WAS DU AUCH WÄHLST – DIE REGIERUNG GEWINNT

Kolumne
von Norbert Knofo Kröcher
aus telegraph #106

Die wesentlichen Aussagen über die fatalen Implikationen des parlamentarischen Systems kann man bei Erich Mühsam, Gustav Landauer und – in epischer Breite – bei Bakunin nachlesen. Geschenkt.

Alle paar Jahre geht ein Raunen durch die sich „links“ gebärdende Gemeinde – was auch immer „links“ bedeuten soll, es hat seinen Ursprung in der Sitzordnung bürgerlicher Parlamente – und es wird verschämt über die taktische Notwendigkeit debattiert, dieses eine Mal doch diese oder jene Partei („mit Bauchschmerzen“) zu wählen, weil…. Die Resultate sind bekannt: deutsche Soldaten durften (zum dritten Mal in einem Jahrhundert) in Jugoslawien Leute abmurksen, der Atomausstieg wird pünktlich zum Sanktnimmerleinstag vollzogen, das soziale System geht immer mehr den Bach hinunter, die Schere zwischen arm und reich übt mittlerweile schon den Spagat, die Geheimdienste arbeiten global und auf eigene Rechnung, die Bereicherung der Konzerne wird immer schamloser, die Situation der armen Menschen auf diesem Planeten (und das sind bei weitem die meisten) wird immer elender und prekärer, die Verabschiedung des ökologischen Systems akzeleriert und so weiter und so fort.
Begeben wir uns ein letztes Mal in die Niederungen des parlamentarischen Systems. Keine einzige Partei, und wenn sie bei ihrer Gründung/ Formierung noch so herumgekräht hat, konnte sich bzw. ihre Funktionsträger aus dem Netz von Korruption, Durchstechereien, persönlicher Bereicherung und Machtmissbrauch heraushalten. Keine. Auch die Grünen oder die PDS nicht, auf die ja etliche immer noch zu bauen scheinen. Das System macht keine Fehler, das System ist der Fehler.

Der Kaninchenblick der Linken auf die Schlange Wahl ist immer wieder bemerkenswert. Natürlich ist man grundsätzlich gegen alles. Aber gleichzeitig wird – freilich ohne analytischen Anspruch – jedes noch so durchsichtige Wahlkampfmanöver der kriminellen Organisationen mit Namen Partei ausführlichst diskutiert. Wen sollte es wirklich interessieren, ob sich Canaillen wie Mölle- und Friedmann beharken? Wen interessiert es wirklich, in welcher Form die jeweiligen Minenhunde der Parteien den rechten Rand des Stimmviehs abgrasen? Heraus kommt immer wieder nur Verwirrung, die zu den absurdesten Nebenkriegsschauplätzen führt: wer Sharon einen Schurken nennt, ist gleich ein Antisemit; auf der anderen Seite wird man zum Feind der palästinensischen Sache abgestempelt, wenn man die Drahtzieher der Selbstmordattentate bei Hamas und Djschihad für Arschgeigen hält. Die Theorielosigkeit, Borniertheit, Dämlichkeit und die daraus resultierende Hilflosigkeit der Linken ist Legende. Sie hat den Mauerfall nicht überlebt. Schwamm drüber.

Scheißt der Bär in den Wald? Ist der Papst katholisch? Oder ist es Zufall, dass sich die gesellschaftlichen Gruppierungen kultureller und politischer Provenienz, die in bestimmten historischen Konstellationen immer wieder wie von selbst entstehen, grundsätzlich zunächst außerparlamentarisch agieren? Ob sie, oder Teile von ihr, nachdem sie ihren Zenit überschritten hat, letztendlich dann doch im Pateientrog landet, ist ein Thema für das nächste Schuljahr. Und die kommunistischen Sekten und sonstigen Eiferer lassen wir sowieso gleich außen vor.
Seit geraumer Zeit gibt es wieder eine soziale Bewegung, die mit dem schwammigen Begriff „Antiglobalisierung“ bezeichnet wird. Sie ist Produkt des historischen Niederganges der Linken und des klassischen Verrats der Grünen. Sie hat innerhalb kürzester Zeit eine unüberhörbare Stimme bekommen und tagtäglichen mächtigen Zulauf. Und sie ist außerparlamentarisch. Die neue Qualität dieser Bewegung besteht darin, dass sie Zuspruch von unterschiedlichster Seite bekommt. Wovon die Linken immer nur träumen konnten – hier scheint sie zu entstehen: eine soziale Bewegung der zutiefst Beunruhigten über die Zeitläufe. Enttäuschte Gewerkschaftler, ausgestiegene Grüne, Kirchenkunden, radikale Sozialisten. Und alle vereint wohl eines mehr als alles andere: dass sie Parteien für unfähig halten, die dringenden Probleme zu lösen. Was aus dieser Bewegung wird, hängt nicht von einer Handvoll Drahtzieher ab. Noch nicht.

Also noch mal zu dem besagten Sonntag im September: hingehen, Stimmzettel ungültig machen, Hochrechnungs-Kasperletheater mit Freunden vor dem Fernseher zelebrieren (Kessel Buntes). Bier trinken. Und am Montag gehen wir alle in Luxusrestaurants zum Essen. Ohne zu bezahlen.

Wählt Gerdmund Schroiber!
Oder mich: Norbert Knofo Kröcher

Der Autor ist Kranfahrer, Fotograf, Publizist und Gründungsmitglied der Bewegung 2. Juni. Er lebt in Berlin.

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