Texte

von Lothar Feix
aus telegraph #106

REDEBEITRAG, LINKSRADIKAL

So eigentlich habe ich nämlich von nichts eine Ahnung, und das kam so:
Früher einmal, womit ich die Zeit kurz nach meiner Geburt, welche dummerweise im Polizeikrankenhaus stattfand (meine Mutter, ach, meine Mutter), meine; früher mal, dachte ich bald, ich wüßte schon alles, nur weil ich die Funktion der Ordnungsmacht in hierarchisch strukturierten Gesellschaftssystemen erkannt hatte. Immerhin war das schon viel, wenngleich mir diese Erkenntnis sehr leicht fiel, war doch das erste, was ich diesseits des Uterus meiner Mutter (meine Mutter, ach, meine Mutter) erlebte, ein durch nichts provozierter Schlag von der Hand eines Zivilbullen in der Maske des Geburtshelfers. Da ich schon damals die üblen Manöver der Büttel in Weiß durchschaute, weigerte ich mich, zu schreien, ja, ich weigerte mich sogar, zu atmen.
Eine Weile hielt ich das durch, mußte dann aber doch angesichts der Übermacht aufgeben, und
nach wahrer Prügelorgie tat ich ihnen den Gefallen und schrie. Bedenkt, Genossen, ich war allein!
Meine Mutter (meine Mutter, ach, meine Mutter) kam mir freilich nicht zu Hilfe, aber das ist ein anderes Kapitel. Ich will hier nicht alle möglichen Aspekte des globalen Kampfes durcheinander werfen, obwohl natürlich eins wie das andere zusammengehört, etwa in der Art der Bergson’schen Birne. Aber es bringt erst einmal nichts, wenn wir uns auf alles gleichzeitig konzentrieren; es müssen gelegentlich Prioritäten gesetzt werden. Venceremos!
Später überlegte ich freilich, daß es besser und der Sache dienlicher gewesen wäre, wenn ich,
statt hartnäckig zu schweigen, die Welt diesseits des Uterus meiner Mutter (meine Mutter, ach, hört bloß auf), mit dem klaren Ruf: „Pasaremos!“ betreten hätte.
Andrerseits war ich damals noch unerfahren und, wie großenteils auch heute noch, keiner
Fremdsprache mächtig. Das sollten diese Obermacker aus der Hardcore-WG mal bedenken, bevor sie irgendwelche unqualifizierten Verunglimpfungen herumglimpfen!
Nun ja, wir sollen aus unseren Fehlern lernen statt sie einander ständig vor den Kopf zu schlagen, weil das hält ja kein Fehler aus. Wenn man aber seine Fehler wie Baseballschläger benutzt, verformen sie sich nur, und niemand kann mehr etwas daraus lernen. Das nützt letztlich nur dem Kapital, seinem Schweinesystem und den faschistischen Schlägern!
Okay. Also nachdem mich die Bullen in weiß nun das erste mal verdroschen haben, damit ich
schreie und atme, behandelten sie mich gleich noch erkennungsdienstlich. Fotos, Fingerprints und all diese Sachen nehme ich an. Ich hatte keine Chance, ich hatte nicht einmal die Nummer des autonomen E.A., hatte auch kein Telefongeld, ja, ich durfte damals nicht einmal telefonieren!
Jedenfalls hatten mich die weißen Büttel also fertig gemacht, wobei sie aus mir dann doch nichts
rauskriegten, keine Namen, keine Treffs, keinerlei Infos kriegten sie von mir. Dummerweise aber fanden sie von selbst heraus, daß es außer mir noch andere Leute im Uterus meiner Mutter (meine Mutter, na ja, meine Mutter halt) gab: meine beiden Schwestern. Die eine meldete sich, soviel ich mitkriegen konnte, auch gleich freiwillig und ist später bei der SPD gelandet, so den linken Flügel zu stärken, von wegen Arbeiterklasse, Sozialstaat und all dieser Matsch. Ich glaube sogar, daß sie auch meine andere Schwester verpfiffen hat, von wegen sich den Sachzwängen beugen, sich dem System mit dessen eigenen Mitteln stellen, Schritt für Schritt und Mitbestimmung als Aufgabe betrachtet.
