aus telegraph #104
von Andreas Fanizadeh
“Sag mir, wo die Terroristen sind / Sag mir, wo sind sie geblieben”, singt Jan Eissfeld von den Absoluten Beginnern auf seinem neuem Soloalbum “Searching For The Jan Soul Rebels”. Das heißt, so sang er in einer vorab intern kusierenden Version. Für den Handel wurde der Refrain des Lieds “Söhne Stammheims” abgewandelt. Er schien juristisch bedenklich. Und so klingt es nun: “Endlich sind die Terroristen weg und es herrscht Ordnung, Ruhe und Frieden.”
Acht Jahre ist es her, seit die Rote Armee Fraktion (RAF) mit der Sprengung des Gefängnisneubaus im hessischen Weiterstadt ihren letzten Anschlag verübte. 1992 hatte sie angekündigt, die “Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat” einzustellen. Sie hat sich daran gehalten, obwohl der Fahndungsdruck des Staates deswegen keineswegs nachließ. Sie hielt sich auch daran, nachdem Birgit Hogefeld auf dem Bahnhof in Bad Kleinen verhaftet und ihr Begleiter Wolfgang Grams von der Polizei dabei – allem Anschein nach – liquidiert wurde. Im März 1998 erklärte die Gruppe dann die Selbstauflösung. Mit einem Zitat – “Die Revolution sagt: ich war, ich bin, ich werde sein” – endet ihre letzte Erklärung. 1971 hatte sie “Das Konzept Stadtguerilla” mit einem Satz von Mao eingeleitet: “Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!”
Dreißig Jahre später und drei Jahre nach der Auflösung ist die RAF immer noch Lieblingsthema von Medien und Fahndungsbehörden. Lange war sie für Freund und Feind eine feste Größe. Im Mai titelte das Magazin der “Süddeutschen Zeitung” mit fünfzackigem Stern, Maschinenpistole und RAF-Signet auf knallrotem Grund. “Nach der Kapitulation – Eine Spurensuche von Hans Leyendecker”. Der reißerisch-poppigen Aufmachung folgte eine eher fade Zusammenfassung. Tenor: die deutschen Fahndungsbehörden treten auf der Stelle. Sie können die von der RAF verübten fünf Mordattentate aus den Jahren 1985 bis 1991 nicht aufklären. Und so reicht es im “SZ-Magazin” auch nur zum besserwisserischen Kommentar: “In der Orthographie waren die Extremisten keineswegs extrem bewandert. Wenn sie in ihren Pamphleten ‚Reflexion‘ schreiben wollten, langte es nur zur ‚Reflektion‘, die ‚Bourgeoisie‘ geriet zur ‚Bourgoisie‘, bei ‚verselbstständigen‘ rutschte ihnen regelmäßig ein ‚st‘ zu viel in die Feder (heute korrekt).”
Da hatte der “Spiegel” zehn Tage später etwas mehr zu bieten. Das Nachrichtenmagazin verkündete in seiner Ausgabe vom 21.Mai die Existenz einer RAF-Nachfolgegruppe. Zur Zeit durchforste eine Sonderkommission des Bundeskriminalamts (BKA), “internes Kürzel AG 80/90”, die alten Akten und lasse in 19 Fällen altes Spurenmaterial genetisch untersuchen. Dabei hätten die Fahnder auch den Überfall auf einen Geldtransporter aus dem Juli 1999 in Duisburg-Rheinhausen neu ausgewertet. In den bei der Tat benutzten Gesichtsmasken fanden BKA-Beamte DNS-Spuren von Daniela Klette und Volker Staub. Die beiden gehörten nach Ansicht der Bundes-anwaltschaft zur “Kommandoebene” der RAF. Eine Behördensprecherin erklärte jetzt den Überfall, bei dem eine Million Mark verschwanden, zur “terroristischen Beschaffungstat”. Es sei “lebensfremd” anzunehmen, frühere RAF-Kader würden ihr Leben “wie normale Schwerkriminelle ohne revolutionäres Ziel” verbringen. Deswegen gehe man von einer Neuformierung der Untergrundgruppe aus.
Immerhin konnte die Bundesanwaltschaft noch einen weiteren, wohl etwas weniger spekulativen Ermittlungserfolg präsentieren. So soll nach DNS-Analyse der in Bad Kleinen getötete Grams am Attentat auf Detlev Karsten Rohwedder beteiligt gewesen sein. Ein RAF-Kommando hatte Treuhandchef Rohwedder, ein “Architekt Großdeutschlands”, 1991 in Düsseldorf erschossen. In der Nähe des Tatorts sicherte das BKA auf einem Frotteehandtuch ein abgebrochenes Haar. Dies könne heute “zweifelsfrei” Grams zugeordnet werden. Grams spielt auch eine Hauptrolle in dem in Deutschland gerade angelaufenen Dokumentarfilm “Black Box BRD”. Regisseur Andres Veiel interviewte dafür Eltern und Freunde von Grams, ebenso Angehörige und MitarbeiterInnen von Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Ein RAF-Kommando hatte Herrhausen 1989 in die Luft gesprengt. Dass nun beide Seiten in einem Film zusammen auftreten, schien bis vor kurzem noch undenkbar. Zum Entsetzen einiger, scheinen überall die Fronten zu bröckeln. “Black Box BRD” zeigt Wolfgang Grams in historischen Super 8-Aufnahmen als coolen Pop-Existenzialisten, Herrhausen gerät dem ambitionierten Regisseur zum Vorkämpfer für Schuldenerlass und Dritte Welt. Beides dürfte die historische Realität jedoch leicht verzerren.
Aber diese neuen Lesarten sind ein Indiz, dass den Versuchen der Bundesanwaltschaft, eine “vierte Generation der RAF” zu konstruieren, nur wenige ernstlich folgen werden. Geradezu anachronistisch wirkt auch das Vorgehen beim derzeitigen Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen in Berlin. Wie in guten alten Zeiten haben die Behörden das Gericht in eine für BesucherInnen kaum bezwingbare Festung verwandelt. Seit eineinhalb Jahren sitzen die fünf Angeklagten in Untersuchungshaft, für mehrheitlich in den 80ern begangene und inzwischen verjährte Straftaten. Die Jagd nach dem Gespenst eines linken Terrorismus ist im Jahre 2001 allerdings für viele nicht nachvollziehbar, trotz kürzlicher Fischer- oder Mescalero-Debatte. Die Jugend betreibt radical chic. Die Zeitschrift “Tussi Deluxe” veröffentlichte im Frühjahr gar eine Bildgeschichte, in der sie im Stile der Modefotografie, berühmte Ereignisse aus der Geschichte der RAF nachstellte. Der tote Andreas Baader in einer Blutlache in Stammheim, dazu der Text: “Schluppen gesehen bei Woolworth”. Sänger Eissfeld kommentiert treffend die sorglose Stimmung: “Endlich haben sie keine Angst mehr, verkaufen fröhlich ihre Panzer. Jeden Tag sieben Kinder abschieben und dann zum Essen mit dem Kanzler.”
Der Autor ist Mitarbeiter des ID Verlages (Berlin) und von Die Wochenzeitung – WoZ (Zürich).
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