Ein Buch von Herfried Münkler
von Knobi
aus telegraph #108
Schön, eine Feststellung, die ja hierzulande allenthalben begrüßt wird. Jede Anti-Kriegs-Demo wird zur Pro-Schröder-Kundgebung, wo sich Gewerkschaftsbosse mal wieder in Szene setzen können (wenn sie es schon nicht schaffen die Ex-DDR auf das Lohnniveau der Ex-BRD – nach 14 Jahren! – zu bringen). Inzwischen mag ich diese Demos nicht mehr, die Diskussionen bekommen Schieflagen, die unerträglich sind. Eine religiöse Marionette der Multikonzerne gegen einen religiösen Massenmörder. Begriffe wie Demokratie, Befreiung, Menschenrechte usw. erfahren ihre Umkehrung – George Orwell lässt grüßen.
Dieser Krieg ist auch ein Medien-Krieg. Nie waren die Kameras näher dran, so nah, dass die Wirklichkeit nur noch ein winziger Ausschnitt ist, der nichts, aber auch gar nichts aussagt.
Die Printmedien werden mit der ihr eigenen Verzögerung auf dieses Großereignis reagieren. Eine Riesenflutwelle bedruckten Papiers wird spätestens zur Frankfurter Buchmesse auf uns zu rollen und alles überfluten.
Neben dem omnipräsenten Michael Moore („Stupid White Man – Eine Abrechnung mit dem Amerika George W. Bush“, beim Piper Verlag für 12 Euro, inzwischen wohl in der 20. Aufl., brauche ich wohl nicht mehr zu erwähnen) sollten wir jedoch einen Blick auf Amerika werfen, dem wir trotz aller politischer Kritik einiges zu verdanken haben (ich persönlich denke da eher an Rock’n Roll, Hippies und Kommunebewegung, „Eine schrecklich nette Familie“ und „Thelma und Louise“ u.a.). Daher beginnen wir heute mal mit zwei Neuerscheinungen, die mit den USA zu tun haben, auf eine Art und Weise, die für uns sicher interessant sein kann: Gerd Raeithel; Geschichte der nordamerikanischen Kultur, 3 Bde. Von 1600 bis 2002 / Verlag Zweitausendeins Frankfurt/M. 2003 / aktualisierte und erweiterte Ausgabe / zus. 1633 Seiten / ca. 145 Bilder / geb. / 49,95 Euro). Wer etwas mehr über die Menschen in den USA wissen will wird hier recht gut bedient, selbst für uns so interessante Themen wie die radikale Arbeiterbewegung kommen zur Sprache. Mit einem Personen- und Sachregister ausgestattet, eignet sich dieses Schwergewicht durchaus als Nachschlagewerk.
Nicht jedermanns und jederfrau Geschmack ist sicherlich die Jazzmusik (trotz enorm vieler Stilrichtungen), trotzdem empfehle ich Ekkehard Jost; Sozialgeschichte des Jazz (Zweitausendeins Frankfurt/M. 2003 / 420 S. / geb. / 24,90 Euro). Ebenfalls ein Standardwerk, erstmals 1982 erschienen, nun erweitert und aktualisiert. Es ist angenehm zu lesen, vor allem weil es nicht um Klugscheißerei bezüglich der diversen Stile oder etwa um die Heroisierung einzelner Musiker geht, sondern um die sozialen Umstände und die „Brutstätten“ in denen der Jazz entstand und bis heute blüht.
Und nun ein Schwenker zur reinen politischen Literatur. Eine neue Reihe legt der Schmetterling Verlag vor, wo zentrale Themen möglichst intensiv aber knapp erklärt werden sollen. Zielgruppe ist wohl die Studentenschaft und alle an speziellen Themen Interessierten. Die ersten beiden Bände liegen vor und sie machen durchaus einen guten Eindruck: Andrea Trumann; Feministische Theorie – Frauenbewegung und weibliche Subjektbildung im Spätkapitalismus. (Schmetterling Verlag Stuttgart 2002 / Reihe: theorie.org / 204 S. / 10 Euro), Josef (Moe) Hierlmeier; Internationalismus – Eine Einführung in die Ideengeschichte des Internationalismus – von Vietnam bis Genua. (Schmetterling Verlag Stuttgart 2002 / Reihe: theorie.org / 180 S. / 10 Euro)
Zur konkreten Politik: Ein Aktivist des bewaffneten Widerstandes im Nachkriegsdeutschland war Rolf Pohle. Der Münchner ASTA-Vorsitzende von 1967, später RAF-Mitglied, kam durch die Bewegung 2. Juni, die den CDU-Politiker Peter Lorenz entführt hatte, 1972 frei. 1976 erneute Verhaftung in Athen, Auslieferung und knapp 6 Jahre Haft in Deutschland. Seit 1985 lebt Rolf Pohle in Griechenland. Hier war er tätig als Übersetzer und Deutschlehrer, seit zwei Jahren ist Rolf Pohle schwer erkrankt. Der Interview-Band kam 1999 zuerst in Griechenland heraus und ist nun auch auf Deutsch erhältlich: Rolf Pohle; Meine Name ist Mensch. Das Interview. (Karin Kramer Verlag Berlin 2002 / 215 S. / 18 Euro) Ein Stück lebendige Geschichte.
