aus telegraph #104
von Anja Kramer
Maschendraht zwischen beide Scheiben. Das verhinderte zwar nicht das Zerschlagen der äußeren Scheibe, aber sicherte das Eindringen von Steinen und mit brennbaren Flüssigkeiten gefüllte Behältnisse. Nebenbei ist ein Blick zur Sonne und auf die Straße auch noch einigermaßen gegeben.
Die Räume wurden nach und nach umgebaut, so daß ein Ort für politische und kulturelle Arbeit geschaffen wurde. Das Haus in der August-Bebel-Straße 17 wurde für die nächsten 7 Jahre das „zu Hause“ für viele der Jugendlichen, die keinen Bock auf rechten Mainstream hatten.
Kaputte Fensterscheiben wurden schon längst nicht mehr gezählt. Bis 1996 wohnten ca. 8 Personen im Haus, und die Kneipe war stets gut besucht. Es wurde begonnen Veranstaltungen zu AntiFa- oder AntiRa-Themen zu organisieren. Doch dann gab es bis Ende 1997 ein großes Loch – innere Streitigkeiten, Generationswechsel, viele Leute verließen die Stadt oder zogen sich ins Privatleben zurück… alles stand kurz vor dem Aus.
Nach vielen Gesprächs- und Diskussionsrunden begannen eine Handvoll Leute das Haus wieder zu beleben. Wohnen war nicht mehr möglich, weil der Zustand der Räume das nicht mehr hergab. Der Putz kam von den Wänden, die Räume waren schlecht beheizbar und es regnete überall durch. Daher wurde der Cafébereich erweitert. Es gab einen extra Veranstaltungsraum, der ein- bis zweimal wöchentlich für Infoabende, Diskussionsrunden aber auch für Ausstellungen und Videovorführungen genutzt wurde. Ein paar Konzerte, die in anderen Clubs in Neuruppin veranstaltet werden mußten, weil keine eigenen Möglichkeiten vorhanden waren, fanden ebenfalls großen Zuspruch.
Inzwischen ist der Verein freier Träger der Jugendhilfe und hat sechs hauptamtliche MitarbeiterInnen auf ABM- (Arbeits-beschaffungsmaßnahmen) bzw. SAM-Basis (Strukturanpassungsmaßnahmen). Die Mitgliederzahl bewegt sich stetig um 40 und die Altersstruktur reicht von 12 bis zu 26 Jahren, in Ausnahmefällen auch älter bzw. jünger. Doch eines sollte weiterhin das Leben schwerer machen. Die Tatsache, dass auf dem Haus in der Bebelstr. 17 ein Restitutionsanspruch bestand, ließ nicht gerade rosig in die Zukunft blicken. Nach monatelangen zähen Verhandlungen mit der Stadt war es dann im Juli 2000 vollbracht. Ein langfristiger Mietvertrag und eine entgegenkommende Nutzungsverein-barung für ein größeres Haus in der Innenstadt war schon seit Jahren das gewünschte Ziel.
So sind alle vom „MittenDrin“ seit über acht Monaten am schuften, damit das neue Haus endlich nutzbar wird. Der Ausbau des Cafés ging gut voran, so dass am 30.3.2001 das Haus mit einer netten Party eröffnet werden konnte. Das Café soll aber erst der Anfang sein. Mehrere Büros, Proberaum für Bands, Wohnbereich für 10 Leute, eine Siebdruckwerkstatt, Fahrradwerkstatt, Veranstaltungsraum, Kino undundund… sind geplant bzw. gibt es sporadisch schon. Aber auch wenn sich vieles zum Positiven geändert hat, bleibt gerade das Unangenehme bestehen…
NAZISZENE
Nach dem Tod von Emil Wendtland 1992 ist Neuruppin in die „glücklichen Umstände“ gekommen ein Projekt zu haben, in dem der Versuch gestartet wurde, über ABM-Stellen für arbeitslose rechtsorientierte Jugendliche und unter Anleitung von drei Streetworkern einen eigenen Treffpunkt für sich auszubauen. Die Finanzierung dafür kam von Spenden der Stadt und von 1993 bis 1995 durch Zuschüsse vom “Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ (AgAG) des Bundes. In vielen Orten wurden diese Programme nach der Wendezeit installiert, jedoch bald wieder eingestellt, Neuruppin bildete dabei eine der wenigen Ausnahmen.
