aus telegraph #104
von Knobi
Der Jahreszahl angepasst kam in diesem Jahr der britische Kubrick-Klassiker “2001 – Odyssee im Weltraum” – technisch aufgepäppelt – von 1965 in die Kinos zurück. Viele verstehen den Sinn des Filmes, auch bei Mehrmaligen Ansehen, nicht, aber egal, ist halt Kult. Und schön ist es auch, wenn nach Johann Strauß‘ “An der schönen blauen Donau” die Raumschiffe durch das Weltall torkeln, und der Computer HAL, der einzige ist, der in dem Film vernünftige Dialoge zustande bringt. “Also sprach Zarathustra…”
Am 3. Juli 1971 verbessert der US-Amerikaner Pat Matzdorf in Berkeley (Kalifornien) den Weltrekord im Hochsprung auf 2,29 m – aber wen interessiert das? Wesentlich einschneidender, als diese sportive Zwischenleistung ist der Tod von Jim Morrison am selben Tag in Paris gewesen. Der legendäre Sänger der Rockgruppe “The Doors” war erst 27 Jahre alt, und beendete damit die Ära als Rockmusik noch Rebellion bedeutete. Für alle, die vielleicht dieses Jahr nach Paris fahren wollen und sich mit Jim Morrisons (“We want the world and we wanted it – now!”) letzten Monaten beschäftigen möchten, sollte das Buch von Jan-Eric Hublele; Zwischen Himmel und Hölle – Jim Morrison in Paris (Karin Kramer Verlag Berlin 2000/ 191 Seiten/ ca. 200 Abb./ 38 DM) mitnehmen, denn es ist gleichzeitig ein hervorragender Stadtführer, der nicht nur die Stationen von Morrison akribisch nachzeichnet, sondern wir erfahren auch wo Rimbaud gelebt hat, wo Baudelaire mit Théophile Gautier einen Kiffer-Club betrieb usw. (Ich weiß, das Buch hatte ich letztens schon mal vorgestellt, aber weil’s so schön ist…) Morrison war mehr als der gutaussehende Rocksänger, er wollte so gern Anerkennung als Poet haben und seine innere Zerrissenheit ließ ihn am Leben scheitern: “When the music is over … turn out the light…”
Zum Thema Ton Steine Scherben, deren Album “Keine Macht für Niemand” 1972 erschien, im gleichen Jahr, als von den Doors “Absolutly Live” als letztes Album mit Jim Morrison rauskam, gibt es jetzt ein kleines Büchlein: Hartmut El Kurdi; Schwarzrote Pop-Perlen. Ton Steine Scherben. ‚Keine Macht für Niemand‘ (The Essence of Rock. Bd. 2) Wehrhahn Verlag Hannover/ 2000/ 64 Seiten/ Geb./ limitierte und num-merierte Aufl./ 24 DM. Auch wenn der Autor eigentlich zu jung dafür ist, authentisch aus der Zeit über das Doppelalbum zu urteilen, so hat er doch eine gute Schreibe, und es ist eine wunderbare Lektüre.
Wie Rio Reiser so liest auch Nick Cave gerne ab und zu in der Bibel, was sicher für “schwarze Seelen” interessant und Phantasie anregend ist. Am 2. Mai lief um 1 Uhr 50 (typisch) der Film “Straight to you (1994) von Nanni Jacobson auf ARTE (auch das noch!) über den australischen Rocksänger. Zur neuen CD “no more shall we part” – leider etwas stark bibellastig – aber trotzdem schön traurige Songs, folgten auch einige Liveauftritte, wie die etwa am 10./11. 5. in Berlin.
Ein Fan von Nick Cave ist Henry Rollins, Ex-Sänger der US-Punk-Legende “Black Flag” und seit Jahren selbst als Schriftsteller, Buchverleger, Schauspieler und mit eigener Band –aber immer im Indipendent-Lager geblieben – erfolgreich. Am 13.2. feierte er seinen 40. Geburtstag und er wird kein Deut leiser. Am 20.5. kam er in die Passionskirche während seiner Spoken-Word-Tour. In Deutschland erscheint dieser Tage das erste Buch mit seinen Texten auf Deutsch: Henry Rollins; Pissing in the Gene Pool. MirandA-Verlag Bremen 2001/ ca. 100 Seiten/ geb./ 30 DM. Ein Buch voller schauriger, brutaler und schräger Geschichten, die Rollins in einer – vornehmlich US-amerikanischen Realität zeigen – in der ihm langsam vor lauter Wahnsinn der Kopf zu platzen droht. Eben Hardcore.
