aus telegraph #104
von Jürgen Schneider
Zu den Zeiten, da Außenminister Fischer noch Sponti-Joschka am Main war, und dort nicht nur in Kalkhüllen eingelassene Farbe flog, hat er mal mit Margrit Schiller am Frühstückstisch gesessen, die – u. a. wegen Unterstützung der Roten Armee Fraktion verurteilt – gerade aus einem westdeutschen Mausoleum der Macht entlassen worden war. Margrit Schiller berichtet davon in ihrem bereits 1999 veröffentlichten Buch Es war ein harter Kampf um meine Erinnerung – Ein Lebensbericht aus der RAF. Das Frühstück stieß 28 Jahre später dem CDU-Koch aus Wiesbaden übel auf, der – nachzulesen in dem von dem Trio Leyendecker, Prantl und Stiller verfassten Aufklärungsbuch Helmut Kohl, die Macht und das Geld – zu jenen gehört, denen es wie den Fröschen in der Fabel des griechischen Dichters Äsop geht: Die waren in die Schüssel mit Milch gehüpft und ließen es sich schmecken. Aber nicht alle konnten der Milch entrinnen. Die Quaker strampelten also um ihr Leben. Der eine gab auf und ertrank. Der andere kämpfte weiter, bis er die ersten festen Butterbrocken spürte. Er stieß sich mit letzter Kraft ab und war im Freien.
Der dem Milchporzellan entkommene Koch erklärte sich zum „brutalstmöglichen Aufklärer“ und drängt nun darauf, Fischer möge an dem Frühstück in der Bornheimer Landstraße noch hart und lange zu knabbern haben. Trotz der in Gang gesetzten „Krümelfahndung“ (Frankfurter Rundschau) entzieht es sich bis heute unserer Kenntnis, was da gekrümelt oder gefrühstückt wurde. Marmeladenbrot? Müsli? Vogelbergeier von Hühnern aus Freilandhaltung? Mer waas’s nit, sagt der Frankfurter.
Wohl aber wissen wir dank Udo Knapp, dem Camus-Leser, der 1969 mit Fischer in Algier Arafats Al-Fatah-Ansprachen angehört hatte, dass man in der dortigen Kasbah Minztee getrunken hat. Zu den Algerien-Polittouris gehörte auch Herbert Röttgen, der 1967 in München den Trikont Verlag gegründet hatte.
Udo Knapp bekundete jüngst, der Schul-abbrecher Fischer habe vermutlich von den palästinensischen Kongressreden noch weniger verstanden als er mit seinen zumindest rudimentären Englischkenntnissen. Wie aber konnte dann Fischer mit Thomas Schmid, der heute Redaktionsmitglied des Fischerlobblattes FAZ ist, Louis Adamics Buch Dynamit – Geschichte des Klassenkampfes in den USA (1880-1930) übersetzen, das 1974 bei Trikont erschien?
Der Münchner Verleger, der 1999 durch das zusammen mit seiner Frau Mariana unter dem Pseudonym Trimondi verfasste Werk Der Schatten des Dalai Lama von sich reden machte – durch eine umfassende Kritik am tibetischen Buddhismus und dessen „Gottkönig“, dem trotz „enger Beziehungen des Faschismus zum buddhistischen Tantrismus“ (Trimondi) seit Petra Kelly vor allem in Grünen-Kreisen angehimmelten XIV Dalai Lama – hatte 1975 das Buch Der Große Basar aus der Feder von Fischer-Freund und Co-Frühstücker Daniel Cohn-Bendit folgen lassen. Darin findet sich auch der Satz: „Es ist mir mehrmals passiert, dass einige Kinder meinen Hosenlatz geöffnet und angefangen haben, mich zu streicheln.“ Im französischen Fernsehsender TF1 bestritt der Europa-Abgeordnete der französischen Grünen Cohn-Bendit nun, dass die Frankfurter Kinderladenkids ihm damals die Eier gekrault haben: „Ich bin nicht pädophil, ich war es niemals. Macht Schluss mit der Menschenjagd.“ Gegenüber Le Monde erklärte der „rote Dany“: „Man will Rache für 1968.“ Das Komplott richte sich primär gegen seinen Freund Fischer. Der aber genießt – ob Schiller-Frühstück, Polizistenprügel, Klein-Klein-Kameradie oder süße PLO-Minze – die vollste Unterstützung von Kanzler Schröder.
Das wirft einige Fragen auf, nicht zuletzt die, ob die Rückendeckung für seinen Vize nicht recht eigennützig ist. Weil die Krümelfahnder offenbar keine Bücher lesen, sondern sich auf die „Recherchen“ von Bettina Röhl, der Tochter von Klaus Rainer Röhl verlassen, der wiederum einst Herausgeber der „Wichsvorlage Konkret“ war, wie die RAF 1971 in ihrem Grundsatzpapier Das Konzept Stadtguerilla geschrieben hatte, und danach das Schmuddelmagazin das da unters Volk brachte, ist ihnen bislang entgangen, dass Kanzler Schröder am 18. September 1992 nach der Beerdigung des SPUR-Künstlers HP Zimmer an einer Speisetafel mit Dieter Kunzelmann saß; nein, nicht nur einfach saß, sondern auch mit Kunzelmann sprach, ja sogar über eine Suppenterrine, zwei toskanaverdächtige Olivenöl- sowie eine Pellegrinoflasche hinweg mit ihm scherzte. Anders als der von Cohn-Bendit zum „Morgenmuffel“ erklärte Fischer, von dessen Frühstück des Jahrgangs ’73 kein Foto existiert, kann der amtierende Bundeskanzler nicht herumeiern. Seine Tafelei mit dem „Querulanten“, wie die Abteilung Seniorenbetreuung der Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum (KPD/RZ) ihre „Graue Eminenz Kunzel“ nennt, wurde fotografisch dokumentiert, auf Seite 77 von Kunzelmanns Buch Leisten Sie keinen Widerstand! Bilder aus meinem Leben, um genau zu sein.
Kunzelmanns Querulanten-Spur ist lang. Das war sie bei dem Leichenschmaus mit Schröder schon: Gruppe SPUR samt Verurteilung wegen „Verbreitung unzüchtiger Schriften“, Situationistische Internationale, Subversive Aktion, Gruppe ‘Viva Maria’, Kommune I und versuchtes Puddingattentat auf den Vizepräsidenten der USA (den man schon damals nicht kritisieren durfte), politische Schulung und Waffenausbildung durch palästinensische Befreiungsorganisationen in Jordanien, schließlich Aktivist der Tupamaros Westberlin. Weil Kunzelmann sich am „Terroristenspuk“ (K. D. Wolff) beteiligt, mit Georg von Rauch (der im Dezember 1971 bei einer Fahndungsaktion von einem Zivilbeamten erschossen wurde) das Privatauto des Tegeler Gefängnisdirektors abgefackelt und einen Molotowcocktail auf die Gartenterrasse des BZ-Chefredakteurs geworfen hatte (ohne freilich ernsthaften Schaden zu verursachen), musste er jahrelang brummen und aß den Knastratten in der JVA Tegel den Freitagsfisch weg. Danach – Horst Mahler, heute NPD-Führer, hatte getönt: „Ich akzeptiere keine Kritik an der KPD mehr, die von außen kommt“ – war Kunzel Mitglied der maoistischen KPD, und von 1983 bis 1985 Vertreter der Alternative Liste im Abgeordnetenhaus von (West-)Berlin und gar AL-Mann im Rechtsausschuss.
Im Sommer 1987 – Kunzelmann wurde per Haftbefehl gesucht, weil er rechtsauschuss-geschult den Berliner Senat wegen der Verstrickung in Bauskandale als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet hatte – war es, auch das muss dessen Tischgesprächspartner Schröder gewusst haben, während der feierlichen Eintragung des schwedischen Ministerpräsidenten ins Goldene Buch der Stadt Berlin zu einer Rangelei gekommen, als der Gesuchte sich mit Toupet und schickem Samtanzug unter die nordeuropäischen Gäste gemischt und gewohnt derb bambergfränkisch seine Senatsbeschimpfung wiederholt hatte. Außer sich vor Wut „traktierte“ der Regierende Bürgermeister Diepgen – so ist’s in dem autobiographischen Werk von Kunzelmann nachzulesen – “den gesuchten Mitbürger Dieter K.“.
Nur wenige Monate nach dem Leichenschmaus mit Schröder machte Kunzelmann erneut von sich reden. Ein dickes Ei, das! Wieder galt seine berechtigte Wut dem Regierenden Bürgermeister des „Imperiums Landowsky“ (Frankfurter Rundschau). Bewaffnet mit märkischen Landeiern und also schon damals unausgesprochen dem heutigen Tierschutzbund-Motto „Kein Ei aus Quäle rei“ verpflichtet, machte sich Kunzelmann auf zum Potsdamer Platz, zur Feier des Ersten Spatenstichs für Berlin Babylon.
In einem österreichischen Appetitlexikon des 19. Jahrhunderts aus unbekannter Feder heißt es: „Die kalkumpanzerten, aus Eiweiß und Dotter zusammengeschachtelten Keimlinge der Vogelwelt bilden das internationalste aller Nahrungsmittel … Nicht die Weltgeschichte, sondern das Ei ist das Weltgericht.“ Der italienische Künstler Brancusi nannte das Ei die vollkommenste aller Formen; es ist mathematisch „ein formelkompliziertes cartesisches Oval“, wie es im 2000 erschienenen Pinisches Gourmet-Handbuch heißt. Charles Monselet taufte das Ei den „Proteus der Küche“. Kunzelmann, der sich wie der Proteus des griechischen Mythos (dessen Tochter Eidothea hieß, was sich in Abweichung von der Husserlschen Bestimmung des Eidos als „Wesen“ grob und also sanfter mit Eidotterlein übersetzen lässt), in verschiedene Gestalten verwandeln kann, bediente sich an jenem 11. Oktober 1993 der in Situationisten-Zeiten eingeübten Technik des détournement, der radikalen Umfunktionierung also.