Der Treff befand sich in den Kellerräumen eines Kindergartens und wurde vom nutzenden Klientel „liebevoll“ „Bunker“ genannt. Der „Bunker“ war als Anlaufstelle für die älteren rechtsextremen Jugendlichen gedacht und wurde, so wie die „Fischbüchse“, das für die Jüngeren konzipierte Jugendcafé, von der „Initiative Jugendarbeitslosigkeit Neuruppin“ (IJN) betreut. Zunächst sammelte sich im „Bunker“ ein stabiler Kern von ca. 50 rechts- orientierten Jugendlichen. Die Anzahl der BesucherInnen stieg immens, als die Kellerräume auch als Kneipe in Betrieb genommen wurden. Im Zuge der Personalkürzungen vielerorts gab es seit 1998 nur noch eine stundenweise Betreuung durch zwei Frauen der IJN. Die restliche Zeit hatte der 34jährige Kneipenbetreiber, Aktivist der rechten Szene und zu dieser Zeit schon zweifach wegen Landfriedensbruch und Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen in der Öffentlichkeit vorbestraft, die Schlüsselgewalt für den „Bunker“. Gleichzeitig betrieb er eine zweite Kneipe in der Umgebung Neuruppins, in der rechte Bands spielten und die eine Anlaufstelle für NPD-Kader war, was diese gut mit Besuchen im „Bunker“ verbinden konnten. Während der Landtagswahlen 1999 wurde der „Bunker“ als Logistikzentrum genutzt. Die Plakate, Transparente und die Tontechnik der NPD wurde in den Räumlichkeiten gelagert, was bedeutete, dass alle NPD-Aktivitäten am „Bunker“ begannen und dort auch wieder endeten. Die Generation der ersten Stunde hat sich mit den Jahren ebenfalls gut in der Stadt etabliert. Es gab von ihnen betriebene Computerläden mit Werbung zum kostenlosen Zugang ins Thule-Netz.
Als im April 1999 die NPD einen Aufmarsch plante, und im zweiten Versuch auch durchführte, war das „MittenDrin“ wochenlang Angriffen aus der rechtsradikalen Szene ausgesetzt. Die Vorbereitungen gingen alle vom „Bunker“ aus. Trotz einer sehr kurzen Vorbereitungszeit und somit wenig Mobilisierungszeit schafften es die Nazis ca. 90 Teilnehmer-Innen aus dem unmittelbaren Umfeld zu mobilisieren. Nach der Demonstration wurden die meisten von ihnen von den „Ordnungshütern“ bis zum „Bunker“ zurück begleitet. Eine Gegenmobilisierung, außer der Bürgerkundgebung in der Innenstadt, wurde von der Polizei durch Platzverweise versucht zu unterbinden.
Die Bündnisarbeit mit anderen Vertretern der Stadt beschränkte sich meistens auf die Aufmarschversuche der Nazis zur Wahlzeit und schlief bei vielen Beteiligten danach sofort wieder ein. Die Annahme, dass die Teilnahme dieser Personen nur eine wahlstrategische Profilierungsaktion war bzw. der Beruhigung des eigenen Gewissens diente, braucht somit nicht weiter erwähnt werden.
Seit dem NPD-Aufmarsch gab es die Diskussion über den Erhalt bzw. die Schließung des rechten Jugendtreffs. Kommunalpolitische Verstrickungen und Angst vor den Folgen angeblicher falscher Entscheidungen hielten die Stadt jedoch davon ab, den „Bunker“ als eines der inzwischen wichtigsten Logistikzentren der rechten Szene in Ostprignitz-Ruppin zu schließen. Versuche durch Einstellung eines neuen Sozialarbeiters für den „Bunker“, um der entglittenen Situation wieder Herr zu werden, schlugen fehl.
Erst die Ausstrahlung eines Fernsehbeitrages des ZDF-Magazins „Kennzeichen D“, in dem ein ehemals führender Kader der verbotenen Nationalistischen Front und jetzt Mitglied im Bundesvorstand der NPD, Steffen Hupka, den „Bunker“ vor laufender Kamera als ein gelungenes Beispiel praktischer Umsetzung des Konzepts „National befreiter Zonen“ benannte und damit die Stimmen der nicht erhörten Kritiker bestätigte, wurde der „Bunker“ eine Woche später geschlossen.
Folgen waren unterschiedliche Versuche von Naziseite, den „Bunker“ wieder zu öffnen. Diese reichten von friedlichen Belagerungen anderer Jugendeinrichtungen bis zu Pöbeleien in einer vierzig Personen starken Gruppe vor dem „MittenDrin“. Immer wieder versuchten sie mit der Bitte um Toleranz und Gleichberechtigung die Wiedereröffnung bei der Stadt zu erzwingen. „Die Linken haben ja auch ihren Club“ oder „Ihr wisst was passiert ist, als ihr den Bunker schon einmal ein halbes Jahr lang dicht gemacht habt“ waren Aussagen von den Rechten in Stadtgremien, in denen ihnen unglaublicherweise Gehöhr geschenkt wurde. Mitte März 2000 durfte das Bunkerklientel mit ca. 100 rechtsextremen Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Straßen marschieren und eine Wiedereröffnung ihres Treffs fordern, was glücklicherweise keinen Erfolg brachte, außer einer weiteren martialischen Präsenz ihrerseits und einer zunehmenden Beängstigung der Bevölkerung. Wenige Zeit später suchten sich die Nazis einen neuen Treffpunkt in der Innenstadt. Eine neu eröffnete Kneipe, die von der Frau des ehemaligen „Bunker“-Kneipenbetreibers angemeldet wurde, was den Bezug zum „Bunker“ eindeutig bestätigte. Bei der Inbetriebnahme bedurfte es jedoch weniger Gegenwehr von kritischen Betrachtern, da sie in der Innenstadt von einem großen Teil des sonstigen Klientels gemieden wurde und sich so selbst bankrott wirtschaftete.