Und wo wir schon mal bei den “schwarzen Seelen” sind: Gothics, Grufties, Dark-Wave, Black-Metal, das alles steht für eine Jugendkultur, die teilweise in den rechten Sumpf abzudriften droht, und auf der anderen Seite von Linken auch schnell dorthinein gestellt wird. Hier helfen zwei Bücher den Interessierten weiter: Das Doppelbuch: Klaus Farin; Die Gothics – Interviews, Fotographien. / Kirsten Wallraff; Weiß wie Schnee, Rot wie Blut und Schwarz wie Ebenholz – Die Gothics, 2. Teil. Verlag Thomas Tilsner Berlin – Bad Tölz 2001/ 216 Seiten/ zahlr. Abb./ 28 DM. Sehr informativ mit authentischem Material, zusammengestellt und herausgegeben vom Archiv für Jugendkulturen e.V. Dazu passend empfiehlt sich noch die Broschüre “Die Geister, die ich rief…” von Grufties gegen Rechts Bremen 2000/ 84 Seiten/ 2.Aufl./ 5 DM. Eine sehr direkte Auseinandersetzung der Szene mit rechten Unterwanderern aber auch eigenen Tendenzen. Die eindeutige Stellungnahme gegen Rechts unterschrieben in einem Aufruf u.a. Einstürzende Neubauten, Goethes Erben, Deine Lakaien, sowie verschiedene Djanes und Djs, Fanzines, Labels & Vertriebe, Veranstalter usw.
Eine Legende, die auch noch lebendig ist, ist Robert Zimmermann, der als Bob Dylan am 24.5. seinen 60. Geburtstag begang. “Können Sie sich vorstellen, was es heißt Bob Dylan zu sein?” fragte Günther Amendt am 6.5.01 in der Fernsehsendung “Kulturreport” und wollte uns damit vermitteln, warum die ‚Protest-Schnarch-Nase” mit zunehmenden Alter immer zickiger wird. Trotzdem, er hat einige großartige, ja geniale Schallplatten (bzw., heute CDs) gemacht, und einen großen Anteil an der Jugendbewegung der 60er Jahre gehabt. Bei 2001 wurde jetzt sein Buch “Tarantel”/ 314 Seiten/ Hardcover/ ca. 22 DM neu heraus gebracht. Ein literarisches Zeugnis des frühen Bob Dylan und seiner New Yorker Tage. Außerdem erschien bei 2001 noch anlässlich von Dylans Renteneintritt “Songtexte – Songtexte/ Lyrics 1962 – 1985 (1.236 Seiten/ 30 DM (!) in einer erweiterten zweisprachigen und mit Dylan-Zeichnungen versehenen Ausgabe. Für LiebhaberInnen von Songwritern und Poeten immer noch ein Muss. Na dann, Prost!
Apropos 2001: Nicht schlecht, und etwas für sentimentale, gitarren-folk-liebende Neo-Hippies ein wahres Schnäppchen: Van Morrison; Millenium Collection (Doppel-CD bei 2001 für 4,95 DM (!) ). Könnte ich stundenlang laufen lassen. Vor allem beruhigt es in Abwechslung zum Hardcore die Nerven.
P.s. In dieser etwas ungewöhnlichen Odyssee von Musik-Büchern hier noch zwei Tipps: “Feldpost 2000 – Deutschland wieder im Krieg. Anthologie” (Edition Anares Bern 2000/ 80 Seiten/ 12 DM). Diese, von Reimund Samson herausgegebene Social-Beat-Anthologie zum Nato-Angriff auf den Balkan, sozusagen als posthume Auseinandersetzung überwiegend junger AutorInnen mit dem Versagen der “Friedensbewegung”, kann jetzt natürlich nur noch im nachhinein wirken. Mit Collagen, Texten und Gedichten von Ralf Landmesser, Uwe Timm, Michael Halfbrodt, Lutz Rathenow, HEL und anderen.
So, jetzt ist aber wirklich Schluss mit der Musik, und mach das Licht aus!
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