Später sagte sie auch noch, es seien humane Erwägungen gewesen, die sie unsere Schwester
verraten ließen, aber wir wissen doch alle, daß dieser sogenannte Humanismus immer nur ein
Vorwand ist, die kompromißlerischen, sozialkonformistischen und anbiedernden Verhaltensweisen zu kaschieren. Es ging ihr doch nur darum,etwas vom Teller der Macht abzukriegen, und wenn es nur die Serviette sei. Ihr persönlich hat das übrigens nichts genutzt, sie galt zu ,links’ und kam nicht mal in den Landesvorstand. Selbst der Versuch einer Liaison mit Engholm ging ihr schief, obwohl sie dem ein Abonnement auf sämtliche Biermann-Platten schenkte. Obwohl oder weil, wer kennt sich bei diesen Arbeiterverrätern schon aus?
Die zweite Schwester war schon damals dann verstockt. Zwar schrie sie, kaum daß man sie
rausgezerrt hatte, aber dieses Geschrei hatte keinerlei klare politische Aussage. Es war mehr so der allgemeine Frust angesichts der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse.
Jedenfalls machten sie auch mit ihr kurzen Prozeß.
Mittlerweile weiß ich, daß ich damals gleich hätte einhaken sollen, sie hätte über die Strukturen
von Herrschaft aufklären müssen, ihr die patriarchalischen Grundlagen der Macht erörtern und den wahren Charakter der auf Mehrwert und Ausbeutung basierenden Ordnung aufzeigen müssen.
Vielleicht hätte ich es dann verhindern können, daß sie nun als Reenie bei den Nazi-Hools mitmischt.
Ich muß selbstkritisch zugeben, in den damaligen ersten Momenten des Lebens, die doppelte
Unterdrückung der Frau noch nicht genügend reflektiert zu haben, ja, ich kann mich sogar erinnern, daß auch ich damals noch sexistisches Gedankengut in mir trug. Es faszinierte mich nämlich, daß sie keinen Schniedel hatte und ich mich ihr also überlegen fühlen konnte. Ja, objektiv war ich in dieser Beziehung damals auf der Seite unserer Feinde.
Allerdings solltet Ihr bedenken, daß ich noch sehr jung war und glaubte, ich hätte den repressiven Charakter der kapitalistischen Ordnung schon voll durchschaut. Ich ging einfach davon aus, daß meine Schwestern denselben Bildungsstand hatten, was aber nicht so sein konnte. Das war wirklich falsch von mir, aber wir müssen zugeben, daß auch jetzt noch unsere Aufklärungsarbeit erhebliches zu wünschen übrig läßt. Immer noch setzen wir bei vielen zu viel an Wissen voraus, sogar oft genug bei uns selbst.
Ich zum Beispiel, denn ich möchte mich da nicht ausnehmen; ich mußte oft erkennen, daß ich
eigentlich von nichts eine Ahnung habe. klar, ich weiß einige Sachen, aber eine wirkliche Ahnung, so etwas habe ich oft wirklich nicht.
Gerechterweise will ich aber auch erwähnen, daß auch meine sozialreformistische Schwester
Schläge bekam, so daß wir vielleicht über die konkrete Wirkung von Repression noch einmal genauer nachdenken sollten. Und obwohl ihr also ihr Opportunismus schon zu Anfang nichts nutzte, hält sie noch immer an ihrem Kurs fest. Sie hat jetzt übrigens ihren Kreis ,linker Sozialdemokraten’ dazu angestiftet eine Ini zu starten, mittels derer vom deutschen Mittelstand und anderen interessiertem Pack Spenden in Form von Briefmarken aus den steuerbefreiten Portokassen gesammelt werden sollen. Es geht denen darum, daß die armen Schweine der 3. Welt; ja, ich weiß, daß diese Bezeichnung politisch nicht korrekt ist, aber das, was ich gerade berichten will, das ist es ja auch nicht!; daß diese armen Schweine nicht persönlich hierher zu kommen brauchen, sondern einfach schriftlich die Ablehnung ihres Asylantrages beantragen können.
