aus telegraph #104
von Jürgen Schneider
Die jungle world launchte im Maria die Beute-Nachfolge-Monatsbeilage Subtropen mit Neoangin (In der Not säuft der Teufel auch Avignon!) und Britta, derweil stand Bert Papenfuß im Luxus und forderte lange Getränke für Unterhunde, womit er uns lediglich zeigen wollte, dass er im Beitrittsgebiet mittlerweile auch die „letste lektsion ‘engelangt’“ (SoJa) gelernt hat, F-Wörter wie „FAST FORWARDS FOR FOOLS – F-F-F-F …“ Noch lieber aber ist ihm die Chochemer Loschen von 1833, aus der er den Titel für seine Textsammlung geborgt hat: HAARBOGENSTURZ heißen die „Versuche über Staat und Welt“.
Nachdem uns jeder Krethi nun schon ewig und drei Tage mit seinem Pop, ob diskursiv oder nicht, und jeder Plethi mit seinen Technogoetzen nervt, kommt uns Papenfuß nun mit seinem Rock, zu dem Helmut Salzinger schon anno 1972 in Rock Power alles gesagt hat, was damals zu sagen war, wenn auch die Annahme des Benjamin-Kenners, die Musik trage dazu bei, die Revolution in Gang zu setzen, allzu optimistisch war. Vertrauen eben doch nur in die deutsche Luftwaffe! Kein Irrtum war jedoch Salzingers Beatles-Kritik: „Während in den Straßen Jugendliche Barrikaden bauen und die Bullen ihnen die Köpfe einschlagen, liefern die Beatles nichts als einen weinerlichen Aufguss ihrer persönlichen Wertvorstellungen: ‘All you need is love.’ “ Da war ein Robert Allen Zimmermann schon 1965 in London weiter: „Keep a cool head and always carry a light bulb.“
Nein, nichts gegen dreiunddreißig Jahre Papen-fußsche Beschäftigung mit den Gitarrenquälern, aber Kraftwerk und die zeitgenössischen „rechnergesteuerten Unterhaltungsgeräusche“ kleinreden und „Dreckrock“ sowie „Death-Metal-Gegrunze“ preisen, das muss so pamphletsprengend Grateful-Dead-Solo-lang dann doch nicht sein. Da treibt die Aufzählung der elf kleinen Mängel der Rockmusik die Maus schon eher auf den Mars. Und natürlich sind die Melvins oder irgendein Wüstenrock der „Vorhölle des totalen Blockflötenkreises“ jung-gemeindlicher DDR-Aktivisten vorzuziehen. Kakophonie, Zorn, Punk sowieso. Teenage kicks und straight to hell. God save the queen: the fascist regime. Und Sacred Systems sowie Stille, dann und wann.
Aber ist es nicht ohnehin eine eigentümliche Burschimacke, sich gern über gehörtes Unerhörtes und über die eigene Plattensammlung auszulassen? Zumal, wenn man nicht mal XHOLs geniales, lebend aufgenommenes Album hau-RUK im Schrank hat, das mit diesem dreckigen, konvulsivischen ‘Rock me baby, rock me all night long…’? Die Scheibe, auf der Tim Belbe ins Publikum raunzt: „XHOL heißt das – X, H, O, L. Blickt endlich mal durch!“
Ja, blickt endlich mal durch! Wo er recht hat, hat er recht, der Papenfuß: „Die direkte Aktion ist eine Wohltat des Ausübenden, Kulturkampf hierbei Selbstverteidigung und Absicherung der Entspannung, die uns Deckung gibt und bei der Stange hält, an der keine abgedroschene Fahne weht, sondern das Banner des Chaos, das wir verkörpern. Haut euch die Taschen voll. Ausübung sichert keine Pfründe, sondern Abgründe. Gewinst sinkt, Wagnis siegt. In unserem eigenen Interesse. Bewaffnet sei der Blues.“
Das ist er – mit einem Handtuch fürs Fitness-Studio. So ist das heute mit der Bewegung. Ob am 2. Juni oder zu einem anderen Datum. „temporär & autonom/das hatten wir schon…“, konstatiert konsterniert Papenfuß. Beim heiligen Propheten Hakim Bey, nein. Parteien und Grüppchen, ganz Tradition, allerorten, fortwesendes Kadergehabe und trübes pc-Gelalle. Seminarsprüche. Prüde Postillen. Temporärer Realitätsmangel. Sekten. Rituale. Stillstand. Der autonome Kreuzberger Kommunist (gibt es einen nicht-autonomen Kommunisten?) wirft die Phrasendreschmaschine an und verliest ML-Traktakte, ganz frei nach Weinert: Begehst du jetzt nach alter Sitte den 1. Mai, quatsch Unsinn bitte! So wird die Welt nie ein Feiertag.
Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter. Das waren die Zwei Buchstaben. Doch die Revolutionären Zellen gaben sich so temporär auch nicht, und das ist keinem präparierten Mousli geschuldet. Ja, d’accord: „Es ist zum Ausmalen“.
Ansonsten pendelt Papenfuß ideologisch und /oder praktisch zwischen Gegner, PDS, KPD/RZ, Anarcho- und Ostseepiratenromantik sowie der Tanzwirtschaft Kaffee Burger, die den Prenzlauer Berg von Mitte trennt, dem Wurmfortsatz des Themenparks Potsdamer Platz. „Wo sich fünf Straßen treffen“, weiß Papenfuß, „kann nur eine leben – die Tor.“ Und dort haben „Lemuren und Makaken das Sagen und Aufsteigerprimaten keine Fragen.“ Er schon. Die zum Beispiel: „Wohin mit dem Sozialismus? Her damit, nach kräftigem Durchstauchen ist er noch zu gebrauchen. Mit Kuhlmann, Stirner, Fuhrmann, einer 38-bändigen Prise Lenin und ausgewählten anderen Ingredienzien werden wir schon einen Maximalismus aus dem Boden stampfen, der sich gewaschen hat, bevor er in die Hose geht, und was uns sonst noch bevorsteht.“
Zuhause ist Papenfuß wie James Joyce, der irische Nomade und Problematisierer des Nationalsprachlichen, nur in der Sprache bzw. in vielen, „das Gedicht mein Beruf“, „die Welt eine Schreibe“. Aber er hat’s erfahren: „Nach Haus kann sich ganz schön hinschleppen.“ Vom Prenzlauer Berg, der längst Teil von Großpankoff ist, Sachsen ringsum, die anno 2001 aber zumeist Blow Ins aus dem Westen sind („Yuppiescum von Schlingensief bis dorthinaus“), von der Prenzlauer Berg Connection also, der von Adolf Endler so genannten, dem – so Papenfuß – „Gebetskreis zur Rettung des angewandten Altruismus mit Gedichtevorlesen und allem Pipapo“ bleibt einstweilen nur er selbst und der ihm eigene Sound, ob der des Eingriffgedichts oder des Sonderberichts. Die Leserinnen und Leser sollen die „Eskapaden der Sprache und des Denkens“ mitmachen, wie der Wortwerker bei der Vorstellung seines neuen Opus in der Galerie am Prater empfahl, schließlich „ist das Sprachexperiment Teil des sozialen Umschwungs.“ Klar. Aber sag das mal den popkulturellen Fuzzis in den Executive Lounges des Feuilletons, die ihre Bücher Leuten widmen, die Heidelinde und Klaus-Peter heißen und Sätze sprechen wie: „Ich habe Plauderschmerzen.“ Pop, me arse!
Unter den zwölf Papenfußschen Makamen über Rockmusik, Revolte und Reimarbeit finden sich auch ein Nachruf auf Karl Mickel (‘Karl der Große [1935-2000]’) sowie die Abrechnung mit dem Westreporter Kulick, der in Horch und Guck „Enthüllungen“ in Sachen Sascha Anderson bot (‘„Geheimrat Anderson“ und der enttäuschte Eckermann’). Aus dem Geheimrat-Text ist zu lernen, wie man keinen ungeschont lässt, keine Staatssicherheit, nicht die Stasi-Jäger, jene weiteren „fünften Räder am Wagen, den sie nach abgerissenem Lohnkosten-zuschuss auch noch selber ziehen, ohne sich zu fragen, wem er gehört“, nicht die „Betroffenenschar der Benutzten“ mit dem „Selbsthass der Involvierten für ihren eigenen Opportunismus“ und auch keinen Sascha, „der leider nicht links war, sondern link“ – aber dennoch zu einem „guten und schwierigen Freund“ hält. „Dass Saschas klassizistisches Elysium nicht meine Kloßbrühe ist, steht nicht zwischen uns … Feigheit vor dem Staat ist keine Entschuldigung, besonders nicht vor einem deutschen. Erinnerung schützt die Persönlichkeit, Verschleierung nützt der Herrlichkeit, die untergehend um sich beißt. Informanten liefern ans Messer, für sie uneinsehbar wie, warum und wann – und das heißt zurecht Verbrechen man.“ Wie hieß es in MORS EX NIHILO: „vertraue deinem verräter/wie dir selbst, oder/du bist verloren“.
Bert Papenfuß, Haarbogensturz. Versuche über Staat und Welt. Mit 12 Grafiken von Thomas Platt. – Berlin: BasisDruck, 2001, 160 S., Karton, Fadenheftung, DM 28,00
© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph