesselten alternativen Kultur und betrachteten einander nicht als Konkurrenten, sondern als willkommene Bereicherung. Man wankte so zwischen dem Westpfahl, der Krähe, dem Schliemann, dem Kyril und dem ZK umher, frequentierte die Kneipenlöcher in der Lychener und der Dunckerstraße, es wurden immer mehr, doch es blieb überschaubar. Es waren noch alles, wenngleich jede in ihrer Art, Kneipen am Prenzlauer Berg.

Gut, schon die ersten, illegalen Kneipen, die es seit 88 mit wechselnden Adressen gab, verdankten ihre Existenz nicht dem puren Idealismus, Leute, die die erklärte Absicht hatten, Geld zu verdienen, taten das ihre, es auch zu tun, und da sie sich an keine behördlichen Vorgaben halten mußten, gelang das auch fast unauffällig. Ein paar Kästen Bier, Flaschen Wein und was man einander an harten Sachen so zumuten wollte, die Information unter die Leute gestreut, das reichte: fertig war die Kneipe. Was es so ja längst in Westberlin gegeben hatte um Leuten billigere Kneipe zu verschaffen, entstand in Ostberlin, weil es an Möglichkeiten mangelte, sich überhaupt Kneipe zu verschaffen. Und nun, wo es diese Möglichkeiten gab, fing es auch an, an Geld zu mangeln. Wer eine legale Kneipe betrieb, sah sich rasch mit bürokratischen Auflagen mehr oder minder einsichtsvollen auf jeden Fall aber kostspieligen Charakters konfrontiert. Und noch während leider vergeblich versucht wurde, ein Zusammenwachsen der ungleichen Berliner und ihrer Gegenden zu behindern, paßten sich die Kneipenpreise, wenngleich auf niedrigem Niveau, den Kreuz- und Schöneberger Vorgaben an. Angesichts des höheren Investitionsbedarfs, den die neuen Kneipenräume aufbringen mußten, denn rasch kletterten die Gewerbemieten und waren die Schonfristen, die man den ‘alternativen’, geradezu ‘bürgerrechtlichen’ Gruppen der Ex-DDR zugestanden hatte abgelaufen, war da erst einmal wenig an bewußter Abzockerei möglich. Das war zwar als Meinung, als Ausdruck gesunden Sozialneides von Anbeginn auch dieser Zeiten her Allgemeingut, wurde aber erst dadurch zur Tatsache, daß diese Kneipen sich eines Massenansturms von Publikum erfreuen mußten und nicht erwehren wollten. Was da so den Bezirk übel überflutete, das kam aus sonderbaren westdeutschen Provinzen, fand das urban rebellische Klima des feuilletonisierten Prenzlauer Berges schick und hatte keinerlei Probleme mit den Preisen, was zunächst die neuen Hauseigentümer überreden konnte, die Mieten hoch zu treiben. Da nun der Kollwitzplatz, ehemals nur so eine Schnarchecke zwischen Prenzlauer Berg und Luxemburgplatz, zum authentischsten Erlebnisrondell der Berliner Alternativszene gequasselt, zerschrieben und verbildert worden war, wurde er zum begehrten Pflaster für Leute, die da all den erlebnishungrigen Bürgerlein das lockere Geld abnehmen wollten. Große Teile des Prenzlauer Berges wurden zu Top-Adressen, wurden schick und also teuer. Die wenigen originären Kneipenräume wurden verdrängt, Kindergärten, Bibliotheken, Post und auch die Anwohnervertretung verloren ihre Räume an Kneipen, die einander immer ähnlicher wurden und werden. Die über Jahrzehnte bewährte Integrationskraft des Kiezes wurde überfordert. Wer heute noch vom Prenzlauer Berg redet, der redet eigentlich von einer Vergangenheit, denn die Gegenwart ist größtenteils nur noch Prenzl Berg, (und ich versteh das Rechtschreibprogramm meines Computers, das mir für ‘Prenzl’ ‘Brennöl’ anbietet).

Vor wenigen Jahren noch demonstrierten einige Handvoll junger Menschen gegen den ausbrechenden Kneipenwahn, der nicht nur in ihrer, kaum noch von der DDR geprägten Wahrnehmung Ausdruck eines fiesen Vertreibungsprozesses potentiell widerspenstiger Menschen aus dem gedemütigtem Bezirk darstellt. Vergeblich; mittlerweile ist die Yuppisierung über die zu Danzig mutierte Dimitroffstraße gedrungen und hat sich an der Nordwestseite des Helmholtzplatzes, also im Kerngebiet des Prenzlauer Berges, dem LSD-Viertel festgesetzt.

Einiges an Resten und halblichen Fortsetzungen der alten alternativen Träume von Kneipenkultur hat sich noch bewahren können, allein, es steht schlecht um ihre Chancen. Alternativen sind Beliebigkeiten geworden und beschränken sich mittlerweile fast nur noch auf das Angebot an Salat oder noch mehr Salat.
Wie es ausschaut, ist nun endlich eine Alternative zu der mittlerweile doch überzitierten Alternativkultur des alten Prenzlauer Berges gefunden worden: Etwas schönes, so wie überall das Hübsche und Saubere, wenngleich etwas preislich Niveauvollere etwa der Münchener Innenstadt. Oder Hannover.

Lothar Feix ist Autor, Kneipier und Mitglied des Arbeiter- und Literatenrates. Er lebt in Berlin – Prenzlauer Berg

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