Folgerichtig hat dann meine andere Schwester sich an einer Aktion beteiligt, bei der mittels
hunderter von den Marlboro-Ablegern gesponserter Briefmarken, Briefe in die 3. Welt geschickt
werden, die die dort lebenden Ausländer übelst beschimpfen und bedrohen sollen.
Nun ja, eigentlich wars das. Die Schweine haben uns ja nicht ewig drinnen lassen können, und
also haben sie uns nach ein paar Tagen oder Stunden, ich weiß das jetzt wirklich nicht mehr so
genau, raus gelassen. So einfach nämlich, so einfach wie das diese Macker aus der Hardcore-WG
behaupten, so einfach ist das nämlich nicht, eine Uhr mit Zeigern zu lesen. Damals konnten sich ja noch nicht einmal die Bullen alle Digitaluhren leisten.
Prinzipien, liebe Freunde und Genossen, Prinzipien sind ja gut und schön, aber man muß doch
differenzieren, sonst bringt einen das nix weiter. Wenn wir uns dauernd selbst gegenseitig fertig
machen, dann haben die Bullenschweine und ihresgleichen zuviel freie Zeit und kommen nachher noch auf komische Gedanken!
Es war natürlich auch eine typische Bullenfiesheit, daß sie uns drei zusammen, und dann auch
noch mit unserer Mutter (ach die Mutter, überhaupt, meine Mutter) entließen, ganz so, als ob ich irgend etwas mit Sozialschleimern oder Nazi-Hools gemeinsam hätte. Schlimm war auch, daß ich damals noch eine Glatze hatte, aber deshalb war ich noch längst kein Fascho. Überhaupt; die Skinbewegung kommt doch ursprünglich aus Jamaika und war damals ein Teil der Power der Unterdrückten. Daß sich dann in Europa die Hirnlosigkeit unter der Haarlosigkeit breit machte, ich meine, was kann ein Baby dafür?
Was ich aber eigentlich sagen wollte ist, daß die Büttel und ihre Handlanger, bzw. umgekehrt,
denn eigentlich sind ja die Büttel die Handlanger des Kapitals und der diesem gehörenden Parteien, daß die in den Medien und Regierungen immer wieder nur versuchen werden, uns gegeneinander auszuspielen, indem sie uns mit allen möglichen von uns oder anderswo in einen Topf werfen.
Aber, ihre Töpfe haben Löcher!
Und wenn die Penner aus der Hardcore-WG mir noch einmal vorwerfen wollen, ich ließe mich vom System korrumpieren, nur weil ich die 125 Mark Weihnachtsgeld beantragt habe, dann … (aber ach, meine Mutter).
(1991)

MANCHMAL EINE KOMMUNISTISCHE PARTEI GRÜNDEN

& überhaupt war das alles irgendwie nicht mehr mit an zu sehen; & laut ist es auch geworden seit der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin eine neue & große Bohrmaschine hat.
Der Hausmeister hätte es erlaubt, behauptet er, aber das ist wahrscheinlich gelogen. Immerhin
haben wir doch damals, als wir Volk waren, alle Hausmeister verjagt, weil, die lebten in irgendwelchem Luxus, während wir unsere Treppen selber kehren sollten. Alle 14 Tage war ich an der Reihe, alle 14 Tage!
Dabei habe ich nie Zigarettenkippen in den Hausflur geworfen.