Der Krieg verdrängt andere Themen, so wie das, was eigentlich in Argentinien los ist. Dazu gibt es jetzt das Buch: Colectivo Situaciones; ¡Que se vayan todos! – Krise und Widerstand in Argentinien. / Verlag Assoziation A Hamburg Berlin Göttingen 2003 / 220 S. / 14 Euro) Dieser spanische Titel entspricht einer Parole der fortwährenden Kämpfe gegen die Verarmung der Bevölkerung: Sie sollen alle abhauen! Nach Militärdiktatur und Neoliberalismus wurde das Land in eine Krise gestürzt. Der Widerstand wurde immer radikaler und sucht heute in den neu entstandenen sozialen Bewegungen nach Lösungen und Auswegen. Über Potenziale und Widersprüche will dieses Buch berichten. Ya Basta.
Zwischen Politik und Literatur kommt noch der Journalismus. Guter und kompetenter Journalismus ist wichtig, dies beweisen gerade die heutigen Zeiten. Dies Buch soll beweisen, dass es auch im Kollektiv geht und nicht nur als schwadronierender EinzelkämpferIn. Rheinisches JournalistInnen Büro; Widerworte. Journalismus im Kollektiv. Verlag Assoziation A Hamburg Berlin Göttingen 2003 / 160 Seiten /12 Euro) Ein praktisches Buch für alle, die mit Medien arbeiten wollen und auf die Erfahrungen eines Kollektives zurückgreifen können, welches seit nunmehr 20 Jahren funktioniert, nebst Arbeiten aus der jüngsten Zeit, die das journalistische Selbstverständnis des Kollektivs darstellt. Schwer philosophisch für Menschen, die Lust daran verspüren komplizierte Gedankengänge zu lesen, nachzuempfinden und selbst weiterzuentwickeln empfehle ich: H. Ibrahim Türkdogan; Der Einzige und das Nichts. (Verlag Max-Stirner-Archiv Leipzig o.J. [2003] / 136 Seiten / 12,50 Euro). Der Band enthält diverse Aufsätze über den deutschen Philosophen Max Stirner in seiner Beziehung zu anderen wie etwa J. P. Sartre, Heidegger, Scheler, Nietzsche oder etwa den orientalischen Dichterphilosophen Chajjam.
Eher Literaturgeschichtlich ist das folgende Buch: Der Feuerstuhl und die Fährtensucher. Rolf Recknagel, Erich Wollenberg, Anna Seghers auf den Spuren B. Travens. (Kramer Verlag Berlin 2002 / 192 S. / incl. CD / Abb. / 20 Euro) Ein weiteres Werk, welches noch ein wenig mehr Verwirrung über die Identität des sagenumwitterten sozialkritischen Schriftstellers B. Traven beiträgt. Der „Papst“ der Travenforschung Rolf Recknagel versucht nachzuweisen, dass Traven vom deutschen Kaiserhaus abstammt, und die diesbezügliche, bisher unveröffentlichte Korrespondenz u.a. mit Erich Wollenberg, Anna Seghers und der Traven-Tochter Irene Zielke. Als Bonmot erhält das Buch eine CD mit Texten von Traven gelesen.
Auch verschollen, aber immer mal wieder von LiebhaberInnen neu entdeckt: Die Lettristen bzw. die Situationisten. Über die Anfänge dieser französischen Intellektuellen-Bewegung, an der durchaus auch Proleten beteiligt waren, erzählt dieser Band aus dessen Anfangstagen:. Jean-Michel Mension; Wir haben unsere unfertigen Abenteuer gelebt. Eine Jugend im Paris der fünfziger Jahre. (Edition Tiamat Berlin 2002 / 126 Seiten / 17 Euro)Zwischen Resistance und dem Pariser Mai von 1968 hat sich in Paris auch schon einiges getan. Ebenfalls ein Interview-Band über die wilden 50er Jahre.
