SLÁN, COMRADE SEAN

von Jürgen Schneider
aus telegraph #106

Für Sean McGuffin, gestorben in Derry, Sonntag, 28. April 2002

Tübingen steht noch, Sean. Mitte der 1970er Jahre hattest du geschworen, solltest du je Verteidigungsminister der sozialistischen irischen Republik werden, deren Luftwaffe gegen die dortigen studentischen peace wankers einzusetzen, die dich zwingen wollten, auf dem Höhepunkt der Guerillakampagne der IRA gegen die pax Britannica den Frieden zu predigen. Dabei ging es doch darum, dass die Murrays, zwei irische Anarchisten, nicht am Galgen enden. Auf der Rundreise durch deutsche Lande zwecks der Veranstaltungen gegen die Todesstrafe in Irland sind wir Freunde geworden. Als Ulrike Meinhof in ihrer Zelle erhängt aufgefunden wurde, war es für dich eine Selbstverständlichkeit, Mitglied der internationalen Untersuchungskommission zu werden. Mit deinen Büchern Internment und Guineapigs warst du zur Autorität in Sachen Knast und Folterexperimenten an Gefangenen in der Isolation geworden. Wir wissen, dass sich die politische Klasse bei der Errichtung der modernen Zitadellen der Macht in der Bundesrepublik Deutschland der Ergebnisse der britischen Folterforschung, die du angeprangert hast, bedient hat. Heute versieht eine tageszeitung das Wort Isolationshaft mit Gänsefüßchen. Du hingegen wurdest nie müde, die Freilassung der Gefangenen aus der Roten Armee Fraktion zu fordern. Und noch als du schon erkrankt warst, kamst du nach Berlin, um als Beobachter am RZProzess teilzunehmen.

Als wir im März 1980 zusammen von der Royal Ulster Constabulary in das berüchtigte Verhörzentrum Castlereagh verbracht wurden, wo uns allerlei haltlose Vorhaltungen gemacht wurden, wussten wir voneinander, dass des anderen Mantra »Whatever you say, say nothing« sein würde, wenn die Herren (die jetzt unter einem neuen Namen operieren) auch drohten, sie könnten uns auch einer loyalistischen Todesschwadron übergeben und eliminieren lassen.

Kurz vor unserer Festnahme in Belfast hattest du Manuskripte unter deiner klapprigen Schreibmaschine verschwinden lassen. Es waren deine ersten Kurzgeschichten, die später unter dem Titel Bomben, Bullen, Bars bei Edition Nautilus erschienen. Bullen durftest du in deinem Leben zur Genüge kennen lernen, in Bars waren wir oft genug zusammen, und von Bomben wolltest du auch in deinen Memoiren eines intellektuellen Hooligans berichten. Das Kapitel sollte die Überschrift tragen: »Little boxes/timers. Bombenbau in Belfast.« Vor ein paar Tagen haben wir darüber noch gesprochen. Und auch über die anderen Gefallen, die du hin und wieder der Provisional IRA getan hast. Darüber etwa, wie gerne du ihr ›Brigadier‹ warst. [Für diejenigen, die es nicht wissen (dir war ja bewusst, wie es um das historische Wissen der ›Hunnen‹ steht): Unter dem Pseudonym ›The Brigadier‹ schrieb McGuffin von 1974 bis 1981 eine wöchentliche Kolumne für An Phoblacht/Republican News, die Wochenzeitung der Provos.]

Zuletzt warst du zutiefst enttäuscht über deine Ex-Genossen, weil dir bewusst war, dass die Friedenspolitik der Provos nicht auf eine sozialistische Republik Irland gerichtet ist, nicht auf Befreiung abzielt. Deren autoritäres Gehabe war dir, dem alten Anarchisten, der schon während der Bürgerrechtsbewegung die schwarz-rote Fahne schleppte, ein Gräuel. Sie haben dir nicht mal den Gefallen getan, deinen Roman Der Hund zu veröffentlichen. Dabei wird es nie wieder ein Buch geben, das ihren Kampf so meisterlich und solidarisch würdigt. »The I** wins«, hattest du mir einst aus den USA geschrieben, als ich wissen wollte, worum es in dem Buch geht. Mit der political correctness ihres sich ankündigenden Friedensprozesses war der Inhalt deines Buches aber offenbar dennoch nicht kompatibel. Dein opus magnum, Der fette Bastard, sagte ihnen ebenso wenig zu wie deine im letzten Jahr in Derry veröffentlichten Kurzgeschichten. Last orders, please! war ihnen nicht mal eine Besprechung in ihrer Hauspostille wert. Divil a bit of thanks.

Vor Wochen konnten wir zusammen noch einen Sonntag lang an deinem Buch über den aus Derry stammenden Abenteurer Charles ‘Nomad’ McGuinness arbeiten, dessen Fertigstellung du ungeduldig entgegen fiebertest. Es wird gedruckt werden, Sean, dafür wird Christiane sorgen, dessen kannst du dir absolut sicher sein, das weißt du. Und auch eine deutsche Übersetzung wird es geben. Versprochen. Dabei wird mir allerdings die Korrespondenz über Übersetzungsprobleme sehr fehlen. Deine freundschaftlichen Bemerkungen à la „Kid, little do ya know…“

Und wer bitte wird jetzt die Dispatches schreiben, die du übers Netz verbreitet hast? Die, wie Anne dir nach dem Bild-Text-Dispatch über die Festnahme, Fesselung, Entkleidung und Hinrichtung des 23jährigen Palästinensers Mohammed Saleh durch Soldaten Scharons schrieb, der Freiheit des Wortes wegen so notwendig waren.

Für morgen hattest du einen Flug nach Berlin gebucht. Ich wollte dich am Flughafen abholen und dir verraten, dass wir für Dienstagabend im Kaffee Burger eine Party zu deinem 60. Geburtstag organisiert haben, samt Lesung und Musik. Wir werden lesen und Musik spielen, auch Songs deiner Freunde von The People of No Property, klar doch. Und auf dich anstoßen, O/C. Ein wenig vom kleinen Kraut werden die Krauts wohl auch auftreiben können. Don’t worry, Lumberjacks will always rule okay! Und wenn wir gefragt werden »Was wollt ihr denn?«, werden wir mit deinen Worten antworten: »Gerechtigkeit, ihr Bastarde«.

Go to sleep, my weary friend, let the times go drifting by, can’t you hear the bazookas humming, sure it’s yer man’s lullaby (he in the derelict house)…

Slán, yer old chum

Jürgen Jürgen Schneider ist Autor und Übersetzer, er lebt in Berlin

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