Der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin, der schmiß sogar leere Schnapsflaschen in den Flur. &
jetzt, & jetzt hat er eine neue & große Bohrmaschine. Früh morgens fängt er an zu bohren. Das geht ‘Huiiie’ & ‘Knrirschrr’ bis hoch in den 4. Stock, was ja Etage heißt & etwas ist, in dem ich wohne. Es sind schauerliche Geräusche, besonders wenn ich in der Vornacht einen Kriegsfilm gesehen habe.
Neuerdings werden wieder viele Kriegsfilme gezeigt; mal sind die einen die Bösen, mal die anderen, je nachdem: aber die Guten gewinnen dann doch noch irgendwie.
Der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin, der ist vermutlich immer ein Böser.
Früher hatte er behauptet, das Falsche geglaubt zu haben, aber dann haben wir ja die Hausmeister verjagt, weil, wozu brauchen wir Hausmeister, wenn wir die Treppen selber sauber machen müssen? Alle 14 Tage! So stand es im Kalender, der hing im Parterre aus.
Der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin, der hat auch früher nie die Treppen gefegt, obwohl er es hätte tun sollen. Er hat dem asozialen Kunstmaler vom ersten Stock, was ja auch eine Etage ist, ein Bier spendiert damit der für ihn die Treppen fegt. So war der schon damals, als er noch an das Falsche zu glauben behauptet hatte.
Der asoziale Kunstmaler, der hatte an das Falsche nie richtig geglaubt gehabt, aber er hat die
Treppen trotzdem selbst gefegt. Manchmal hat er sie auch für den fischäugigen Sohn der Kneipenwirtin gefegt, aber da ging es um ein Bier & außerdem sagte ich das schon.
Ich persönlich, ich hatte schon damals auch nicht so richtig an das Falsche glauben können. Ich
glaube, ich hatte mir schon als Kindlein gesagt: Wenn man schon an irgend etwas glauben muß, dann doch nicht an das Falsche! Man blamiert sich da leicht. Wenn irgendwann herauskommt, daß man an das Falsche geglaubt hat, dann muß man sich ja nasse Asche auf das Haupt schmieren & allen Leuten erklären tun, wie sehr man doch betrogen worden war.
Der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin, der hat sich zwar irgendwelche Dinge ins Haar geschmiert, aber keine nasse Asche & trotzdem behauptet er, er hätte schon vorher gewußt, daß er das Falsche geglaubt habe, aber er hätte ja da nichts weiter tun können. & außerdem habe er auch deshalb dem asozialem Kunstmaler immer mal ein Bier spendiert, & nicht etwa nur wegen der Treppe.
Ich halte das für gelogen.
Plötzlich will keiner mehr an das Falsche geglaubt haben, sondern hat immer nur so getan.
Die Leute sind halt ziemlich miese Typen.
Die Frau von gegenüber, die sich immer nackig ins Fenster stellt, die will auch nie das Falsche
richtig geglaubt haben. Sie hängt mir ihre Titten 15 Meter vors Gesicht, & wenn ich hingucke bin ich schuld & glaube was Falsches. Aber ich gucke trotzdem hin. Sollen sie doch kommen! Wir haben doch schon mal alle Hausmeister verjagt!
Der fischäugige Sohn der Kneipenwirtin, der hat einen neuen & großen Bohrapparat. Von
morgens früh an bohrt er laut & die Frau von gegenüber hängt ihre nackten Titten aus dem Fenster.
Der Hausmeister hätte das erlaubt; das behaupten jetzt alle. Dabei haben wir doch damals alle
Hausmeister verjagt gehabt, weil, unsre Treppen haben wir doch selber fegen müssen – alle 14 Tage war ich dran; die Woche darauf tat’s der asoziale Kunstmaler.
Jetzt kriegt er kein Bier mehr spendiert. Der Hausmeister hätte es so erlaubt. Ha.
Manchmal setzen wir beide uns zusammen & gründen eine kommunistische Partei.
(1991)

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