Die Hartz Gesetze und was wir dagegen tun können
von Hinrich Garms
aus telegraph #107
Am Anfang war eine Showveranstaltung im Dom am Gendarmenmarkt zu Berlin im August.
Dann wurden im Eilverfahren am 15. November zwei Gesetze zu „Modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ im Bundestag verabschiedet. Mittlerweile hat sich auch der Bundesrat mit den Gesetzen befasst und die CDU/FDP-Länder haben Einspruch erhoben. Dadurch sieht es fast so aus, als gäbe es nur eine Opposition die Schwarzen. Doch das täuscht.
Es ist kein Zufall, dass diese Pläne bei den Neoliberalen von Rot Grün ihren Ursprung hatten: Dieser Fleisch gewordene sozialdemokratische Gesellschaftsvertrag zwischen Kapital und Lohn-arbeit sieht nämlich vor, dass die Einen die Erwerbslosen – kein Geld mehr vom Staat oder Sozialleistungen auf Hungerniveau bekommen, die Anderen mit Hungerlöhnen und irrwitzigen Arbeitsverträgen abgespeist werden, die andere Seite das Kapital – aber nur neue Profite kassiert und für jede Einstellung Bonuspunkte in der Sozialversicherung bekommt. Denn Rot Grün sorgt (noch) für einen Konsens, die unter der CDU oder FDP nicht möglich gewesen wäre.
Im Einzelnen sehen die Gesetze vor: Neue Leiharbeitsgesetze und Personal Service – Agenturen mit offiziell geförderter Leiharbeit und schlechteren Tarifen, Streichungen bei Arbeitslosengeld und hilfe, so genannte Quickvermittlung mit Strafgeld für Gekündigte und zukünftige Erwerbslose, Mini Jobs (= geringfügige Jobs) in Privathaushalten mit geringer Sozialversicherung und Steuervergünstigungen für Reiche, män- nerfördernde Vermittlung von Jobs, Herausdrängen älterer Menschen aus den Betrieben, so genannte „Ich AGs“ und „Familien AGs“, neue Zumutungen wie absolute Mobilität und absoluter Qualifikationsverlust sowie eine neue bundesweite Datenerfassung mit einer Chipkarte. In einem halben Jahr folgt voraussichtlich die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe mit der Senkung beider Leistungen.
Abgesehen von der demokratiefeindlichen Durchsetzung der Gesetze gab es vielleicht am Anfang sogar eine gesellschaftliche Basis für Hartz. Dieser Umstand brachte zunächst eben keinen breiten Protest hervor. Im Gegenteil: Wenn man auch nur einen Abend in Berliner Kneipen verbringt und den Gesprächen dort zuhört so kann mensch denken, wir wären wieder in den 50er Jahren: … „Jede/r ist seines Glückes Schmied“… „Frauen sollen an den Herd“ …Jede/r kann vom Tellerwäscher zum Millionär werden.“ … Und die Medien scheinen gleichgeschaltet wie in Sachen 11. September und Krieg.
Doch die Fakten in Berlin sind andere: 17% aller BerlinerInnen sind als erwerbslos registriert. Etwa 10% der EinwohnerInnen Berlins empfangen Sozialhilfe. 13% aller Kinder in Berlin leben in Armut. 40% aller Beschäftigten sind in prekärer Arbeit. Zehntausende sind in Umerziehungsmaßnahmen, auch Umschulungen genannt. Diejenigen, die nicht in diesen Maßnahmen sind, müssen jede Menge Bewerbungen schreiben. Sozialhilfe – EmpfängerInnen sollen die Miniermotte beseitigen. Sozialämter müssen schließen, um ihre Altfälle zu bearbeiten. Gleichzeitig kassiert die Bankgesellschaft eine 21 – Milliarden – Bürgschaft für ihre krummen Geschäfte.
Der (rot-grün-rote) Staat spielt verrückt Tut sich was?
Widerstand braucht aber den subjektiven Faktor: Solange es einem/einer nicht so dreckig geht, dass nichts mehr geht, will sich mensch nicht organisieren. Aber Linken, KünstlerInnen, Wis-senschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen, die seit Jahren mit Schwarzjobs oder Projekten über die Runden kamen, wird das Geld für Projekte gekürzt oder ganz gestrichen und gleichzeitig wird bundesweit an den Transferleistungen bei Erwerbslosigkeit geknabbert.
Im August dieses Jahres flackerte dann ein kleiner Protest von betroffenen Erwerbslosen und Sozialhilfe – EmpfängerInnen auf, aber noch keine Bewegung. Wenige Menschen standen vor dem Arbeitsministerium. Seit etwa dieser Zeit tagt auch der Berliner Runde Tisch der Erwerbslosen. Am 20.10.02 wurde in Berlin das „Bündnis für Soziale Grundrechte Anti-Hartz-Bündnis“ gegründet, weitere Städte werden folgen.
Überraschend war die große Beteiligung an der Gründungsveranstaltung.
Es gab auch Vorbilder für das jetzige Bündnis: Von 1995 1998 arbeitete immerhin – in Berlin – ständig ein Sozialbündnis von unterschiedlichsten Gruppen, eine enorme Zeit für derartige Zusammenhänge. Es gibt einzelne Gruppen in der „sozialen Linken“, die das letzte Mal im Jahre 1999 eine Zusammenarbeit gestartet hatten. Diese haben sich jetzt wieder hinausgewagt und schon nach acht Wochen Bündnisarbeit ist klar, dass es manchmal schwierig ist, sich auszuhalten. Fußangeln sind vorhanden: Stellen wir reformistische oder revolutionäre Forderungen (wie übrigens kann mensch aus dem Stand heraus eine Revolution machen, ohne zu putschen?), unterschiedliche politische Vorstellungen sowie unterschiedliche Diskussionskulturen, gewerkschaftliche bis autonome, treffen aufeinander, alte Rechnungen sind eventuell zu begleichen, alte Feind- und Freundschaften auszugraben. Doch diesmal geht’s ans Eingemachte. Bei Strafe des eigenen Untergangs ist ein Zusammen-schluss notwendig. Somit müssen die verschiedenen Gruppen zusammen arbeiten.
Das Anti-Hartz-Bündnis hat mittlerweile zwei große Veranstaltungen mit 200 bzw. ca. 500 Teil-nehmerInnen gestartet und am 5. Dezember fand eine Demo vor dem Arbeitsamt Kreuzberg statt.
Das frühere Sozialbündnis stand lange Zeit unter dem Motto: DEN HAUSHALT KIPPEN. Schon vergessen? An all diesen Erfahrungen gilt es anzuknüpfen. DEN HARTZ UND SEINE FOLGEN KIPPEN.
Die nächsten Treffen finden im
IG-Medien – Haus, BerlinTempelhof,
Dudenstraße 10 statt. (www.anti-hartz.de)
*Auf einer Veranstaltung am 16.8.02 zu der Hartz Kommission sagte ihr Spiritus rector, Peter Hartz: „Wer hier nicht mitmacht, der wird das Deutschland erklären müssen“.
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