Schon einmal, „1966 oder 1967“ hatte Dieter K., wie wir dem 1991 erschienenen Ausstellungskatalog Nilpferd des Höllischen Urwalds entnehmen, nach einer „ekelhaft pazifistischen Ostermarsch-Demo“ zusammen mit anderen Aktivisten der Gruppe ‘Viva Maria’ „gelbe Eier-Tupfer auf die ekelhaft funktionalistische Fassade des Amerika-Hauses an der Hardenbergstraße“ zu Berlin gesetzt.
Als anno 1993 die Staatskarosse aus Untertürckheim mit dem Regierenden Bürgermeister am Potsdamer Platz auftauchte, wich Kunzelmann erneut von den einfachen Stammformen der Eierverwendung ab. Er wollte deren Windschutzscheibe mit einem cool von der Kühlerhaube geworfenen Ei garnieren. Wie hieß es aber schon in dem bereits zitierten Appetitlexikon? „Das Ei ist zu allem fähig.“ Ja, es ist nicht nur eine Nährstoffbombe. Und so ließ der kalkumpanzerte Keimling Kunzelmanns die mit besonderem Sicherheitsglas ausgestattete Frontscheibe der Diepgen-Limousine bersten. Die Strafe dafür hat Kunzel, der sich um der Haft zu entgehen gar für tot hatte erklären lassen, längst abgesessen. Und während eines Tofu-Essens mit dem irischen Schriftsteller John McGuffin erklärte er vor einigen Tagen: „Nää, ich brauche keine Eier mehr.“ Egg attack ist nur noch als ebenso animiertes wie mit Bargeld prämiertes absolut contentfreies TV-Game bei RTL Zwo en vogue.
Die Eggheads der Opposition sollten gar nicht erst einen Eiertanz anfangen. Frau Merkel und Herr Merz können doch die Kritik an den „Weicheier(n) im linken Flügel“ nicht dem Deutschen Tierschutzbund, Uschi Glas, Will Quadflieg und Dieter Thomas Heck überlassen, die sich mit Kampfparolen, wie „Zum Gackern: Schröder kommt nur auf wenige Zentimeter“, unisono gegen den Entwurf der neuen Hennehaltungsverordnung der rot-grünen Bundesregierung gewandt haben, mit der Legehennen ab dem Jahre 2012 ein mehr an Drahtgitterboden von der Größe einer den Mindestmaßen der Deutschen Post entsprechenden Postkarte gewährt werden soll.
Nein, warum den Kanzler wie ein rohes Ei behandeln? Ein Untersuchungsausschuss muss her, um zu klären, was Schröder beim Totenmahl mit Kunzelmann besprochen hat, dem „Stammkunden der Moabiter Justiz in Berlin-Tiergarten“ (K. über K.), dort also, wo das Monumentalsamt des Kanzlers steht.
Bis die Knickeier aber aktiv werden, wollen wir uns an Schöneberger Soleiern, an „Geschwadern der Eierkuchen, der Plinzen, der Eieraufläufe“ (Appetitlexikon) oder gar an egg pop laben, ohne das uns für den „Schaumschläger unter den Drinks“ (Gourmet-Handbuch) eine Sekretärin gar die Eier aufschlagen müsste. Ein Straußenei, 12-20mal größer als ein Hühnerei und zubereitet nach „Hottentottenart“, d. h. „in der Schale durch ein Loch zum Rührei gequirlt und langsam erhitzt“ (ebenda) ist gewiss genauso wenig zu verachten wie Konventeier. Ganz christlich, die.
Das leicht abgewandelte frankohibernische Rezept für Convent Eggs entnahmen wir dem 1859 erschienenen Buch A Shilling Cookery for the People von Alexis Soyer. Der Franzose betreute während der Großen Hungersnot in Irland, die zwischen 1845 und 1850 wütete, Suppenküchen und war somit der erste Luxuskoch, der sich um Pauper kümmerte.
Für zwei Personen benötigen wir 4 Eier, 2 EL Butter, 1 gehackte Zwiebel, 1 EL Mehl, 300 ml Milch, 2 Scheiben Toast, geriebener Cheddar oder fein gehackte Kräuter. Die Eier in kaltes Wasser legen, das Wasser zum Kochen bringen und die Eier 10 Minuten kochen lassen. Schälen und mit einem Eierschneider teilen.
In einer Pfanne Butter zerlassen und die Zwiebel darin glasig dünsten. Das Mehl einrühren, die Milch zugießen und rühren, bis eine weiße Sauce entsteht. Mit 1/4 TL Pfeffer und 1/2 TL Salz abschmecken. Die Eier hinzugeben. Wenn sie heiß sind, auf Toast servieren und mit Käse oder Kräutern bestreuen.
Jürgen Schneider ist Autor, Übersetzer und
Ausstellungsmacher. Er lebt in Berlin.
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