Der „Bunker“ existiert inzwischen nur noch virtuell. Sie nutzen eine Internetseite, die über ausländische Provider läuft, zu Mobilisierungszwecken, aber auch, um Drohungen an die vermeintlichen Gegner los zu werden. Es gab zum Beispiel ein aus der Regionalpresse entnommenes Bild vom Bürgermeister Neuruppins und der Sozialarbeiterin des „MittenDrin“ vor den des Nächtens mal wieder eingeschlagenen Scheiben des Vereinshauses oder eine Auflistung mit vollständigem Namen und kleiner Beschreibung oder ähnlicher Bemerkungen von ihrer Meinung nach wichtigen Personen der linken Szene und Tatvorwürfen gegen diese, die eindeutig falsch sind. Dieses „Outing“ beweist ihre Hilflosigkeit und Unfähigkeit sich mit der Thematik anders auseinandersetzen zu können, als mit dem Versuch ihnen bekannte linke Jugendliche einzuschüchtern oder zu bedrohen. Da keine Reaktion kam, wurde auch dies uninteressant und bald eingestellt.
Mit von der Partie ist auch immer der Alt-Nazi Wilhelm Lange, der von allen nur „Opa Lange“ genannt wird. Der Mitte Achtzig Jährige ist überzeugter Nationalsozialist und war zeitweiliges Mitglied von NPD, DVU und Deutsche Liga für Volk und Heimat. Er erzählt gern von seinen tollen Erlebnissen in seiner Jugend und ist bekannt dafür jüngere Kids auf der Straße anzusprechen, ihnen Aufkleber von DVU und NPD zu schenken und sie in seine Wohnung einzuladen, die er als kleine Freizeitstätte mit Spielmöglichkeiten für die Kids umgebaut hat. Das Festhalten an Leittrans-parenten bei Nazidemonstrationen, um ein Umfallen durch Schwäche zu verhindern, läßt seinen labilen Gesundheitszustand nicht leugnen. Bleibt nur noch zu hoffen, dass er nach seinem Ableben nicht in Neuruppin beerdigt wird.
AKTIONEN
Neben anderen brandenburger Städten beteiligte sich auch Neuruppin an der im Sommer 1999 gestarteten „Aktion Noteingang“. Ein gelb-schwarzer Aufkleber mit der Aufschrift „Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen Übergriffen“ wird an die Scheibe von Läden und sonstigen öffentlichen Einrichtungen geklebt. Diese Aktion soll die Zivilcourage der Bevölkerung steigern und sie dazu auffordern, sich mit der Thematik des ansteigenden drohenden Rechtsextremismus zu beschäftigen. Die Aktion lehnt an die zu Beginn der Neunziger in Berlin durchgeführte Initiative an. Neuruppin hatte eine der meisten Erfolge, da im Vergleich zu vielen anderen Städten sich eine große Anzahl LadenbesitzerInnen beteiligte und den Aufkleber anbrachte.
FAZIT
Erst vor wenigen Monaten gab es erneut eine Welle von Übergriffen auf das neue „MittenDrin“, aber auch auf andere Jugendeinrichtungen der Stadt. Im November und Dezember 2000 wurden die Scheiben des „MittenDrin“ mehrfach eingeworfen, davor parkende Autos beschädigt, und auch einzelne Personen verfolgt und angegriffen. Bis zu 80 Nazis aus dem gesamten Umland waren regelmäßig am Wochenende in der Stadt und blockierten verschiedene Clubs.
Trotz alledem wird das „MittenDrin“ in Neuruppin weiter machen, was nicht gerade einfach, aber durchaus lohnend ist. Gibt es doch die Chance in einer Kleinstadt Brandenburgs eine praktische Alternative zum rechten Mainstream zu bieten, die sehr gut angenommen wird. Das gibt allen die Kraft und Motivation weiterzumachen und das Maximale rauszuholen.
Alle, die mal vorbeischauen, mitarbeiten oder die Veranstaltungen besuchen wollen, sind herzlichst willkommen.
Kontakt: JWP „MittenDrin“, Schinkelstraße 15a,
16816 Neuruppin, tel.. 03391/65 09 66
Anja Kramer ist Politikwissenschaftsstudentin in Berlin
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