Geschichte wird manchmal zur Literatur. So im vorliegenden Fall, wo sich der Autor vorgenommen hat die Zeit der Machnowtschina literarisch umzusetzen. Oliver Steinke; Die Flamme der Liebe und des Aufstandes. Historischer Roman aus revolutionären Zeiten. (Karin Kramer Verlag Berlin 2003 / 155 Seiten / 12 Euro).Über Nestor Machno und sein anarchistisches Konzept in der Ukraine, sowie sein Kampf gegen Zaristen und Rote Armee wird hier mit einer Liebesgeschichte gekoppelt. Sicher mal eine andere Art und Weise sich historischem Geschehen, durchaus auch unterhaltsam, zu nähern.
Auf das politische Buch folgt beim Schweizer Kultautor eine literarisches, und so kommt eben nach dem „Subcoma“-Buch jetzt: P.M.; Der goldene Weg. Roman. (Rotpunktverlag Zürich 2003 / 293 Seiten / 18,50 Euro). Ein schweizerisches Buch, manchmal sprachlich etwas verwirrend, aber mit der gewohnten Rezeptur aus Science-Fiction, Mystik, Sozialkritik und Spannung. Der Verlag kündigt es als „Sommer-Buch“ an, nicht nur wegen der Schauplätze (ein Schweizer Kurort und eine griechische Insel) sondern weil es auch ein Buch der „Selbstheilung“ sei, was immer darunter zu verstehen ist. Vielleicht ist Lesen ja prinzipiell als „Selbstheilung“ zu betrachten, in Ruhe und an einem schönen Ort, sicherlich.
Von der Ruhe und der Natur in die Stampe an der Ecke: Politisch nicht immer korrekt, aber irgendwie geradeaus, sofern es bei entsprechender Promille noch machbar ist: Thomas Kapielski; Sozialmanierismus. Verlag Zweitausendeins Frankfurt/M. 2003 / 334 Seiten / geb. / 96 Fotos / 16,90 Euro). Einige werden jetzt sagen: „Ey, det kenn ick doch schon!“ Fast richtig. Zuerst beim wunderbaren Merve-Verlag erschienen ist dieser Band vom Meister nicht nur überarbeitet (bzw.: es heißt durchgesehen) sondern auch erweitert worden. Zwischen Franz Kafka und Erich Kästner müsste eigentlich für Kapielski in jedem Bücherregal noch Platz sein. Und ich kann immer nur darauf hinweisen: Auch dieses Buch muss nicht vom Anfang bis zum Schluss gelesen werden, nein mensch kann einfach so – mal eben zur Entspannung – irgendeine Seite aufblättern und sich in die Kapielski-Welt fallen lassen. Je dickens destojewskij. Die Fotos tun ihre eigene Wirkung.
Ein Trink-Kollege ersten Ranges für Kapielski wäre wohl Bukowski gewesen, wenn sie sich gekannt hätten und letzterer noch Leben würde: Charles Bukowski; 439 Gedichte. (Zweitausendeins Frankfurt/M. 2003 / 992 S. / geb / 20 Euro). Auch hier gilt, nicht immer politisch korrekt aber herzlich. Mit Bukowski-Gedichten bin ich aufgewachsen, und bis heute ist er „underground“ geblieben. Kein renommierter Verlag hat je eine Erstausgabe von Bukowski gebracht. Seine, bisweilen recht derben Gedichte, die eigentlich Geschichten sind, zeigen uns den „American Way of Life“ aus der Sicht der Underdogs, Trinker, Spieler und Verlierer (siehe auch oben). Dabei fällt mir auf, von Bert Papenfuß ist irgendwie schon länger nichts mehr erschienen, warum?
Und noch was zum Abschlaffen: Tom Rocker (Hrsg.); Der Hanfreport. (Verlag Thomas Tilsner, erschienen in der Schriftenreihe des „Archiv der Jugendkulturen Berlin“ 2002 / 152 S. / zahlr. Abb. / 15 Euro). Eine Anthologie mit Texten von Klaus Farin, KIM, Thomas Loeck, Uwe Maeffert, Paul McCartney, Mr. Bong, Wilfried F. Riemensberger, Jürgen Stark, Ulf Switalski und mir. Mit Quasie einem aktuellen Teil und einem Doku-Teil, in dem Texte zum Thema aus den letzten zwanzig Jahren veröffentlicht werden. Mir stellt sich nur die Frage, wenn McCartney kifft, warum macht der dann so komische Musik?
Nun gut, ich hoffe, für Euer geistiges Wohl ist gesorgt. Macht Euch stark. Zum Krieg fällt mir noch eine Parole aus der frühen Schwulenbewegung in West-Berlin ein: Lieber ein warmer Bruder als ein kalter Krieger. Wenn es der Sache dienlich ist – nur zu.
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